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Das weibliche Dienstjahr.

Die Gleichheit

Referat, gehalten auf der Frauenkonferenz von Groß- Berlin am 1. August 1915 von Mathilde Wurm  .

Die Forderung des weiblichen Dienstjahrs, die in den letzten Jahren innerhalb der bürgerlichen Frauenwelt nicht über frucht­lose Erörterungen hinauskam, ist durch die während des Kriegs­jahrs gesammelten Erfahrungen zu einer brennenden Tages frage geworden, mit der auch wir uns eingehend zu beschäf­tigen die Pflicht haben. Die Folgen der von uns oft genug. gerügten üblichen ungenügenden Mädchenerziehung haben sich in diesen schweren Zeiten in ihrer ganzen Stärke gezeigt.

Der Mangel an Verantwortlichkeits- und Gemeingefühl der Frauen und Mädchen der befizenden Klassen, die totale Un­fenntnis aller Frauen über den Wert der Nahrungsmittel, über ihre vorteilhafte Zubereitung und Ausnuzung, wie über­haupt über alles, was mit Ernährungswissenschaft in Zusammen­hang steht, das völlige Fehlen jeder Einsicht in den Zusammen­hang des Einzelhaushalts mit der gesamten Volkswirtschaft haben es dahin gebracht, daß der Wunsch, den Mängeln der Mädchenerziehung vorzubeugen, heute in den unmöglichsten Vorschlägen zum Ausdruck kommt. Seit Jahren hat die Sozial­demokratie eine gründliche Reform des Mädchenschulwesens ge­fordert, aber erst heute ist die Erkenntnis ihrer Notwendigkeit in weitere Kreise gedrungen. In blindem übereifer, ohne genügende Sachkenntnis möchte man nun das Versäumte nachholen.

Schlimm, daß dieser Krieg mit seinem furchtbaren Gefolge an Jammer und Elend erst kommen mußte, nicht nur, damit der Ruf der Sozialdemokratie nicht länger ungehört verhalle, sondern damit auch den Stimmen jener bürgerlichen Frauen Gehör geschenkt werde, die schon seit Jahren um eine bessere Mädchenerziehung kämpften. Freilich, diese Frauen beschäftigten sich in erster Linie mit dem Erziehungsproblem für die Töchter der Besitzenden. Aber auch die Töchter der Besitzenden sind ja Teile des Volksganzen, und die Gesamtheit muß darunter leiden, wenn sie nicht die rechte Ausbildung erfahren.

Als vor nunmehr einem Jahre der Weltkrieg ausbrach, von allen prophezeit, von allen erwartet, und doch alle unvor­bereitet treffend, da zeigte sich außer der Organisation des Heeres auch nicht eine einzige wirtschaftliche oder soziale Dr ganisation der furchtbaren Tatsache gewachsen. Statt dessen bemerkte man eine allgemeine Hilfsbereitschaft. Die Gleich gültigsten wurden aufgerüttelt! Frauen und Mädchen, die noch nie die leichteste Arbeit verrichtet, waren plötzlich bereit, die schwerste auf sich zu nehmen. Jeder und jede wollte teil­haben an den Opfern, die gebracht werden mußten.

Allein es war ein plan- und zielloses Wollen, ein rasches Aufflackern aller besseren Gefühle, was nur zu rasch wieder in sich selbst erlosch, weil es an Mut, Geduld und Ausdauer fehlte, ernstlich arbeiten zu lernen. Kein sich Ein- und Unter­ordnen, kein Pflicht- und Verantwortlichkeitsgefühl konnte, nachdem der erste Rausch verflogen, diese Frauen wieder zur Mitarbeit heranziehen. Wie immer blieben auch jetzt nur die besten, das heißt die wenigsten übrig, um bei ernster Arbeit in treuer Pflichterfüllung auszuharren.

Weil nun die Heeresorganisation, als einzig in ihrer Art dastehend, offenbar so vorzüglich geklappt" hat, daher erscheint es vielen als das einfachste, dieses ganze System ins weib­liche zu übersetzen.

" In die Kaserne mit den Mädchen" rufen die einen; Dienst­jahr, Dienstpflicht auf dem Lande, in Schulen, Heimen, An­stalten und Krankenhäusern" die anderen. Ein Kunterbunt von Forderungen, zugeschnitten auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Standes, häufig genug ohne jede Überlegung, ob damit auch wirklich der Allgemeinheit gedient werde, und wie denn diese Forderungen eigentlich verwirklicht werden sollten.

: Da bedarf es vor allen Dingen der Klarheit: was ist zu verstehen unter" weibliches Dienstjahr", warum wird es ge­fordert, welchen Zweck soll es. haben?

Studiert man die auf diesem Gebiet erschienenen Reden und Schriften, so ist eine große Verwirrung der Begriffe Dienst­

Nr. 25 jahr" und Dienstpflicht" festzustellen. Unter beiden Worten wird häufig beides zugleich verstanden.

Stellen wir von vornherein die Verschiedenheit beider Be­griffe fest. So wenig wie die Ausbildung zu einem Beruf als Berufsausübung gilt, ebensowenig kann die Vorbereitungs­zeit zur Erlernung der Ausübung der Dienstpflicht als diese selbst angesprochen werden. Wir haben also zu unterscheiden zwischen Ausbildungs- oder Lernzeit und der Dienstpflicht, in der das Gelernte angewendet werden soll.

Infolge des Mangels an Klarheit schwanken nun die For­derungen in bezug auf Ausbildungszeit und Dienstpflicht zwi­schen einem Minimum von 6 Monaten Ausbildungszeit für die Volksschülerin ohne Dienstpflichtzwang bis zu der Forderung von 14 Jahren, die zerfallen sollen in 7 Jahre Ausbildungs­zeit und Friedensdienstpflicht und 7 Jahre Kriegshilfsbereit­schaft, wie von Professor Zimmer verlangt wird.*

Hier hat offenbar die militärische Dienstpflicht des Mannes als Vorbild gedient. Die Dienstpflicht des Mannes heißt im Gesetz ,, Wehrpflicht  ", worin zugleich der Zweck dieser Pflicht aus gedrückt ist, nämlich feindlichen Einfällen zu wehren, den hei­mischen Boden gegen Angriffe von außen zu verteidigen. Zu allen Zeiten hat jeder Bürger diese Wehrpflicht" freiwillig oder gezwungen auf sich nehmen müssen, seit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht neben seinem Beruf.

Glücklicherweise ist der Krieg in unserm Zeitalter ein Aus­nahmezustand; und nur in diesem erfüllt die Wehrpflicht" ihren wahren Zweck. Die Dienstzeit mit ihren regelmäßig wie­derkehrenden Übungen ist eben nur als Ausbildung hierzu anzusehen.

Für seinen Beruf als Staatsbürger, der jedem Mann das Recht gibt, die einfachsten wie die höchsten Amter in Staat und Gemeinde zu bekleiden, ist bis jetzt eine besondere Aus­bildung nicht verlangt worden. Erst neuerdings werden Stimmen laut, die auch von dem Mann neben seiner allgemeinen Lebens­erfahrung einschlägige Kenntnisse als notwendige Voraussetzung zur Bekleidung öffentlicher Ämter fordern.

Was hat nun die Dienstpflicht des Weibes mit der des Mannes gemein?

Meiner Meinung nach nicht das geringste! Die Dienstpflicht des Mannes ist eine Vorbereitung für den Ausnahmezustand des Krieges, die des Weibes soll und kann nichts anderes sein als ihre Erziehung und Schulung zur Erfüllung der täglich an sie heran­tretenden Pflichten als Weib, zukünftige Hausfrau und Mutter.

Mit Ausnahme der Krankenpflege hat der Krieg den Frauen keine anderen Pflichten, keine anderen Arbeitsgebiete zugewiesen, als die nämlichen, die sie auch jederzeit im Frieden haben, aber in der Regel entweder nicht erfüllen wollen oder nicht erfüllen können.

Die kapitalistische Produktionsweise hat das Familienleben umgestaltet, hat zu einer Umwertung hausfraulicher Tätigkeit geführt. Als an die Stelle der Naturalwirtschaft das kapita­listische Maschinenzeitalter trat, war der Frau die produktive Tätigkeit im Hause genommen.

Bei den Besitzenden hat dies zu einer sehr geringen Be­wertung aller produktiven Tätigkeit überhaupt geführt und die Wertschäzung hausfraulicher Betätigung immer mehr ver­ringert. Und da alle Arbeit, mit Ausnahme des Gebäraktes, auf Lohnarbeiter abgewälzt werden konnte, begnügten sich die Frauen jener Klasse mit der Rolle von teuren Lurusgegen­ständen. Ja, selbst über die Erziehung führten sie nur eine Art Oberaufsicht". Der Familienzusammenhalt der oberen Zehntausend basiert häufig genug nur auf dem Brotkorb", das heißt auf der Abhängigkeit von Frau und Kindern von dem den Besitz erhaltenden, mehrenden und vor allen Dingen ,, hütenden" Gatten und Vater.

* Frauendienstpflicht. Grundgedanken für eine gesegliche Regelung bon Professor D. Dr. Friedrich Zimmer. Lebenserziehung Nr. 13. Berlin- Zehlendorf  , Mathilde- Zimmer- Haus.