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Die Gleichheit

mit der gleichen Begeisterung eine Milliarde und mehr auf den Altar des Vaterlandes niederlegen, damit die Kraft des arbeitenden Volkes erhalten bleibt, die Opfer des Krieges und seine Folgen zu tragen. Wäre dem anders, so würde das wirk­lich eine Verlegung des feierlich beschworenen Burgfriedens" mit der Arbeiterklasse sein, der von den Behörden so gewissen haft gehütet wird. Nach all den wundervollen Worten von dem einigen Volk von Brüdern darf es in Not und Gefahr nicht von der Vaterlandsliebe der Minderheit heißen: Gewogen und zu leicht befunden. An den Genofsinnen, an den Frauen des werktätigen Volkes ist es, mit dafür zu sorgen, daß den Besitzenden diese Probe aufs Erempel nicht erspart bleibt.

Das Ergebnis der Stillunterstützungen in Deutschland  .

In der Säuglings- und Mutterfürsorge der Kommunen und privaten Wohltätigkeitsvereinen wurde in den letzten Jahren den Stillunterstützungen eine große Bedeutung bei­gemeffen. Die Stillprämien bildeten sogar in den meisten Gemeinden das einzige oder doch das wesentlichste, was zur Säuglings- und Mutterfürsorge getan wurde. Allerdings war es wenig einleuchtend, daß die meist sehr geringen Unter­stüßungen zahlreiche arme Mütter veranlassen könnten, ihre Kinder selbst zu stillen. Solche Beihilfen betragen zum Bei­spiel in der Großstadt Aachen nur 70 Pf. pro Woche und gehen in der Regel nicht über 5 bis 6 Mr. im Monat hinaus. Vor allem mußte es da von vornherein als ausgeschlossen gelten, daß die auf Lohnarbeit angewiesenen Mütter ihre berufliche Tätigkeit längere Zeit einstellen könnten, sofern sie eine Unterstützung von 3 bis 6 Mt. im Monat oder Lebensmittel in diesem Werte erhalten. Dennoch las man von den großen Erfolgen, die in den einzelnen Städten durch die Stillprämien erzielt worden seien. Die Säuglingssterblichkeit ist zweifel­los fortgesezt zurückgegangen, und die Zahl der Mütter, die ihre Kinder stillen, hat sich in den letzten Jahren vermehrt. Aber bereits auf dem Kongreß für Säuglingsfür­sorge in Darmstadt   im Jahre 1912 haben sich Stim­men erhoben, die vor einer überschäßung der Stillprämien warnten und auf die mit solcher überschätzung verbundenen Gefahren hinwiesen. Nun liegt das Ergebnis einer Erhebung über Umfang, Bedeutung und Ergebnisse der Unterstützungen an stillende Mütter vor. Das Organisationsamt für Säug­lingsschutz im Kaiserin Auguste- Viktoria- Hause zur Bekämp­fung der Säuglingssterblichkeit im Deutschen   Reiche hat diese wertvolle Untersuchung im Jahre 1912 unternommen.* Aus ihr ist zu ersehen, daß die Stillprämien nicht im entferntesten die Bedeutung haben, die ihnen bisher vielfach beigemessen worden ist. Gewiß haben die Stillprämien eine wohltätige Wirkung erzielt, sie ist aber ganz anderer Art, als man er­wartet hatte, und erweist vor allem, wie dringend notwendig. neue und große Maßnahmen zur Mutterschafts- und Säug­lingsfürsorge sind.

Nach der obengenannten Erhebung bestehen zurzeit in 296 Gemeinden Deutschlands   Einrichtungen zur Unterstüßung von stillenden Müttern. In Preußen kommt die Rheinproving mit 42 Gemeinden an erster Stelle; dann folgen die Pro­vinzen Sachsen  , Brandenburg  , Westfalen   mit je 19 bezw. 18 Gemeinden. Von den Bundesstaaten weisen die Königreiche Sachsen   und Bayern   die meisten Gemeinden mit Stillunter­stübungen auf, nämlich 47 bezw. 41. In Mecklenburg- Schwerin  , Mecklenburg- Strelit, Lippe- Detmold, Schaumburg- Lippe  , Schwarzburg- Rudolstadt   und Waldeck   und Pyrmont   wurden dagegen Stillprämien nicht gewährt.

Es sind also verhältnismäßig nur sehr wenige Kommunen größere Städte und Industrieerte-, die überhaupt Still­prämien eingeführt haben. Die Unterstützungen sind oben­* Veröffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung. Herausgegeben von der Medizinalabteilung des( preußischen) Mi­nisteriums. III. Band, 14. Heft. Berlin  , Richard Schrez.

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drein in der Regel sehr gering. In 161 Gemeinden werden Stillprämien in Geld gewährt, in 92 davon lediglich in Geld, während in 69 dazu noch in besonderen Fällen oder auch regel­mäßig eine Beihilfe in Naturalien tritt. In den Orten, wo die Stillprämie ausschließlich in Geld besteht, gewähren 28 eine einmalige Unterstützung für eine Stilldauer von einer Woche bis einem Jahre. Gnesen   z. B. zahlt eine einmalige Prämie von 10 Mr., wenn die Mutter ihr Kind ein ganzes Jahr stillt; Spremberg   gibt den gleichen Betrag für 7 bis 8 Monate; Homburg   v. d. H. gewährt 30 Mr. für 3 Monate; Greifs­ wald   3 Mr. für 8 Monate; Glauchau   25 bis 30 Mt. für mindestens 3 Monate; Böblingen   7 Mt. für 7 Tage usw. Eine fortlaufende Unterstützung, die wöchentlich oder monat­lich ausbezahlt wird, haben 106 Gemeinden eingeführt.

Aachen   gewährt für 4 Monate pro Woche 70 Pf.; Berlin  

von der 7. Woche an bis zur 20. Woche bis zu 80 Pf. pro Tag, durchschnittlich aber nur 20 bis 40 Pf.; Essen   zahlt ein Jahr lang 7 Mt. pro Monat; Hamburg   pro Woche 1 bis 2 Mt. In 15 Gemeinden steigt die Prämie mit der Dauer der Stillzeit, in 5 Orten dagegen fällt sie mit dieser Dauer. 16 Gemeinden haben eine Karenzzeit eingeführt. In 8 Fällen ist ausdrücklich vermerkt, daß erst nach Ablauf der Beihilfe durch die Krankenkasse die Prämiengewährung beginnt, in den anderen 8 Fällen ist dagegen ein bestimmter Termin für die Karenzzeit festgelegt, 3 bis 6 Wochen. 8 Gemeinden ge­währen die Prämie nur im Sommer, 9 erhöhen sie in dieser Jahreszeit, 7 verlängern dann die Dauer der Gewährung und 2 Kommunen sind damit im Sommer liberaler".

Eher niedriger als höher ist die Unterstüßung lediglich durch Naturalien, die in 135 Gemeinden besteht. Meistens wird täglich ein Liter Milch verabreicht, hier und da auch Eier, Suppe, Kakao usw. Die Gewährung der Stillprämie ist über­all gleichmäßig abhängig von der materiellen Lage der Fa­milie. In der Regel wird sie bewilligt, wenn das Familien­einkommen nicht mehr als 900 bis 1200 Mt. beträgt.

Entsprechend der geringen Verbreitung und der niederen Säße der Unterstützungen sind die Ausgaben für die Still­prämien nicht groß. In 44 Gemeinden werden dafür jährlich über 3000 Mr., zusammen 623 000 Mt. ausgegeben, in 198 Gemeinden unter 3000 Mt., zusammen 157 725 Mr. Mithin betragen die Gesamtausgaben für den Zweck von 242 Ge­meinden nicht mehr als 780 725 Mr. Von 54 Gemeinden fehlen genauere Angaben über die Gesamtaufwendungen für Stillprämien. Schäßt man diese noch auf 150 000 mt., so kann man annehmen, daß in Deutschland   jährlich etwa 900000 Mt. für Stillprämien ausgegeben werden.

Wie klein diese Summe ist, das ergibt sich am deutlichsten aus dem folgenden. 1912 betrug in Deutschland   die Zahl der Geborenen einschließlich der Totgeborenen 1 925 883, und der größte Teil der rund 2 Millionen Mütter, die jährlich ent­binden, ist unterstüßungsbedürftig. Die unmittelbare Wir­kung der Stillprämien konnte also keine hervorragende sein. Doktor Rott, Dirigent des Organisationsamtes für Säug­lingsschuß, der das vorliegende Erhebungsmaterial bearbeitet hat, kommt nach Betrachtung der Resultate in den einzelnen Gemeinden zu diesem Schlusse: man könne zwar den Still­prämien eine stillfördernde Wirkung zusprechen, aber ihre eigentliche Bedeutung sei in der Wirkung als Lockprämien zu suchen. Das heißt, die Stillprämien haben die Frauen in die Sprechstunden der Mutterberatungsstellen geführt, wo der Arzt den Säugling untersuchen und eventuell notwendige Maßnahmen treffen konnte. Ohne dieses mächtige Agita­tionsmittel", berichtete schon früher Oppenheimer, wären unsere Beratungsstunden leer gewesen. Den Beweis für diese Behauptung liefert die Tatsache, daß die Mütter, wenn sie nichts erhalten hatten, zweimal kamen, während sie bei Zu­billigung einer Prämie ihre Kinder achtmal vorstellten." Doktor Nott konstatiert aber auch nach den Einzelergebnissen, daß die Fürsorge nur von sehr wenigen Frauen aufgesucht wird, die außer dem Hause arbeiten, und daß nur eine ver­schwindende Anzahl dieser Frauen imstande sei, bei ihrer