176

Die Gleichheit

Wir brauchten uns also eigentlich mit ihrem Artikel nicht weiter zu befassen, denn er bringt nichts Neues. Er wird jedoch inter­essant durch eine Fußnote der Redaktion. Die Redakteurin hat laut Beschluß der Eisenacher Generalversammlung die Meinung der Mitglieder zu vertreten, die durch den Vorstand repräsentiert werden. Als die Meinung des Frauenstimmrechtsverbandes müssen also ihre Auslassungen aufgefaßt werden. In der Fuß­note heißt es nun:

.... Es sei jedoch ausdrücklich festgestellt, daß er( der Artikel) nicht die Einleitung zu neuer Polemik über die in Eisenach  gefallene Entscheidung bilden darf. Er ist vielmehr ein Schlußwort zu all den vorausgegangenen Auseinander­sehungen und erscheint, damit auch der Reformpartei die Gelegenheit, sich zu äußern, billigerweise nicht vorenthalten werde."

"

Sonst nichts. Kein Hinweis auf die etwa entgegengesetzte Auf­fassung des Vorstandes in der erörterten Frage, nichts als dieses Verbot, eine Debatte fortzusehen, die überhaupt kaum begonnen hatte. Dem Vorstand des Deutschen Verbandes liegt also offen­bar nichts daran, noch einmal mit aller Deutlichkeit darauf hin­zuweisen, daß die Mehrheit des Verbandes angeblich auf dem entgegengesetzten Standpunkt wie Frau Nägeli steht und nicht von ihm abweichen will. Der Vorstand überläßt das Schlußwort der Reformerin", also einer Vertreterin der Gruppe, die er zu bekämpfen erklärt! Hat man je gehört, daß eine Organisation sich so ihrer Rechte begibt und es zuläßt, daß die Mitglieder in einem Sinne bearbeitet werden, der den Satzungen der Organisation direkt zuwiderläuft? Deutlicher kann kaum zugegeben werden, daß die Wahlrechtsfrage für den Deutschen Verband für Frauen­stimmrecht im Grunde genommen höchst gleichgültig ist. Mag doch jeder darüber denken wie er will, wenn nur nichts die Ruhe der Organisation und die Vorbereitungen zum Internationalen Frauenstimmrechtskongreß stört. Wir können über den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht zur Tagesordnung übergehen. Er ist endgültig aus der Reihe der Verbände zu streichen, die nicht Vorrechte für einzelne Frauen, sondern gleiches Recht für alle fordern. Inzwischen haben sich die aus dem Deutschen   Verband ausge= tretenen Vereine zu einem Deutschen Frauenstim m= rechtsbund" zusammengeschlossen. Es bestehen nun also vier Verbände: der Deutsche   Verband für Frauenstimmrecht, die no ch gemäßigtere Deutsche Vereinigung für Frauenstimmrecht, der bereits vor einem Jahre vom Deutschen   Verband abgesplitterte Reichsverein für Frauenstimmrecht und der neu gegründete Deutsche   Frauenstimmrechtsbund. Es ist anzunehmen, daß die beiden letztgenannten Organisationen sich einmal zusammen­schließen werden, da sie ungefähr die gleichen Grundforderungen haben. Wenn dann konsequenterweise nach einiger Zeit auch Deutscher Verband und Deutsche   Vereinigung sich verschmelzen, so wäre eine reinliche Scheidung der bürgerlichen Frauenstimm­rechtsbewegung in radikale und reaktionäre Verbände durchge= führt. Diese Trennung muß kommen, die ganze Entwicklung drängt dahin, wenn auch heute noch das Kennzeichen eines Teiles der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung Verschwommenheit und Verwischung der Unterschiede ist.

Der Deutsche   Frauenstimmrechtsbund ist insofern eine neue Erscheinung, als er auf jeden Vorstand verzichtet. Ganz lose sollen die Ortsvereine verbunden sein, die natürlich ihrerseits Vorstände besitzen; die Geschäftsführung ist einer Schriftführerin übertragen, die die Fühlung zwischen den einzelnen Vereinen aufrechterhalten soll. Zurzeit ist Fräulein Emilie Steiner in Hamburg   Schriftführerin. Anregungen zur Arbeit und dergleichen können von jeder Gruppe und von jedem Einzelmitglied aus­gehen, die anderen äußern sich dazu, und die Ausführung liegt in der Hand derjenigen, von der die Anregung ausging. Bi'ndend für die Mitglieder und Ortsgruppen ist die Bestimmung, daß die cinzige Aufgabe die Erlangung des allgemeinen, gleichen, ge­heimen und direkten aktiven sowie des passiven Wahlrechts für die Frauen ist. Jede Vereinigung, die gegen diesen Grundsatz agitiert oder in deren Mitgliederkreis solche Agitation besteht, ber­liert die Mitgliedschaft. Auch dieser Verband kann sich also nicht bon engen nurfrauenrechtlerischen Anschauungen freimachen. Rechte werden nur für alle Frauen gefordert, die Männer existieren nicht, immerhin ist wenigstens die Forderung der Gleichberechtigung aller Frauen deutlich ausgesprochen. Wie sich der Deutsche   Frauenstimmrechtsbund entwickeln wird, muß abgewartet werden. Vorläufig haben sich ihm angeschlossen: der Hamburg  - Altonaer   Verein, die bayerischen Ortsgruppen und ein neu gegründeter Bremer   Frauenstimmrechtsbund. Verstände es * Die Unterstreichungen finden sich im Original.

Nr. 11

die neue Organisation, die wirklich radikal denkenden Frauen zu sammeln, die aus äußeren oder inneren Gründen nicht zur So­zialdemokratie kommen können, verstände er es, mit ihnen einen ehrlichen und tatkräftigen Kampf für das Frauenwahlrecht zu führen, so wäre das zu begrüßen. Selbst wenn er zunächst auf heftigen Widerstand bei den bürgerlichen Frauen stoßen sollte, würde er die Sache des demokratischen Frauenwahlrechts fördern. Ein kleiner Kreis von Anhängerinnen, die sich nicht scheuen, sich überall zu ihren Forderungen zu bekennen, ist besser als eine große Organisation, die nicht zum Handeln kommt, weil sie von der Angst gelähmt wird, nach irgend einer Seite hin anzustoßen. Tony Breitscheid  .

Die Frau in öffentlichen Aemtern.

Für die kommunale Mitarbeit der Frau in Darmstadt   ist das Tor beträchtlich weiter aufgemacht worden. Die Stadtverord= neten wählten 22 Frauen in kommunale Deputationen und Aus­schüsse sowie in Vorstände verwaltender Körperschaften. Die mei­sten Frauen sind vollberechtigte Mitglieder der Korpora­tionen, nur in wenigen Fällen steht den Gewählten lediglich be­ratende Stimme zu.

Eine Wohnungspflegerin in Magdeburg   ist von der Stadt angestellt worden. Ihr steht ein reiches Tätigkeitsfeld offen. Das rasche Wachstum der Stadt hat in Verbindung mit der Ausbeu­tung des arbeitenden Volkes ganz traurige Wohnungsverhältnisse für die vielen Tausende geschaffen, die für ihren Unterhalt nicht in einen großen, von fremder Arbeit gefüllten Geldbeutel greifen können.

Eine Säuglingspflegerin und eine Schulpflegerin der Stadt Weimar   sind angestellt worden. Welche Aufgaben den beiden zu­gewiesen sind und welche Befugnisse ihnen zustehen, darüber liegen uns zurzeit keine Nachrichten vor. Die neuen Ämter können von großem Nußen für die Mütter und Kinder des arbeitenden Volkes werden. Das Maß ihrer Vorteile hängt aber ganz erheblich davon ab, wie der Kreis der Pflichten und Rechte für die Pflegerinnen abgesteckt wird.

Eine Vorsteherin des Jugendamtes und amtliche Jugend­pflegerinnen der Stadt Bremen   sind fürzlich angestellt worden. In allen Teilen Deutschlands   macht die Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern Fortschritte. Ein Wint für unsere Genos­sinnen, sich eingehend um die einschlägigen Tätigkeitsgebiete zu fümmern. Sie müssen. Sie müssen sich die nötigen Kenntnisse an­eignen, um die hier geleistete Arbeit gewissenhaft verfolgen, beur­teilen und selbst leisten zu können.

Weibliche Professoren an russischen Universitäten. Zum ersten Male sind an einer russischen Universität Frauen zugelassen worden, die die Würde der Professur erlangen wollen. Die Uni­versität Moskau hat Fräulein Lorch und Fräulein Petrow die Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit als Professoren gestattet. Die Damen haben ihre ersten Examina glänzend bestanden.

3u dem am 8. März stattfindenden diesjährigen Frauen­tag erscheint wie im verflossenen Jahre ein Agitations: blatt für das

Frauenwahlrecht­

Herausgegeben von Klara Zetkin  .

16 Seiten im Format der Gleichheit. Das Blatt wird einen reichen Inhalt und eine Reihe guter 3llustrationen bringen. Es soll der Agitation unter den brei­testen Massen dienen.

Preis der Einzelnummer für den Wiederverkauf 10 Pfennig. Die Organisationen erhalten das Blatt zu den für die Gleich­heit üblichen Bedingungen.

Bestellungen sind sofort an die Expedition der Gleichheit, Stuttgart  , Furtbachstraße 12, einzusenden.

Genossinnen! Sorgt für die Massenverbreitung eures Wahlrechtsblattes!

Berantwortlich) jur die Redattion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Diep Nachf. 6.m.b.5. in Stuttgart  .