Nr. 21

Die Gleichheit

der Getreide und Fleischzöllner als auch der Kaiser der Groß­tapitalisten, der Imperialisten. Steigende Belastung der Massen durch Steuern und Zölle und ein ungeheuerliches Wachstum des Landheers und der Flotte sind die Zeichen seiner Regierung. Für die Arbeiterklasse bedeutet diese außerdem noch uneingelöste sozialreformerische Versprechungen, schärfste Angriffe auf ihre Partei und immer wiederholte Anläufe zur Beschneidung ihrer geringen Rechte.

Die efelerregende Knechtseligkeit, die das deutsche Bürgertum beim Kaiserjubiläum bewiesen hat, offenbarte sich auch bei dem reaktionären Gingriff gegen die Aufführung eines von Gerhart Hauptmann   verfaßten Festspiels in Breslau  . Die Bres­lauer freifinnige Stadtverwaltung hatte sich von diesem Dichter für die Feier der sogenannten Befreiungstriege von 1813/14 ein vaterländisches Stück schreiben lassen, das unter großem Erfolg mehrmals aufgeführt wurde. Was die Junker und Pfaffen und die Völkischen  " gegen dieses hölzerne Machwert aufbrachte, war gerade sein einziger Vorzug, nämlich das Fehlen des patentierten Mordpatriotismus. Die Kriegervereinler wurden gegen das Stück mobil gemacht. Und als nun vollends Seine Kaiserliche Hoheit der Kronprinz dem Breslauer Magistrat stirnrunzelnd erklärte, daß er das Protektorat der Jahrhundertausstellung niederlegen werde, falls man das unpatriotische Stück nicht absetze, da kroch diese frei­finnige Körperschaft zu Kreuze, und der Fortschritt in der Bres Tauer Stadtverordnetenversammlung sagte Ja und Amen zu diesem Verrat der eigenen Überzeugung. Feigheit und Geschäfts­flugheit man fürchtete im Falle der kronprinzlichen Ungnade für den finanziellen Erfolg der Ausstellung in idealer Konkur­renz bestimmten die hündische Haltung der Vertreter der Bür­gerschaft. Die fortschrittliche Reichstagsfraktion aber erblickte fo­mischerweise trotz des erbärmlichen Verhaltens ihrer Breslauer Parteigenossen in der Affäre eine gute Gelegenheit, Männerstolz vor Königsthronen zu mimen und in einem ungefährlichen Wort­kampf den Helden zu spielen, während sie im ernsthaften Kampfe mit dem Militarismus im Reichstag   sich jeden Handelns sorglich enthielt.

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Der Militarismus hat sich am Vorabend des Tages, da die bürgerlichen Parteien im Reichstag seiner weiteren Ausdehnung endgültig zustimmten, in seiner ganzen unmenschlichen Scheuß­lichkeit enthüllt. Sieben Arbeiter und Landwehrleute aus Wol­ framshausen   bei Nordhausen   hatten bei der Rückkehr von der Kontrollversammlung in einem Dorfwirtshaus in der Trunken­heit Radau verübt und dem einschreitenden Gendarmen und dem Ortspolizisten tätlichen Widerstand entgegengesetzt. Die Leute sind zwar keine Soldaten mehr, aber kraft der Bestimmungen des Militärrechtes unterstanden sie am Tage der Kontrollversamm­lung den Militärgesehen, und so wurden aus dem Radau und den Zusammenstößen mit den Beamten, Vergehen, wie sie besoffene Studenten jeden Tag verüben und mit ein paar Mark büßen, schwere militärische Verbrechen, nämlich Zusammenrottung, Auf­ruhr und tätliche Beleidigung eines Vorgesezten. Sie kamen vor das Kriegsgericht in Erfurt  , und dieses verur­teilte die fieben Arbeiter zu insgesamt 28 Jahren Zuchthaus und Gefängnis. Verurteilt wurde ein An= geflagter zu 52 Jahren, einer zu 5% Jahren, einer zu 5 Jahren 2 Monaten Zuchthaus, einer zu 5 Jahren, einer zu 5 Jahren, einer zu 1 Jahr und einer zu 7 Monaten Gefängnis. Der Vertreter der Anklage hatte gegen die Angeklagten insgesamt 43 Jahre Zuchthaus beantragt. Sechs von ihnen sind Familien­väter. Die Frau eines Angeklagten mußte ohnmächtig aus dem Gerichtssaal getragen werden. Nicht nur im Kriege, schon im Frieden und im Vaterland" verrichtet der Militarismus sein Werk des Menschenmordes.

In Frankreich   tobt in der Kammer noch immer der Kampf um die dreijährige Dienstzeit. Unsere französischen Genossen führen ihn mit vorbildlicher Zähigkeit, unermüdlichkeit und Verve.

Die holländischen Kammerwahlen haben die Mehr­heit der Rechten zertrümmert und die klerikale Regierung gestürzt. Die Liberalen werden das Ministerium bilden, sind aber zur Mehr­heitsbildung auf die Unterstützung der Sozialdemokratischen Ar­beiterpartei angewiesen. Diese hat ihre Mandate von 9 auf 17 ber= mehrt und ihre Stimmenzahl kräftig gesteigert.

In der russischen Duma hat der Chef des Generalstabs cine große Militärvorlage angekündigt. Sie ist ebenso wie die französische   Heeresvermehrung die Antwort auf das Rüsten Deutschlands  . So werden die Völker stärker und stärker belastet, ohne daß das gegenseitige Kräfteverhältnis der Staaten wesent­lich geändert würde.

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Auf der Balkanhalbinsel   stehen sich die Verbündeten" noch immer auf Kriegsfuß gegenüber; in mehreren Zusammen­stößen der Bulgaren   mit Griechen und Serben ist schon viel Blut geflossen. Rußland   hat sich zum Schiedsrichter auf­geworfen; in Kürze muß sich entscheiden, ob seine Vermittlung den neuen Balkankrieg zu verhindern vermag, auf den Ru­ mänien   wohlgerüstet lauert.

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In Amerika   fällt die Klassenjustiz in leßter Zeit ungeheuer­liche Urteile gegen streikende Arbeiter und sozialistische Redakteure. Strafen bis zu 15 Jahren Zuchthaus   werden für Preßvergehen verhängt. H. B.

Gewerkschaftliche Rundschau.

Die Gewerkschaftskartelle haben sich von jeher als äußerst wirksame Hilfsorgane der Gewerkschaftsarbeit erwiesen. Ehedem bildeten diese örtlichen Vereinigungen der verschiedenen Berufsorganisationen sogar gewissermaßen das Rückgrat der ge­werkschaftlichen Bewegung. In den Anfängen der Gewerkschafts­bewegung führten die Kartelle die Kämpfe und sorgten für die dazu nötige Munition. Diese Aufgaben haben ihnen seither die Zentralverbände abgenommen. Die Tätigkeit der Kartelle ist da­durch aber keineswegs eine geringere geworden. Mit der riesen­haften Entwicklung unserer Gewerkschaften fielen ihnen immer neue Pflichten zu, und ihre Wichtigkeit und Bedeutung erhellt aus den jährlichen statistischen Zusammenstellungen der General­kommission. Die Kartelle haben die Agitation zu betreiben, gute Bibliotheken einzurichten, überhaupt für die Befriedigung des Bildungsbedürfnisses zu sorgen, das sich heute in der Arbeiter­schaft so stark regt. Die Einrichtung sauberer Herbergen, die Berwaltung von Gewerkschaftshäusern liegt ihnen ob, auf Rechts­belehrung der Mitglieder durch Errichtung von Arbeitersekre= tariaten und Rechtsauskunftstellen müssen sie bedacht sein, für die Förderung des Arbeiterschutzes wirken, und endlich fällt ihnen neben vieler fleineren nicht minder wichtigen Arbeiten die Auf­gabe zu, die sehr mühsamen Vorbereitungen zu den Arbeiter­bertreterwahlen zu treffen Wahlen zum Gewerbegericht, zum Arbeiterschiedsgericht, zu den Krankenkassen usw. Und schon wird der Kreis ihrer vielgestaltigen Tätigkeit durch eine neue wichtige Arbeit erweitert: die Durchführung der Volksfürsorge.

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Die soeben veröffentlichte Statistik über die Gewerk­schaftskartelle für das Jahr 1912 zeigt, welch reges Wirken die Vereinigungen auf den ihnen zugewiesenen Gebieten entfaltet haben. Besonders fällt dabei die starke Zunahme der Einrichtungen zur Förderung der proletarischen Bildungsbestre­bungen ins Auge. Bestanden 1910 schon 496 gemeinsame Bibliotheken, so waren es 1912 deren 581; Bildungs­ausschüsse gab es 1912 bereits 429 gegen 292 im Jahre 1910 und Jugendkommissionen 415 gegen 293 im Jahre 1910. Für uns besonders erfreulich ist, daß sich die Gewerkschaftskartelle im Berichtsjahr wieder in erhöhtem Maße der Agitation unter den Arbeiterinnen zugewandt haben. Im Jahre vorher hatte eine gewisse Lauheit auf diesem wichtigen Gebiet hier und da Anlaß zu Klagen gegeben. Die Zahl der in den Agitationskommissionen für die Werbetätigkeit unter den Arbei­terinnen eingefeßten Vertrauenspersonen ist von 62 im Vorjahr auf 101 im Jahre 1912 gestiegen. Trotzdem entbehren leider noch immer sehr viele Kartelle der notwendigen Tätigkeit solcher Beauftragten, haben doch 80 Prozent von ihnen noch keine weiblichen Vertrauenspersonen. Der Agitation unter den Arbeite­rinnen wird also noch lange nicht überall die gebührende Auf­merksamkeit zugemessen. Einer wirksameren gewerkschaftlichen Organisierungsarbeit unter den Arbeiterinnen steht immer noch eine bedauerliche Unterschätzung der vorliegenden Aufgabe im Wege. Sie muß einer besseren Einsicht weichen, die zur frischesten Rührigkeit treibt. Das große, ständig sich vermehrende Heer der Industricarbeiterinnen muß der gewerkschaftlichen Organisation zugeführt werden: nicht allein, um die elende Lebenslage dieser Proletarierinnen zu heben, sondern auch im Interesse ihrer Ar­beitsbrüder und der Gewerkschaften selbst. Mögen auch unsere Genoffinnen und Leserinnen in diesem Sinne vorwärtstreibend in den Kartellen und auf die Kartelle wirken.

Die Organisierung der Staatsarbeiter, namentlich die der Verkehrsarbeiter, fürchten die Behörden, und sie suchen sie daher mit allen Mitteln gesetzlichen wie ungefeß­lichen zu verhindern. Für die süddeutschen Eisen­bahner besteht ein Verband, der zwar keine Verbindung mit den freien Gewerkschaften hatte, jedoch nicht wie viele seiner Art ausgesprochen gelb war. Die bayerische   Regierung von Zentrums