Nr. 14

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25. Jahrgang

Die Gleichheit

Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen

Mit den Beilagen: Für unsere Mütter und Hausfrauen und Für unsere Kinder

Die Gleichheit erscheint alle vierzehn Tage einmal. Preis der Nummer 10 Pfennig, durch die Post vierteljährlich ohne Bestellgeld 55 Pfennig; unter Kreuzband 85 Pfennig.

Jahres- Abonnement 2,60 Mart.

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Inhaltsverzeichnis.

Stuttgart  

2. April 1915

Frauen voran! Der sozialdemokratische Frauentag in der Schweiz  . I. Von++. II. Von M. H. Der allskandinavische sozialistische Frauentag in Christiania  . Notizenteil: Burgfrieden. Sozia­listische Frauenbewegung im Ausland. Für den Frieden.

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Frauen voran!

Wir durchleben eine schreckliche Zeit! Millionen menschlicher Leiber sind getötet, verstümmelt, durch die Strapazen des Krieges dem Siechtum verfallen. Hunderttausende leben in Gefangenschaft unter traurigen Verhältnissen, Tausende und aber Tausende weiblicher Wesen, Greise und Kinder sind in den Kriegsgebieten von ihrem häuslichen Herde der zer­stört und verwüstet ist vertrieben und vegetieren im Elend. Das Unheil schreit zum Himmel, aber es scheint, daß des Jammers noch nicht genug ist.

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Schauervoller noch als das materielle Elend kommt dieser Wahnsinn im zwanzigsten Jahrhundert zum Vorschein. Er hat auch die hervorragendsten Geister der Nationen ergriffen. Man ist entseßt, wenn man Proben der Kriegslyrik von be­deutenden Dichtern liest.... Die nervöse überreiztheit läßt nur ganz selten reine Stimmungen aufkommen. Wenn nicht die Frauen wären, die Not des Krieges fämefaum zum Worte. Aber ist es nicht selbstverständ­lich, natürlich, daß gerade sie dem Jammer eine Stimme ver­leihen? Die Frauen leiden unter der Kriegsnot doppelt. Reine Phantasie, keine Nervenüberreizung hilft ihnen über die schreckliche Wirklichkeit hinweg, tröstet sie über den Verlust ihrer Männer, Brüder, Söhne. Daher unterliegen sie weniger dem Kriegswahnsinn oder sind rascher davon geheilt.

Aus alledem erwächst ihnen eine menschheitsgeschichtliche Aufgabe: Das Eintreten für eine baldige Be­endigung des Krieges, für den Frieden. Mit Erfüllung dieser Aufgabe erbringen sie einen neuen Beweis, daß sie reif sind zur Erlangung des vollen Bürgerrechts. Was für die Frauen im allgemeinen, das gilt doppelt für die Frauen und Töchter des Proletariats, denn auf ihnen lastet die Kriegsnot am allerschwersten.

Die Großzahl der Männer ist entweder im Banne des Na­tionalismus oder sie ist unter den heutigen Verhältnissen be­denklich verzagt und mutlos geworden. So haben auch unter den furchtbaren Eindrücken des Krieges recht viele die Ideale des Sozialismus und der Völkerverbrüderung verlassen. Da müssen die Frauen das Banner wieder aufnehmen und voran­gehen. Sie müssen die Wiederaufrichtung der proletarischen Internationale vorbereiten.

Zuschriften an die Redaktion der Gleichheit find zu richten an Frau Klara Zetkin  ( 3undel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bei Stuttgart  . Die Expedition befindet sich in Stuttgart  , Furtbach- Straße 12.

Den Anfang müssen die Frauen der neutralen Länder machen. Sie können es ohne jede Gefahr. Und sie haben wahr­lich Ursache genug dazu. Denn auch sie leiden unter den Be­gleiterscheinungen des Krieges, der großen Arbeitslosigkeit und der unerhörten Teuerung. Ihre Erhebung für den Frie­den wird die der Schwestern in den kriegführenden Ländern nach sich ziehen, selbst wenn Gefahren damit verbunden sind. Handelt es sich doch um den Schrei eines so ungeheuren Elends, daß jede andere Gefahr dagegen verschwindet.

Aber der Schrei nach Frieden wird nur gehört werden und Wirkung haben, wenn die Frauen organisiert sind. Eine der Ursachen der Schwäche des organisierten Proletariats, daß es den Krieg nicht verhindern konnte, liegt jedenfalls in der mangelhaften Organisation der Frauen. Soll nicht nur der Frieden erobert, sondern auch die Wiederkehr so entsetzlicher Zustände verhütet werden, so ist es nötig, daß jede denkende Proletarierfrau- und wer käme jeßt nicht zum Denken?- sich der Organisation anschließt. Und damit nicht genug. Jede denkende Proletarierin muß ihre ganze Kraft daran segen, daß die Organisation vom Geiste des Sozialismus erfüllt und beherrscht wird. Damit wird die Bewegung für den Frie­den erst ernst und schließlich unüberwindlich. Daher: Frauen voran!

Hermann Greulich  , Zürich  . Hermann Greulich  , einer der bekanntesten Führer der deutsch  - schweizerischen Sozialdemokratie. hat die vorstehenden Zeilen für die Frauentagsnummer der Vorkämpferin" ge­schrieben. Unsere Genossinnen werden mit Freude lesen, welch bedeutende Rolle einer der ältesten Vorkämpfer der Arbeiter­klasse den Frauen zuweist. Greulich war ein eifrig- tätiges Mitglied der ersten Arbeiterinternationale und mit August Bebel   bis zu dessen Tode eng befreundet.

Der sozialdemokratische Frauentag in der Schweiz  .

I.

Wenngleich die Schweiz   und namentlich ihre Arbeiterklasse unter der Rückwirkung des europäischen   Strieges und der dadurch verursachten eigenen Mobilisation schwer leidet, so erscheint doch unsere Republik   als eine Friedensoase inmitten des wildtobenden Völkerringens. Sehen wir von den inneren Kämpfen um die Verfassungsgestaltung und freiheitliche Zustände ab, so erfreut sich das Land seit ungefähr hundert Jahren des Friedens. Das schweizerische Beispiel der Friedenserhaltung ist um so wertvoller, als das Land vier Nationen beherbergt: Deutsche, Franzosen, Italiener   und die Rhätoromanen des Kantons Graubünden  . Die vier sind auf dem Boden der Demokratie vereinigt, der ihnen ellen volle, allseitige politische Gleichberech­tigung gewährt und damit die Möglichkeit zur Entfaltung der nationalen Eigenart und zur nationalen Selbstbehauptung. So zeigt die Schweiz   auch, daß nationale Entwicklung und Selbstbestimmung nicht gleichbedeutend sein muß mit staatlicher