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Die Gleichheit

Land Niederösterreich am Sonntag, den 14. November stattfand. Der Konferenz war eine Besprechung vorausgegangen, zu der das Reichskomitee die Vertreterinnen der verschiedenen Landesteile ge­laden hatte. Die Vertrauenspersonen aus Böhmen  , Ober­ österreich  , Tirol, Steiermark   und Salzburg   waren gekommen. Diese Beratung, an die wir für die weitere Tätigkeit der Frauen große Hoffnungen fnüpfen, nahm auch Stellung zu der langen Dauer des Weltkriegs. Drei Resolutionen, die, neben sonstigen Verschiedenheiten, das einmütige Verlangen nach einem endlichen Frieden ausdrücken, wurden der Parteivertretung mit dem Ersuchen unterbreitet, über den Inhalt zu diskutieren und Vertreterinnen des Frauenreichskomitees zuzuziehen. Der Be­ratung wohnte ein Delegierter des Parteivorstandes bei. Die Kon­ferenz, die am Nachmittag tagte und von mehr als 100 Genossinnen besucht war, gestaltete sich zu einer erhebenden Kundgebung der sozialdemokratischen Frauen. Es zeigte sich wieder, wieviel frisches Leben und wieviel Initiative unter den Genossinnen vorhanden ist. Noch nie war eine niederösterreichische Frauenkonferenz so gut besucht, und noch nie hatten die Genossen so viele Ver­treter gesendet. Die Reichspartei und die niederösterreichische Lan­despartei, sowie die Arbeiterzeitung" und die Gewerkschaftskom­mission waren vertreten. Die stärkste österreichische Gewerkschafts­organisation, der Verband der Metallarbeiter, hatte zwei ihrer her­vorragendsten Funktionäre gesendet. Zum erstenmal nahm auch die Jugendorganisation teil, und neben dem Sekretär waren neun Vertreterinnen der Mädchengruppen anwesend. Die Vertreter der Partei und der Gewerkschaften würdigten in ihren Begrüßungs­ansprachen die Bedeutung, der sie gerade jezt der Tagung der Frauen beimessen. Die Berichterstattung der Genossin Proft gab ein anschauliches Bild von dem Leben der Frauenorganisation, und in schönen, prächtigen Worten zeichnete die Rednerin die Situa tion, in der wir uns befinden. Sie wandte das Bild an, in dem die Menschheit den Frieden, der kommen muß, nun erst schätzen wird, so wie der Kranke erst dann seine Gesundheit voll zu wür­digen weiß, wenn er nach langer Krankheit wieder genesen ist. Die Konferenz hatte nun noch über drei Punkte zu beraten. Die Ar­beiterinnenbewegung nach dem Kriege" behandelte Genossin Popp. Ihre Ausführungen gipfelten in dem Schluß, daß wir sehenden Auges dem Kriegsende entgegenblicken müssen. Daß wir nicht dann erst uns zu sammeln hätten, sondern daß es unsere Aufgabe sei, jezt schon Vorarbeiten zu treffen, um die Arbeiterinnen vor den bösen Folgen des Krieges zu behüten. Es handelt sich um all jene Frauen und Mädchen, die jetzt on Männerstellen arbeiten, um die Witwen und um die Frauen der invalid gewordenen Männer sowie um jene, die durch die Männerverluste im Kriege keine Aussicht auf einen häuslichen Herd haben werden. Jezt schon müssen die Wege gesucht werden, um diesen allen eine menschenwürdige Existenz zu schaffen und sie vor Entwürdigung zu bewahren. Zum erstenmal nahm eine Frauenkonferenz auch Stellung zur Organisierung der jungen schulentlassenen Mädchen. In Wien   hat sich während der Kriegsdauer diese Organisation im Anschluß an den Verband der jugendlichen Arbeiter entwickelt. Wenn auch noch kein Parteitag und kein Gewerkschaftskongreß diesem neuen Organisationsglied die Zustimmung gegeben hat, so zeigen die Erfolge, die in wenigen Monaten gemacht wurden, daß eine ganze Reihe von jungen Ge­nossinnen an der Arbeit ist, um auch da Gutes zu schaffen. Vom Frauenreichskomitee wurde Genossin Schlesinger mit der Füh­rung der Mädchenorganisationen betraut, und es hat sich um die Genossin Schlesinger ein Kreis von pädagogisch geschulten Genos­finnen und Genossen geschart, die dieser Aufgabe obliegen. Ein Re­ferat der Genossin Schlesinger auf der Konferenz wird diesem jüngsten Kind der österreichischen Arbeiterinnenbewegung neue An­hängerinnen geworben haben. Genossin Freundlich referierte über eine Aktion, die vom Frauenreichskomitee unternommen wurde, um eine Erhöhung der staatlichen Unterhaltsbeiträge der Kriegerfrauen und-kinder herbeizuführen, um sie in Einklang mit den hohen Lebensmittelpreisen zu bringen. Versammlungen sollen diese Aktion unterstüßen, und eine Frauendeputation wird dem Finanzminister die Forderungen der Frauen überreichen. Es han­delt sich vor allem darum, die Kinder ohne Unterschied des Alters und des Verwandtschaftsgrades gleichzustellen. Uneheliche und Stief­finder sollen nicht ungünstiger behandelt werden als eheliche; Säug­linge sowie alle Kinder unter acht Jahren sollen ebensoviel bekom­men wie die achtjährigen. Gegenwärtig ist der Unterhaltsbeitrag für Kinder unter acht Jahren um die Hälfte geringer als für jene von acht Jahren aufwärts. Die Kleinen bekommen bis zu 66 Heller pro Tag, die über acht Jahren 1,32 Kronen. Die hohen Milch-, Fett- und Brotpreise machen es heute den Müttern unmöglich, von solchen Beiträgen die Kinder zu erhalten.

Nr. 6.

Alle Genossinnen, die an der Konferenz teilgenommen haben, sind mit neuem Mut, erfüllt von Zuversicht, von der Konferenz ge­gangen. Es hat sich auch gezeigt, daß die sozialistischen   Frauen überall bahnbrechend wirken, sowohl im Kampfe gegen die Teue­rung als auch zur Wahrung der Rechte jener Frauen, deren Män­ner im Kriege, fern von der Heimat weilen.

Wie zu allen Zeiten wurde auch diese Konferenz unter den Klängen des Lied der Arbeit" und anderer bewährter Arbeiter­lieder geschlossen. Unser die Zukunft trotz alledem! war die Stins mung, die die Konferenz beherrschte.

a. p.

Den Bildungsbestrebungen der sozialdemokratischen Frauen Ungarns   werden seit neuerer Zeit von den Behörden Hemmnisse in den Weg gelegt. Die Abhaltungen öffentlicher Versammlungen zwecks Erörterung wichtiger Lebensfragen der Bevölkerung find durch den Ausnahmezustand während der Kriegsdauer unter allen Umständen verboten. Infolgedessen muß sich die Tätigkeit der Organisationen hauptsächlich auf Bildungsarbeit beschränken. Die Frauenfektion des Arbeiterbildungsvereins Vorwärts" in Preßburg   hat auf Grund ihrer behördlich genehmigten Sta tuten die Veranstaltung von wissenschaftlichen Vorträgen be­schlossen. Der erste über Lebensmittelversorgung" wurde am 3. Oktober ohne Störung abgehalten. Den zweiten über Geld, Wert und Preis", der am 25. Oktober hätte stattfinden sollen, unter­jagte die Polizei mit der Motivierung, er sei nicht angemeldet, ob­zwar sie es weder beim ersten noch bei einem am Tage vorher von der Parteivertretung veranstalteten Vortrag über Weltkrieg und Sozialismus" gefordert hatte. Den dritten über Die Landkarte von Europa  ", welcher, um die Versäumnisse eines in Ungarn   sehr mangelhaften Schulunterrichts nachzuholen, die Arbeiterinnen über die Lage und wichtigsten Verhältnisse jener Länder orientieren sollte, die durch die weltgeschichtlichen Ereignisse im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stehen, wurde ohne jede Motivierung E. G. von der Behörde verboten.

Gewerkschaftliches.

Kontrolle der Eßnäpfe. Eine Kontrolle der Eßnäpfe durch den gestrengen Unternehmer, das ist wohl das Allerneueste auf dem Ge biet der fleisch- und fettlosen Tage. Ein Beweis aber auch dafür, wie die Arbeiter heute noch tagiert werden. Nicht zum mindesten aber beweist das Erempel sehr drastisch, was sich die Arbeiter heute noch, im Zeitalter der Organisation, alles bieten lassen. Für so etwas ist natürlich nicht die Organisation verantwortlich, sondern jene Arbeiter, die da glauben, ohne Organisation besser zu fahren. Nur Unternehmer, die eine beinahe völlig organisationslose Masse vor sich haben, können sich solche afrikanische Allüren herausneh men und erlauben. In diesem Falle war der Ort der Handlung eine Tuchfabrik in der nächsten Nähe von der Stadt Aachen  . Der Kontrolleur war ein Tuchfabrikant aus Aachen  , der wohl Haupt­inhaber der Firma ist. Es ist nicht jedermanns Sache, und auch Ar­beitern, so sollten wir meinen, widerstrebt es, ihr bißchen Mittag­essen, das sie sich von weither da ihre Wohnung von der Fabrik entfernt liegt frühmorgens schon mitgeschleppt haben, kurz vor dem Verzehren noch einmal fremden kontrollierenden Menschen präsentieren zu müssen. Wir wissen nicht genau, aus welchen Gründen heraus die Kontrolle geschehen ist. Ob im Interesse der fleischlosen Tage oder um zu ergründen, ob eine Teuerungszulage sich rechtfertigt. Gleichviel, sie bleibt eine grobe Ungehörigkeit, und wir erwarten bestimmt, daß sie sich nicht wiederholen wird. Fleisch und und Fett sind bei den jetzigen Preisen bei den Arbeitern nicht zuletzt bei den Tegtilarbeitern- Qugusartikel geworden. So­gar ein Unternehmer könnte sich sehr wohl vorstellen, wie die Mehr­heit seiner Arbeiter heute gezwungen ist zu leben, und wie bitter fie eine Teuerungszulage gebrauchen können. Dazu bedarf es keiner Egnapffontrollen.

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Den unorganisierten Arbeitern aber möchten wir nicht versäumen zu sagen: sie sind ein groß Teil schuld daran, daß solche Sachen passieren können. Ein jeder Mensch trägt an der Behandlung, die seiner Person und seiner Klasse zuteil wird, viel bei. Wäre da alles in Ordnung, brauchten wir die Öffentlichkeit mit Klagen wie die vorliegende wohl nicht zu behelligen. Obwohl wir unseren pu­blizistischen Pflichten gerne genügen, so möchten wir doch auch jene Drüdeberger in Arbeiterkreisen, die sich an der Organisation schon immer oder jet während der Krieges vorbeizudrücken suchen, er­mahnen, auch ihrerseits ihre Aufgaben und Pflichten zu erfüllen. L. K.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bei Stuttgart  .

Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.g. in Stuttgart  ,