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Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen.

Die Gleichheit

Textilarbeiterlöhne in Aachen  . In der Textilindustrie Aachens  sind in ruhigen Zeiten 13 500 Personen beschäftigt, jetzt vielleicht nur noch 9500. Weit über die Hälfte davon sind Frauen und Mäd­chen. Wie die Aachener   Textilarbeiterschaft lebt, darüber gibt eine fleine Statistik Aufschluß, die vom Deutschen   Textilarbeiterverband aufgenommen worden ist. Wenn sie auch nur einen kleinen Teil der gesamten Textilarbeiterschaft erfaßt hat, so lassen doch diese Stich­proben Rückschlüsse für die Gesamtheit zu. So hatten zum Bei= spiel in vier aufeinanderfolgenden Wochen in der Zeit vom 24. Of­tober bis 20. November des nun verflossenen Jahres 106 Weber und Weberinnen zusammen ein Einkommen aus Arbeits­verdienst von 8242,85 Mt. Die Versicherungsbeiträge sind von diesem Einkommen abgerechnet, etwa gewährte Teuerungszulagen aber hinzugezählt worden. Nach diesem Gesamteinkommen entfiel im Durchschnitt auf jeden einzelnen 77,76 Mt. in vier Wochen oder 19,44 Mt. die Woche. Die in Frage kommenden Arbeiter und Ar­beiterinnen haben durchweg Familien zu ernähren. Das gemein­same Arbeitseinkommen von 150 Stöpferinnen betrug in den vier Wochen 3572,80 Mt., das ist für jede einzelne im Durch­schnitt 23,80 mt. oder 5,95 Mt. die Woche. Rechnen wir das Ar­beitseinkommen der 256 Arbeiter und Arbeiterinnen zusammen, so ergibt sich für die vier Wochen eine Summe von 11 815,65 Mt., das macht im Durchschnitt pro Person 46,16 Mt. oder 11,54 Mt. die Woche. Die Weber und Weberinnen arbeiten entsprechend der Bundesratsverordnung an fünf Tagen der Woche, die Stöpferin­nen wegen Mangel an Arbeit noch weniger.

Das Einkommensbild der Aachener Textilarbeiterschaft wird nicht günstiger, wenn wir die Löhne der Appreturarbeiter mit einrechnen würden. Genaue Zahlen darüber liegen uns im Augenblick nicht vor, aber es ist bekannt, daß die Aachener Appretur­arbeiter Stundenlöhne von 20 bis 30 Pf. haben, und daß nur die wenigsten den Satz von 30 Pf. erhalten. Wie die Aachener Textil­arbeiterschaft bei ihrem fargen Verdienst und der herrschenden Teue­rung darben muß, braucht nicht erst geschildert zu werden. Sogar das Sattessen an Kartoffeln wird bei den hohen Preisen für viele großer Lurus. Es ist höchste Zeit, daß die Regierung Preußens und die Gemeinde Aachen   sich auf ihre Aufgaben besinnen, den Notleidenden eine Hilfe zu sichern, die ein Recht und keine Gnade iſt. L. K.

Frauenbewegung.

Die sechste Generalversammlung des katholischen Frauen­bundes hat vom 6. bis 8. Januar in Berlin   stattgefunden. Soweit bis jetzt Berichte über diese Tagung vorliegen, ist zweierlei beach­tenswert. Die Entschiedenheit, mit der die organisierten katholischen Frauen das Recht als Mitgestalterinnen am neuen Deutschland  " fordern. Die große Beachtung, die von aller Art Behörden und Ver­tretungen des Reiches der Generalversammlung geschenkt worden ist. Der katholische Frauenbund ist zu einer angesehenen sozialen Macht geworden, deren start aufsteigende Entwicklung von den offiziellen Gewalten in Deutschland   wenigstens geahnt, zum Teil auch schon klar erkannt wird. Das alles troß der bloß 90 000 Mit­glieder, die diese Organisation umfaßt, und die sich bescheiden aus­nehmen neben der halben Million, die in dem Bund deutscher  Frauenvereine zusammengeschlossen sind. Bis heute ist aller­dings diese halbe Million organisierter Frauen von den Trägern und Vertretern des Reiches, der Einzelstaaten usw. noch nie in der gleichen Weise als Macht geehrt worden, wie der katholische Frauenbund, obgleich es ihre Führerinnen wahrhaftig bei keiner Gelegenheit an der Bekundung ergebenster guter Gesinnung" haben fehlen lassen.

Der Gegensatz springt in die Augen und seine Ursachen sind un­schwer zu erkennen. Die nichtkatholischen bürgerlichen Frauenver­einigungen gehören ihrem Wesen nach zu den liberalen Parteien, werden von diesen aber immer noch als ungebetene Gäste be­trachtet, deren leise gestammelte Bitten man mit kleinen Almosen stillt. Die geschichtliche Entwicklung der bürgerlichen Bevölkerungs­schichten zieht wie dem Liberalismus überhaupt so auch diesen Bereinigungen den festen Boden einer geschlossenen Weltanschau­ung mehr und mehr unter den Füßen weg und verschärft die Interessengegensätze zwischen den einzelnen sozialen Gruppen. Jm katholischen Frauenbund ist dagegen die einheitliche religiöse Welt­anschauung zurzeit noch eine lebendige Macht, die solche Interessen­gegensätze in den Hintergrund drängt und die Energien zusammen­ballt. Hinter dem Bund steht eine starte politische Partei: das Zentrum, das die Anpassungsfähigkeit der katholischen Kirche an

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neue, unaufhaltsame Entwicklungsergebnisse besitzt. Schließlich hat der katholische Frauenbund den Segen des Papstes erhalten, er er­freut sich der Sympathie und Unterstüßung deutscher firchlicher Oberhirten. Es ist bekannt, wie schwer das heute in die Wagschale fällt, wo bestimmte soziale Erscheinungen den Einfluß der katho­lischen Kirche erhöhen.

Was die Entschiedenheit anbetrifft, mit der der Bund" Frauen­rechte heischt, so muß sie mit dem bekannten Körnchen Salzes aufge­faßt werden. Wir dürfen diese Entschiedenheit nicht messen an unse ren eigenen grundsätzlichen Forderungen als Sozialistinnen, wir müssen sie verstehen im Zusammenhang der religiösen Weltan schauung, der die katholischen Frauen anhängen. So betrachtet, ist der Fortschritt im Aussprechen und Auftreten unverkennbar. Er tam schon in der Bezeichnung zum Ausdruck, unter der die einzel­nen Verhandlungsgegenstände der Kriegstagung" zusammenge faßt waren: Die Frau als Mitgestalterin am neuen Deutschland  ". Die Referate zu den verschiedenen aufgerollten Fragen ließen mehr oder weniger klar und bestimmt erkennen, daß unter dem Recht und der Pflicht zur Mitgestaltung ein anderes verstanden wurde, als lediglich das Schalten und Walten der Gattin und Mutter am häuslichen Herde: die gleichberech tigte Mitarbeit in der Öffentlichkeit, am gesam ten Leben und Weben der Allgemeinheit. Die Vor­fizende der Generalversammlung, Fräulein Dransfeld, er­klärte unter anderem: Der Einfluß der Frau auf das kulturelle Leben bestand schon immer, aber er vollzog sich in uns unsichtbaren Kanälen. Heute ist die Frau an die Öffentlichkeit getreten, und darum muß sie nicht nur in der Familie, sondern auch in der Offentlichkeit an allen Aufgaben der Zukunft mit wirken.... Das alte Frauenideal soll beibehalten bleiben, doch sein Wert muß erhöht werden. Ehrfurcht soll sich mit gerechtem Selbstbewußtsein paaren. Die Frau muß weiter neue Pflichten erfüllen gegenüber ihrer Familie, in der Betätigung für das Volks- und Staatsganze und nicht zuletzt auch gegen Gott  ."

Bestimmter äußerte sich Fräulein Dr. Lauer über die Gleich­berechtigung der Frau in der Gemeindeverwaltung. Sie stellte fest, wie nötig und nüßlich die Mitarbeit der Frau in der Gemeinde ist, aber auch, daß gesetzliche Bestimmungen ihre Mit­arbeit hindern. Der Zwang der Verhältnisse, die der Krieg schuf, hat bewirkt, daß troß solcher Bestimmungen die Frauen zur Mit­wirkung auf kommunalem Gebiet herangezogen werden mußten. Fräulein Dr. Lauer leitete aus diesem Tatbestand die Forderung ab: Wenn nach dem Kriege aus dem Volte wieder das Volk der Denker wird, muß für die geseßliche Korrektur gesorgt werden." Die Vertreter des Reichskanzlers und des preußischen Kultusministeriums hatten die Mitarbeit der Frauen im allge­meinen anerkannt und namentlich die Leistungen der katholischen Frauen auf dem Gebiet der Jugenderziehung gefeiert. Wir setzen troßdem ein großes Fragezeichen hinter die Hoffnungsseligkeit, daß Reichskanzler, preußische Minister und andere Herrschaften sich demnächst auch nur zu der bescheidenen Forderung des allgemeinen kommunalen Frauenwahlrechts bekehren würden.

Vorträge und Diskussionsreden über die Mitarbeit der Frau zur hebung der Voltssittlichkeit" scheinen von einer scharf ausgeprägten katholischen Welt- und Lebensauffassung getragen worden zu sein. So der Vortrag von Frau Gnaud- Kühne über den Kampf gegen sittliche Mißstände im öffent lichen Leben und der des Stiftsprobsts Dr. Raufmann über das Bevölkerungsproblem im Lichte der ka­tholischen Weltanschauung. Frau Gnaud- Kühne be­zeichnete als aussichtsreichsten Weg im Kampfe gegen sittliche Miß­stände im öffentlichen Leben die Selbsthilfe der Frauen durch die Organisation. Es sei zu erwägen, ob der katholische Frauenbund bei notwendigen Aktionen nicht alle deutschen Frauen, die des gleichen guten Willens sind, zum gemeinsamen Vorgehen aufrufen solle. Die Antwort darauf aus dem Lager der nichtkatholischen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen gab Fräulein Dr. Bäumer. Sie betonte in der Diskussion, daß in Sittlichkeitsfragen Frauen verschiedener Weltanschauung zusammenwirken können. Da Fräu­lein Bäumer die Vorsitzende des Bundes deutscher   Frauenvereine ist, verdient ihre Erklärung Beachtung." Paris   ist eine Messe wert." Hervorgehoben sei noch, daß Frau Neubauer auf die wirt­schaftlichen Seiten des Bevölkerungsproblems hinwies. Sie for­derte vom Staate, daß er durch Wohnungsreform und Steuer­crleichterungen die Familien geneigter mache, mehr Kinder zu er­ziehen.

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.S. in Stuttgart  .