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Die Gleich beit

daß teine Zeitung fie veröffentlichen modhte. Und Zolaschülerin ist die Dichterin ihr ganzes ferneres Leben geblieben. In Vielem hat sie den Meister nicht erreicht, in Vielem auch schlug sie m: t Absicht bescheidenere Töne an, als der große Franzose sie erklingen Teß. Schaffensvorbild aber ist er ihr besonders in ihren besten Romanen, etwa im Weiberdorf" und im Täglichen Brot" ge=

worten.

Zwei Tutzend Bücher hat Clara Viebig   in den fünfundzwanzig Jahren, die ihr titerarisches Schaffen umgrenzen, der deutschen Reserwelt übergeben. Den allermeisten von ihnen ist starker Bei­fall aus dem Kreise der Laien wie dem der Kundigen nicht aus­geblieben. Einzelne aber bedeuteten geradezu eine literarische Tat. So der Berliner   Dienstbotenroman Das tägliche Brot". Am Schicksal zweier vom Lande gekommener Mädchen wird hier das soziale Elend dieser Proletarierinnen in lebendigen Farben geschildert. Die junge Mutter, die ihr außerehelich ge= borenes Kind aussetzt, cs jedoch, von Mutterjehnen getrieben, bald wieder zu sich holt und sich abradert und schindet, um nur für ihr Kindchen das Pflegegeld aufzubringen, derweil sie im Herrschaftsdienst fremder Leute Kindern all die Liebe und Sätschelei geben muß, die eigentlich ihrem eigenen Rinde ge= börten, steht im Mittelpunkt der durch packende Bilder gestützten Handlung. Um sie und ihre Not ranft sich ein scharf geschauter, ohne Tendenz geftalteter Milieuausschnitt des jozialen Berlins  . Als die unermüdlich ums tägliche Brot Schuftende dann Fran geworden, an der Seite eines wenig sympathischen Mannes Proletarierinnenlos weiterträgt, geht es ihr nicht besser. Sie er= innert sich ihrer Heimat und eine heiße Sehnsucht nach einem Stückchen Land überkommt die ganze Familie, die jahraus, jahre: n im vierten Stock des Hinterhauses hausen muß, ohne Luft, ohne Simmel, ohne Sonne. In einem Vorort wird eine Handvoll Erde zu ein paar Gemüsebeeten gepachtet. Indes dort. draußen auf dieser Sandfläche wächst nichts, und was wirklich wächst, das wird gestohlen. Geschäfte machen lediglich die Boden­spetulanten. Eine Handvol! Erde  " bildet eine Er­gänzung des Täglichen Brot" und ist fünfzehn Jahre nach diesem erichienen.

In ganz anderen Berliner   Kreisen, und zwar in einer reichen Grunewaldvilla, entwickelt sich das Geschehen von Einer Mutter Sohn", ein Roman, in den das Problem der Ver­erbung von Charaktereigenschaften vielleicht etwas allzu gewalt fam und starr gestellt ist. Ein reiches, tinderloses Ehepaar hat

und weist sie darauf hin, daß ihr eigentliches Feld Briese und Rezensionen sind, da sie da am besten ganz individuell, d. h. sie felbft bleiben kann. Und August Schlegel   bezeugt von jenen Auf­fäßen, sie seien ,, bon der Hand einer geistreichen Frau, welche alle Talente besaß, um als Schriftstellerin zu glänzen, deren Ehr­geiz aber nicht darauf gerichtet war."

Ein schönes Wort fand Friedrich Schlegel   für den Freundes­freis, der sich um Karoline gesammelt hatte: Wir gehören doch alle zu der einen Familie der herrlichen Verbannten." Da fan­ben sich Schelling  , Hardenberg, Tied, Schleiermacher  , Fichte, auch Schiller und Goethe, alle Mitarbeiter an der von den Brüdern Edhiegel herausgegebenen Zeitschrift Athenäum  ". Das Band unter ihnen war Karoline, deren lebhafter Geist es verstand, aus jedem das Beste herauszuholen, anzuregen, zu kritisieren und die richtige Form zu finden, wo Tadel nötig war. Wie schön haben Eie es beschrieben, wie es einem geht mit dem Tadeln und Rendern und Streichen!" schrieb ihr Dorothea Veit  , die Freundin und spätere Gattin Friedrich Schlegels. Und ein andermal: Was schätzbar an ihr ist, das ist ihre zwar etwas harte, aber immer brave Gradheit und Aufrichtigkeit. So urteilt sie auch über jedes Wert der Kunst und über alles ganz dreist; was aber an anderen arrogant wäre, liegt bei ihr in der Unbefangenheit und unbe­sonnenen Rüdsichtslosigkeit ihres Charakters." Uebrigens durch schaute Dorothea das Verhältnis von Karoline zu ihrem Gatten: Shre Kofetterie gegen Wilhelm gab mir die Vermutung, daß

fie ihn nicht liebt."

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das Kind ener armen, berlumpten Witwe in einem an der bel­gischen Grenze liegenden Venndorfe adoptiert, um dann später wenig Freude an diesem zu erleben. Die seelischen Enttäuschungen und Erschütterungen der reichen Frau, die bemüht war, dem fremden Kinde soviel von ihrem eigenen Herzen zu geben, deren Tun aber trotzdem eine große Berirrung darstellt, sind auch hier padend gezeichnet.

Eine volle Meisterschaft hat Clara Viebig   in ihrem in der Eifel spielenden Roman Das Weiberdorf" erreicht. Urfräftig und wuchtig steht dieses Gemälde voll sozialen Stimmungsgehalts vor uns. Alljährlich gehen die Männer in die Stadt zur Arbeit, zum Verdienen, nur die Frauen bleiben zurück, um in der armen. Heimat das ärmliche Gut zu wahren und zu betreuen. Starte leidenschaftliche Konflikte ergeben sich aus dieser Differenz, ero­tische Szenen, zuweilen humordurchsetzt, bleiben nicht aus.

Eine lange Reihe von Frauengestalten und Frauenschicksalen hat die Künstlerin in thren Romanen und Erzählungen geformt. Und wenn wir uns über die Buchseiten beugen und uns in die einzeinen Charaktere vertiefen, so fühlen wir, daß diese Personen uns alle schon einmal irgendwo im Leben begegnet sind. Die starke Gabe der Einfühlung und des Wirklichkeitssinnes, die der Dichterin eigen ist, cffenbart sich uns sofort. Nicht zuletzt in ihren beiden jüngsten Büchern, den Romanen Töchter der Setuba" und" Das rote Meer". In beiden gestaltet fie die Seelennot deutscher Mütter, Frauen und Bräute während des vierjährigen herz- und hoffnungslosen Krieges. Eine Zeit­chronit, künstlerisch gestaltet, packend und voll heißen Atems. Ein Hohelied auf das Duldertum schmerzdurchbohrter Frauenherzen. Das Rote Meer  " ist erst in diesen Tagen erschienen und stellt die Geburtstagsgabe dar, die sich die Jubilarin selbst bescherte. Es ift eine Fortjeßung der Töchter der Hekuba" und endet mit dem Ausbruch der Revolution in Berlin   und der Ausrufung der Republik  . Der Roman tosiet geheftet zehn, gebunden fünfzehn Mart. Noch manches andere gute Buch hat Clara Viebig   geschrieben. Geschichtliche, soziale und seelische Stoffe hat ihr scharfer Griffel gemeistert. Berlockend wäre es, auf einzelne ihrer Frauen­figuren näher einzugehen, die, inmitten von großen Kultur­gemälden stehend, als Weib oder Mutter, charakteristisch scharf um­riffen gestaltet sind. Auch ihr technisches Können verdiente eine eingehendere Würdigung. So ihre dem Stoffe zumeist glänzend angepaßte Eprache; so die oft meisterhaft durchgeführte Szenen­entfaltung, wie fie in fast allen ihren Büchern anzutreffen ist.

Rubr im blühendsten Alter in Bocklet am 12. August 1800. Der Schlag traf alle furchtbar hart, die das liebliche junge Mädchen kannten, am härtesten natürlich die Mutter, die ihr Kind ver= göttert hatte. In ihrem Schmerz schloß sie sich noch mehr als vorher an Schelling, dem ja durch diesen Tod auch eine frohe Lebenshoffnung zerstört war. Schon zu Augustens Lebzeiten hatte sie an Schelling geschrieben: Du weißt, ich folge Dir, wo­hin Du willst, denn Dein Tun und Leben ist mir heilig und im in des Gottes Heiligtum heißt herrschen Heiligtum dienen auf Erden."

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Nach der Tochter Tod, die auch ein Verbindungsglied zwischen Echlegel und Karoline gewesen war, Ioderten sich die Bande in dem Maße, in dem die Neigung zwischen Karoline und Schelling

wuchs. Die redlichen Versuche Karolines, noch einmal das Zue fammenleben mit Schlegel   aufzunehmen, schlugen fehl. Er war in Berlin   gefesselt, während Karoline sich bemühte, in Weimar  Goethe für die Uraufführung von Schlegels Trauerspiel Jon" zu interessieren. Der Bericht, den Karoline von dieser Urauf­führung gab, in der Goethe eine geradezu glänzende Regiekunst entfaltete, fann als Meisterstüc fritischer Beobachtung bezeichnet merden. Sehr amüsant ist die Schilderung des Weimarer   Publis fums. Die strenge Echeidung zwischen Adel und Bürgertum, die Intrigen der verschiedenen Literaten, der Neid der großen Geister, von dem sie auch Herder und Schiller  nicht freispricht; das alles zeigt einen scharfen, oft rücksichtslos be obachtenden Geift. Um so größer ist Karolines Bewunderung und Dankbarkeit für Goethe: Er hat mit unendlicher Liebe an Dir und dem Stück gehandelt", meldet sie an Schlegel  . Goethe

Es rächte sich allerdings bald, daß Karoline aus Furcht vor dem Alleinsein und vor dem Kampfe des Lebens eine Verbindung ge­schlossen hatte, in der man sein ganzes Selbst auf das Spiel setzt. spendete aber auch einer Kritif, die Karoline über den Jon" ver­

anfangs der heranwachsenden auch so liebreizenden Augufte zu Tine um so näher trat. Den 3wiespalt, in den Schelling vielleicht gelten schien, und der durch eben diese Neigung der Mutter Karo­gekommen wäre in schwankender Neigung zwischen Mutter und Tochter, löfte der große Weltbezwinger Tod. Augufte erlag der

und rühmte Schelling die reine und schöne Absicht darin.

( Fortseßung olat)

Eine kleine Stelle, die du ganz ausfüllit, iſt ein Ehrenplatz; die größte, der du nicht genügft, ein Pranger.

0. v. Celxner,