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Die Gleichheit
Wir brauchten uns also eigentlich mit ihrem Artikel nicht weiter zu befassen, denn er bringt nichts Neues. Er wird jedoch interessant durch eine Fußnote der Redaktion. Die Redakteurin hat laut Beschluß der Eisenacher Generalversammlung die Meinung der Mitglieder zu vertreten, die durch den Vorstand repräsentiert werden. Als die Meinung des Frauenstimmrechtsverbandes müssen also ihre Auslassungen aufgefaßt werden. In der Fußnote heißt es nun:
.... Es sei jedoch ausdrücklich festgestellt, daß er( der Artikel) nicht die Einleitung zu neuer Polemik über die in Eisenach gefallene Entscheidung bilden darf. Er ist vielmehr ein Schlußwort zu all den vorausgegangenen Auseinandersehungen und erscheint, damit auch der Reformpartei die Gelegenheit, sich zu äußern, billigerweise nicht vorenthalten werde."
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Sonst nichts. Kein Hinweis auf die etwa entgegengesetzte Auffassung des Vorstandes in der erörterten Frage, nichts als dieses Verbot, eine Debatte fortzusehen, die überhaupt kaum begonnen hatte. Dem Vorstand des Deutschen Verbandes liegt also offenbar nichts daran, noch einmal mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, daß die Mehrheit des Verbandes angeblich auf dem entgegengesetzten Standpunkt wie Frau Nägeli steht und nicht von ihm abweichen will. Der Vorstand überläßt das Schlußwort der Reformerin", also einer Vertreterin der Gruppe, die er zu bekämpfen erklärt! Hat man je gehört, daß eine Organisation sich so ihrer Rechte begibt und es zuläßt, daß die Mitglieder in einem Sinne bearbeitet werden, der den Satzungen der Organisation direkt zuwiderläuft? Deutlicher kann kaum zugegeben werden, daß die Wahlrechtsfrage für den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht im Grunde genommen höchst gleichgültig ist. Mag doch jeder darüber denken wie er will, wenn nur nichts die Ruhe der Organisation und die Vorbereitungen zum Internationalen Frauenstimmrechtskongreß stört. Wir können über den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht zur Tagesordnung übergehen. Er ist endgültig aus der Reihe der Verbände zu streichen, die nicht Vorrechte für einzelne Frauen, sondern gleiches Recht für alle fordern. Inzwischen haben sich die aus dem Deutschen Verband ausge= tretenen Vereine zu einem„ Deutschen Frauenstim m= rechtsbund" zusammengeschlossen. Es bestehen nun also vier Verbände: der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht, die no ch gemäßigtere Deutsche Vereinigung für Frauenstimmrecht, der bereits vor einem Jahre vom Deutschen Verband abgesplitterte Reichsverein für Frauenstimmrecht und der neu gegründete Deutsche Frauenstimmrechtsbund. Es ist anzunehmen, daß die beiden letztgenannten Organisationen sich einmal zusammenschließen werden, da sie ungefähr die gleichen Grundforderungen haben. Wenn dann konsequenterweise nach einiger Zeit auch Deutscher Verband und Deutsche Vereinigung sich verschmelzen, so wäre eine reinliche Scheidung der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung in radikale und reaktionäre Verbände durchge= führt. Diese Trennung muß kommen, die ganze Entwicklung drängt dahin, wenn auch heute noch das Kennzeichen eines Teiles der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung Verschwommenheit und Verwischung der Unterschiede ist.
Der Deutsche Frauenstimmrechtsbund ist insofern eine neue Erscheinung, als er auf jeden Vorstand verzichtet. Ganz lose sollen die Ortsvereine verbunden sein, die natürlich ihrerseits Vorstände besitzen; die Geschäftsführung ist einer Schriftführerin übertragen, die die Fühlung zwischen den einzelnen Vereinen aufrechterhalten soll. Zurzeit ist Fräulein Emilie Steiner in Hamburg Schriftführerin. Anregungen zur Arbeit und dergleichen können von jeder Gruppe und von jedem Einzelmitglied ausgehen, die anderen äußern sich dazu, und die Ausführung liegt in der Hand derjenigen, von der die Anregung ausging. Bi'ndend für die Mitglieder und Ortsgruppen ist die Bestimmung, daß die cinzige Aufgabe die Erlangung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten aktiven sowie des passiven Wahlrechts für die Frauen ist. Jede Vereinigung, die gegen diesen Grundsatz agitiert oder in deren Mitgliederkreis solche Agitation besteht, berliert die Mitgliedschaft. Auch dieser Verband kann sich also nicht bon engen nurfrauenrechtlerischen Anschauungen freimachen. Rechte werden nur für alle Frauen gefordert, die Männer existieren nicht, immerhin ist wenigstens die Forderung der Gleichberechtigung aller Frauen deutlich ausgesprochen. Wie sich der Deutsche Frauenstimmrechtsbund entwickeln wird, muß abgewartet werden. Vorläufig haben sich ihm angeschlossen: der Hamburg - Altonaer Verein, die bayerischen Ortsgruppen und ein neu gegründeter Bremer Frauenstimmrechtsbund. Verstände es * Die Unterstreichungen finden sich im Original.
Nr. 11
die neue Organisation, die wirklich radikal denkenden Frauen zu sammeln, die aus äußeren oder inneren Gründen nicht zur Sozialdemokratie kommen können, verstände er es, mit ihnen einen ehrlichen und tatkräftigen Kampf für das Frauenwahlrecht zu führen, so wäre das zu begrüßen. Selbst wenn er zunächst auf heftigen Widerstand bei den bürgerlichen Frauen stoßen sollte, würde er die Sache des demokratischen Frauenwahlrechts fördern. Ein kleiner Kreis von Anhängerinnen, die sich nicht scheuen, sich überall zu ihren Forderungen zu bekennen, ist besser als eine große Organisation, die nicht zum Handeln kommt, weil sie von der Angst gelähmt wird, nach irgend einer Seite hin anzustoßen. Tony Breitscheid .
Die Frau in öffentlichen Aemtern.
Für die kommunale Mitarbeit der Frau in Darmstadt ist das Tor beträchtlich weiter aufgemacht worden. Die Stadtverord= neten wählten 22 Frauen in kommunale Deputationen und Ausschüsse sowie in Vorstände verwaltender Körperschaften. Die meisten Frauen sind vollberechtigte Mitglieder der Korporationen, nur in wenigen Fällen steht den Gewählten lediglich beratende Stimme zu.
Eine Wohnungspflegerin in Magdeburg ist von der Stadt angestellt worden. Ihr steht ein reiches Tätigkeitsfeld offen. Das rasche Wachstum der Stadt hat in Verbindung mit der Ausbeutung des arbeitenden Volkes ganz traurige Wohnungsverhältnisse für die vielen Tausende geschaffen, die für ihren Unterhalt nicht in einen großen, von fremder Arbeit gefüllten Geldbeutel greifen können.
Eine Säuglingspflegerin und eine Schulpflegerin der Stadt Weimar sind angestellt worden. Welche Aufgaben den beiden zugewiesen sind und welche Befugnisse ihnen zustehen, darüber liegen uns zurzeit keine Nachrichten vor. Die neuen Ämter können von großem Nußen für die Mütter und Kinder des arbeitenden Volkes werden. Das Maß ihrer Vorteile hängt aber ganz erheblich davon ab, wie der Kreis der Pflichten und Rechte für die Pflegerinnen abgesteckt wird.
Eine Vorsteherin des Jugendamtes und amtliche Jugendpflegerinnen der Stadt Bremen sind fürzlich angestellt worden. In allen Teilen Deutschlands macht die Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern Fortschritte. Ein Wint für unsere Genossinnen, sich eingehend um die einschlägigen Tätigkeitsgebiete zu fümmern. Sie müssen. Sie müssen sich die nötigen Kenntnisse aneignen, um die hier geleistete Arbeit gewissenhaft verfolgen, beurteilen und selbst leisten zu können.
Weibliche Professoren an russischen Universitäten. Zum ersten Male sind an einer russischen Universität Frauen zugelassen worden, die die Würde der Professur erlangen wollen. Die Universität Moskau hat Fräulein Lorch und Fräulein Petrow die Vorbereitung auf die Lehrtätigkeit als Professoren gestattet. Die Damen haben ihre ersten Examina glänzend bestanden.
3u dem am 8. März stattfindenden diesjährigen Frauentag erscheint wie im verflossenen Jahre ein Agitations: blatt für das
Frauenwahlrecht
Herausgegeben von Klara Zetkin .
16 Seiten im Format der Gleichheit. Das Blatt wird einen reichen Inhalt und eine Reihe guter 3llustrationen bringen. Es soll der Agitation unter den breitesten Massen dienen.
Preis der Einzelnummer für den Wiederverkauf 10 Pfennig. Die Organisationen erhalten das Blatt zu den für die Gleichheit üblichen Bedingungen.
Bestellungen sind sofort an die Expedition der Gleichheit, Stuttgart , Furtbachstraße 12, einzusenden.
Genossinnen! Sorgt für die Massenverbreitung eures Wahlrechtsblattes!