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Die Gleichheit

In Belgien   ist eingetreten, was zu befürchten war. Als Lug und Trug hat sich die Hoffnung erwiesen, die man den sozialdemo­kratischen Führern gemacht hatte, daß die Regierung die Wahl­reform einleiten werde, wenn das Proletariat die Generalstreiks­androhung zurückziehe. Der Ministerpräsident hat die Reform glatt verweigert, and die Arbeiterpartei sieht sich daher gezwungen, den schon abgesagten Generalstreit aufs neue auf den 14. April anzusehen.

Die französische   Sozialdemokratie setzt ihren tapferen Feldzug gegen die Rüstungsvorlage und insbesondere gegen die dreijährige Dienstzeit unentwegt fort. Das Ministerium Briand   ist über die Wahlreform gestürzt, da die radikale Mehr­heit, des Senats gegen die Verhältniswahl entschied, durch die sich die herrschende radikale Partei in ihrem Mandatsbesitz bedroht fühlt. Das neue Ministerium Barthou   hat die Rüstungsvorlage in den Vordergrund gestellt. Und die bürgerliche Mehrheit der Kam­mer ist ihm darin beigetreten, sie lehnte einen Antrag ab, ihren Beschluß für die Verhältniswahl gegen das ablehnende Votum des Senats aufs neue zu bekräftigen. Die Wahlreform kann ber­sumpfen, wenn nur die Rüstungsvorlage unter Dach kommt. In­des wächst der Widerstand im Lande gegen die militaristische Forderung von Tag zu Tag. H. B.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Für den Verleumdungsfeldzug gegen die klassen­bewußte Arbeiterbewegung haben wir in voriger Nummer einen ungemein drastischen Beweis mitgeteilt. Er zeigte, daß die Scharfmacherpresse vor den schmutzigsten Lügen nicht zu­rückschreckt, um das kämpfende Proletariat zu besudeln. Heute müssen wir von einem ähnlichen Schelmenstück berichten. Es ist zwar nicht von den offenen Gegnern der modernen Arbeiterbewe­gung geliefert worden, die Infamie kommt vielmehr aus den Reihen der gegnerischen Gewerkschaften, aber dieser Umstand macht sie nur um so abstoßender. Das um so stärker, als auch in diesem Falle die Absichtlichkeit der Verleumdung in die Augen springt, denn diese wird mit seltener Hartnädigkeit wiederholt, obgleich ihre Verlogenheit mit Händen zu greifen ist, ja längst erkannt sein mußte. Der Bergarbeiterverband kann sich der unzähligen Ver­leumdungen kaum erwehren, die aus anderen Bergarbeiterorgani­sationen gegen ihn geschleudert werden. Der christliche Verband leistet darin unzweifelhaft das Hervorragendste. Doch hier in un­serem besonderen Falle hat die polnische Berufsvereinigung die häßliche Schuld auf sich geladen, die schimpflich zu verleumden, die noch vor Jahresfrist im Kampfe der Ruhrbergarbeiter ihre Bundes­genossen gewesen sind. Wenige Tage nach Beendigung jenes Streits war in allen Scharfmacher- und Zentrumsblättern wie in der christlichen Gewerkschaftspresse das Folgende zu lesen. Der alte Bergarbeiterverband habe ein doppeltes Spiel gespielt. Der Zechen­verband hatte am fünften Streiftag den Arbeitern eröffnet, daß denjenigen von ihnen der Lohn für diese Tage nicht als Strafe ab­gezogen werden sollte, die am sechsten Tage anfahren würden. Daraufhin, so wurde behauptet, habe der Bergarbeiterverband einem Teile seiner Mitglieder heimlich empfohlen, zur Arbeit zu= rückzukehren. Von der sozialdemokratischen" Streifleitung seien besondere Karten für eine große Anzahl Arbeiter ausgegeben wor­den, die diesen das Anfahren ermöglichten. Diese Behauptungen mußten irreführend wirken. Wären sie wahr gewesen, so hätte der Verband hinter dem Rücken der Kampfesgenossen ganz treulos ge­handelt die polnische Bergarbeitervereinigung beteiligte sich ja im Gegensatz zur christlichen am Streit. Aber die Behauptungen waren nicht wahr. Der Vorstand des Bergarbeiterverbandes stellte das sofort fest. Er wies nach, daß es sich bei der erlaubten Wieder­aufnahme der Arbeit um eine geringe Anzahl invalider Proletarier handle, deren Beschäftigung von keinerlei Einfluß auf den Streit sein konnte. Die Betreffenden wurden auf den Gruben mit kleinen Nebenarbeiten beschäftigt. Sie bedurften des schmalen Verdienstes, weil ihre dürftige Invalidenrente zur Fristung des Lebens nicht ausreicht. Hätten sie weiter gestreift, so würden die Bergherren ficher gar nichts dagegen gehabt haben, gerade diese Leute auf be­queme Weise los zu werden. Die polnische Bergarbeiterzeitung blieb gegen diese Feststellung taub. Sie fabulierte, daß am Tage der Aufhebung des Streiks die Führer des Bergarbeiterverbandes mit lächelnden Mienen und sichtlicher Zufriedenheit inmitten der erregten Bergarbeiter gestanden seien. Die Sozialisten wollten ja aufregen und unzufrieden machen, um sich für die Niederlage einiger sozialistischen   Kandidaten bei der Reichstagswahl zu rächen. Der Vorstand des Vergarbeiterverbandes schickte dem polnischen Blatte eine Berichtigung zu, die jedoch dieses nicht hinderte, das

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alberne Märchen aufrechtzuerhalten. So blieb dem Vorstand nichts anderes übrig, als die Sache gerichtlich feststellen zu lassen. Vor Gericht versuchte der Redakteur des polnischen Blattes auch nicht einmal den Schatten eines Beweises für die infame Verleumdung. Hingegen redete er sich schließlich mit der Erklärung heraus, er habe die Verbandsleitung gar nicht treffen wollen, sondern nur örtliche Führer. Das Schöffengericht in Bochum   hupfte auf den Leim dieser Auslegung, und da es sich auf den Standpunkt stellte, daß der Vorstand nicht berechtigt sei, im Namen des Verbandes zu flagen, so ging der Verleumder straffrei aus. Der aber ging hin und posaunte in die Welt hinaus, der Verband habe den Prozeß verloren. Daraufhin mußte der Vorstand Berufung beim Land­gericht einlegen, das den zähen und tüdischen Verleumder denn auch verurteilte. Der Fall ist geradezu ein Schulbeispiel dafür, mit welch widerlichem Lügnergeschmeiß sich gerade der Berg­arbeiterverband herumschlagen muß. Wenn dieses Geschmeiß nicht einmal an den eigenen Lügen erstickt, so ist es überhaupt nicht tot zu kriegen. Was die angeführte Verleumdung selbst betrifft, so darf man dieses nicht vergessen. Sie wurde hinausgeschleudert und breitgetreten in einer Zeit der erregtesten Stimmung unter den Bergarbeitern. Sie mußte den Verband nicht nur in der Öffent­lichkeit verächtlich machen, sondern auch das Vertrauen der Mit­glieder des Verbandes selbst erschüttern.

Von den großen Tarifbewegungen ist nun auch die im Holzgewerbe beendet. Jm Baugewerbe stehen die Dinge so: Nach längeren Beratungen haben die drei Unparteiischen ein Vertragsmuster ausgearbeitet, das die Grundlage bildet, auf der in den einzelnen Orten beziehungsweise Bezirken zu verhandeln ist. Der Mustervertrag enthält Normen für die Arbeitsbedin­gungen im allgemeinen. Die Unternehmer hatten beantragt, beide Vertragsparteien sollten je 50 000 Mt. bei einer Bank hinterlegen als Sicherung für die Durchführung des Vertrags. Von diesem Kapital sollten bei Vertragsbruch Schadenersazansprüche gezahlt. werden. Die Unparteiischen haben jedoch dieses Anfinnen der Unternehmer glatt abgelehnt. Die Vertreter der Arbeiter erklärten, auf Grund des Vertragsmusters in örtliche Verhandlungen ein­treten zu wollen, die Unternehmervertreter versicherten, keine solche Erklärung abgeben zu können. Sie seien verpflichtet, die Vorschläge ihrem Gesamtvorstand zu unterbreiten. Eine Vorstandssitzung sollte sofort einberufen werden, sie würden dieser die Vorschläge als Grundlage für die örtlichen Verhandlungen empfehlen. Dies ist seither geschehen, der Bundesvorstand der Unternehmerorgani­sation hat seine Zustimmung zu den Verhandlungen gegeben, die laut Beschluß bis zum 19. April beendet sein müssen. Bis dahin gilt der alte Tarifvertrag.

Daß die Aussperrung im Malergewerbe völlig ver­fracht ist, sehen bereits die Unternehmer selbst ein. In Hannover  beschloß die Innung die Aufhebung der Maßregel. Dieses Beispiel dürfte bald Nachahmung finden, denn in vielen Städten sind lächer­lich wenig Gehilfen ausgesperrt, so zum Beispiel in München  ganze 46. Insgesamt hat die scharfmacherische Maßregel etwas mehr als 15 000 Gehilfen erfaßt. Damit können die Unternehmer wenig Staat machen. Interessant ist übrigens, daß die drei Un­parteiischen zu ihrem Schiedsspruch in einer Zeitschrift Erklärungen veröffentlicht haben, die die Scharfmacherei der Malermeister crit recht als gänzlich unvernünftig erscheinen lassen. Die Unternehmer murmelten daraufhin etwas von Mißverständnissen, deren Opfer sie bei Fällung der Schiedssprüche geworden seien. Zur Aufhebung der Aussperrung haben sie sich trotzdem noch nicht verstehen können, doch werden sie das wohl bald unter dem Drucke der Verhältnisse tun müssen. Für das Schneidergewerbe konnten noch in einer Reihe von Städten Tarife auf örtlicher Grundlage abge­schlossen werden.

In der Binnenschiffahrt steht der Streit noch ebenso günstig für die Ausständigen wie bei seinem Beginn. Die kleinen Schiffseigner haben sich mit einer Eingabe an den Reichskanzler gewandt, in der sie die Vermittlung der Regierung anrufen, in der sie sich aber fast völlig zu den Forderungen der Arbeiter be­kennen. Namentlich ist es die Einführung der Nachtruhe, die sie befürworten.

Die polnische Bergarbeiterorganisation will im oberschle­sischen Bergbau für den Fall den Streit ansagen, daß die erhobenen Forderungen der Arbeiter nicht erfüllt werden. Sie hatte sich mit einer Eingabe die die Wünsche der Arbeiter zu­sammenfaßte an das preußische Abgeordnetenhaus gewandt. Bon dort hat sie eine Antwort erhalten, die sich jeder denken kann. Nun will die polnische Organisation zum Kampfe aufrufen. Os sie sich wohl im klaren darüber ist, daß die wichtigste Vorbedingung eines Erfolges die Verständigung mit den andern Verbänden bleibt?