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Die Gleichheit

Das ist natürlich nicht mehr als ein Anfang, und dazu ein schwächlicher, aber doch ein Anfang. Leise werden die kon­servativen Parteien dahin geschoben, wohin die Frauen der be­treffenden Kreise sie haben wollen. Diese Frauen wollen mit den fonfervativen Männern zusammenarbeiten; bewußt wollen sie eintreten für Christentum, Monarchie und Autorität und diese gegen alle radikalen Ansichten mit Treue verteidigen". Aber das alles hindert sie nicht, dabei außerdem auch Vorteile für die Frauen erringen zu wollen. Zu den Pflichten, die sie übernehmen, soll ihnen die Partei Rechte zuerkennen. Zunächst verlangen die Damen nur kleine unbedeutende Zugeständnisse. Sie wollen nur mitberaten. Jedoch allmählich werden ihre Ansprüche größer werden, und wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, sieht deut­lich die Entwicklung, die die konservative Partei zur Forderung des kommunalen und selbst des politischen Frauenwahlrechts führen muß. übrigens hat bereits vor langen Jahren Herr b. Kardorff im Reichstag erklärt, daß er für das Frauenwahlrecht zu haben sei. Es will recht wenig besagen, wenn die konservativen Frauen versichern, daß sie nichts ohne die Einwilligung der Partei unternehmen würden. Die Entwicklung der gesellschaftlichen Dinge wird mit unwiderstehlicher Gewalt sie wie auch die fonservative Partei Schritt für Schritt vorwärtsdrängen, bis die letztere selbst die Forderung des Frauenwahlrechts aufstellt. Das ist für die Sache des Frauenwahlrechts ein Fortschritt und eine Gefahr zugleich, denn den Konservativen ohne Unter­schied des Geschlechts geht es selbstverständlich nicht um eine Erweiterung des Wahlrechts, sondern nur um eine Stärkung der eigenen Macht. Nimmt die konservative Partei die Frauen­wahlrechtsforderung auf, so bedeutet das die Vermehrung der Truppen, die gegen eine Reform des Dreiklassenwahlrechts in Preußen, die gegen jede Demokratisierung des Wahlrechts und des politischen Lebens überhaupt kämpfen. Das von ihnen ge­forderte. und verteidigte Frauenwahlrecht wird nicht das Recht aller großjährigen Frauen sein. Es ist Aufgabe der Genosfinnen, dafür zu sorgen, daß die konservativen Damen in der proletari­schen Frauenbewegung einen Gegner finden, der ihnen an ziffer­mäßiger Stärke, an Schulung und Idealismus weit überlegen ist. Je besser diese Aufgabe gelöst wird, um so ruhiger kann es die gesamte kämpfende Arbeiterklasse mitansehen, daß die Non­servativen ihre Damen zum Kampfe gegen das volle politische Recht der ausgebeuteten Massen heranziehen. Tony Breitscheid  .

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Frauenstimmrecht.

Ein Vorschlag zum Gemeindewahlrecht der Fran. In der Kommunalen Praxis" regt Genoffin Breitscheid den Ver­such an, in den Städten Rheydt   und Essen die Eintragung von Frauen in die kommunalen Wählerlisten durchzusetzen. In beiden Gemeinden sind Frauen zu Ehrenbürgerinnen ernannt worden. In Essen   Frau Berta Krupp  , deren Verdienst", große Wohlfahrtseinrichtungen gemacht zu haben, durch die enthüllten Geschäftspraktiken der Firma eine eigentümliche Beleuchtung er­fährt; in Rheydt   Fräulein Marie Lenssen, die sich besonders die Fürsorge für die weibliche Jugend angelegen sein läßt. Nach § 5 der preußischen Städteordnung steht jedem selbständigen Preußen" das Wahlrecht zu, doch wurde dieser Text so ausgelegt, daß nur Männer wahlberechtigt seien.§ 6 der Städteordnung, der von der Verleihung des Ehrenbürgerrechts handelt, spricht aus­drücklich nur von Männern, die sich um die Stadt verdient ge= macht haben". Natürlich ist es unlogisch und ungerecht, Frauen von dem gewöhnlichen" Bürgerrecht auszuschließen, obgleich die gesetzlichen Vorschriften dies nicht flipp und flar besagen, anderer­seits aber Frauen zu Ehrenbürgerinnen zu ernennen, obgleich das unstreitig im Widerspruch zu dem Texte der Städteordnung steht. Allein trotz alledem ist zehn gegen eins zu wetten, daß der bün­digste Nachweis dieser Unlogik und Ungerechtigkeif die vorhandenen Widerstände gegen das kommunale Wahlrecht der Frau in nichts schwächen wird. Die Forderung, die Frauen in die Gemeinde­wählerlisten einzutragen, bliebe eine Demonstration, bei der der Kraftaufwand nicht einmal im Verhältnis zu der agitatorischen Wirkung stehen würde. Das hat die Geschichte des Kampfes um das Frauenwahlrecht in England, den Vereinigten Staaten  , in Frankreich   und Italien   nachgerade genugsam gelehrt. Denn in diesen Ländern hat es an ähnlichen Versuchen nicht gefehlt.

Das Wettrennen um die Stimmen der Proletarierinnen bei den nächsten Krankenkassenwahlen haben bürgerliche Dr ganisationen zeitig begonnen. Selbstverständlich stehen unter

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ihnen die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen nicht an lehter Stelle. Ein Beispiel für viele. Der Rheinisch- Westfälische Frauenverband hat einen besonderen Ausschuß für Krantentassenwahlen, der sich in einem Rund­schreiben" nicht bloß an die der genannten Organisation" angeschlossenen Gruppen gewendet hat, sondern auch an andere interessierte Vereine". Das Rundschreiben hebt hervor, daß die Einführung des Proporzes die Aussichten der Frauen vergrößere, ihre Kandidatinnen durchzubringen. Es weist auf die Aufgaben hin, die gerade Frauen in den Kassenverwaltungen zu erfüllen haben. Es gibt Richtlinien für die zu leistende praktische Arbeit. Dem Rundschreiben ist eine kurze Einführung in das Krankenversicherungsgesetz beigegeben, die besonders für solche Frauenvereine bestimmt ist, die die Mitarbeit der Frauen in den Krankenkassenverwaltungen fördern wollen. Bekanntlich zeichnet sich der Rheinisch- Westfälische Frauenver­band sogar innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung durch seinen besonders maßvollen" Charakter aus. Es ist der Geist der liberalen Großbourgeoisie von Rheinland- Westfalen, der in ihm lebt und webt. Das besagt für jeden halbwegs Kundigen, daß in dieser frauenrechtlerischen Organisation herzlich wenig Einsicht für die Bedürfnisse und Rechtsansprüche der Proletarierinnen an­zutreffen ist, dafür aber um so mehr Verständnis für die Klagen der Herren Kapitalisten über die Belastung durch die Sozial­reform". Wenn der Verband durch seinen Ausschuß dafür wirken läßt, daß die wahlberechtigten Frauen an die Urne gebracht und daß Kandidatinnen für die zu besezenden Ämter aufgestellt wer­den, so ist eines sonnenklar: der Verband will damit den Kandi­daten der klassenbewußt kämpfenden organisierten Arbeiterschaft

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Frauen wie Männern Stimmen entziehen und den Ver­tretern bürgerlicher Anschauungen zum Siege verhelfen. In dem Rundschreiben heißt es bezeichnenderweise, daß gerade in den Reihen der nach dem neuen Gesetz Versicherungspflichtigen und ihrer Arbeitgeberinnen geeignete Kandidatinnen zu finden seien. Die Damen dürften bei den neu versicherungspflichtigen Arbeit­nehmerinnen zwar nicht an die Dienstboten, Puzz- und Scheuer­frauen und Landarbeiterinnen gedacht haben, sondern eher an die weiblichen Betriebsbeamten, Handelsangestellten, Lehrerinnen, weltlichen Schwestern usw. Die Einführung der Verhältniswahl begünstigt das Streben, geeignete Kandidatinnen" gegen die Liste der organisierten Arbeiterschaft durchzusetzen. Andere bürgerliche Organisationen sind eifrig am Werke. Die Frauenstimmen fön­nen einen entscheidenden Einfluß auf den Ausfall der Wahlen zu den Versicherungsvertretungen ausüben. Ihr Kurswert steigt. Die politisch und gewerkschaftlich organisierten Genossinnen müssen durch ihre aufklärende Agitation dafür sorgen, daß bei den Wahlen die bürgerlichen Stimmenfängerinnen und Stimmenfänger be­trübt davongeschwommenen Fellen nachblicken.

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Ein weiblicher Amtsvormvnd. Der Stadtrat von Zürich   hat der städtischen Vormundschaftsbehörde einen vierten Amts vor­mund beigesellt. Er wählte dazu eine Frau, unsere Genossin Dr. jur. Olga Lenz. Genossin Lenz, der auf dem Gebiet des Vormundschaftswesens großes Geschick nachgerühmt wird, war seither als Aushilfssekretärin der Züricher   Vormundschafts­behörde tätig gewesen. Sie ist zu den gleichen Bedingungen, die für ihre männlichen Kollegen gelten, angestellt worden und bezieht wie diese ein festes Jahresgehalt von 5000 Franken. In den schweizerischen und besonders züricherischen Vormund­schaftsbehörden sind bereits seit langem eine Reihe von Frauen als Sekretärinnen und Inspektorinnen tätig, aber es ist das erste­mal, daß eine Frau als Amtsvormund bestellt wird. Die Züricher  Vormundschaftsbehörde, die in vielem für die ähnlichen Einrich­tungen anderer Orte vorbildlich wirkt, ist dem Präsidium unseres Genossen Stadt- und Nationalrat Paul Pflüger   unterstellt. H. W.

Zur Beachtung.

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Um die durch unsere Sondernummer unterbrochene Reihen­folge im Erscheinen der Gleichheit" wieder herzustellen, wird Nr. 26 schon nächste Woche herausgegeben. Mit ihr schließt der Jahrgang ab.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Sundel). Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bei Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.. in Stuttgart  .