320

Die Gleichheit

Frauengruppen bestehen, das wurde betont, dürfen sie keinesfalls als besondere selbständige Organisationen wirken, vielmehr nur als Glieder des Gesamtvereins. Unter allen Umständen müsse den Frauen die Mitarbeit im Vorstand der nationalliberalen Partei gewährt werden. Auch die an der Tagung teilnehmenden Partei­führer anerkannten die Forderung als berechtigt, daß die Frauen eine Vertretung im Parteivorstand haben müßten. Die bürgerliche Frauenbewegung wird in steigendem Maße politisch. Die bürger­lichen Frauenrechtlerinnen und die bürgerlichen Parteien werden allmählich, aber unaufhaltsam auf den gleichen Weg gedrängt, den die Sozialistinnen und die Sozialdemokratie seit langen Jahren zielbewußt eingeschlagen haben.

-

Frauenstimmrecht.

-

Die Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts in Nor wegen ist wie uns das Telegramm am Kopfe der heutigen Nummer mitteilt vom Storthing einstimmig und ohne Debatte beschlossen worden. Ein demokratisches Wahlrecht soll also nun auch für das weibliche Geschlecht das bisher geltende beschränkte Wahlrecht ab­lösen. Indem die Frauen ohne Unterschied des Besizes, und der Steuerleistung als Staatsbürgerinnen untereinander gleichgestellt werden, erlangen sie auch bei den Legislativwahlen gleiches at­tives und passives Recht mit den Männern. Für das Stimmrecht und die Wahlberechtigung beider Geschlechter gelten genau die gleichen Bestimmungen. Durch die Einführung des allgemeinen Frauenwahlrechts wird die Zahl der politischen Wählerinnen in Norwegen   nahezu verdoppelt, sie steigt um rund 225 000. Natürlich Arbeiter­sind es überwiegend Frauen des arbeitenden Volkes frauen, Arbeiterinnen, Kleinbäuerinnen und andere mehr, die nun ebenfalls die politische Gleichberechtigung erlangen. Daß in Norwegen   das beschränkte Frauenwahlrecht so bald zum allge= meinen erweitert werden mußte, ist zum großen Teil das Ver­dienst der rührigen Agitation, die die sozialdemokratische Arbeiter­partei entfaltet hat, eine Agitation, deren treibende Kraft der dieser angegliederte Frauenverband war. Aber der Beschluß des Storthings ist auch ein nicht minder ehrenvoller Beweis für eine fest verwurzelte demokratische Gesinnung des ganzen Volkes, für flare Einsicht in die gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse und hohen Gerechtigkeitssinn. Die kapitalistische Entwicklung ist in Norwegen   noch nicht so weit fortgeschritten, daß ihre sozialen Folgen alle Tugenden einer kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Demokratie vernichtet hätten.

Der jetzige Stand der Frauenwahlrechtssache in den Ver einigten Staaten. Nach einer fürzlich veröffentlichten übersicht ist in der nordamerikanischen   Union   das politische Frauenwahlrecht in diesen neun Staaten und einem Territorium eingeführt: Wyoming  , Kolorado  , Utah  , Idaho  , Washington, Kalifornien  , Oregon  , Kansas  , Arizona   und Alaska  ( Territorium). In fünf Staaten haben bereits Abgeordnetenhaus und Senat sich für die volle politische Gleichberechtigung des weib­lichen Geschlechts erklärt, und die vorgeschriebene allgemeine Volksabstimmung wird 1914 über die entsprechende Verfassungs­änderung entscheiden. Es sind das: Montana, Nevada  , Norddakota  , Süddakota   und Wisconsin  . Anträge zur Einführung des Frauenwahlrechts sind außerdem von beiden gesetzgebenden Körperschaften in vier weiteren Staaten ange­nommen worden und müssen nun zunächst der Volksabstimmung. und 1914, 1915 und 1916 den aus Neuwahlen hervorgegangenen Staatsparlamenten unterbreitet werden. Dies ist der Fall in Jowa, New Jersey  , New York   und Pennsylvanien. In Illinois   liegen die Dinge noch günstiger. Hier hat wie mir bereits mitteilten sich der Senat mit 29 gegen 15 Stimmen für das politische Recht beider Geschlechter erklärt, das nicht nur das legislative Wahlrecht in sich begreift, sondern auch das Recht zur Wahl des Präsidenten und vieler staatlicher und kommunaler Beamten, so der Bürgermeister, Aufsichtsräte für das Sanitäts­wesen, Mitglieder der Appellationsgerichte usw. Bei der beschlos= senen Neuerung handelt es sich nicht um eine Abänderung der Berfassung des Staates. Daher bedarf es nur der Zustimmung des Abgeordnetenhauses und des Gouverneurs, damit der Beschluß Gesezeskraft erlangt.

-

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Die Zulassung von Frauen in die Schweizer   Schulbehörden erfolgt auf Grund der kantonalen Verfassungen und ist meist in den Erziehungsgesehen noch besonders vorgesehen. Es existiert in keinem Kanton ein Gesez, das den Frauen die Mitgliedschaft in einer Schulbehörde ausdrücklich verweigert. Einige Kantone wählen

Nr. 20

bereits seit Jahren weibliche Mitglieder in ihre Schulbehörden, und in vielen Schweizer   Städten sind besondere Frauen­fommissionen ernannt, deren Aufsicht die Handarbeits-, Haushaltungs- und Frauenarbeitsschulen unterstellt sind. Der Kanton Basel   Stadt hat in einem Nachtrag zu seinem Schul­gesetz vom Jahre 1903 bestimmt, daß den Inspektionen der Mädchenprimar-, der Mädchenfekundar- und der Töchterschule je drei Mitglieder weiblichen Geschlechts angehören müſſen - neben vier beziehungsweise sechs männlichen Mitgliedern. Im Kanton Genf   gehören der kantonalen Schulfommission seit ihrem Bestehen Frauen an, die als Vertreterinnen der verschiedenen Mädchenschulen und der Mütter gewählt worden sind. Gegenwärtig zählt die Genfer   Schulfommission unter ihren 31 Mitgliedern fünf Frauen. Der Kanton Luzern   hat 1898 beschlossen, daß für die Töchterschulen besondere Schulpflegen bestellt werden sollen, in die auch Frauen gewählt werden können. Die Sazungen des Schulwesens der Stadtgemeinde Luzern   bestimmen aus­drücklich:" In die Schulpflege können auch Frauen gewählt wer­den." Das Erziehungsgesetz des Kantons Wa adt ist 1906 durch eine Bestimmung ergänzt worden, die dem weiblichen Geschlecht die Mitgliedschaft in den Schulbehörden einräumt. Der Schul­behörde der Kantonshauptstadt Lausanne   gehören bereits eine Anzahl Frauen an. Der Kanton Zürich   hat erst im letzten Jahre eine Gesetzesbestimmung angenommen, die den Frauen die Wähl barkeit in die Schulbehörden verleiht. Die Stadt Zürich   be­sitzt, wie in Nr. 18 der Gleichheit" bereits berichtet wurde, seit der ersten Maiwoche dieses Jahres siebzehn weibliche Schulpfleger. In den Kantonen Bern   und St. Gallen  harren zurzeit Eingaben an die dortigen Regierungen der Er­ledigung, die die Wählbarkeit der Frauen in die Schulbehörden H.W. verlangen.

Verschiedenes.

Beredsamkeit und Schweigen. Mit ehrfurchtsvoller Rührung, eine blinkende Träne der Untertanentreue im Auge, berichten bür­gerliche Blätter über diesen Beweis allerhöchster Huld für simple Arbeiterinnen:" Die Näherinnen der schlesischen Spizenschulen zu hirschberg- mehr als hundert- die an dem Brautschleier und dem Brauttaschentuch der Prinzessin Viktoria Luise   monatelang gearbeitet haben, erhielten von der Kaiserin ein Bild des Brautpaares zum Andenken." In der ganzen bürgerlichen Presse sucht man dagegen vergebens eine Zeile, wie hoch die mehr als hundert Näherinnen für ihre monatelange mühselige Arbeit entlohnt wor den sind. Die nämliche Presse hat Nummer für Nummer die Unterröde, Sonnenschirme, Koffer usw. der Hohenzollernbraut mit Sem gleichen Interesse und derselben Breitspurigkeit behandelt wie etwa die Beratungen der Botschafter in London   über den Frieden zwischen der Türkei   und den Balkanstaaten. Warum so schweigsam über den unangreifbarsten Beweis allerhöchsten Verständnisses für die Lage der Näherinnen? Das Bild des fürstlichen Brautpaares mag ja das loyale Herz manch einer Spitzenarbeiterin erfreuen, leider aber macht es den Magen keiner einzigen von ihnen satt. Der bleibt ein ganz plebejischer, proletarischer Gesell:

" Im hungrigen Magen Eingang finden Nur Suppenlogik mit Knödelgründen, Nur Argumente von Rinderbraten, Begleitet mit Göttinger Wurstzitaten." Daher die ganz prosaische, gewöhnliche Frage: Wieviel haben die Hirschberger Spikennäherinnen verdient, die der allerhöchsten Ehre gewürdigt worden sind, Brautschleier und Brauttaschentuch der Prinzessin anfertigen zu dürfen? U. A. w. g.

Die Ortsgruppe Hamburg   des Zentralverbandes der Hausangestellten sucht zum sofortigen Antritt

eine erste Bevollmächtigte. Genossinnen, die sich um diese Stellung bewerben, müssen in der Agitation und in schriftlichen Arbeiten erfahren und mindestens seit einem Jahre mitglied des Verbandes der Hausangestellten sein. Bewerbungen sind bis zum 7. Juli dieses Jahres an den Vorstand der Ortsgruppe Ham­ burg  , Kurze Mühren 8 I rechts einzusenden; sie müssen die Aufschrift ,, Bewerbung" tragen.

Verantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Drud und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart  .