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Die Gleichheit

nach zwölfmonatiger Dauer vielleicht schon der ärztlichen Kunst. Also auch auf gesundheitlichem Gebiete schafft die lange Dauer des Krieges neue Schäden, wie sie alte vertiefte Schä­den, die sich lange über den Krieg erhalten und sogar die nächste Generation ergreifen können.

Nicht genug damit, die Schädigung ist eine doppelte. Zwi­schen den Geschlechtern tritt eine Verschiebung ein, die Zahl der Frauen überwiegt. Es bleibt aber eine größere Anzahl von Frauen außerhalb des Geschlechtsverkehrs, wenigstens of­fiziell. Wie dem auch sei, im äußersten Falle leidet nur ihre Gesundheit, mit ihrem Tode verschwindet der Schaden. Aber die anderen? Daß infolge der Zunahme der Geschlechtskrank. heiten die Frauen mittelbar ihr Kontingent zu den Kriegs­früppeln stellen werden, ist schon oben gesagt. Damit nicht ge­nug. Am ärgsten hergenommen find in allen Staaten die hei­ratsfähigsten Männer. Sie haben das größte Kontingent zu den Kämpfern gestellt, sie stehen am längsten im Felde, sie haben die meisten Toten und Invaliden. Ein großer Prozent­satz von Frauen wird also ältere Männer heiraten. Man kann dies auch so ausdrücken: Bisher fand jede weibliche Alters­schicht die ihr entsprechende männliche. Nunmehr werden die jüngeren weiblichen Jahrgänge in den gewohnten und pas senden männlichen Jahrgängen nicht genug Gatten finden. Sie werden daher auf ältere Jahrgänge greifen und in der Ronkurrenz mit den diesen entsprechenden weiblichen Alters­schichten vermöge ihrer Jugend als Sieger hervorgehen. Die Altersdifferenzen zwischen Mann und Weib werden weit größer werden. Solche von 20 Jahren werden sehr häufig sein. Man darf sich natürlich die Sache nicht so vorstellen, als ob dieser Prozeß sich so bewußt und rechne­risch abspielen wird; die wenigsten machen ihn denkend und wollend mit, die allermeisten werden eben von den Verhält­nissen geschoben und finden natürlich, was bisher nur Aus­nahme war. Als Ausnahme mag die größte Altersdifferenz unter Eheleuten hingehen, als Regel wird eine Differenz von 20 Jahren gewiß zu Unstimmigkeiten führen, die nicht ohne Einfluß auf die Kinder sein können. Also wieder Schädigung der nächsten Generation.

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Der Gegenstand ist damit noch lange nicht erschöpft, doch beweisen schon die Ausführungen, die im großen und gan­zen für alle kriegführenden Staaten gelten, wie dringend es wäre, daß der Weltkrieg bald sein Ende finde. Gewiß sett dieses Ende allerlei politische, strategische, auch technische und moralische Momente voraus, aber unzweifelhaft ist, daß, wenn der Krieg noch lange dauert, für Sieger und Besiegte es gar keine Vorteile und Errungenschaften gibt, die diese Nachteile und Opfer wettmachen könnten. J. Pistiner, Czernowitz  .

Die Lage der Tertilarbeiter.

Nahezu fünfzehn Monate steht nun die Textilarbeiterschaft unter den unheilvollen Wirkungen des Weltkrieges. Neben tausenden kleinen Besitzern tertiler Werkstätten, die vor dem Nichts stehen, leiden zehntausende, ja hunderttausende Textil­proletarier und-proletarierinnen bittere Not. Wohl wurde für die Mehrzahl der Großunternehmer der Krieg zu einer reichlich fließenden Quelle des Profits. Die gesamte Leinen­branche, die Tuchwebereien der Schafwollbranche, Baumwoll­spinnereien und-webereien, Trifotagenfabrikanten usw. mach­ten glänzende Geschäfte. Aber nicht wie in manchen anderen Industrien haben auch die Arbeiter durch abnorm hohe Lohn­einkommen daran teilgenommen. Die Löhne der Textilar­beiter blieben fast durchgängig die alten, nur soweit überstun­den in größerer Bahl geleistet wurden, erhob sich der Wochen. verdienst über das gewohnte Niveau. Immerhin konnten die Lebensverhältnisse im ersten Kriegsjahr noch erträglich schei­nen. Die weitere Entwicklung mit ihrer Teuerung, ihren immer ungünstiger werdenden Erwerbsverhältnissen, den ab­nehmenden Verdienstmöglichkeiten und der zunehmenden Ar

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beitslosigkeit hat jedoch eine Notlage erzeugt, die alles in den letzten Jahrzehnten Dagewesene in den Schatten stellt. Ganz besonders fühlbar und von den unheilvollsten Wirkun­gen begleitet ist der Notstand dort, wo die Textilindustrie die faft einzige Industrie des Ortes oder Bezirkes ist und ihre Arbeiterschaft dicht zusammengedrängt wohnt. Liegen Orte, deren Einwohnerschaft vornehmlich von Textilarbeitern ge­bildet wird, in Bezirken, die noch zahlreiche große Zentren anderer Industrien Eisenindustrie, Bergwerke, chemische Industrie usw. in sich bergen, so ist mit der größeren und leichteren Möglichkeit des Arbeitswechsels auch die größere Möglichkeit einer Behebung der Notlage gegeben. Daraus folgt, daß in den mitteldeutschen Gebieten und in Schlesien  die Situation am schwierigsten ist, ganz abgesehen davon, daß in diesen jahrhundertealten Textilbezirken die körperliche Be­schaffenheit der Arbeiter ihre Verwendungsmöglichkeit in an­deren Industrien stark beeinträchtigt.

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Die niedrigsten Löhne sind in normalen Zeiten in der säch fischen Lausitz   und in Schlesien   anzutreffen. In leztgenann­ter Provinz zeichnet sich ganz besonders der Leinenbezirk durch Hungereinkommen der Arbeiter bei glänzenden Gewinnen der Unternehmer aus. Auch in dieser Kriegszeit erheben sich trotz bisher und für die nächste Zukunft gesicherter glänzender Be­schäftigung die Löhne der schlesischen Leinenarbeiter nicht über das in Friedenszeiten übliche Hungermaß. So ist es erklär­lich, daß bei guter Beschäftigung infolge der stark geminderten Kauffraft des Geldes die Lage der dortigen Proletarier eine trostlose ist, und es ist bezeichnend für die Profitsucht der Leinenindustriellen, daß in derselben Zeit, in der sie ihre hohen Gewinne aus dem ersten Kriegsjahr veröffentlichen die Firma Methner& Frahne erzielte 1 645 597 m. reinen Ge­winn gegen 627 729 Mr. im Vorjahrein bittendes Gesuch, der Arbeiter um eine Teuerungszulage abgelehnt wird. Es heißt also weiterschuften und weiterhungern bei 12 bis 13 Mr. Wochenverdienst.

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In Langenbielau  , das wohl die höchsten Löhne im Eulen­gebirge hat, verdienen in Beiten guten Geschäftsganges im Durchschnitt die verheirateten Männer 14 Mr. pro Woche, viele, wie die Färbereiarbeiter, kaum 10 Mt., Arbeiterinnen erwerben 9 bis 12 Mr., jugendliche Personen 7,20 Mr. pro Woche. Diese Löhne wurden von Unternehmerseite festgestellt. Heute ist die Arbeitswoche um zwei bis drei Tage einge­schränkt. Einige Fabrikanten ersetzen einen Teil des Verlustes. Trotz alledem braucht an der Hand solcher Zahlen eine Not­lage nicht erst bewiesen zu werden.

In Cunewalde   in Sachsen   beträgt der Durchschnittslohn heute 6 bis 8 Mt., Der Höchstlohn von 10 Mk. pro Woche wird nur von wenigen erreicht. Entschädigung von Unternehmern an die Arbeiter wird nicht gezahlt. Die Großschönauer   Frot­tierweber verdienen 5 bis 11 Mt. pro Woche. Eine Anzahl Lohnzettel von Treiberinnen haben uns vorgelegen, welche 5 Mr. für zwei Wochen als Lohn vermerkten. Für Löbau   stellten wir in einer Spinnerei folgende Wochenlöhne fest: In der Strickerei 4,50 bis 4,80 Mt., in der Fleyerei 4,38 bis 6,32 m., in der Spinnerei 8,84 bis 7,92 m., in der Weiferei 8,40 bis 6,80 Mark, in der Kreuzspulerei 4,20 bis 8 Mr., in der Doublie rerei 2,80 bis 4 Mr. Die Ostriker Tertilarbeiter verdienen jezt bis zu 6 Mt. pro Woche. Sie ersuchten um einen Stun­denlohn von 20 Pf. Die Firma lehnte ab. In Zittau   stehen zwei Jutebetriebe still. Die anderen großen Webereien arbei­ten drei Tage pro Woche. In Niederoderwitz   verdienen die Weber bei einer Firma in zwei Wochen 16 bis 24 Mr., die Treiber 16 bis 18 Mt., bei einer anderen Firma 10 bis 20 Mr., resp. 11 bis 16 Mr.

So schlecht wie in diesen beiden alten Hungergebieten der Tertilindustrie ist die Bage heute auch im übrigen Königreich Sachsen  , in Neuß   jüngerer und älterer Linie, in der rheini­schen Tuchmetropole Aachen  , in Oberfranken  , Augsburg  , im Allgäu und im Elsaß  .

Die Stricker, Wirker, Handschuhmacher der. Chemnitzer  Gegend und des Erzgebirges haben sich im Laufe der letzten