Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 7

。。。 Beilage zur Gleichheit oooooooo

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Inhaltsverzeichnis: Das neue Jahr. Von Emma Dölz. Kunst und Proletariat. Von Klara Zettin. Zur Bekämpfung der Syphilis. Bon Dr. Marie Kaufmann. Für die Hausfrau. Feuilleton: Sein letztes Hochamt. Von Wilhelm Holzamer  .

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Das neue Jahr.

Don Emma dölt.

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Nun ist verhallt der Weihnachtsjubel, Die Lichter hell find abgebrannt, Und wieder liegt auf allen Dingen Des Alltags graue Sorgenhand.

Und doch, die Zukunft singt uns Lieder, So hoffnungsreich, so voll und klar, Und der Refrain kehrt immer wieder: Hoff' und vertrau' aufs neue Jahr. Sei stark! Und wenn im tiefsten Herzen Beklemmend dir der Zweifel nagt, Dann sieh, wie hell in Kinderaugen Das neue Jahr, die Zukunft tagt. Wer will den Lauf der Zeiten hemmen? Bald werden frühlingslüfte wehn, Bald wird die Saat, die wir ausstreuten, In Blüten und in früchten stehn. Dann wird der Tag der Ernte kommen, Dem unser Herz entgegenglüht. Wen kümmern Mühen und Beschwerden, Wenn er den Sieg der Arbeit sieht!

O, leuchtet uns, ihr Kinderaugen, Und macht uns mutig, stark und wahr. Euch helfen wir die Zukunft bauen, Jhr Kinder seid das Neue Jahr".

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Kunst und Proletariat.

Von Klara Zetkin  .

Es könnte ein Hohn dünken, zugleich von Kunst und Prole­tariat zu sprechen. Die Lebensbedingungen, welche die kapitalistische Gesellschaftsordnung ihren Lohnstlaven schafft, sind kunstfeindlich, ja kunstmörderisch. Kunstgenießen und noch mehr Kunstschaffen hat zur Voraussetzung einen Spielraum materieller und kultureller Bewegungsfreiheit, einen Überschuß materieller Güter, leiblicher, geistiger und sittlicher Kräfte über das Notwendige, das bloß Mate­rielle hinaus. Aber materielle Not und damit auch Kulturarmut ist das Geschick der Ausgebeuteten und Beherrschten gewesen, seit dem Klassengegensätze die Gesellschaft zertlüften. Daher ist wieder­holt die Frage aufgetaucht, ob die Kunst überhaupt eine sittliche, eine gesellschaftliche Berechtigung habe, ob die Kunst für die Mensch­heitsentwicklung fördernd oder hindernd sei.

Jean Jacques Rousseau  , der große philosophische Apostel der Rückkehr zur Natur, erklärte Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in seiner berühmten Abhandlung an die Akademie zu Dijon  , die Kunst sei ein Luxus und führe zum sittlichen Verfall der Mensch­heit. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts prägte der philosophische Nihilismus in Rußland   den Ausspruch, daß ein Schuhmacher von größerem Werte für die Gesellschaft sei als Raffael, denn der Schuhmacher leiste gesellschaftlich notwendige und unentbehrliche Arbeit, während Raffael Madonnenbilder ge­malt habe, die man entbehren könne. Ähnliche, aber sozial ver­tiefte Gedankengänge wie die Rousseaus führten an der Schwelle des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts einen der größten Künstler, Leo Tolstoi  , zu seiner Wertung der Kunst. Tolstoi ver­urteilt mit der ihn auszeichnenden unerbittlichen Logik nicht bloß die moderne Kunst im besonderen, sondern jede Kunst überhaupt, soweit sie als Vorrecht und Genuß der Besitzenden auftritt und Selbstzweck ist. Wie der jugendliche Schiller von der Auffassung ausging, daß die Bühne, das Schauspiel eine moralische Anstalt" sei, so endete der greise Tolstoi mit der Überzeugung, daß nur die Kunst eine Berechtigung habe, die bewußt das Ziel verfolgt, das

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1911

gesamte Bolt zu höherer Sittlichkeit emporzuheben. Und konsequent mit sich selbst läßt er seine eigene unsterbliche Kunst nur noch als Mittel zum Zwecke gelten, seine Ideen in die breitesten Bevölfe­rungsfreise zu tragen und sie dadurch in seinem Sinne zu erziehen.

Den angeführten schiefen, paradoxalen Anschauungen ist eins gemeinsam. Sie stammen aus übergangszeiten, wo eine alte gesell­schaftliche Ordnung im Sterben liegt und neue Formen des sozialen Lebens sich emporzuringen beginnen. In diesen Zeiten trägt die Kunst auffällig das Gepräge einer Dienerin, ja das Brandmal einer Dirne der besitzenden und herrschenden Minderheit, erscheint sie nur als ein Luxus, eine Tändelei für diese und tritt daher mit ihrem Inhalt, ihrem Um und Auf in schroffen Gegensatz zu den Bedürfnissen und Anschauungen der emporstrebenden Klassen. Das gilt sowohl von der Zeit, da Rousseau   seine Abhandlung geschrieben hat, als von der, wo der philosophische Nihilismus in Rußland   in die Halme schoß, das gilt von heute, da Tolstoi mit den Gaben eines großen Künstlers und dem Fanatismus eines gewaltigen Sittenpredigers, der die Welt erneuern möchte, gegen die Kunst eiferte. über den hervorstechenden Merkmalen des Verfalles auf der einen Seite werden in solchen Zeiten leicht die Zeichen des neu emporblühenden Lebens auf der anderen übersehen. Eines Lebens, das auch die Kunst aus ihrem Verfall erlöst und ihr neue Ent­wicklungsmöglichkeiten und einen neuen gesunden, höheren Inhalt schafft. Denn im Sein der Völker, der Menschheit läuft Absterben und Emporblühen parallel einher. Wenn der Tod alte Formen der Wirtschaft und der mit ihnen zusammenhängenden politischen, rechtlichen, künstlerischen Verhältnisse ergreift, so hat auch die Ge­burtsstunde neuer Formen angehoben. Als Jean Jacques Rousseau  sein Verdammungsurteil über die Kunst als eine Verderberin der Sitten fäute, holte die französische   Philosophie als Abglanz ge wandelter wirtschaftlicher, sozialer Zustände zu den kühnen Ge­dantenflügen aus, die zwar nicht in einem Zeitalter tlassischer Kunst ihren Höhepunkt fanden, wohl aber in einer klassischen Tat der Politit: in der großen französischen   Revolution. Die sozialen Kämpfe dieser Zeit haben aber in entscheidender Weise die Weiter­entwicklung der Kunst beeinflußt. In Frankreich   selbst und nicht zum wenigsten in Deutschland  . Hier führte die gleiche wirtschaft­liche Entwicklung der Vormarsch der kapitalistischen   Produktion -nicht zur politischen Herrschaft der Bourgeoisie, dafür aber schlug diese ihre Emanzipationsschlacht auf dem Gebiet der Philosophie und Kunst, die sich zu klassischer Blüte erhoben.

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Aber nicht nur um des hervorgehobenen geschichtlichen Zu­sammenhanges willen muß Rousseaus und Tolstois Anschauung zurückgewiesen werden. Es ist eine Tatsache, daß die Kunst eine alte, urwüchsige geistige Lebensäußerung der Menschheit ist. Wie das Denken, ja vielleicht noch früher als das abstrakte Denken, hat sich der Drang nach künstlerischem Schaffen an der Tätigteit, der Arbeit des primitiven Menschen entwickelt, und zwar an der ge­sellschaftlichen Arbeit. Kaum daß der Mensch sich von der Tier­heit loszulösen beginnt, daß geistiges Leben in ihm die Augen auf­schlägt, regt sich in ihm der künstlerische Schöpfungsdrang und läßt eine ganz einfache, rohe Kunst entstehen. Davon erzählen vorge­schichtliche Funde, die uns die Höhlenzeichnungen der steinzeitlichen Elefanten- und Renntierjäger kennen lehrten. Das bestätigt uns die Völkerkunde, die uns Tanz, Musik, Poesie wie bildliche und plastische Darstellungen als Ausdruck urwüchsigen Kunstfinns zeigt. Die Buschmänner und andere wilde Völkerstämme haben eine ele­mentare Kunstbetätigung. Ehe sich ihre Fähigkeit zum abstrakten Denten entwickelte, haben sie Ausdrucksmittel der sinnlichen Dar­stellung für Geschautes und Empfundenes gefunden.

Kein Wunder daher, daß leidenschaftliches Begehren nach künstle rischem Genießen und Schaffen zu allen Zeiten in den frondenden und beherrschten Gesellschaftsschichten lebendig gewesen ist. Auch darin hat das Feuer jenes prometheusischen Troyes   geleuchtet, der allen knechtenden Gewalten zuruft:" Ihr könnt mich doch nicht töten!" So sind aus den breitesten Boltsmassen heraus der Kunst wieder und wieder verständnisvolle Jünger und Wehrer ihrer Schätze erwachsen. Aber eines müssen wir dabei festhalten. So lange die beherrschten Klassen sich ihres Gegensatzes zu den Herr­schenden nicht klar bewußt sind, nicht danach trachten, ihn auf­zuheben, können sie auch für die Kunst keine neuen gesellschaft­lichen Entwicklungsmöglichkeiten, feinen neuen, weitreichenden In­halt schaffen. Ihr künstlerisches Sehnen wird mit der Kunst ihrer