54 Die Gleichheit Nr. 4 Tagen verschärfter Klassengegensätze und Klassenkämpfe zwischen dein Proletariat und den ausbeutenden Gesellschaftsschichten mußte das allgemeine, gleiche, direkteund geheime Wahlrecht das Schibboleth der Auseinandersetzungen sein. Diese Art des Wahlrechts hat bewiesen, daß sie statt eines Mittels zur politischen Prellerei der ausgebeuteten Massen eine Kampfeswaffe eben dieser Massen gegen ihre Peiniger sein kann. Sie hat ihre Kraft bewährt, die Arbeiterklasse zu sammeln, zu schulen und zum Ansturm Wider die bürgerliche Ordnung zu führen. Daher können auch die bürgerlichen Frauenrechtlerinnen in dem Garten Eden ihrer Forderungen zur Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts nicht mehr in hinimlischer Unschuld und Unkenntnis der sozialen und politischen Dinge spazieren gehen. Sie haben vom Baume der Erkenntnis gegessen und wissen nun, was der Klassenvorteil der Besitzenden als gut oder böse stempelt. So kommt es, daß die Begeisterung der Frauenrechtlerinnen für das politische Recht des ganzen weiblichen Geschlechts nicht etwa zur stolzen Flut anschwillt, sondern im Gegenteil langsam, aber stetig verebbt. Der Wandel vollzieht sich um so unaufhaltsamer und rascher, je breiter die bürgerlichen Frauenschichten werden, die die gesellschaftliche Entwicklung in den Kampf für Berufsarbeit und Gleichberechtigung treibt, je mehr die Aufmerksamkeit wächst, die die bürgerlichen Frauen deni politrschen Leben zuwenden, und der Anteil, den sie an ihm nehmen. Tie Geschichte des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht hat diesen Gang der Dinge wiederholt beleuchtet, nie jedoch mit vollerem, schärferem Licht als in Eisenach . Nicht von Anbeginn seines Wirkens an hat sich der„Verband" in seinen Satzungen zum demokratischen Wahlrecht bekannt. Und nie hat er die Kraft besessen, seine Mitglieder dazu anzuhalten, jede Gelegenheit zu nützen, um mit unerschütterlicher Treue für das allgemeine Wahlrecht zu kämpfen. Auch nachdem die Generalversammlung der Organisation zu Frankfurt a. M. die Forderung des allgemeinen Wahlrechts für Frauen und Männer feierlich als„Grundsatz" festgelegt hatte, übten manche Führerinnen die alte Praxis weiter: im Kampfe gegen die Sozialdemokratie, die einzige zuverlässige Vertreterin des Wahlrechts aller Großjährigen, rührten sie bei den Wahlen die Werbetromniel für Gegner dieses Rechts. Das darf man nicht vergessen, wenn man ein sicheres Urteil über die Richtung gewinnen will, in der die Entwicklung der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung vorwärts schreitet, wie über die Stärke der Strömungen, die seither innerhalb des„Verbandes" dazu drängen, daß die Forderung des allgemeinen Wahlrechts als ein schädlicher Ballast über Bord geworfen werde. So wenig der beschworene„Grundsatz" es auch vermochte, die widerstrebenden Kräfte des„Verbandes" zu einheitlichen Aktionen für das allgemeine Wahlrecht zusammenzufassen, dünkte doch sogar seine papierene Existenz wachsenden Kreisen der Mitgliedschaft eine lästige Fessel. Sie hinderte das Zusammengehen der Organisation mit den Frauenrechtlerinnen, die für ein beschränktes Tamenwahlrecht wie für das preußische Dreiklassenwahlrecht schwärmten. Und die Zahl dieser Art Frauenrechtlerinnen nahm rasch zu. Besonders war das im Rheinland und in W e st f a l e n der Fall, wo sich die bürgerliche Frauenbewegung— soweit sie nicht unter dem Kruininstab wohnt— vorwiegend aus den Schichten jener liberalen Intelligenz rekrutiert, deren Angehörige nur zu oft sozial die Affen, wissenschaftlich und politisch die Landsknechte der dort herrschenden Großbourgeoisie sind. Auch in S ch l e- s i e n mehrten sich zusehends die Frauenrechtlerinnen, denen die grundsätzliche Forderung des allgemeinen Wahlrechts ein Greuel und Scheue! war. Hier wirken in der bürgerlichen Frauenwelt konservativ-junkerliche Ideen mit dein Einfluß eines„Freisinns" zusammen, dessen Demokratie auf dein letzten Loche pfeift. In bewußter Gegnerschaft gegen den „radikalen Verband" wurden Frauenstimmrechtsvereine gegründet, die die Forderung des allgemeinen Wahlrechts im buchstäblichen Sinne des Wortes„links" liegen ließen, denn sie orientierten sich immer mehr nach„rechts" hin, wo die ausgesprochenen Todfeinde des Volksrechts sich sammeln. Diese reaktionären Frauenstimmrechtsvereine haben sich seither zu der Deutschen Vereinigung für Frauen- st i m m r e ch t zusammengeschlossen. Das Aufkommen der gekennzeichneten Strömungen und Organisationen konnte nicht ohne Rückwirkung auf den „Verband" bleiben. Es ermutigte je länger je mehr alle in ihm zusammengefaßten Elemente, denen das Wahlrecht aller Frauen, also auch der Proletarierinnen, letzten Endes Hekuba war, für die irgend ein Damenwahlrecht die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts darstellt, die sie meinen. Es begann eine systematische, emsige Wühlarbeit gegen den Z 3 der Verbandssatzungen, der das allgemeine Wahlrecht grundsätzlich forderte. Natürlich wurde sie von den üblichen Deklamationen begleitet, daß es nur um das Prinzip des Frauenwahlrechts gehe, um nichts sonst, daher dürften sich auch die Frauenrechtlerinnen für keine Art des Wahlrechts erklären, für dessen Einführung„manche Kreise der Frauen nicht freudig mitwirken könnten", lies: das von den konservativen und nationalliberalen Damen bitter gehaßt wird. Tie reaktionäre Richtung erstritt einen ersten Sieg auf der General- versammlung zu H a m b u r g 1911. Hier wurde die Satzung so weit abgeschwächt, daß sie nicht mehr das allgemeine Wahlrecht für die Frauen und Männer verlangte, sondern nur noch für die Franen allein. Damit sollte ein Stein des Anstoßes und des Ärgernisses für die Frauen beseitigt werden, die mit ihren männlichen Angehörigen zusamnien das preußische Geldsackswahlrecht für der politischen Weisheit letzten Schluß halten. Gleichzeitig glaubte man das demokratisch: Prinzip gerettet zu haben. Fraucnrechtlerische Redensarten bemäntelten notdürftig den inneren, sachlichen Widerspruch der Auffassung und Entscheidung. Die reaktionäre Richtung des Verbandes war jedoch mit dein erhaltenen kleinen Finger nicht zufrieden. Sie will die ganze Hand, und sie wird sie friiher oder später erhalken. Der Vorstand des„Deutschen Verbandes" und die Vorsitzenden der einzelnen Landes- beziehungsweise Provinzialvereine traten im Herbst 1912 zu der Beiratssitzung zu Meimar zusammen, die sich für eine Änderung der uinstrittencn Satzung aussprach. Dieser Beschluß war das Signal, daß aller heimliche Haß gegen das allgemeine Wahlrecht nun offen, brutal das Haupt erhob, und daß alle laue Freundschaft für dieses Recht de- und wehmütig zu Kreuze kroch und mit seinen Feinden um die Wette wider die„Unentwegten" höhnte, intrigierte und kriegte, die das demokratische Prinzip festgehalten wissen wollten. Es war ein weithin sichtbarer Ausdruck der bitteren Auseinandersetzungen und tückischen Treibereien, daß Frau Minna C a u e r es für das Gebot der Ehre erachtete, von allen leitenden Stellen im„Verband" zurückzutreten, und daß noch andere Kämpferinnen ihm den Rücken kehrten. Nun sollte die Generalversammlung zu Eisenach eine Klärung und Entscheidung der leidenschaftlich umstrittenen Frage bringen. Am ehrlichsten trat dort die Gegnerschaft wider das allgemeine Frauenwahlrecht in dem Dringlichkeitsantrag Stettin auf den Plan. Er forderte, den Absatz des Z 3 kurzerhand zu streichen, der den„Verband" grundsätzlich zum Kampfe für dieses Recht verpflichtet. Jedes Mitglied hätte dann nach persönlichem Belieben für das demokratische oder aber für ein stockreaktionäres Wahlrecht eintreten können. Der Antrag wollte damit das Tor sperrangelweit für alle Bestrebungen öffnen, die auf die Erringung eines bloßen Damenwahlrechts abzielen. Tie vier anderen seelenverwandten Anträge zur Abänderung der Satzung begnügten sich damit, solchen Bestrebungen sichere Hinterpförtchen auszuschließen. Sie unterschieden sich von dem Stettiner Ansinnen keineswegs durch ihr Wesen, sondern lediglich durch das größere Maß von Selbsttäuschung oder Unauftichtigkeit und Zweideutig-
Ausgabe
24 (12.11.1913) 4
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