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Die Gleichheit

Boden ist der kürzlich ausgebrochene Streit der indischen Angestellten und Handwerker der ostafrikanischen Eisenbahngesellschaft anzusehen.

Die Welle des Wettrüstens trifft jetzt auch Österreich  . Die Re­gierung verlangt 200 Millionen Stronen neue Kredite zur Erhöhung der jährlichen Nefrutenzahl um 31300 Mann. Für die Flotte werden nicht weniger als 450 Millionen Kronen gefordert. Dafür sollen vier Großlampfschiffe( Dreadnoughts) und einige kleinere Streuzer gebaut werden.

In Frankreich   läßt die republikanische und radikale Regierung leinen Tag vorbeigehen, ohne einen Schritt rückwärts zur Reaktion zu machen. Nach den Manövern wurden drei Korpskommandeure und zwei Generale ihrer Stellungen enthoben, und zwar, wie einer von ihnen in einem offenen Brief an den Kriegsminister behauptet und auch wahrscheinlich macht: nicht wegen militärischer Untüchtig­feit, sondern als Republikaner. Die völlige Auslieferung der Armee an die reaktionären Offiziere fann der radikalen Regierung eines Tages schöne politische Überraschungen bescheren.

Der Kampf in Dublin   geht weiter. Die Unternehmer lehnten den einstimmigen Bericht der von der Regierung eingesetzten Re­gierungsfommission ab. Sie erklärten: Keine Verhandlungen mit dem Transportarbeiterverband, solange er nicht reorganisiert" ist und eine neue Leitung" hat. Das heißt: Lartin, der Führer der Bewegung muß geopfert werden. Und dann müsse der Verband Garantien geben, daß er künftig auf Sympathieſtreiks verzichte. Auf diese freche Zumutung anworteten die irischen Arbeiter, die nun wochenlang das bitterste Elend getragen haben, durch einen großen llunzug in der Stadt, dem das Porträt Lartins vorangefahren wurde. Ein Banner des Zugs trug die Aufschrift: Wir wollen den Arbeitgeberverband anerkennen, vorausgesetzt, daß er vollständig reorganisiert wird und eine neue Leitung erhält." Die englischen Arbeiter fahren fort, ihre irischen Arbeitsbrüder kräftig zu unter­stüßen. Der Verbandstag der Bergarbeiter beschloß, wöchentlich 1000 Pfund Sterling für die Stämpfenden in Irland   aufzuwenden. Derselbe Kongreß beschloß, bei fünftigen Stämpfen hätten sich die Bergleute von vornherein mit dem Verband der Transportarbeiter und anderen Verbänden zu verständigen. Dieser Beschluß ist von ebenso großer politischer wie wirtschaftlicher Tragweite. Er stellt wirtschaftliche Stämpfe von einem Umfang in Aussicht, daß sie zu entscheidenden Stlassenfämpfen werden müssen. Einem Grubenbrand find am 14. Oktober über 400 Bergleute der Kohlengrube Universal in Südwales   zum Opfer gefallen.

Das Wiederaufflammen der Arbeiterbewegung in Rußland   sucht die Regierung durch den Appell an den religiösen Aberglauben, die nationalen und Rassenvorurteile, die Mord- und Plünderinstinkte ihres echtrussischen Lumpengesindels zu verhindern. Diesem Zwed sollte der Ritualmordprozeß von Kiew   dienen. Das jüdische und das christliche Proletariat antworten durch Proteststreits und un­erschrockene Brandmarkung des Zarenregiments.

Auf dem Balkan   ist den Serben, die in Albanien   eingedrungen waren, durch den Machtspruch der Dreibundmächte Halt geboten worden. Die serbische Regierung erklärt, nicht weiter vorzurüden, ist aber vorderhand nicht gewillt, die besetzten Plätze des albanischen Grenzgebiets zu räumen, ehe die Ruhe im Innern von Albanien  hergestellt ist. Wenn die Serben diese Punkte so lange festhalten wollen, so können sie sich dort auf Jahre häuslich einrichten. Die aufständischen Albanier sind zwar zersprengt, aber damit noch lange nicht aus dem Feld geschlagen. Ihre eigentümliche Kampfesweise ist der Bandenkrieg, und den können sie noch lang gegen moderne Truppen aufrechterhalten, besonders wenn sie von einer Großmacht mit Waffen und Geld unterstützt werden. Am 18. Oktober stellte Österreich   in Belgrad   die Forderung, daß die serbischen   Truppen binnen 8 Tagen das Gebiet des autonomen Albaniens   geräumt haben müssen. Bulgarien   und die Türkei   haben ein Defensivbündnis gegen Serbien   und Griechenland   geschlossen. Das Kriegsfeuer glüht unter der Asche.

Am 6. Oftober wurde in der Hauptstadt Chinas   der Gewalt­mensch Juanschitai endgültig zum Präsidenten der chinesi­schen Republik gewählt. Die europäischen   Mächte hatten die An­erfennung Juanschitais und der chinesischen Republik   davon ab­hängig gemacht, daß jener alle von der verjagten Mandschuregie­rung mit den fremden Mächten abgeschlossenen Verträge, alle von den Mandschus eingegangenen Kontrafte mit fremden Gesandt­schaften oder einzelnen Ausländern, alle Privilegien und Frei­heiten der Ausländer und die bestehende Zollverwaltung aufrecht­erhalte. Juanschikai hat diese Bedingungen angenommen und ist darauf sofort von den europäischen   Mächten anerkannt worden. Der Präsident ist durch diese Bedingungen der Gefangene und die Puppe der europäischen   Mächte. Für sie führt er die Diktatur in China  . Die Verpflichtungen, die er übernommen hat, find die­

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jenigen, wegen deren in erster Binie die Revolution ausbrach und die Mandschudynastie zum Teufel gejagt wurde. Unter solchen Umständen ist flar, daß die bürgerliche Revolution Chinas   noch keineswegs zu Ende ist.

Gewerkschaftliche Rundschau.

a. th.

Nur vereinzelt führt die Arbeiterpresse Beispiele aus dem un­erschöpflichen Kapitel des Terrorismus der Unternehmer auf. Der Terrorismus ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung des Klassenkampfes, und wir regen uns durchaus nicht über jeden Einzelfall moralisch auf. Doch wenn die Behörden den Terroris­mus gegen Arbeiter rechtlich sanktionieren und fördern, dann gilt es, ihnen die Maske der Unparteilichkeit vom Gesichte zu reißen und sie als die Schergen der Ausbeuter an den Branger zu stellen. Dem Verband der Blumen- und Blätterarbeiter und -arbeiterinnen war auf seiner legten Generalversammlung in Neustadt   in Sachsen   während der Verhandlungen das Lokal entzogen worden, in dem er tagte. Die bürgerlichen Herrschaften hatten nämlich an dem betreffenden Tage ihren Kornblumentag und liefen mit Kornblumen ausstaffiert im Orte umher, während die Delegierten des Verbandes sich rote Nelken angesteckt hatten. Der Bürgermeister von Neustadt drohte dem Wirte mit Entziehung der Tanzerlaubnis, wenn er nicht dafür sorge, daß der Verband sofort das Lokal verlasse. Dieser Erpressung gab der Wirt auch nach. Ganz offenkundig mißbrauchte hier der Bürgermeister seine Amtsbefugnisse. Noch am gleichen Tage richtete der Vorstand des Verbandes eine Beschwerde an die vorgesetzte Behörde des Bürger­meisters, an die Kreishauptmannschaft. Nach Wochen wurde diese glücklich beantwortet. Und wie! Der Sinn war, daß nach dem Er­gebnis der angestellten Erhebungen kein Grund vorliege, das Ver­halten des Bürgermeisters zu beanstanden. Dieser Bescheid ist ein neuer Ansporn für die Verwaltungsbehörden zur Ausübung terro­ristischer und ungesetzlicher Maßnahmen gegen Arbeitervereine!

Die 8 wangsinnungen üben ihre Macht gegen ihre Mit­glieder in brutalfter Weise aus. Selbst der preußische Handels­minister sah sich seinerzeit veranlaßt, durch einen Erlaß den Terro­rismus dieser Körperschaften etwas zu dämpfen. Das verschlägt aber den Herren Innungsmeistern, gar nichts. Die Maler­gwangsinnung in Essen a. d. Ruhr hat ihre Mitglieder dar­auf hingewiesen, daß die Zahl der Unpfändbaren unter den Malermeistern sich in letzter Zeit auffällig und übermäßig mehre. Sie äußert die Vermutung, daß manche Meister sich der Zahlungs­pflicht gegen die Innung zu entziehen suchen. Bei der zwangs­weisen Eintreibung der rückständigen Innungsbeiträge und Strafgelder gehen aber nach der Meinung der Innungsbrüder die Vollziehungsbeamten nicht schmeidig genug vor. Deshalb wurde in einer Versammlung dieser Biederen beschlossen, die Stadtverwal­tung zu ersuchen, ihre Vollziehungsbeamten. mit strengster Instruk­tion zu versehen. Auch sollen die Namen der unpfändbaren Meister bekanntgegeben und bei den Behörden soll beantragt werden, daß sie solchen Gottlosen keine Arbeit übertragen! Welch liebliches Ge­misch von edler Gesinnungstüchtigkeit und flugem Geschäftssinn. Die Scharfmacher im Malergewerbe haben bei der letzten Aus­sperrung durch Druck und Zwang auch die kleinen Meister zur Aussperrung gepreßt. Sie haben die Farbenlieferanten boyfottiert, die teine Beiträge zu ihrem Kampffonds zahlten. Nun aber gehei sie darauf aus, die widerspenstigen, schon halb zugrunde gerichte­ten Berufsgenossen vollends zu ruinieren. Und dabei sollen ihnen noch die Behörden hilfreiche Hand leisten. So sehen die wahren Mittelstandsretter aus..

Anläßlich des Stettiner Hafenarbeiterstreits er­folgte aus Unternehmermund ein bemerkenswertes Eingeständnis über die Arbeitsleistungen jener Schußtruppe, durch deren Hilfe der Stettiner Magistrat die Forderungen der Arbeiter niederzu­zwingen fuchte. Diese Meinungsäußerung war natürlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Sie ist in einem Schriftstück des Stet­tiner Spediteurvereins enthalten. Hier heißt es, daß der Notbehelf der Arbeit, die die von auswärtsgekommenen Streitbrechermann­schaften leisten, naturgemäß nicht anders als mangelhaft sein tann. Die Streifbrecher seien zusammengelaufene, nicht besonders fräftige, ungeübte Leute. Sie kosteten durchschnittlich zwar das doppelte des gewöhnlichen Lohnes, leisteten aber nur etwa die Hälfte von dem, was geübte Leute schaffen. Die Arbeit komme mithin etwa viermal so teuer zu stehen wie sonst, in vielen Fällen sogar noch mehr. Ungeachtet, daß jezt mehr Leute als sonst einge­stellt sind, gehe die Arbeit so langsam und unregelmäßig bon statten, daß die Kosten der Umladung das dreifache und mehr der gewöhnlichen Ausgaben dafür betragen. Da hier die Unternehmer,