Nr. 24

23. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Poft vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig. Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

August Bebel   ist tot!

Stuttgart  

20. Auguft 1913

Ein halbes Jahrhundert hat August Bebel   das Prole­tariat durch die Tiefen und über die Höhen der geschicht­lichen Entwicklung geführt. Der größte Repräsentant, der getreue Ekkehard seiner Klasse hat die Augen ge­schlossen. Der Vorkämpfer für das Recht, die Befreiung des Weibes durch den Sozialismus ist nicht mehr. Das ist die erschütternde Kunde, die uns in dem Augenblick wird, wo diese Nummer gedruckt werden muß. Was wir alle an Bebel verlieren, das können wir nicht in dieser Stunde zum Ausdruck bringen.

Das Juhaltsverzeichnis befindet sich am Schluffe dieser Nummer.

Zur Haltung der Reichstagsfraktion.

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( Zundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

lage unsere grundsäßliche Forderung: Abschaffung des stehenden Heeres und Einführung der allgemeinen Volks­bewaffnung, ängstlich in die Tasche gesteckt habe. Sie hat fie mit Treue und Geschick vertreten, und im einzelnen ist viel Treffliches und Scharfes gesagt worden. Allein im ganzen hat es an dem Tone gefehlt, der die Musik macht. Die Wucht und Großzügigkeit war nicht da, mit der nach unserem Empfinden die Vertreter des klassenbewußten Pro­letariats in diesem geschichtlich bedeutsamen Augenblick reden mußten, wo der Imperialismus der besißenden Mehrheit in seiner brutalen Gefräßigkeit über die Interessen der unge­heuren Mehrheit des Volkes wegstampfte, wo die wirtschaft­liche und politische Weltlage, wo die Feuersäulen und Blut­ströme des Balkankriegs und der Rüstungsrummel in Frank­ reich  , England und anderen Staaten mit wünschenswerter Deutlichkeit auf sein Wesen und seine Bedeutung hinwiesen. In den Kommissionsberatungen ist nicht unerbittlich genug der trügerische Schein zerstört worden er wurde von der bürgerlichen Presse geflissentlich genährt, als ob die dort ausgekramten politischen und militärtechnischen Gründe für die ungeheuerliche Heeresverstärkung die Unbeugsamkeit der sozialdemokratischen Gegnerschaft zu mildern vermocht hät­ten. Erst bei der zweiten Lesung der Wehrvorlage stand die sozialdemokratische Reichstagsvertretung auf der Höhe der Situation. Hier rang sie zehn Tage lang Brust an Brust mit dem tückischen, gewaltigen Todfeind des Proletariats und riß ihm durch ihre gut gewählten und meist schneidig verteidigten Reformanträge schonungslos alle gleißenden Flitter vom Leibe.

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Ein frischer, kräftiger Wind der Kritik weht durch die So­zialdemokratie, wie er seit langem nicht gespürt worden ist. Und das ist das Kennzeichnende dieser Erscheinung: nicht ,, Literaten" haben in Redaktionsstuben, am Schreibtisch Auseinandersetzungen angeblasen, die von den Truppen­massen der Partei als ein müßiger Streit um Doktorfragen" empfunden werden. Die Selbstkritik bricht vielmehr unauf­haltsam aus diesen Massen selbst hervor, und sie findet in den Verhandlungen der Organisationen einen weit stärkeren und schärferen Ausdruck als in einem Teil der Parteipresse. Bumal gilt das von den Organen, die theoretisch und taktisch führend der Gesamtpartei vorangehen sollten, die aber bis jett höchstens unvollständig registrierend nachhinken. Neben dem Massenstreik ist es die Haltung der Reichstagsfraktion beim Kampfe um die Wehr- und Deckungsvorlagen, die den Angelpunkt der Erörterungen bildet. Noch ehe daß der Reichstag   seine Pforten geschlossen hatte, begann sich weiter Parteikreise ein Gefühl des Mißbehagens, des Unbefriedigt­seins mit dem Ergebnis dieses Kampfes zu bemächtigen. Nun hat sich das Gefühl zu einer aufrechten, ungeschmink­ten Kritik an dem Verhalten unserer Reichstagsfraktion ver­dichtet, zu einer Kritik, die sich bisher durch Ernst und Sach­lichkeit auszeichnet. Ist diese Kritik berechtigt? Nach unserer überzeugung ja! Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat die Wehrvorlage nicht in allen Stadien der Beratungen mit der nötigen gleichen höchsten Energieentfaltung be­fämpft; sie hat durch ihre Einwilligung zu der Trennung von Wehrvorlage und Deckungsvorlagen den Liberalen das Kopfnicken zu den schamlosen Ansprüchen des Militarismus erleichtert und den rascheren Abschluß des imperialistischen Vorstoßes ermöglicht; fie hat durch ihre Zustimmung zu dem Wehrbeitrag und der Reichsvermögenszuwachssteuer den so­zialdemokratischen Grundsatz beiseite geschoben: dem Mili­tarismus feinen Groschen. Niemand wird behaupten, daß die Reichstagsfraktion bei der ersten Lesung der Wehrvor­Obligator. Nebenorgan zum Textilarbeiter" für Frauen, die wie ihre Männer Mitglieder des Deutschen   Textilarbeiter- u.- Arbeiterinnen- Verb. sind.

Allein so groß und unbestritten das Verdienst der Frak­tion ist, die Situation zum Kampfe gegen den Militaris­mus voll ausgenugt zu haben, so wenig darf sie sich rühmen, daß sie durch eine kluge Taktik diese Situation geschaffen hat. Unsere Reichstagsvertretung hat ihre Zustimmung zu der Trennung von Wehrvorlage und Deckungsvorlagen, zur sofortigen zweiten Lesung der ersteren gegeben, weil offenbar vor den Blicken ihrer Mehrheit wieder einmal das Schemen eines reformfreudigen Liberalismus gaufelte und damit die Hoffnung auf einen Block der Linken". Selbst­verständlich das alles nicht für die Wehrvorlage, wohl aber für die Gestaltung der Deckungsvorlagen. Nachdem die liberalen und fortschrittlichen Rüstungsfanatiker in inniger kapitalistischer Seelengemeinschaft mit den Konservativen und Zentrümlern den Appetit des Imperialismus be­friedigt hatten, so konnten, so mußten sie sich mit der Sozialdemokratie vorübergehend zusammenfinden, um den Anfang einer gründlichen Finanzreform" zu schaffen. Diese Annahme hat zweifellos die Haltung eines großen Teiles der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion beeinflußt. Das aber um so entscheidender, als die nämlichen Genossen glaub­ten, die Sozialdemokratie müsse ihre größte Stoßkraft zum Kampfe um die Kostenrechnung zusammenballen, da- die Dinge rein parlamentarisch betrachtet die Schlacht gegen die Heeresvermehrung von vornherein verloren sei. Jedoch die Ereignisse gingen wieder einmal nicht, wie sie im luf­