Nr. 19
Die Gleichheit
funden. Die Kritiker von gestern sind heute ihrer überzeugung tren geblieben. Gewiß, daß italienische Proletariat hat keine Millionenorganisationen mit Millionenbudgets. Aber in der Stunde der Gefahr haben Massen und Führer das rote Banner hochgehalten, ihren Willen zur intellektuellen und moralischen Eigenpersönlichkeit bewahrt. Sie haben anders als manche große Bruderpartei gehandelt, obwohl die Kriterien des Handelns nicht anders gewesen find. Wir, die wir nie den Exzessen des Chauvinismus applaudiert haben, wir haben das moralische Recht, unseren Freunden jenseits der Alpen für ihren Mut zu danken."
Der Imperialismus in Spanien . Der Weltfrieg hat eine Atmosphäre geschaffen, in der die Eroberungspolitiker aller Länder sich in kühnen Plänen nicht genug tun fönnen. Während die hohe Finanz ihre Augen über den ganzen Erdball schweisen läßt, hier die Ausbeutung der Bodenschäße, dort den Bau von Eisenbahnen usw. in die Hand zu bekommen sucht, ist es vor allem die kleinere Jndustrie, die dem Phantom des größeren Wirtschaftsgebiets" nach jagt. Durch Schaffung einer größeren, von Zollmauern umgrenzten Wirtschaftseinheit will man sich die ausländische Konkurrenz vom Leibe halten und sich so der Notwendigkeit entziehen, durch technische Vervollkommnung der Betriebe die Profitrate zu schmälern. Träume dieser Art irciben auch den spanischen Jimperialismus. In Portugal Find Unruhen ausgebrochen, die als Ausfluß von Parteifämpfen ers scheinen und deren tiefere Ursachen nicht genügend bekannt sind. Diese Wirren haben dem spanischen Jmperialismus den willkommenen Anlaß geboten zur Entfachung einer lebhaften Agitation für ein " Groß- Spanien" durch die Einverleibung Portugals . Das größere Vaterland" soll die Pyrenäische Halbinsel aus der Abhängigkeit vom industriell entwickelten Europa lösen.
Ministerialismus und Arbeiterpartei in England. In England hat der Krieg eine Ministerfrise gezeitigt. Das neue englische Ministerium ist wesentlich tonservativ. Von den Liberalen haben eigentlich nur Asquith , Sir Edward Grey und Lloyd George noch wichtige Posten inne. Sämtliche Leiter der bisherigen tonservativen Opposition gehören dem Ministerium an: ein Bonar Law und Bal four , sogar das Haupt der Ulsterrebellen Sir Edward Carson . Diese Neugestaltung des englischen Kabinetts bedeutet einen Sieg der schroffen Imperialisten. Die Lintsliberalen sind damit vollends in die Ecke gedrängt worden. Die parlamentarische Arbeiterpartei wurde in eine schwere innere Strise gestürzt. Die friegsfreundliche, sozialliberal gesinnte Mehrheit hat sich für Beteiligung an der neuen Regierung ausgesprochen, und Genosse Henderson hat den Bosten als Stultusminister übernommen. Dagegen haben die Mitglieder der Fraktion, die der Unabhängigen Arbeiterpartei angehören, diesem Beschluß heftig widersprochen, ja es scheint nicht unmöglich, daß sie ihm jede Unterstügung im Parlament und im Lande versagen, indem sie aus der Fraktion austreten. Das Organ der Unabhängigen Arbeiterpartei, der„ Labour Leader", wendet sich mit großer Entschiedenheit gegen den Ministerialismus. Die Beteiligung von Ar beitervertretern an der Regierung werde keineswegs dazu beitragen, daß demokratische Grundsäge über den Strieg entscheiden, und daß die Arbeiterinteressen Berücksichtigung finden. Im Gegenteil. Die offizielle Vertretung der Arbeiterpartei im Stabinett verde die Partei daran hindern, im Lande für die rasche Beendigung des Kriegs nach drücklich zu wirken. Sie werde die Partei identifizieren mit dem Durchhalten für jedes beliebige Ziel und mit jedem beliebigen Mittel. Und, was am wichtigsten ist: sie werde aufs ernstlichste alle Anstrengungen zur Wiederbelebung der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung hemmen. Was aber die Interessen der Arbeiter an der Heimatpolitit anbelange, so sei nicht anzunehmen, daß eine Arbeiterstimme in einem Kabinett Asquith , Grey, Bonar Law und Austen Chamberlain imftande sein würde, für eine Gesetzgebung zu sorgen, die wirtfam den Monopolisten zu Leibe ginge, die jetzt mit den Lebensmitteln Bucher treiben und die Arbeit des Volfes ausbeuten. Die Unabhängige Arbeiterpartei, so schließt der„ Labour Leader", werde in Erwägung darüber eintreten, ob sie länger einer Organisation angeschlossen bleiben könne, wenn diese an einer Regierung teilnehme, mit der die Independant Labour Party nicht sympathisiere, und der sie teine Unterstügung angedeihen lasse.
Gewerkschaftliche Rundschau.
Die Wirkungen des Krieges auf die gewerkschaftlichen Zentralberbände sind jekt aus den Jahresberichten der ein zelnen Organisationen deutlich erkennbar. Mit wenigen Ausnahmen, die auch hier die Regel bestätigen, sind sie überall gleich: ein starkes Sinken der Mitgliederzahl bis zu 50 Prozent, große Arbeitslosigkeit gleich nach Ausbruch des Krieges, dann allmähliche Besserung, unverhältnismäßig hohe Anforderungen für
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Unterstützungszwecke, trotzdem feste Basierung der Kassenverhält niffe. Immerhin ist es erfreulich wenn in dieser schweren Zeit überhaupt etwas erfreulich sein kann, daß gerade auch in finan zieller Hinsicht die Gewerkschaften nicht aufgerieben werden konnten. Freilich mußten für die Dauer der Kriegszeit einige Kürzungen an den Unterstützungsbezügen vorgenommen werden, die aber durch Einführung anderer Unterstützungseinrichtungen aufgewogen wurden, die die Kriegszeit notwendig machte. Dank der Opferwilligkeit der Daheimgebliebenen wurde für die Verbände die Möglichkeit geschaffen, ihren Aufgaben auch nach dieser schweren Kriegszeit gerecht werden zu können. Noch weiß ja niemand, wie sich die Lage der deutschen Industrie nach dem Kriege gestalten wird.
Während der Kriegszeit war für die geringe Anzahl der in Werkstatt und Fabrik Zurückgebliebenen halbwegs ausreichende Beschäftigung vorhanden. Was soll aber werden, wenn das große Heer der im Felde stehenden Arbeiter in die Betriebswerkstätten zurückflutet? Es ist kaum damit zu rechnen, daß ausreichende Beschäftigung, und zwar möglichst für jeden sofort vorhanden sein wird. Auf Verdienst, und nicht zu geringen, ist der Arbeiter und Familienvater dann aber angewiesen, soll er die rückständige Miete und andere Schulden tilgen, die angesichts der dürftigen Unterstützung die Frau einstweilen zu machen gezwungen war. Die Arbeitslosigkeit fann in größerem Umfang auftreten, bebor die Fabrikation wieder in geregelte Bahnen gelenkt ist. Dann wird den Gewerkschaften ihre alte, schwere Aufgabe zufallen: für die Opfer der Arbeitslosigkeit zu sorgen, deren Fürsorge von Rechts wegen die Gemeinde und der Staat übernehmen müßten. Leider hat es aber immer noch nicht den Anschein, als ob sie sich dieser Pflicht unterziehen wollten.
Auch die Regelung der Lohn- und Arbeitsver= hältnisse wird nach dem Kriege größere Anforderungen au die Gewerkschaften stellen. Nur mit Mühe werden augenblicklich alle Lohndifferenzen zurückgehalten. Die Bergherren, die auch in der Kriegszeit wirtschaftlich nicht zu leiden haben, sind nur schwer für Lohnzulagen zu haben, und seien sie noch so klein. Daß die Rüstungsindustrie zum Teil sehr erhebliche Lohnzulagen gewähren mußte, ficht sie nicht an; auch nicht, daß mit Rücksicht auf die teuren Lebensmittel in anderen Industrien Teuerungszulagen an die Arbeiter gewährt wurden. Im Hamburger Hafen fam es bei den Kohlenleuten zu Differenzen, weil die von ihnen mit gutem Recht geforderten Teuerungszulagen verweigert wurden. Die Gegenfäße führten sogar teilweise zum Ausstand, der jedoch bald beigelegt wurde. Die Tarifverträge, die für den Ham burger Hafen bestanden, und von denen die ersten am 30. Juni abliefen, find verlängert worden. Sie sollen in gleicher Form weiter gelten bis zur Beendigung des Krieges zwischen Deutschland und England und von da ab noch zwölf Monate in Kraft bleiben. In Berlin wurde für die an den Zigarettenmaschinen Beschäftigten vom Metallarbeiterverband eine Lohnbewegung durchgeführt. Die Tarife liefen auch hier in diesem Jahre ab. Die Verträge gelten wiederum auf zwei Jahre und bringen den Arbeitern recht anerkennenswerte Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Im Schneidergewerbe haben Reichstarifvertragsverhandlungen zwei Tage gedauert. Unternehmerund Arbeiterorganisationen hatten sich seinerzeit dahin verstän digt, daß alle einzelnen Tarifverträge zu einem Reichstarif zusammengefaßt werden sollten, der bis Ende Februar 1920 unter Ausschaltung aller Streits und Aussperrungen bestehen sollte. Mit Rücksicht auf den Kriegszustand ist der Termin um ein Jahr berlängert worden; der Reichstarif soll erst am 1. März 1917 in Kraft treten. Infolge der sehr komplizierten Tarifverträge im Schneidergewerbe hatte die Konferenz eine ganze Reihe von wichtigen Angelegenheiten zu erledigen, die lange Zeit in Anspruch nahmen. Der Unternehmerverband wurde durch Schiedsspruch der Unparteiischen verpflichtet, gewisse Mindestforderungen der Arbeiter anzuerkennen. Diese Verhandlungen sollen die Vorarbeiten für den zu schaffenden Reichstarif bilden. Auch das Haupttarifamt für das Baugewerbe fonnte seine Tätigkeit während der Kriegszeit nicht ganz einstellen. Es hielt eine Tagung ab, auf der verschiedene strittige Fragen behandelt wurden. Der Burgfrieden wird in diesem Gewerbe von manchen Unternehmern in sonderbarer Weise beachtet.
Die Hirsch Dunderschen Gewerkvereine haben neulich durch ihre Organisationsleitung verkünden lassen, daß sie bereit seien, alle Bestrebungen zu unterstüben, die darauf abzielen, auch nach dem Kriege ein erträgliches Verhältnis zwischen den verschiedenen Arbeiterorganisationen aufrechtzuerhalten und in allen Fragen, die die gesamte Arbeiterschaft betreffen, ein ge