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Die Gleichheit
klärung der Frauen dienen und waren gut besucht. Der Vortrag beantwortete die Frage:„ Wer hilft uns aus Teuerung und Not?" Wie zaghaft tamen doch in vielen ostpreußischen Orten die Frauen zur Versammlung! In Pillau wollte sogar von den zwei Besucherinnen unserer Veranstaltung die eine umkehren, weil die Polizei da wäre". Die Versammlung wurde übrigens mit einem unbefugten Eingreifen der Polizei eröffnet. Ich frug nämlich die zirka vierzig erschienenen Männer, wo denn ihre Frauen seien. Ta erhielt ich zur Antwort:„ De hewen Angst". Darauf frug ich zurück:„ Etwa vor den blanken Knöpfen oder dem Schuhmannssäbel?" Auf diese äußerung hin forderte mich der überwachende Kommissar ziemlich nervös auf, aur Sache zu sprechen". Der Herr mußte von einem Königsberger Genossen und von mir über seine Machtbefugnisse unterrichtet werden. Die Versammlung in Königsberg ließ erkennen, wie fleißig und tapfer dort unsere Genossinnen in der Agitationsarbeit sind. Erwähnt sei auch, daß fie Sonntage in verschiedenen Stadtteilen mit den Kindern Spielzusammenkünfte veranstalten, um den kirchlichen Sonntagsschulen entgegenzuwirken. Auf einer späteren Agitationstour lautete das Thema zweier Parteiversammlungen in Memel und Tilsit: Die Frau im Kampfe um ihre Menschenrechte". Während der Besuch in Memel zu wünschen übrig ließ, war die Versammlung in Tilfit glänzend besucht. Im Auftrag des Fabrikarbeiterverbandes fanden Versammlungen statt in Ragnit und Tilsit über„ Die Frauen im wirtschaftlichen Kampf". Die Versammlungen waren gut besucht, und sie haben ihren Zweck vollauf erfüllt, die in den letzten Jahren so gut gediehene Organisation der Fabrikarbeiter nach innen zu stärken und besonders die Frauen in ihren Anschauungen zu festigen.
In Schlesien sprach die Unterzeichnete in Versammlungen, die rom Agitationsbezirk Langenbielau organisiert und geradezu mustergültig vorbereitet worden waren. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatten alle guten Zuspruch, ja einige wiesen sogar Massenbesuch auf. Sehr geschickt unterstützte die Parteipresse diese Agitation. Im Wahlkreis Reichenbach Neurode fanden Versammlungen statt in Schlegel , Neurode , Langenbielau, Peilau, Peterswaldau , Rei= chenbach und Weigelsdorf. In diesem Kreise haben viele fleine Sparer" die Segnungen der kapitalistischen Wirtschaft zu festen bekommen. Ein Bankkrach hat sie um ihre sauer erworbenen und vom Munde abgesparten Groschen gebracht. Unter Tränen berichtete mir ein altes Mütterchen:" Bei unserer Eheschließung hatten wir ganze 12 Mt. Mit harter Arbeit haben wir unsere fleine Wittschaft zusammengebracht. Unsere drei Kinder haben alle von Jugend auf mit anfassen müssen, damit es reichte. Und wie oft war es knapp! Alle unsere Spargroschen trugen wir auf diese Bant, und nun ist alles hin!" Dieser Zusammenbruch macht für unsere Lehren Hunderte empfänglich, die früher nichts von ihnen wissen wollten. Im Wahlkreis Schweidnih- Strie gau agitierte ich in Leutmannsdorf, Ströbel, Lasan, Groß- Rosen, Häslich, Streit, Pilzen, Pilgramshain, Striegau , Schweidnik, Freiburg . In Frei burg war die Versammlung voll begeisterter Stimmung. Sie wurde von einer schon ergrauten Genossin geleitet und vom Frauenchor mit einem prächtigen Lied eröffnet. Von der Schweidnitzer Versammlung erklärte die bürgerliche Presse, das Referat sei gehaltvoll und glänzend" gewesen, die Wirkung " gewaltig". In Häslich war die Versammlung die erste, die im neuerbauten Gewerkschaftshaus stattfand. Hier gibt es 500 ge= werkschaftlich organisierte Proletarier, 132 politisch und 200 genossenschaftlich organisierte. Diese klassenbewußte Arbeiterschaft hal zum Bau ihres Hauses aus eigener Kraft 28 000 Mt. aufgebracht, mit einer Hypothek half der Steinarbeiterverband nach. Der Bau enthält einen schön ausgestatteten Versammlungsraum. Es ist das von großer Wichtigkeit, denn in Häslich gehört die Saalabtreiberei zu den geistigen Waffen" unserer bürgerlichen Gegner. Hoffen wir, daß das Unternehmen sich kräftig entwickelt. Jauer, Rothenbach, Landeshut , Liebau, Bolken hain , Bohrauseifersdorf, Liebesdorf und Rudel stadt waren die Orte im Wahlkreis Landeshut- Jauer= Wolfenhain, die von der Agitation erfaßt wurden. In allen Versammlungen der drei schlesischen Wahlkreise lautete die Tagesordnung:„ Wer hilft uns aus Teuerung und Not?" Aufwühlend und erschütternd war der Eindruck, den ich überall von den erbärmlichen Lebensverhältnissen empfing, unter denen hier das Proletariat existiert, von Gruben- und Textilbaronen ausgesogen. Greifbar trat vor die Augen, wie schlechte Ernährung und harte Fron im Verein zur förperlichen Verelendung des Textil- und Grubenproletariats führt. Das mußte mir besonders auffallen,
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weil sich der Vergleich mit der Bevölkerung in Pommern aufdrängte. Hier große, kräftige, vollsaftige Gestalten, in Schlesien halbwüchsige, ausgemergelte Menschen. Viele Frauen konnte man nach ihrem Wuchse für Mädchen von 15 Jahren halten, die jungen Mädchen selbst aber glichen oft schmalgesichtigen, blassen Kindern mit dem Gesichtsausdruck Alter. Ist das ein Wunder, wenn man erfährt, wie hier das Volk lebt? Jm bitter kalten Winter, früh vor 6 Uhr öffnen sich die Türen der Weberwohnungen, und heraus tritt der Mann, ihm folgt sein Weib. Was ist es für ein Bündel, das die Frau im Arme hält? In Tücher eingehüllt bringt sie ihr Jüngstes zur Ziehmutter, um dann, gespornt durch die Not, gleich dem Manne in die Fabrik zu eilen. Die Frau gehört ins Haus", höhnend ruft uns hier die Wirklichkeit dieses Wort zu. In Peterswaldau bezeugte ein Mann, daß er diese Woche mit 4 Mt. Verdienst nach Hause gegangen sei. Mißglückt ein Stück Gewebe, funktioniert der Webstuhl nicht, so muß der Weber durch den Lohnausfall dafür büßen, weil im Akkord ge= schafft wird. Zu Hause müssen dann die großen Kinder die Sorge für die kleinen übernehmen, neben Schulaufgaben die Hausarbeiten verrichten und zum überfluß noch mit verdienen helfen, indem ihnen meist das Garnspulen zufällt. Ist das Dasein dieser armen Lohnstlaven überhaupt noch ein menschenwürdiges Leben zu nennen? Vom profithungrigen Kapitalismus auseinandergerissene Familien, erbärmliche, trostlose Wohnungen, Männer, Frauen und Kinder, die um einen Bissen Brot sich bis zur Erschöpfung abrackern, das sind Bilder aus Schlesien , die man nie wieder vergißt. Wie können die bürgerlichen Mehrheitsparteien je verantworten, daß sie durch ihre Zoll- und Steuerpolitik diesen Armsten die färgliche Lebenshaltung immer mehr und mehr verteuern? Doch wer nie das Leben der Darbenden kostete, wer nie seinen Körper zermürbt von hartem Mühen fühlte, wer nie wie manche Proletariermutter seinen Lieblingen mit wehem Herzen die Brotbissen zuzählen mußte: dem fehlt meist der Sinn für das Sklavenlos der schlesischen Proletarier. Ich war Zeuge, wie Vater, Mutter und neun Kinder um den Tisch geschart aus einer braunen Schüssel in Wasser eingeweichtes Brot aßen. Ich sah, wie schwere Bündel Garn und gewebte Stoffe von alten Leuten geschleppt wurden, die im wohlverdienten Lehnstuhl am warmen Ofen von harten Arbeitsjahren ausruhen sollten. Für diese Ausgebeutetsten der Ausgebeuteten ist der Sozialismus ein fester Anker, an den sich ihr Menschentum flammert, um sich aus stumpfsinniger Hoffnungslosigkeit empor zum Lichte neuer Erkenntnisse und eines zielklaren Wollens zu retten. Käthe Leu.
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Vom 20. Mai bis 2. Juni fanden im Wahlkreis Neuß ä. L. Versammlungen statt, in denen die Unterzeichnete über das Thema sprach:„ Die Arbeiterfrau im Klassenstaat, ihre Rechte und Pflich ten." Aus dem kleinen Lande, das insgesamt 73 000 Einwohner zählt, fann natürlich nicht von Riesenerfolgen der Agitation be richtet werden. Außer Greiz und allenfalls Zeulenroda waren es nur kleine Orte, in denen Versammlungen stattfanden. Und gerade in den beiden genannten größeren Orten war der Besuch ein schlechter, während die kleinen Dörfer ganz nette Teilnehmerzahlen aufgebracht hatten. In fast allen Versammlungen wurden Aufnahmen von weiblichen Parteimitgliedern gemacht, alles Textilarbeiterinnen, die von ihrem Verband die Gleichheit" erhalten. In Reuß ä. L., das zum Vogtland gehört, haben die Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse alle Ursache, sich der politischen und gewerkschaftlichen Organisation anzuschließen. Ist doch das Vogtland mit Recht berüchtigt wegen der miserablen Löhne, mit denen Männer und Frauen in den Spinnereien, Webereien, Färbereien, Stidereifabriken usw. abgespeist werden. Besonders die verheirateten Frauen, die des Lebens Not zur Doppelfron zwingt, leiden unter der Ungunst der Verhältnisse in der fapitalistischen Gesellschaft. Schwer hält cs, diese Mühseligen und Beladenen mit Hoffnung zu erfüllen und als tätige Genofsinnen für unsere große schöne Bewegung zu gewinnen. Rastloser und ausdauernder Agitation wird es gelingen, damit auch hier dem Sozialismus eine Schar von Kämpferinnen ersteht, die opferfreudig und stolz dem Biele zuschreitet. Elisabeth Röhl Aus den Organisationen. Die sozialdemokratische Frauens gruppe in Heilbronn nahm im letzten Jahre einen großen Aufschwung. Die Mitgliederzahl ist von 81 auf 296 gestiegen, und cin Stamm zielbewußter Genossinnen entfaltet eine eifrige Tätigkeit, um immer mehr Proletarierinnen zu organisieren, die neugewonnenen Anhängerinnen zu fesseln und zu tüchtigen Mitarbeite rinnen zu schulen. Dem propagandistischen Zwed diente unter an derem auch der Familienabend der Gruppe, der in jeder Hinsicht ein schöner Erfolg war. Wochenlang vorher hatten die or ganisierten Frauen sich angelegen sein lassen, ein gutes Programm