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Die Gleichheit

war eine Freude, zu beobachten, mit welch gesunder, überschäu­mender Fröhlichkeit die Kinder sich vergnügten und trotz aller Ausgelassenheit doch willig den Anordnungen der Spielleiter Folge leisteten. Schließlich ging es wieder in Reih und Glied nach den Ausgangsstellen, von wo aus die Kinder ihrem Heim zusteuerten. Unzuträglichkeiten gab es nicht. Wenn es je einmal vortam, daß fich ein Kind verirrte, so sorgten schon die anderen fleinen Aus­flügler dafür, daß es sich wieder zurechtfand. Den ersten Tag aus­genommen erhielt jedes Kind, ob groß, ob klein, eine große Bretzel als Geschenk. Die wurde an einem bunten Bändchen gleich einer Kriegsbeute um den Hals getragen und mit nach Hause genommen. Im ganzen tamen 5700 Brezeln zur Verteilung. Die gesamten Unkosten der Spaziergänge beliefen sich auf 333,57 Mt. Sie wurden bom Gewerkschaftskartell, dem Sozialdemokratischen Verein, dem Metall, Bergarbeiter und Bauarbeiterverband gemeinsam be­stritten. Die Kommission, die faum aus einem Dußend Genos­sinnen bestand, hatte eine Riesenaufgabe zu bewältigen. Außer den Ausflügen fanden jede Woche zwei besondere Sizungen statt, die der besseren, Organisierung und Ausgestaltung des Unter­nehmens dienten. Die eine Sigung befaßte sich mit einem Rück blid auf den vorhergegangenen Ausflug stellte die zutage ge­tretenen Mängel fest und entwarf das Programm für den nächsten Ausflug. Die zweite Sizung war Anregungen und der Erlernung neuer Spiele gewidmet, sie brachte eine Art praktischen Anschau­ungsunterrichts für die Genossinnen. Diese unterzogen sich ihrer freiwillig übernommenen Aufgabe mit wahrem Feuereifer, ihre Opferwilligkeit und Schaffenskraft war bemerkenswert. In dem Maße, wie die Teilnehmerzahl wuchs, stieg auch ihre Arbeits­freudigkeit. In der Fürsorge für die Jugend, in der liebevollen Hingabe an sie, waren sie recht eigentlich in ihrem Lebenselement. Unstreitig eröffnen die Ferienausflüge, Spiele, Märchenabende ufv. ein Tätigkeitsfeld, wo viele unserer Genossinnen mit der höchsten Befriedigung wirken können. Alles in allem waren die Ferienspiele ein Versuch, der trefflich gelungen ist und bei alt und jung freudigen Widerhall gefunden hat. Nächstes Jahr Wieder­holung, das ist der allgemeine Wunsch der Teilnehmer. Allen, die zum Erfolg der Spaziergänge beigetragen haben den Genos­den Genos finnen, Helfern, Spendern, sei an dieser Stelle für ihr Wirken und ihre Opfer bestens gedankt.

Politische Rundschau.

W.

Das vor kurzem auch auf der Leipziger   Tagung des Zentral­verbandes der Industriellen kundgegebene engere Bündnis zwi­schen Schwerindustrie und Agrariern läßt den Reaktionären den Kamm schwellen. Sie beginnen unverfälschtes Russisch zu reden. In dem Scharfmacherblatt Die Post" fordert der preußische Junker und Führer der Freikonservativen v. 8edlitz die Regie­rung auf, dem politischen Massenstreit mit der Kri­minaljustiz entgegenzutreten. Der politische Massenstreit müsse strafrechtlich auf dem gleichen Fuße behandelt werden wie bewaff­neter Aufruhr. Schon die Propaganda, Aufforderung und Vor­bereitung zum politischen Massenstreit müsse unter schwere Strafe gestellt werden. Besondere Würze erhält diese Auslassung durch den Vergleich einer solchen gegen die Arbeiter gerichteten Gesetz­gebung mit der gegen die Herren Mörder und Diebe". Herr v. Zedlitz   hat vergessen, zu bemerken, daß, wenn der revolu­tionäre Arbeiter als Mörder und Dieb behandelt werden soll, der Mörder und Dieb von Profession zur Leibgarde der Ordnung" gemacht werden muß. Wenn er den ehrlichen Arbeiter zum Ver­brecher stempelt, so muß er gleichzeitig den Verbrecher ehrlich machen. Vielleicht holt Herr v. Bedliß das noch nach.

Der Wehrbeitrag der Fürsten   wandelt sich immer mehr in einen Raubzug auf die Taschen der Steuerzahler um. Für den einmaligen Wehrbeitrag lassen sich die Fürsten durch dauernde Erhöhung der Zivilliste schadlos halten. Die Besteuerung der Fürsten   verwandelt sich so im Handumdrehen in eine Besteuerung für die Fürsten  . Nach Baden   und Württem­ berg   kommt jetzt die bayerische   Krone und fordert Erhöhung der Zivilliste, und zwar gleich um mehr als eine Million, genau um 1068 956 Mt. Diese Forderung, die bei Eröffnung des bahe­rischen Landtags vom Finanzminister, gestellt wurde, ist offenbar auch die einzige, die dringlich ist. Der bayerische   Finanzminister mußte feststellen, daß die Staatseinnahmen nur mit Mühe mit den Ausgaben im Gleichgewicht erhalten werden können, er mußte einräumen, daß die Einkommensteuer auf dem Lande, insbeson dere in Niederbayern  , zurüdgeht, weil die wirtschaftliche Lage der Kleinbauern sich zusehends verschlechtert. Und was schlägt der bayerische   Finanzminister in einer solchen Lage vor? Eine Mil­

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liox jährlich Aufbesserung für die Krone und für das Volk- nichts! Die dringlichsten Forderungen, die die Notlage der städti­schen Arbeiterschaft und des Kleinbauerntums erheischen, werden gestrichen, Stempel und Gebühren werden erhöht: aber die Krone muß eine Million jährliche Bulage haben! Die Arbeitslosen­unterstützung, die gleichzeitig auf der Tagesordnung der Er öffnungssigung stand, mußte zurückgestellt werden. Natürlich, die Not der Krone geht vor!!

Dasselbe Schauspiel im Parlament der Republik Hamburg  . Der Hamburger Senat   verlangte eine Gehaltsaufbesserung für die rechtsgelehrten Senatoren von 25 000 auf 30 000 Mt. und für die kaufmännischen Senatoren von 12 000 auf 15 000 Mt. Der Antrag wurde mit Zweidrittelmehrheit angenommen. Der gleich­zeitig auf der Tagesordnung stehende Antrag auf Arbeitslosen­unterstützung aber wurde vertagt. Der ist ja weniger dringlich! Wo die großen, fleineren und fleinsten Monarchen ihre Pfeifen schneiden, darf ein verehrlicher Adel nicht fehlen. Die neue Militärvorlage erfordert den Ankauf von 40 000 Pferden. Die Veröffentlichungen eines ostpreußischen Gutsbesizers zeigen nun die Pferdeantaufstommission in einer überaus lieb­reichen und wohltätigen Rolle gegenüber den Pferdebesitzern und Pferdehändlern.

Nun wieder in höhere Regionen! Ein Militär macht in der Rheinisch- Westfälischen Zeitung" Angaben über die Stellung des Kaisers zur Jungdeutschlandbewegung, die nicht ohne Interesse sind. Der Kaiser, heißt es da, habe der Bewegung anfangs ziemlich fühl gegenübergestanden. Einmal, weil er für möglich hielt, daß schwarz- rot- goldener Turnergeist in fie ein­ziehe statt des unverfälscht schwarz- weißen Patriotismus, und dann, weil er nicht glaubte, daß die Bewegung über enge bürger­liche Kreise hinausgehen werde. Darüber hat ihn nun seine Um­gebung beruhigt, und sie hat ihm den Jungdeutschlandbund aus­drücklich als Riegel gegen das Umsichgreifen der Umsturzpartei" empfohlen. Der Kaiser hat daraufhin zu wiederholten Malen dem Wunsche Ausdruck verliehen, daß es gelingen möge, auch die Knaben der arbeitenden Bevölkerung zu gewinnen und sie dem betrüblichen Einfluß der sozialdemokratischen Verhebung zu ent­ziehen". Die Beteiligung aktiver Offiziere an der Jungdeutsch­landsache wird nach diesem Gewährsmann vom Kaiser nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich befürwortet. Geist und Richtung der Jungdeutschlandbewegung konnten nicht schärfer gekenn zeichnet werden als durch diese Angaben. Es ist derselbe Geist, der folgendes Vorkommnis durchweht. In Thüringen   wurde eine militärische Übung ausschließlich mit Reservisten und Landwehr­leuten abgehalten. Zu Beginn der Übung schreibt das Regiments­tommando an das Gothaer Parteiblatt, die übung der Reserve­brigade sei geheim", und es sei deshalb unstatthaft", daß die Presse irgend etwas davon erwähne. Das Regimentskommando glaubt also die Presse kommandieren zu können, wie es die Sol­daten kommandiert. Der Erfolg der Übung zeigte übrigens, daß man alle Ursache hatte, sie geheim" zu halten. Denn sie er­forderte eine große Zahl von Erkrankungen.

Kühne Hoffnungen auf eine neue Ara in Württemberg   erwedte. der Ausfall der Landtagserfahwahl im Oberamt Rottweil  . An Stelle eines Zentrumsmannes wurde hier mit Hilfe der So­zialdemokratie ein Liberaler gewählt. Während vorher im Land­tag Konservative und Zentrum zusammen genau gleichviel Mit­glieder zählten wie Liberale und Sozialdemokraten zusammen, haben sie jetzt eine Stimme weniger. Es versteht sich, daß diese minimale Verschiebung im Parlament teinen wesentlichen Ein­fluß auf die Landespolitik haben kann.

Die sächsische Regierung, die so unentwegt für die zuchthausgesetzlichen Beschlüsse des Zentralverbandes der Indu­striellen und für den Zusammenschluß dieses Verbandes mit dem Bund der Landwirte eingetreten ist, hat damit anscheinend nicht ganz den Geschmack des Verbandes sächsischer Industrieller ge­troffen. Der sächsische Industriellenverband ist nämlich national­liberal, und die Unterstützung des Zentralverbandes würde dem Bund der Landwirte und den Konservativen in erster Linie po­litisch zugute fommen. Die sächsische Regierung erklärt aber falt, daß ihr der Zentralverband mit seinen 55 000 Mitgliedern weit wichtiger sei als der sächsische Industriellenverband mit seinen 5000. In den deutschen Kolonien werden die Zügel gegen die Eingeborenen straffer angezogen. Das Sinken der Kautschukpreise beranlagte die Plantagenbesitzer von Deutsch- Ostafrika   und Ka­ merun  , von der Regierung die Einführung dreijähriger an Stelle der bisherigen einjährigen Arbeitskontrakte für eingeborene Ar­beiter zu verlangen. Der Eingeborene würde dadurch vollends zum Sflaben. In Deutsch- Südwestafrika   scheinen die Farmer