Nr. 4
Die Gleichheit
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Wer vermag all die Stäubchen, die Ausdünstungen von Arbeitsmaterialien aufzuzählen, die bei der heimindustrielIen Puppenfabrikation der Gesundheit verhängnisvoll werden? Man denke, was alles nötig ist, um ein entzückendes Püppchen herzustellen: Material für Bälge, Röpfe, Berücken, für das Bemalen, Bekleiden und Beschuhen usw. Was muß nicht alles geleimt, mit Sägemehl gestopft, an-. gestrichen usw. werden! Von Gefahren für ihre Gesundheit sind die Frauen und Kinder bedroht, die bei Heimarbeit Christbaumschmuck herstellen, Holzschnigwaren wie Blumenstäbe, Löffel, Quirle usw., Schiefertafeln und Kartonnagen anfertigen, bei der Anopfspinnerei tätig sind. Man durchwandere die Gegend von Sonneberg , Altenburg , Koburg , Ruhla und Waltershausen , wo all diese Arten der Heimarbeit besonders stark vertreten sind. überall, wo sich hier fleißige Hände rühren, um ein paar Pfennige zu verdienen, findet man Frauen jeglichen Alters bis zur halb erblindeten, humpelnden Greisin, findet man Kinder ebenfalls jeglichen Alters, oft noch vor den Jahren der Schulpflichtigkeit. Und wie lang ist meist der Arbeitstagl Oft dauert er bis in die späte Nacht hinein, damit bis zum Termin geliefert werden kann. Unbarmherziger noch als der Agent, Faktor, Großfabrikant oder sonst ein Unternehmer zwingt die Not zur pünktlichen Lieferung. Diese bringt etwas bares Geld ins Haus, das sehnlichst erwartet wird, um den dringendsten Lebensbedarf zu decken. So gesellt sich zur übermäßig langen Arbeitszeit die fieberhafte Heze. Nervenzerrüttung mit ihren Folgen bleibt nicht aus, die Frucht im Mutterleib wie das Kind leidet unter all den schlimmen Einflüssen, die an der Lebenskraft der Heimarbeitenden Frau zehren. Ganz gering nur ist der Schutz, den die Gewerbeordnung heute den Heimarbeiten den gewährt, und die Arbeitgeber kennen hundert sichere Schleichwege, um ihn zu umgehen. So ist die Heimarbeit eine Quelle von Gefahren für die gesunde Mutterschaft, und darum allein schon täte es bitter not, daß die Arbeiterschutzgefezgebung finngemäß und voll wirksam auch auf die Hausindustrie ausgedehnt würde. Namentlich sollte ein Mindestlohn durch das Gesetz festgelegt werden, außerdem noch eine Höchst arbeitszeit, und zwar besonders für die Frauen.
Bei den wenigsten gewerblichen Arbeiten wird danach gefragt, daß die Arbeiterin ein Weib ist, das die Bürden der Mutterschaft zu tragen hat. Meist geht die Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft weit über die Grenze hinaus, die durch die Rücksicht darauf geboten sein sollte. An dieser Barbarei und diesem Verbrechen ändert es nichts, ob die Proletarierin die Nähmaschine tritt, am Waschfaß oder Plättbrett steht, in der Maschinenfabrik schafft oder im Steinbruch, im Bergwerk, an Bauten als Mörtel- und Steinträgerin, in der Ziegelei, der Porzellanfabrik, am Zigarrenwickel oder in irgend einer Hausindustrie. Die Unternehmer lassen von Frauen und Mädchen jede Arbeit verrichten, bei der weibliche Arbeitskraft sich ebenso gut oder fast ebenso gut wie männliche bewährt. Oft ziehen sie die Frauenarbeit der Männerarbeit auch dann vor, wenn die Leistungen jener etwas geringer sind, denn der große Unterschied in der Ent. lohnung weiblicher und männlicher Arbeit macht den Ausfall reichlich wett. Außerdem gibt es auch genug Beschäftigungen, bei denen die Frauen Besseres leisten als die Männer, so bei sehr vielen sogenannten weiblichen Arbeiten, ohne daß jedoch deswegen ihre Entlohnung reichlicher wäre. Der ortsübliche Taglohn für weibliche Arbeit beträgt meist nur zwei Drittel, ja oft nur die Hälfte und weniger des täglichen Verdienstes männlicher Arbeiter.
Im Zusammenhang mit der Hauptfrage, die uns beschäftigt, dem Geburtenrüdgang, verweisen wir mit allem Nachdruck auf die niedrige Entlohnung der Arbeiterinnen. Denn was bedeutet niedriger Lohn für große Schichten der erwerbstätigen Frauen und Mädchen? Nichts anderes als die bare Unmöglichkeit, sich so zu ernähren, zu
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kleiden und so zu wohnen, wie es notwendig wäre, wenn die Gesundheit und Lebenskraft ungeschwächt erhalten bleiben sollte. Niedriger Lohn obendrein meist für schwere, aufreibende Arbeit besagt also Gesundheitsschädigung der Mütter im werftätigen Volf, besagt steigende Unfähigkeit für Zehntausende Proletarierinnen, lebensstarke Kinder auszutragen, zu gebären und die Säuglinge selbst an der Mutterbrust zu nähren. In der gleichen Richtung wirft ein anderer Umstand, der Hand in Hand mit der spottschlechten Bezahlung der Frauenarbeit geht. Die Hungerlöhne zwingen viele Arbeiterinnen, auch die anstrengendsten und ungeeignetsten Beschäftigungen zu übernehmen, wenn sie nur mit ein paar Pfennigen mehr bezahlt werden. Wohl wissen die meisten, daß ihrer Gesundheit und der der Kinder schwerer Schaden droht, allein die Not ist eine harte Gebieterin. Sie ist es auch, die Tausende und aber Tausende erwerbender, Proletarierinnen zumal in der Landwirtschaft und Heimindustrie bis zum letzten Tage vor der Entbindung an die Arbeit fesselt. Was die Versicherungsgesetzgebung an Unterstützung für Schwangere und Wöchnerinnen gewährt, ist noch nicht genug, daß die Frauen leichten Herzens auf den Verdienstausfall verzichten könnten. Umgekehrt: die Aussicht auf die Kosten des Wochenbetts und der Aufziehung eines Kindes mehr spornt zum Verdienen an. Aber die Fähigkeit gesunder Mutterschaft, die Stillfähigkeit inbcgriffen, leidet unter alledem.
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Der Kapitalismus schafft immer mehr Frauen und Mädchen, die für ihren Lebensunterhalt auf ihrer Hände Arbeit angewiesen sind. Es wächst die Zahl der Arbeiterfamilien, in denen die kapitalistische Ausbeutung bewirkt, daß das Einkommen des Mannes allein nicht mehr ausreicht, um allen Angehörigen das Brot zu sichern. Die Schar der Handwerker nimmt zu, die, von der Konkurrenz der großen Unternehmer gedrückt, um ihre wirtschaftliche Selbständigkeit gebracht werden. Es vermehren sich die Kleinbauern, deren Angehörige durch Lohnarbeit die Zinsen für die Hypothekengläubiger verdienen müssen. So nimmt die Frauenarbeit in Gewerbe, Handel, Verkehrswesen und der Landwirtschaft ständig 311. In Deutschland hat sich die Zahl der Arbeiterinnen in den letzten zwanzig Jahren reichlich verdoppelt. In allen Ländern, wo die kapitalistische Wirtschaft herrscht, zeigt sich die gleiche Erscheinung: eine erhebliche Zunahme der Frauenarbeit. Die Frauenarbeit ist unter der Herrschaft des Kapitals ausgebeutete Arbeit. Profit aus, ihr herauszuwirtschaften, möglichst viel Profit, das ist das Ziel der Unternehmer. Wir haben eingehend nachgewiesen, zu welchem Raubbau das führt.
übrigens braucht man, um sich davon zu überzeugen, nicht einmal die Berichte der Gewerbeinspektionen nachzulesen. Ein Blick auf die äußere Erscheinung der Arbeiterinnen kann das lehren. Die harte Tretmühlenarbeit unter der Fuchtel des ausbeutenden Kapitals drückt dem Äußeren vieler Proletarierinnen den Stempel der Schwäche, Verkümmerung auf. Blutarmut und Bleichsucht ist von den Gesichtern abzulesen, die Gestalt ist mager und knochig. Unter dem Eindruck solcher Beobachtungen schrieb der treffliche, leider früh verstorbene Gewerbeinspektor für Baden, Dr. Wörishoffer, in seinem Jahresbericht für 1894: Wenn man wiederholt eine größere Anzahl von Arbeiterinnen in den Fabriken zusammenrufen läßt, wie zum Beispiel bei den Erörterungen über die Wirkungen der gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit, dann erschrickt man doch manchmal über die hierbei zutage tretende Häufung von ungünstig entwickelten und körperlich vernachlässigten Personen. Es ist das eine Erscheinung, die bei den Arbeiterinnen viel greller hervortritt als bei den männlichen Arbeitern."
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Fassen wir zum Schlusse das Ergebnis des vorgeführten Tatsachenmaterials zusammen, so ist es das folgende: Die kapitalistische Ordnung bewirkt eine rücksichtslose Ausbeutung der Frauenarbeit, die die Fähigkeit zu gesunder Mutterschaft bedroht und herabmindert und zu einer Ursache des Geburtenrückgangs wird. Hiergegen ist Abhilfe zu schaffen