90 Die Gleichheit Nr.k bewilligten Milliarden sollten für lange Jahre ausreichen, den Bedarf des Militarismus zu decken. Doch siehe, sie erweisen sich jetzt schon als ungenügend I Der sogenannte Wehrbeitrag war ausschließlich zur Bestreitung einmaliger Rüstungsaus­gaben vorgesehen. Und nun zeigt der Etat, daß die laufenden Militärausgaben für 1S14 nicht gedeckt werden können, wenn nicht 124 Millionen Mark vom Wehrbeitrag dazu verwendet werden I Der kaum aufgestellte Finanzplan der Aufrüstung ist also schon bei seiner ersten Probe über den Haufen geworfen. Er war reines Blendwerk bereits bei seiner Geburt, und als ebensolches Blend­werk erweist sich unter diesen Umständen die Kontrolle des Reichs­tags über die Finanzen. Zusammen mit dem neuen Spionagegesetz stellte sich auch der neue Kriegsmini st er vor, bezeichnenderweise alsKriegZ- minister des Königs von Preußen". DasProgramm" des Herrn v. Falkcnhayn unterscheidet sich in keiner Weise von dem seiner Borgänger. Der Kriegsminister kündete sich als der einge­fleischte preußische Militär an. Er wird zugänglich für diemo­dernsten" Anregungen sein, um den Militarismus technisch auf der Höhe zu halten. Er wird ebenso selbstverständlich ein abge­sagter Gegner aller der Bestrebungen bleiben, die das Heer aus einer willenlosen Maschine in der Hand der herrschenden Klassen zu einem Volksheer machen wollen. Das neue Spionagegcsctz be­schäftigte als angeblich dringlichstes Erfordernis den Reichstag zuerst. Es verlangt schwere Zuchthaus- oder Gefängnisgrafen für diejenigen, die vorsätzlich oder fahrlässigmilitärische Geheim­nisse" veröffentlichen oder verbreiten. Was alsmilitärisches Ge­heimnis" zu betrachten ist, sollen die militärischen Behörden bestimmen. Es ist klar, daß ein solches Gesetz die Presse völlig in die Hand der Militärbehörden geben und jede ernsthafte Kritik des Militarismus knebeln würde. Außer den Konservativen fanden sich nicht einmal die bürgerlichen Parteien bereit, diese Ausgeburt militärischer Selbstherrlichkeit unbesehen hinzunehmen. Die empörende Schmach der Säbelherrschaft in Deutsch­ land   kam kürzlich unverfälscht in den Skandalszenen zum Aus­druck, deren Schauplatz das elsässische Vogesenstädtchcn Zabern  war. Jener Leutnant, der 111 Mk. ausbot für jedenWackes", den seine Soldaten erlegen würden, stolziert immer noch frank und frei in dem Orte umher, begleitet von einer Schutzwache mit auf­gepflanztem Bajonett. Das Entlassungsgesuch deS Obersten des Zaberner Regiments wurde auf Fürsprache des kommandierenden Generals von Elsaß-Lothringen   vom Kaiser nicht genehmigt. Da­für wurden eine Anzahl elsässischer Rekruten und ein Feldwebel verhaftet, weil sie im Verdacht stehen, den ihnen angetanen Schimpf in die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Diese Missetäter»werden vor Gericht gestellt. Im Reichstag hatte der neue Kriegsminister für den mutigen Leutnant väterliche Milde übrig, dagegen schüttete er die volle Schale seines Zornes und seiner Entrüstung über die beschimpften elsässischen Soldaten aus und über die Öffentlichkeit, die sich herausgenommen hatte, der Katze die Schelle anzuhängen. So steiften die höchsten Spitzen die Zaberner Soldateska gegen daS Zivilistenpack. Am selben Tage aber kam es in Zabern   zu Szenen, die an Brutalität und Ungesetzlichkeit das bisherige Auftreten der Herren Militärs weit hinter sich ließen. Das dreiste Auftrumpfen dieser vorgezogenen Kaste hatte bewirkt, daß sich 20 bis 30 Per­sonen auf dem Schloßplatz ansammelten. Daraufhin ließ Oberst v. Reutter Militär aufmarschieren und scharf laden. Nun ertönte das Kommando:Gegen sämtliche Personen, die nicht sofort von der Straße weggehen, wird von der Waffe Gebrauch gemacht." Nach einem erneuten Trommelwirbel rückte das Militär gegen die Bürger vor. Was sich nicht m die Häuser oder in die Geschäfte retten konnte, wurde verhaftet, zum Teil unter Anwendung von roher Gewalt. Das Tollste geschah, als die Sitzung des Landgerichts zu Ende ging. Ein Staatsanwalt trat auf einen Offizier zu und sagte zu ihm:Das ist ungesetzlich, was Sie tun!" Sofort ertönte das Kommando:Verhaften Sie diesen Mann." Die ohne jeden Grund verhafteten friedlichen Bürger wurden die Nacht über in den Kellern der Kaserne festgehalten und erst andern Tags dem Zivilrichter vorgeführt, der sie sofort entließ. Die Zivilverwaltung Elsaß  -Lothringens  , die als nichtbeachtens­werte Bürgerkanaille behandelt worden ist, schnaubt natürlich Rache. Der Zaberner Gemeinderat hat sofort dem kaiser­lichen Statthalter, dem Reichskanzler und dem Präsidium deS Reichstags einen Protest übermitteltgegen das fortgesetzte, jeder Rechtsordnung hohnsprechende provokatorische Vorgehen deS Obersten v. Reutter". Weit kräftiger« Töne wurden in der Volksversammlung latzt, die die Sozialdemokratie in die neue Markthalle zu Mülhausen   einberufen hatte. Sie war von vielen Tausenden besucht. Die Genossen E m m e l und W i ck h sprachen als Sozialdemokraten, als ganze Männer über das Säbel­regiment. Zusammen mit den Vorgängen in Zabern   stellten sie das System des Militarismus an den Pranger. Ihre Ausführungen fanden bei den Versammelten ein kräftiges und freudiges Echo. Diese sprachen in einer Resolution aus,daß sie entschlossen sind, sich gegen die Militärdiktatur in Elsaß-Lothringen  , wenn ihr nicht bald ein Ziel gesetzt wird, mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen, erforderlichenfalls auch durch Anwendung der allgemeinen Arbeitseinstellung". Der Kaiser hat eingehenden Bericht von den Militär- sowie von den Zivilbehörden eingefordert. Der Zufall fügt es, daß er eben von Süddeutschland  aus das Regieren besorgt. Wilhelm II.   weilt als Gast bei seinem Freunde, dem Fürsten Egon von Fürstenberg, einem der größten kapitalistischen   Geschäftemacher unserer Zeit. Der Kaiser hat e» also nahe, sich aus erster Hand zu unterrichten. Die Situation zwingt nun die Herrschenden wenigstens zur Grimasse des Auf­muckens gegen diellbergriffe" des Militarismus. Am 1. Dezember stand die Interpellation der Elsässer   über die Zaberner Ereignisse, an der Spitze der Tagesordnung. Der Reichskanzler war in eigener langer Person erschienen, um zu erklären, daß er die Interpellation sofort beantworten werde, nachdem die eingeleitete Untersuchung abgeschlossen sei, vielleicht schon am Z.Dezember. Möglich, daß einige Offiziere der Zaberncr Garnison   den Zylinder aufsetzen müssen I Aber das System des Militarismus wird bleiben. Nur noch mit dem Säbel können die ausbeutenden Klassen Deutschlands  regieren, und daraus folgt mit eherner Logik, daß der Säbel sie selbst regiert. Die Soldateska glaubt sich berechtigt, das Bürgertum mit Füßen zu treten, wenn dessen höchste Blüte, wenn ein leib­haftiger Universitätsrektor von Marburg   aus den Zaberner Vorfällen den Schluß zieht, daß die Vcrsöhnungs» Politik gescheitert sei, wenn er seinen Studenten ankündigt, daß früher oder später mit demErzfeind" abgerechnet werden müsse. Der Klassenkampf in Irland   erweist sich als mächtige Schule, in der das gesamte britische Proletariat zum Klassenbewußtsein erzogen wird. Das offenbart sich ebenso politisch wie gewerkschaft­lich. Die Verhaftung des irischen Arbeiterführers L a r k i n beant­worteten die englischen Arbeiter politisch, indem sie bei den Ge­meindewahlen und den Ersatzwahlen zum Parla­ment den bürgerlichen Parteien Niederlage auf Niederlage bei­brachten. Auf den S.Dezember ist in London   ein außer­ordentlicher Gewerkschaftskongreß einberufen, um über die Anwendung des Generalstreiks zugunsten der irischen Ar­beiter zu beraten. Die irischen Arbeiter selbst halten heldenhaft im Kampf aus. Die Arbeitermassen Englands drängen ungestüm vor­wärts. Auch in Rußland   treten die Proletarier wieder wuchtig auf. Die Regierung hatte durch Senatsukas schlankweg den Streik in Unternehmen vonallgemeiner gesellschaftlicher Bedeutung" als strafbar verboten. Am 19. November schleppte sie mehrere Arbeiter der Obuchow-Werke und der Fabrik von Polte zu Petersburg  wegen ungesetzlichen Streikens vor Gericht. Zum Protest dagegen verließen an diesem Tage ungefähr 100 000 Petersburger Prole­tarier Männer und Frauen die Arbeit, hielten zahlreich« Versammlungen ab und kündigten damit der Regierung an, daß, sie fest entschlossen sind, Kapitalismus   und Zarismus zu bekämpfen. Sie verlangten unbeschränkte Freiheit der Vereine, der Versamm­lungen, der Koalitionen. In Warschau   streikten über 20000 Arbeiter und Arbeiterinnen, um die Regierung zu hindern, das Recht der Lohnsklaven in der Krankenversicherung  , ja das von ihr gegebene Krankenkassengesetz selbst zu eskamotieren. Gleichzeitig grollt es in der russischen Bourgeoisie. Ihr hat der industrielle Auf­schwung der letzten Jahre ihre völlige politische Ohnmacht schnei­dend zum Bewußtsein gebracht. Albanien   soll im Prinzen Wilhelm zu Wied   einen neuen König  " bekommen. Die deutschen   Fürstengeschlechter decken den Bedarf an Regenten von Gottes Gnaden im Ausland. Der Zar Ferdinand von Bulgarien   wagt einstweilen noch nicht, zu seinen getreuen Untertanen zurückzukehren. Als unmittelbarer Ur­heber des zweiten Balkankriegs hat er zuviel auf dem Kerbholz, dazu wird er von Väterchens Negierung mit allen Mitteln der ge­riebenen russischen Diplomatie bekämpft. Uber der Herrschaft Englands in Indien   brauen sich schwere Gewitter zusammen. In der südafrikanischen Kolonie Natal   sind 130 000 Jndier in Zuckerplantagen, in Fabriken und Bergwerken als Arbeiter und Angestellte tätig. Sie werden dort als höriges Arbeitsvieh mißhandelt. Eine Kopfsteuer von 00 Mk. soll sie hin­dern, nach Ablauf der Arbeitskontrakte als freie Arbeiter im Land zu bleiben. Die Inder veranstalteten einen wohlorganisierten wuchtigen Streik, dem sich auch die indischen Angestellten der Eisen-