58

Die Gleichheit

Stimmen und Mandaten, und Zentrum und Konservativen fehlen im Landtag nur noch zwei Stimmen zur absoluten Mehrheit. Da aber mehrere nationalliberale Abgeordnete mit Unterstützung dieser Parteien gewählt worden sind, so müssen sie ihnen hold und ge­wärtig sein. Die Parteien der Rechten haben also tatsächlich die Mehrheit im Landtag. Stärkung der Reaktion, Schwächung un­serer Partei, das also ist der Erfolg des Zusammengehens der Sozialdemokratie mit den Liberalen. Das ist eine Lehre für die ganze Parteibewegung.

In Württemberg   fanden zwei Nachwahlen zum Landtag statt. Im Oberamt Gerabronn behauptete sich die Volkspartei. Ihr Kandidat und ihre Agitatoren traten bezeichnenderweise mit Ver­sprechungen auf, die dem Programm des Bundes der Landwirte entnommen waren. Die Nachwahl in Stuttgart  - Amt brachte den Sieg wiederum der Sozialdemokratie.

In Mecklenburg   ist die Verfassungsreform wieder einmal gescheitert: zum fünften Male.

Österreich   hat wieder einen Skandal". Eine Reihe Aus­wanderungsagenten und der Direktor der Canadian Pacific Rail­wah Ch wurden verhaftet wegen Verleitung Wehrpflichtiger zur Auswanderung nach Kanada  . Die Zahl der ausgewanderten Wehr­pflichtigen wird auf 200 000 beziffert. Die Tatsache, daß Hundert­tausende sich nicht scheuen, allerlei Schleichwege zu benüßen, um den vaterländischen Boden zu verlassen, ist vor allen Dingen ein vernichtendes Zeugnis für dieses Vaterland, für seine Regierung und für seine herrschenden Klassen.

In den Klassenkampf in Irland   greifen jetzt englische Justiz und irische Pfaffen vereint gegen die Arbeiter ein. Die englische Justiz verurteilte den kühnen Führer der irischen Transport­arbeiter James Larkin   zu sechs Monaten Gefängnis wegen an­geblicher Aufreizung und Landfriedensbruch". Empörender noch ist das Eingreifen der irischen Pfaffen. Englische Gewerkschafter und Sozialisten hatten sich erboten, Kinder streikender irischer Proletarier aufzunehmen und für sie zu sorgen. Das war bei der bitteren Not, die seit Wochen in Tausenden Familien der so tapfer und zähe kämpfenden irischen Arbeiter herrscht, ein Werk prole­tarischer Nächstenliebe. Die christliche Nächstenliebe dagegen äußerte sich darin, daß der Dubliner Erzbischof in einem Hirtenbrief den Müttern verbot, ihre Kinder aus der Hand zu geben, weil- ihr Seelenheil gefährdet werden könne, wenn sie in protestantische oder atheistische Hände kämen. Die Geistlichen Dublins   standen sogar Posten in Bahnhöfen und machten Müttern und Kindern die Hölle heiß. Dieser infame Pfaffenstreich wird dazu beitragen, daz Klassenbewußtsein des irischen Proletariats zu schärfen. Der fatho­lische Klerus Jrlands ist seit Jahrzehnten Führer der nationalen Opposition des irischen Volkes gegen die englische Bedrückung. Er genoß deshalb großes Ansehen bei den Arbeitern. Dieses hat nun einen kräftigen Stoß bekommen.

Der Vorschlag des englischen   Marineministers Churchill an die deutsche Regierung, gemeinsam im Kriegsschiffbau eine Feierzeit von einem Jahre eintreten zu lassen, ist von dieser mit einer lässigen Handbewegung abgelehnt worden. Und das, trotzdem gleichzeitig beide Regierungen über die Abgrenzung der beider­seitigen Ausbeutungsgebiete in Kleinafien und Afrika   verhandeln. Es heißt also nicht: Verständigung" oder Aufrüstung, sondern: Verständigung" und Aufrüstung! a. th.

Gewerkschaftliche Rundschau.

In dieser Zeit, da die Arbeiterschaft unter der Geißel der Krise sich windet und Tausende und aber Tausende deutscher   Proletarier vergebens nach Arbeit und Verdienst suchen, bemüht sich das Unternehmertum noch, billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland heranzuschaffen und dadurch den ein­heimischen Arbeitern die geringe Aussicht auf Beschäftigung und Brot noch weiter einzuschränken. Hilfe bei diesem Geschäft leistet unseren Prozentpatrioten mindestens mittelbar- der Staat. Be­tanntlich besteht eine Feldarbeiterzentrale, die ihrem Namen entsprechend die Aufgabe hatte, dem Arbeitermangel auf dem Lande durch Arbeitsvermittlung abzuhelfen. Vor etwa Jahres­frist hat diese staatlich subventionierte Arbeitsvermittlungsstelle, die ursprünglich lediglich im Dienste der Agrarier stand, ihren Namen in Deutsche Arbeiterzentrale" umgeändert. Mit Recht, denn sie hat die Grenzen ihrer eigentlichen Aufgabe längst über­schritten und vermittelt frisch und munter auch den Industriellen billige ausländische Arbeitskräfte. So berichtet dieses Raußreize: bureau über seine Tätigkeit im Monat September, daß das Bau­gewerbe trotz der geringen Beschäftigung zeitweise nach Arbeit3­träften verlangte, ebenso Tiefbauunternehmungen, Siegeleien und

Nr. 4

Steinbruchbetriebe. Die gewünschte Ware wurde denn auch aus dem Ausland vermittelt. Nur für die Spinnereien konnte die Nachfrage nach holländischen Arbeitern durch das staatlich subven­tionierte Unternehmen nicht immer gededt werden, weil diese wenig Neigung verspüren, nach Deutschland   zu kommen. Man be­denke, daß im Textilgewerbe schon seit Monaten Taufende gänz lich arbeitslos und Hunderttausende nur teilbeschäftigt sind, daß das Baugewerbe in einem Umfang wie noch nie zuvor Scharen Proletarier beschäftigungs- und brotlos auf die Straße wirft. Die systematische Heranziehung ausländischer Lohndrücker für die ein­heimische Industrie erscheint dann in ihrem ganzen vaterländischen Verdienst. Es fehlt nur noch, daß schwarze oder gelbe Kulis als Lohndrücker ihren Einzug in die Industrie halten, wie das neu­lich von den Kohlengruben in Westfalen   gemeldet, später aber dementiert wurde. Gegen einen freiwilligen Buzug fremdländischer Arbeiter wollen wir uns durch keinerlei Schranken schüßen. Jedoch müssen sich die Klassenbewußten Proletarier mit aller Straft da­gegen wehren, daß durch falsche Vorspiegelungen, ja im letzten Grunde zwangsweise ausländische Arbeiter zu dem Zwecke heran­geholt werden, die Löhne zu drücken, und das noch dazu in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit.

Eine Lohnbewegung der Bantbeamten in Berlin   ist als neueste gewerkschaftliche Aktion zu melden. Der Verbanddeut scher Bankbeamten hatte bei den Berliner   Großbanken Forderungen für die Beamten gestellt. Während einige Banten  den Forderungen entsprachen, lehnte die große Deutsche Bank jedes Entgegenkommen und Verhandeln ab. Die Wünsche von 1400 Be­amten sollte ein dreigliedriger Ausschuß der Direktion der Deut­schen Bank überbringen, dessen Obmann um Festsetzung eines Zeitpunktes für den Empfang der Abordnung bat. Die Direktion antwortete gar nicht darauf. Als der Obmann nun zum zweiten­mal anfragte, wurde er kurzerhand entlassen. Diese Maßregelung erregte bei den Bankbeamten große Entrüstung, die sich in einer überaus start besuchten Versammlung Luft machte. Wollen die Herren Bankbeamten ernsthaft ihr Koalitionsrecht wahren und ihre Interessen wirksam vertreten, so werden sie ihre peinliche Absonderung von den freigewerkschaftlich organisierten Arbeitern aufgeben müssen.

Nachdem der Streit der Werftarbeiter schon längere Zeit beendigt ist, sicht es mit der Arbeitsgelegenheit für sie immer noch schlecht aus. Noch sind viele der Ausständigen nicht eingestellt. Die Werftgewaltigen wollen offenbar an den Unterlegenen ihre Rache fühlen, indem sie sie hungern lassen. Von der Unternehmerpresse wird außerdem geflisfentlich die Mär verbreitet, daß in Hamburg  Kiel  , Bremen  , Bremerhaven   und Geestemünde es an Werft arbeitern( Holz- und Metallarbeiter) fehle. Bei der jetzt herrschen den Arbeitslosigkeit läßt sich denn auch mancher Beschäftigungs lose verleiten, nach diesen Orten zu gehen, um dort entweder selbs eine arge Enttäuschung zu erleben oder aber als Konfurrent de noch ausständigen Werftarbeiter aufzutreten. Auf einer Werft in Bremerhaven   fam es zu einem Streit von 250 Nietern, weil die Direktion den wieder in Arbeit Tretenden die Affordüber­schüsse nicht ausbezahlen wollte. Die Arbeiter haben jetzt den Streit aufgegeben und wollen auf dem Klageweg ihr Recht geltend machen. Der Fall zeigt, wie die Unternehmer die Wiedereinstellung ausnutzen, um den Arbeitern möglichst viel Schwierigkeiten zu bereiten. Lohnerhöhungen in der Dresdener Zigarettenindu­strie konnte die organisierte Arbeiterschaft ohne Arbeitsnieder­legung durchsetzen. Die Jasmazi- Aktiengesellschaft wandelte ihre vor einiger Zeit gewährte Teuerungszulage von 5 Prozent in eine zehnprozentige allgemeine Lohnerhöhung um. Andere Firmen erhöhten die Affordlöhne oder die Wochenlöhne der Etikettiererinnen, Bandoliererinnen usw., und zwar um Beträge bis zu 1,50 m. pro Woche. Auch eine Verkürzung der Arbeitszeit trat verschiedentlich ein. Die Mehrzahl der 4380 Personen, die für die Lohnbewegung in Betracht kamen, waren Arbeiterinnen, außerdem waren daran einige Maschinenführer beteiligt, die dem Metallarbeiterverband angehörten. Die Bewegung wurde vom Tabatarbeiterverband geführt. Der wenn auch kleine, jedoch ver­hältnismäßig leicht errungene Erfolg wird die Arbeiterinnen hoffentlich zu noch regerem Wirken im Dienste der Organisation anspornen.

Jm Stettiner Fleischergewerbe ist es zu Konflikten gekommen, die leicht zu einem größeren Kampfe zwischen Gesellen und Meistern führen können. Über eine Firma wurde der Boykott verhängt, weil sie die Forderungen der Gehilfen nicht anerkennen wollte. Diese verlangten eine dreizehnstündige Arbeitszeit, wollten sich aber sogar auf eine 14/ 2stündige, am Sonnabend 15/ 2stündige einlassen. Jetzt wird 16 Stunden im Tag gearbeitet. Wie bei Be­