86 Die Gleichheit Nr. 6 In Charlottenburg betrug die Zahl der 14- bis 18jährigen Mädchen 9006, davon waren 39 Prozent er­werbstätig: 26 Prozent Dienende im Haushalt: 3 Prozent beruflose Selbständige und 41, k Prozent ohne Beruf bei den Eltern. In Neukölln gab es 15 765 14- bis IZjährige Mädchen, davon waren berufstätig 4666, 394 Dienende im Haushalt, und 8765 73 Prozent lebten noch im Elternhaus, Vergleicht man die Zahl der Dienenden im Haus­halt im Alter von 14 bis 18 Jahren, so entfallen auf Ber­ lin   12,4 Prozent: Charlottenburg   26,5 Pro­zent: Neukölln 3, 3 Prozent: Schöneberg   21, 5 Prozent der ortsanwesenden weiblichen Be­völkerung. In der Arbeiterstadt Neukölln ist selbst­verständlich die ZahlderHausange st eilten am ge­ring sten, in der westlichen Vorstadt der reichen Bour­geoisie, in Charlottenburg  , am höchsten. Nach dem B e r i ch t-d e r Gewerbeaufsicht für das Jahr 1912 waren in revisionspflichtigen Betrieben zu Berlin  beschäftigt 11134 weibliche Jugendliche von 14 bis 16 Jahren und 49488 Arbeiterinnen von 16bis21Jahren die Grenze von 18 Jahren ist leider nicht gezogen. Im Vergleich mit dem Jahre 1907, soweit ein solcher möglich ist, hat die Zahl der jugendlichen Arbeiterinnen zweifellos zugenommen. Wir sehen also, daß die weit­aus größere Zahl der erwerbstätigen weiblichen Jugend sich der Industrie zuwendet. Immerhin bleiben diese jungen Mädchen meist im Elternhaus wohnen, wenn sie eines haben, während die Hausangestellten infolge ihrer karg gemessenen Freistunden den Zusammenhang mit den Eltern fast ganz verlieren und entsprechend ihrer Jugend völlig unter den Ein­fluß derHerrschaft" geraten.(Schluß folgt.) Zum Kapitel des Mädchenhandels. Wehe dem Sünder, der in Wort oder Schrift bei der Kritik unserer heiligen Gesellschaftszustände in ehrlicher Entrüstung die vorgeschriebenen Grenzen deutscher Meinungsfreiheit über­schreitet. Polizei und Gerichte haben ihn bald am Kragen. Wie wichtig ist es nicht, den angeblich angetasteten Ehren­schild eines Nachtwächters oder Ministers wieder in vor­schriftsmäßigem Glänze erstrahlen zu lassen. Man braucht nur die Verurteilungen von sozialdemokratischen Redaktenren zu verfolgen, uin sich davon zu überzeugen, daß die bürger­liche Gesellschaft kein schlimmeres Vergehen kennt als die Verletzung der Staatsautorität, die in irgend einem pensions­berechtigtenHüter der Ordnung" verkörpert ist. Ähnlicher Eifer und gleicher Spürsinn bekundet sich bei der Aburteilung von Streikvergehen. Der Staatsanwalt über dir, du Prolet, der du dich gegen Ausbeutung und menschenunwürdige Be­handlung auflehnst, der du dich in der Erregung hinreißen läßt, einen Streikbrecher beim rechten Namen zu nennen! Du hast im Staate der vollendetsten Rechtsgarantien keinen Anspruch auf mildernde Ilmstände. Und wieviel Geld hat der kapitali­stische Staat für Leute überflüssig, die sich auf Befehl von oben in die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der kämpfenden Arbeiterklasse einschleichen. Dunkle Ehren­männer bemühen sich für einen Judaslohn, dem berühmten Fahnder Sherlock Holmes   den Rang abzulaufen. Kurz, der kapitalistische Staat wendet eine Unsumme von Geld, Energie und Spürsinn auf, um einer Bewegung Herr zu werden, die, aus den wirtschaftlichen Verhältnissen geboren, allen Polizei­schikanen und aller Staatsanwaltsweisheit trotzt. Als Sozialdemokraten können wir uns mit einem Lächeln über die verschwendete Liebesmüh hinwegsetzen, auch dann, wenn der eine oder andere aus unseren Reihen manchmal hart mitgenommen wird. Immerhin drängt sich jedoch die Frage auf: Werden Halunken, die aus der geschändeten Menschlichkeit Kapital schlagen, mit dem gleichen Maße be­hördlicher Wachsamkeit bedacht? Wir haben bei dieser Frage eine besondere Kategorie solcher Verbrecher im Auge, nämlich die scheußlichen Gesellen, die dem Mädchenhandel Opfer zu­treiben. August Bebel   konnte in seinem BucheDie Frau und der Sozialismus" schreiben:Deutschland   genießt den traurigen Ruhm, Frauenmarkt für die halbe Welt zu sein." Daran hat sich seither noch nichts geändert. Selbstverständlich wäre es verkehrt, Polizei und Staatsanwaltschaft dafür verantwort­lich zu machen. Die tiefste Ursache der Prostitution und des Mädchenhandels ist das Privateigentum, das arme Frauen zu einer käuflichen Ware macht. Die kapitalistische Ordnung hat in dieser Beziehung Übel auf die Spitze getrieben und riesenhaft emporwuchern lassen, die so alt sind wie die Spal­tung eines Volkes in Besitzende und Besitzlose. Irrig wäre es daher, auch anzunehmen, Polizei und Staatsanwalt ver­möchten den Mädchenhandel in seinen vielfältigen Formen zu unterdrücken. Prostitution und Mädchenhandel bleiben un­vermeidliche Begleiterscheinungen der kapitalistischen   Ord­nung und werden erst mit deren Überwindung durch den Sozialismus verschwinden. Trotzdem könnten die Behörden manches tun, um dem grauenhaften Mädchenhandel entgegen­zuarbeiten und ihn etwas einzudämmen. Dabei könnte sich manch strebsamer Polizeimensch auch einmal um die Mensch­lichkeit verdient machen. Die Herren Staatsanwälte aber brauchten bei der Begründung ihrer Anklagen nicht den ver­zweifelten Kampf gegen Logik und Vernunft zu führen, zu dem sie oft genug gezwungen sind, wenn sie zur Verurteilung käinpfendsr Proletarier gelangen wollen. In dem Nachfolgen­den wollen wir eine Seite des schwarzen Kapitels vom Mäd­chenhandel aufblättern. Sie erweist, daß Meuschenhändler sich bei ihrem Treiben einer größeren Bewegungsfreiheit er­freuen als dieUn, stürzler". Es liegt das im Wesen der büt- gerlichen Ordnung selbst begründet. Wir haben bei unseren Ausführungen eine gewisse Sorte vonStellenver­mittlern" im Auge, die in Wirklichkeit Zutreiber der Pro­stitution, Mädchenhändler sind. Im Inseratenteil sehr vieler Provinzblättcr finden wir folgende Annonce, die von Zeit zu Zeit wiederkehrt:Kas­siererinnen und Büfettdamen für Berlin   verlangt". In der Regel sollen die Bewerbungsschreiben unter irgend einer Chiffre postlagernd eingeschickt werden, vereinzelt ist wohl auch die Anzeige mit dem Namen desVermittlers" unter­zeichnet. Wie harmlos lesen sich die paar Zeilen, und doch wie manchem jungen Mädchen sind sie schon zum furchtbarsten Verhängnis geworden. Viele junge Menschenkinder und es sind wirklich nicht die schlechtesten empfinden den Drang, sich in der Welt umzusehen, einmal herauszukommen aus den gewohnten engen Verhältnissen des Dorfes oder der Klein­stadt, andere Menschen, andere Zustände kennen zu lernen. Da ist das junge Mädchen, das dank vieler Entbehrungen der Arbeitereltern den kaufmännischen Beruf erlernt hat und selbst auf vielerlei verzichten muß. Es liest die Annonce, und der Gedanke wird lebendig, sich zu verändern, sich in der Hauptstadt beruflich weiter auszubilden. Wachsende Ansprüche stellt die Erwerbsarbeit im harten Daseinskampf, und dann hat das frische, lebensfreudige Ding so viel von den Reizen der Großstadt gelesen. Wer das alles sehen, miterleben könnte! Rasch ist die Bewerbung um den Posten der Kassiererin ge- schrieben. Fast alle Bewerberinnen erhalten den Bescheid, daß sie die Stelle antreten können und zu einem bestimmten Ter­min erwartet werden, über die Bezahlung schweigt sich das Schreiben aus, oder es heißt, daß sie sich nach den Leistungen richten werde. Das junge Madchen geht auf Grund der Vereinbarungen ein Engagement ein und fährt nach Berlin  . Hier ist es zu­nächst erstaunt, einen Vermittler in dem Bureau vorzufinden, wo es die neue Arbeitsstelle vermutet hatte. Die fraglichen HerrenAgenten" sind natürlich so gerissen, in ihrer Kor­respondenz alles wegzulassen, was darauf hinweisen könnte, daß das Mädchen es nicht mit dem Leiter eines Geschäftes zu tun hat, sondern mit einemStellenvetmittler". Ter Herr