Nr. 17

Die Gleichheit

In Belgien   ist der Generalstreit nach zehntägiger Dauer in bester Ordnung abgebrochen worden. Die Regierung und die Kammer ward durch den Ausstand gezwungen, in der Wahl­rechtsfrage einen Beschluß zu fassen, den die große Mehrheit un­serer Genossen als das Versprechen der Wahlreform deutet. Der Streit an sich war ein voller Erfolg, seine Ausdehnung übertraf die Erwartungen. Die Ausständigen wahrten während des Kampfes eine musterhafte Disziplin und betätigten diese auch bei der ein­mütigen Wiederaufnahme der Arbeit. Ob die Auffassung von dem Wert der Regierungserklärung richtig war, muß die Zukunft Ich­ren. Das ändert aber an der Bedeutung des geführten Kampfes nichts. Diese liegt darin, daß das belgische Proletariat zur Er­reichung eines politischen Bieles seine wirtschaftliche Macht ge= schlossen in die Wagschale warf. Unter Führung verhältnismäßig schwacher Organisationen gelang es, 450 000 Arbeiter in den Streif zu führen und das Wirtschaftsleben des Landes lahmzulegen.

Der Gang der Ereignisse auf dem Balkan   führt zu gleicher Zeit, da der Krieg der Verbündeten gegen die Türkei   zu Ende ist, neue bedrohliche Verwicklungen der Weltlage herauf. Monte= negro hat schließlich doch noch das heißumstrittene Skutari  eingenommen und verweigerte die Aufgabe der Stadt. Oster reich- Ungarn   drohte mit dem Einmarsch in Montenegro. Die Mächte suchten mit überredungskünsten und durch Geldangebote die Regierung in Cetinje   mürbe zu machen. Angesichts der öster­ reichischen   und italienischen Truppenaufgebote sah sich das kleine Montenegro gezwungen, Skutari aufzugeben. Österreich- Ungarn  wünschte offenbar die Haltung Montenegros   als Vorwand zu be­nutzen, um durch die Besetzung Nordalbaniens die Einbuße wett­zumachen, die seine Macht auf der Balkanhalbinsel durch die Er­oberungen der Verbündeten erlitten hat. Auch soll dadurch die un­geheure Verschwendung des Volksvermögens, die die Mobilmachung in Osterreich- Ungarn bisher verursacht hat, nachträglich gerecht­fertigt werden. Natürlich traut Italien   seinem Verbündeten nicht über den Weg und wird für den Fall, daß dieser in Nord­albanien einrückt, seinerseits Südalbanien besetzen und sich sichern. Eine Festsetzung Italiens   auf der Baltanhalbinsel würde aber die strategische Stellung Osterreichs   am Adriatischen Meer   schwer schädigen, so daß Österreich   aus dem albanischen Abenteuer wenig Gewinn erwachsen würde. Auf alle Fälle ist in der albanischen Frage eine Quelle ständiger Kriegsgefahr offengehalten. H. B.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Eine weitere Konzentration der Kräfte im Unternehmerlager zum Kampfe gegen das Proletariat bedeutet der Zusammenschluß des Zentralverbandes deutscher Industrieller mit dem Deutschen   Arbeitgeberverband. Beide Or ganisationen verfolgten im Grunde das gleiche Ziel: dem Unter­nehmertum die größtmögliche Ausbeutung der Arbeiterschaft zu sichern, nur nach außen hin unterschieden sie sich ein wenig von­einander. Die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände verfocht ihre Zwede hinter dem Schilde der wirtschaftlichen Inter­essenvertretung der Unternehmer. Der Zentralverband deutscher Judustrieller dagegen kämpfte offener und brutaler gegen die Hindernisse, die sich den Ausbeutergelüften in den Weg stellen. Er begnügte fich nicht mit seinem Einfluß auf die Regierung, der durch Trinkgelder gefestigt wurde, sondern machte auch durch Wort und Schrift die Öffentlichkeit und die Gesetzgebung gegen die flaffenbewußte Arbeiterschaft scharf. Der Kampf gegen die Ar­beiterorganisationen wird auch die Hauptaufgabe des neuen Ver­bandes sein. Die Vereinigung der Kräfte wird die Macht des Unternehmertums auf die Regierung, in der Offentlichkeit und im Kampfe gegen das Proletariat sicher steigern. Rund 130000 Unter­nehmer gehören der neuen Organisation an, und sie beschäftigen etwa 4/2 Millionen Arbeiter. Sehr viele dieser Unternehmer sind gegen Streit versichert und erhalten Streifentschädigung; dadurch ist ihre Kraft im Ringen mit den Ausgebeuteten beträchtlich er­höht. Wie man sieht, sind die Unternehmerorganisationen in der Entwicklung hinter den Gewerkschaften nicht zurückgeblieben, sie haben sie in mancher Beziehung sogar überholt. Und während das Ausbeutertum durch Konzentration seine Macht verstärkt, treibt der Kampf zwischen den verschiedenen Gewerkschaftsrichtungen die organisierten Kräfte der Arbeiter auseinander. Gegenwärtig macht sich der Hader im Lager der Ausgebeuteten besonders be­merkbar. Bei jedem Streit in neuerer Zeit betätigen die Christ­ lichen   ihre grundsätzliche Abneigung, ernsthaft die Sache der Ar­beiter wider die Unternehmer zu verfechten. Zur Täuschung ihrer Mitglieder befürworten die christlichen Führer Lohnbewegungen, sie reden selbst für den Streit. Wenn es jedoch ernst damit wird,

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so ziehen sie sich völlig zurüd und proklamieren den Streifbruch. Als Krönung ihres Judaswerkes schließen sie dann noch mit den Arbeitgebern einen unehrenhaften, faulen Frieden. Die christ­lichen Arbeiter mögen sich wohl aus Klasseninstinkt hier und da gegen eine solche Taktik aufbäumen. Am Ende aber beugen sie sich immer noch, wenn ihre Führer zu denen nicht zuletzt die gescheitelte und geschorene Geistlichkeit gehört sie wieder bc­schwätzen und mit dem Giapopeia christlicher Demut einlullen. An­gesichts solcher Zustände wäre es töricht, auf einen Zusammenschluß der verschiedenen Gewerkschaftsrichtungen auf neutralem Boden zu hoffen. Unsere Zuversicht beruht auf dem Bewußtsein, daß die freien Gewerkschaften sich kraftvoll entwickeln und immer mehr die Zuflucht der bisher irregeführten Arbeiter werden. Der Zu­sammenschluß der Unternehmerverbände muß der schärfste An­sporn für die erweckten Arbeiter sein, sich mit ganzer Kraft dem Dienste unserer Organisationen zu widmen, damit Macht der Macht entgegentreten kann.

Der oberschlesische Bergarbeiterstreit ist wieder ein Schulbeispiel dafür, wie notwendig es ist, daß die Arbeiter ihre Kräfte für den wirtschaftlichen Kampf fonzentrieren. In überwiegender Mehrzahl sind es hier polnische Bergarbeiter, die sich gegen das mächtige Grubentapital auflehnen. Der Streit ist auf den oberschlesischen Gruben ziemlich allgemein geworden. Ein Glück, daß die christliche Streitbruchorganisation dort feinen Einfluß besitzt. Die Ausständigen halten musterhafte Ordnung und geben den in Masse aufgebotenen Polizisten, Gendarmen und dem Militär feinen Anlaß, ihre kriegerische Tüchtigkeit zu Le= weisen. Man könnte aber meinen, die Behörden hätten es auf Provokationen abgesehen. Grubenbeamte wurden zu Polizisten gemacht! Polizeigewalt über die Streikenden üben jetzt die glei­chen Beamten aus, die im Dienste der Unternehmer die fronden­den Arbeiter schurigelten, wobei es naturgemäß zu fleinen und größeren Reibereien tam. Die Herren stolzieren mit weißen Armbinden einher, die die Aufschrift tragen: Polizeibeamter, sie sollen Ruhe und Ordnung aufrechterhalten. Die Behörden haben besonders bekanntgegeben, daß diese bisherigen Fronvögte. Be­amtenfunktionen haben und daß ein Verstoß oder Angriff gegen sic einem Angriff auf einen Polizeibeamten gleichkommt. Fast hat es den Anschein, als ob den Behörden der Streif zu ruhig ver­läuft. Wenn die Flinte schießt und der Säbel haut, wie im Ruhr­bergarbeiterstreit, ist der Streit viel leichter zu erdrosseln.

Im Baugewerbe wird die Entscheidung über Krieg oder Frieden voraussichtlich noch vor Pfingsten fallen. Die zentralen Verhandlungen haben wieder begonnen. Wie sie enden werden, läßt sich nicht vorhersagen. Zwar ist für eine ziemliche Anzahl bon Tarifgebieten bei den örtlichen Verhandlungen eine Einigung zwischen Arbeitern und Unternehmern erzielt worden, dagegen fonnten sich in weiten Landesteilen die Parteien nicht einigen. Hier werden die Unparteiischen einen Schiedsspruch fällen, über dessen Annahme oder Ablehnung dann außerordentliche Ver­bandstage der Bauarbeiterverbände entscheiden.

Der Binnenschifferstreit auf der Elbe, der Oder. und den märkischen Wasserstraßen ist beendet. Neuere Ver­handlungen mit den Unternehmern brachten den Arbeitern feine wesentlichen Erfolge. Die Arbeiter beschlossen, angesichts der mageren Zugeständnisse der Arbeitgeber auf einen Tarifabschluß zu verzichten und die Arbeit tariflos wieder aufzunehmen. Bei diesem Ausstand gab es noch einen den Scharfmachern willkom­menen Knall- und Schlußeffekt. Ein richtiges Bombenattentat sollte von streifenden Binnenschiffern gegen einen Dampfer und somit gegen die Arbeitswilligen verübt worden sein. Es hieß, daß ein Ausständiger von einer Brücke aus versucht habe, eine Bombe in den Schornstein eines Schiffes zu werfen. Die Bombe ver­fehlte jedoch ihr Ziel, und ein Schiffsmann machte sie unschädlich, indem er sie in einen Eimer Wasser steckte. In der Wohnung des Bombenwerfers sollten noch mehr solche gefährliche Mordwerk­zeuge gefunden worden sein. Sofort wurden vier Mann ver­haftet. Schließlich stellte sich heraus, daß es sich um harmlose Jagdpatronen handelte, die die Arbeiter auf einem Schießplatz ge­funden hatten. Die Verhafteten, darunter der Hauptattentäter, mußten denn auch nach kurzer Haft entlassen werden.

Jm Hamburger Hafen ist nach langen Verhandlungen der Organisationen mit den Unternehmern der Neunstundens tag für die Arbeiter allgemein durchgeführt worden. Damit ist besonders den Werften der viel mißbrauchte Vorwand genommen worden, am Zehnstundentag festzuhalten. Auch für die übrigen, Hafenstädte ist nunmehr die Bahn für den Neunstundentag frei.

Besonderes Interesse beansprucht die gegenwärtige Lage im Buchdruck gewerbe. Gegen die dort bestehende Tarifgemein­