Nr. 26
Die Gleichheit
bei, der unsere Tatkraft im Kampfe gegen den Kapitalismus stets aufs neue beflügelt. Das muß mehr und mehr für die Arbeiterinnen gelten wie für alle, die diese der gewerkschaftlichen Organisation zuzuführen streben. Die Arbeiterinnen gehören in das vorderste Glied der gewerkschaftlich organisierten Proletarier. Dieses Gebot wird uns von der starken Zunahme der Frauenarbeit zugerufen wie von den elenden Arbeitsbedingungen der ausgebeuteten erwerbstätigen Frauen und Mädchen. Der 1912 erzielte Fortschritt in der Organisierung der Arbeiterinnen muß ein Ansporn zu rastlofem weiterem Wirken sein.
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Von einer der vielgepriesenen sozialpolitischen Wohltaten" für die Arbeiter ist trop zweijährigen Bestehens nichts zu merken: vom Heimarbeiterschuh. Das Hausarbeitgesetz von 1911 ist in seiner Wirkung nirgends zu spüren. Warum? Weil es weiße Salbe ist. Kein Mensch kümmert sich darum, was das Geset vorschreibt, weil es sich in Nebensächlichkeiten erschöpft und weil ihm von vornherein das Rückgrat gebrochen worden ist. Abgelehnt wurde die wichtigste Forderung eines einigermaßen wirksamen Heimarbeiterschutzes, die Errichtung von Lohnämtern. Um der Mißgeburt von Gesez etwas Nußen abzuringen, hat ein Gautag des Tabatarbeiterverbandes beschlossen, in einer Eingabe an den Bundesrat die Errichtung von Fachausschüssen zu fordern. Nach den Bestimmungen des Hausarbeit gesetzes steht dem Bundesrat diese Befugnis zu. Bisher hat die hohe Behörde jedoch keinen Gebrauch davon gemacht. Es handelt sich ja nur um Arbeiterinteressen, die können auf die lange Bank geschoben werden. Den Fachausschüssen sind als Funktionen unter anderen zugewiesen: die Staats- und Gemeindebehörden durch tatsächliche Mitteilungen und Erstattung von Gutachten über die Lage der Heimarbeiterschaft zu unterstützen. Auf Ersuchen dieser Behörden haben sie mitzuwirken bei Erhebungen über die gewerblichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der betreffenden Gewerbezweige, haben Veranstaltungen und Maßnahmen anzuregen, die der Hebung der wirtschaftlichen Lage und der Wohlfahrt der Hausarbeiter dienen sollen, haben den Abschluß von Lohnabkommen und Tarifverträgen zu fördern usw. Im Regierungsbezirk Minden und in den Fürstentümern Lippe- Detmold und Waldeck Pyrmont ist die Tabafarbeit am stärksten in ganz Deutschland vertreten. Jn 169 Ortschaften dieses kleinen Bezirkes, der zwischen dem Teutoburger Walde und dem Wefergebiet ge= legen ist, sind in der Tabakindustrie 14 464 Heimarbeiter für 632 Fabriken beschäftigt. Für Lippe- Detmold wird die Zahl der Heimarbeiterinnen mit 390 angegeben, die in 27 Orten für 31 Fabriken schaffen. In 5 Orten des Fürstentums WaldeckPyrmont plagen fich 236 Heimarbeiter für 14 Fabriken. Die Tabakindustrie des Regierungsbezirks Minden beschäftigt 13 838 Heimarbeiter, davon 5395 männliche und 8443 weibliche. Nach den Angaben der Tabakberufsgenossenschaft betrug der Jahresarbeitsverdienst dieser Arbeiterkategorie im Kreis Lübbecke 584 Mart, im Kreis Minden 675,90 Mart und im Kreis Herford 631,90 Mart. Der größte Teil der Hausarbeiter hat einen monatlichen Verdienst von 30 bis 50 Mart. Bei diesen Angaben muß festgehalten werden, daß der Verdienst in Wirklichkeit meist nicht von einer Arbeitskraft erzielt wird, alle Familienmitglieder arbeiten zusammen, vielfach müssen die schulpflichtigen Kinder bei der Arbeit mithelfen. Bei der Entlohnung entscheidet größte Unternehmerwillfür. Die Unterschiede in den Affordlöhnen sind ganz beträchtlich; der Lohn wird monatlich, vierzehntäglich, felten achttäglich ausgezahlt. Mit der Regelung der willkürlichen, himmelschreienden Arbeitsverhältnisse in einer der größten deutschen Elendsindustrien könnten sich Fachausschüsse allerdings ein großes Verdienst erwerben. Wie weit der Bundesrat geneigt sein wird, eine Regelung zu ermöglichen, wieviel die Fachausschüsse dazu beizutragen vermögen, das wird die Zukunft zeigen. Bis jetzt hat der Acker der Sozialpolitik viel Disteln und Dornen und herzlich wenig Früchte getragen.
Im Berliner Kürschnergewerbe ist ein Streit ausgebrochen. Die Arbeiter und Arbeiterinnen forderten mit dem Ablauf des bestehenden Tarifs vor allem eine Verkürzung der 9stündigen Arbeitszeit auf 8/2, Sonnabends auf 8 Stunden und eine Regelung der Lehrlingsfrage. Die Unternehmer sträubten sich jedoch gegen die Verkürzung der Arbeitszeit und bewilligten nur einige Forderungen von untergeordneter Bedeutung. Darauf erfolgte der Ausstand. In Frage kommen 900 bis 1000 Arbeiter und Arbeiterinnen; die Zwischenmeister in der Haus= industrie machen gemeinsame Sache mit den Arbeitern.
Die Linoleumleger und Teppichnäher in Berlin streifen ebenfalls. Sie verlangen die Abschaffung des Zwischenmeistersystems, den Achtstundentag, Gewährung eines bezahlten
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Sommerurlaubs, einen Mindestlohn von 90 Pf. für perfekte Arbeiter, von 75 ẞf. für ungeübte. Die Unternehmer wollten den geübten Arbeitern 85 Pf. Stundenlohn gewähren, einige Affordpositionen erhöhen und andere untergeordnete Forderungen zugestehen, sie lehnten es aber entschieden ab, Sommerurlaub zu gewähren und das Zwischenmeistersystem abzuschaffen.
Im Buchbindergewerbe bestehen zurzeit Tarifbewegungen in Hannover und in Osterwied. In Hannover verlangen die Arbeiter 10 Prozent Lohnerhöhung sofort und weitere 5 Prozent vom Oktober 1915 ab. Die Unternehmer haben sich zu den Forderungen noch nicht geäußert. Die Unternehmer in Osterwiec wollen 5 bis 7 Prozent Lohnerhöhung zugestehen, die Arbeiter lehnten das Angebot als ungenügend ab.
Unsere Scharfmacher können recht freigebig sein! Das mag jeden baß verwundern, der da weiß, wie hartnäckig fie sich gegen jeden Pfennig Lohnerhöhung wehren. Da treiben sie zum Streif, dingen Hingebrüder, die auf Streifende und friedliche Passanten losgelassen werden, und rufen die sogenannten staatlichen Sicherheitsorgane zu Hilfe. Die Industrie" ginge ja zugrunde, wenn die Herren nicht auf den Profit bedacht wären. Was sie an Löhnen " sparen" helfen, das können dann dankbare Unternehmergemüter ben bewaffneten Ordnungsrettern spendieren. Die Färbereifirma Schetty Söhne in Triedlingen( Baden) hatte im Mai dieses Jahres den„ Echutz" von 40 Gendarmen erhalten, weil sie sich durch den badisch- schweizerischen Färberstreik bedroht fühlte. Sie hatte für diesen Liebesdienst der Behörde 1000 Mark Gratififation für die Gendarmen zugestellt. Die badische Regierung gestattete jedoch diesen nicht, das Geldgeschenk anzunehmen. Andererorts ist schon Polizeihilfe bei Streiks durch die Unternehmer flingend belohnt worden. Die Folge davon ist mit Händen zu greifen. Es wächst der Eifer der Sicherheitsorgane, im Stile der unvergessenen Moabitereien ihres Amtes zu walten. Die deutschen Kapitalisten möchten nach dem Vorbild ihrer amerikanischen Brüder im Mammon ihre Pinkertons haben.
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Aus der Textilarbeiterbewegung. Die Krise mit all ihren dem Proletariat bedrohlichen Begleiterscheinungen schreitet in der Textilindustrie mit Riesenschritten vorwärts. Arbeiterentlassungen, Aussehen der Arbeit, Stillegen der Maschinen, schärfere Handhabung der Strafandrohungen in den Arbeitsordnungen werden jetzt aus dem gesamten Verbandsgebiet täglich gemeldet.
Ganz besonders schlimm steht es in den Gegenden mit vorherrschender Wollindustrie. In dem großen sächsischthüringischen Webereibezirt, einem der bedeutendsten Textilbezirke Deutschlands , ist der Beschäftigungsgrad erbärmlich niedrig. Die Arbeiter werden allerdings nur in den wenigsten Fällen entlassen, ebensowenig wird auch die Arbeitszeit verkürzt. Man hält die Betriebe nach wie vor von morgens 6 Uhr bis abends 6 ihr offen. Wo aber bei gewöhnlichem Geschäftsgang die Weber zwei Stühle bedienten, da arbeiten sie jest nur auf einem. Während man sonst dafür sorgt, daß bei Abarbeitung der Ketten möglichst kurze Unterbrechung eintritt, müssen die Weber jetzt oft 10 bis 14 Tage warten, ehe sie eine neue Sette bekommen. Die Unternehmer find ängstlich bemüht, nach außen hin den Schein zu wahren, daß fie boll beschäftigt seien. Als jüngst eine Mitteilung durch die Preffe ging, daß die Produktion in den Webereien des sächsisch- thüringischen Bezirkes erheblich eingeschränkt sei, wurde das vom Unternehmerverband offiziell dementiert. Ja, er ließ noch besonders betonen, daß irgend ein sichtbarer Grund zu Produktionseinschränkungen durchaus nicht gegeben sei. Troß aller Ableugnungen müssen aber die Arbeiter zu Tausenden aussehen. Es gibt augenblicklich Betriebe, wo von 300 Webstühlen nur 20 bis 30 laufen, während bei den übrigen auf Schuß oder Kette ge= wartet wird.
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In den Bezirken der eigentlichen Tuch fabrikation Herrenstoffbranche sieht es gleichfalls höchst ungünstig aus. So meldet Aachen folgendes:„ Es herrscht hier eine Arbeitslosigkeit, die wir in diesem Umfang schon seit langem nicht mehr gewohnt waren. Fast alle namhaften Firmen arbeiten mit verkürzter Arbeitszeit. Ein Teil der arbeitslosen Weber sucht und erhält Arbeit in den Bergwerken des Wurmgebiets. Der Aachener Tuchindustrie gehen dadurch die besten Arbeitskräfte verloren. Gin Skandal ist es, daß jebt, wo Hunderte Arme zum Nichtstun verdammt sind, mehrere Betriebe noch mehr Doppelstühle in Betrieb sehen." Während im Dezember 1912 in Crimmitschau von 2423 Webstühlen 2157 als besetzt gezählt wurden, waren es im Juli dieses Jahres von 2360 Webstühlen nur 2076. Die Zahl der vorhandenen sowohl wie die der besetzten Webstühle hat demnach abgenommen. Alte Stühle sind abgerissen worden, ohne durch neue ersetzt zu werden, wie es selbstverständlich geschehen wäre, wenn es ge