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Die Gleichheit

Lebenshaltung stiegen um 30 bis 50 Prozent. Solche Ent­wicklung unter kriegswirtschaftlicher Zeitung bezeichnet der Herr v. Januschau   als einseitigen Schutz der Verbraucher und als Schädigung der Landwirte. Er verlangt höhere Preise für die opferfreudige Landwirtschaft, damit ihre Erzeugerfreudig feit nicht erschüttert werde.

Man könnte einwenden, im Jahre 1916 seien die Löhne tüchtig gestiegen, ganz besonders in den modernen Groß­industrien, die ja auch gewaltige Gewinnsteigerungen erzielt hätten. Das letztere stimmt, das erstere ist falsch. Aus einer der mächtigsten Industrien, dem Kohlenbergbau, läßt sich das einwandfrei nachweisen. Die im Bergbau gezahlten Löhne werden amtlich ermittelt und allvierteljährlich im ..Reichsanzeiger" veröffentlicht. Uns liegen die Angaben für das zweite Vierteljahr 1916 vor. Insgesamt waren in der Berichtszeit im Bergbau Preußens annähernd 600 000 Per sonen beschäftigt, davon im Ruhrbezirk 295 386 und in Ober­ schlesien   106 944. Es wird daher genügen, die Lohnsteige­rungen in diesen beiden Hauptbezirken herauszustellen. In Oberschlesien   betrug der durchschnittliche Schichtenver­dienst im zweiten Vierteljahr 1913 3,56 M., in der gleichen Zeit 1916 war er auf 4,44 Mt. gestiegen; im Ruhrbezirk stieg der Lohn für eine Schicht von 5,37 Mt. auf 6,28 Mt. Somit ergeben sich für drei Jahre Erhöhungen, die in Ober­ schlesien   88 Pf. oder 22 Prozent, im Ruhrbezirk 91 Pf. oder 17 Prozent ausmachen. Dagegen waren die Kosten der Le­benshaltung um etwa 50 Prozent gestiegen. Die Landwirt. schaft jedoch fordert noch höhere Preise, und zwar mit Be­rufung auf die angeblich gewaltigen Lohnerhöhungen. Was denkt man wohl, worüber die Arbeiter gerechterweise mehr erbittert sind, über den englischen Aushungerungsplan oder über das kriegswirtschaftliche Höherhängen des Brotkorbs?

Stehen schon im allgemeinen die Löhne und Lohnerhöhun­gen in einem argen Mißverhältnis zu den ungleich stärker gestiegenen Preisen für Lebensmittel und Gebrauchsgüter, so gilt das im besonderen von den für weibliche Arbeits. fräfte gezahlten Löhnen. Der Krieg trieb Frauen und Mädchen in großer Zahl in die gewerbliche Gütererzeugung; sie ersetzen männliche Hände und Arbeitskraft in vielen Be­rufen, bei vielen Hantierungen, von denen sie bisher noch ferngehalten worden waren. Nach den Ausweisen der an das ,, Reichsarbeitsblatt" berichtenden Krankenkassen hatten diese am 1. Juli 1914 4 237 328, am 1. Juli 1916 jedoch 4 836 795 weibliche Mitglieder versichert. In diesen Zahlen sind die in den Bergbaubetrieben beschäftigten Arbeiterinnen nicht mit eingeschlossen. Im Jahre 1914 waren in allen preußischen Bergbaubetrieben etwas über 6000 weibliche Arbeitskräfte tätig, in diesem Jahre jedoch ungefähr 29 000. Wie sie ent­lohnt werden, welche Lohnsteigerungen ihnen das Kapital zu­kommen ließ, zeigt die folgende Aufstellung: Im Oberberg­amtsbezirk Dortmund   gab es vor dem Kriege keine Arbeite rinnen im Bergbaubetrieb, 1916 waren dort annähernd 4000 Frauen und Mädchen beschäftigt, deren Tagesverdienst bei schwerer Arbeit im ersten Viertel 1916 2,90 Mk. betrug, im zweiten Viertel auf 3,13 Mr. gestiegen war. In Ober­ schlesien   erhöhte sich der Lohn der Arbeiterinnen von 1,30 Mr. im zweiten Vierteljahr 1914 auf 1,82 Mt. in der gleichen Seit 1916. Also eine Lohnsteigerung um 52 Pf. In Nieder­schlesien, wo man den weiblichen Arbeitskräften jekt 2,18 Mr. Tagesverdienst zukommen ließ, war der Lohn vor zwei Jahren um 45 Pf. niedriger. Die auf den Gruben des Ober­Bergamtsbezirks alle beschäftigten Arbeiterinnen erziel­ten in den letzten zwei Jahren eine Erhöhung des Tagesver­dienstes um 35 Pf. Der höchste Lohn wird im Ruhr bezirk gezahlt. Aber ist irgend jemand in der Lage, nachzuweisen, wie eine erwachsene Frau, vielleicht gar noch mit mehreren Rindern, bei einem Tagesverdienst von 3,13 Mt. und bei den bestehenden Lebensmittelpreisen ohne zu hungern durchhalten fann? Und gibt es einen Landwirt, der noch höhere Preise verlangt, den es gelüftet, am eigenen Leibe zu erproben, wie es den Menschen zumute ist, die für anstrengende Tätigkeit

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1,82 Mt. Lohn bekommen und davon sich unterhalten sollen? In Oberschlesien  , in den gesegneten Gefilden der Landwirtschaft, gibt es etwa 13 000 Grubenarbeiterinnen, die sich mit solchem durchschnittlichem Taglohn durchquälen müssen. Sie hören den erbitternden Ruf nach weiteren Preis­steigerungen! Und sie vernehmen, daß ihre angeblich großen Lohnerhöhungen" die Ansprüche auf weitere Profitsteige­rungen rechtfertigen sollen!

Die zu durchsichtigen Zweden in unverantwortlicher Weise verbreitete Mär von den Riesenlöhnen und großen Lohn­steigerungen" stellt auch die jugendlichen Arbeiter in die Reihe der Glücklichen mit so großem Einkommen, daß man ihnen durch weitere Preissteigerung einen Teil davon abnehmen dürfe. Zahlen beweisen das Gegenteil. In Oberschlesien   betrug der Tagesverdienst der jugend­lichen Bergarbeiter unter 16 Jahren im zweiten Viertel­jahr 1916 ganze 176 Pf., 52 Pf. mehr als zwei Jahre vorher. Um 64 Pf., auf 198 Pf., stieg der Lohn in Nieder­schlesien, um 62 Pf., auf 206 Pf., im Ruhrrevier, um 33 Pf., auf 197 Pf., im Bezirk Aachen  . Das sind die fagenhaft hohen Löhne der jugendlichen Arbeiter im Berg­bau. Neizen sie wirklich zu einer weiteren Verteuerung der Lebensmittel? In Schlesien   und im Ruhrrevier zusammen sind über 30 000 Jugendliche auf den Gruben beschäftigt. Ihr Anteil an der Gesamtbelegschaft ist in Oberschlesien   von 5,4 Prozent auf 8 Prozent, im Ruhrbergbau von 3,8 Prozent auf 7,7 Prozent gestiegen.

In ganz erheblichem Umfang haben Jugendliche sowie weibliche Arbeitskräfte die Arbeit von Männern übernehmen müssen, aber sie bekommen nicht den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit. Jedenfalls entspricht ihre Entlohnung nicht den Leistungen, wenn man bei dem Urteil von dem Verhält­nis zwischen Leistung und Lohn bei den erwachsenen männ­lichen Arbeitern ausgeht. Diese Tatsache wird durch die fol­gende Gegenüberstellung beleuchtet, die sich auf die Verhält­nisse im Bergbau von Oberschlesien   beziehen. Nach den amtlichen Ausweisen wurden dort im zweiten Vierteljahr 1916 für über Tage beschäftigte Arbeitskräfte im Durchschnitt Schichtlöhne gezahlt:

Männliche Erwachsene Frauen und Mädchen Männliche Jugendliche

4,18 Mt. 1,82 1,76

W

Der krasse Unterschied in den Löhnen enthüllt zunächst eine große Benachteiligung für die jugendlichen und weiblichen Arbeitskräfte, die alle Lebensmittel ebenso teuer bezahlen müssen wie die erwachsenen männlichen Arbeiter. Die Sache hat weiter aber auch noch eine allgemeine wirtschaftliche Be­deutung. Sie bekundet einen gesteigerten Anteil des Kapitals am Arbeitsertrag. Ein größerer Teil der Gütererzeugung entfällt heute auf die jugendliche und weibliche Arbeitskraft; für diese bezahlt das Unternehmertum aber eine geringere Lohnfumme als früher für die gleiche Menge Erzeugnisse an die erwachsenen männlichen Arbeiter. Man spart an Löhnen, und gleichzeitig hat man die Verkaufspreise beträchtlich er­höht. Aus diesen beiden Quellen fließen nun die ganz erheb­lich gesteigerten Gewinne. Den Lohnverlust trägt die Gesamt­arbeiterschaft; von dem in Geld umgesetzten Erträgnis ihrer Arbeit bekommt sie heute einen verhältnismäßig geringeren Anteil als früher. Und von dem geringeren Lohnanteil muß sie nun viel mehr als vor dem Krieg für die Ernährung ab­stoßen.

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So steht's in Wirklichkeit mit der Einseitigkeit" der Kriegswirtschaft. Die Ausnutzung der Arbeitskraft zum Vor­teil des kapitalistischen   Gewinns ist ganz erheblich gestiegen. Sie soll weiter gesteigert werden: die Landwirtschaft dreht unablässig an der Schraube der Preissteigerungen, und die Industrie tut, was sie kann, um nicht hinter ihr zurückzu Wilhelm Diwell. bleiben.