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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Herren genährt, und die Kunst ihrer Herren ist es, die ihr leiden­schaftlicher, fünstlerischer Schöpfungsdrang bereichert. Erst wenn die Beherrschten als emporstrebende, rebellierende Klasse einen eigenen geistigen Lebensinhalt bekommen; erst wenn sie kämpfen, um drückende soziale, politische, geistige Fesseln zu sprengen: erſt dann wird ihr Einfluß auf das fünstlerische Kulturerbe der Mensch heit zu einem selbständigen und daher wirklich fruchtbaren, zu einem entscheidenden. Ihr Anteil daran geht dann nicht bloß in die Breite, sondern in die Tiefe, er treibt neuen, weiteren Horizonten ent­gegen. Immer wieder sind es aus Knechtschaft zur Freiheit drängende Massen, die die Kunstentwicklung aufwärts und vorwärts tragen, aus denen die Kraft erwächst, Perioden des Stillstandes, ja des Verfalles der Kunst zu überwinden. Diese allgemeinen Zusammen­hänge treffen auch für das Verhältnis des Proletariats zur Kunst zu. Sie irren, die im proletarischen Klaffenkampf nur das Begehren nach Füllung des Magens sehen. Dieses weltgeschichtliche Ringen geht um das ganze Kulturerbe der Menschheit, es geht um die Möglichkeit der Entfaltung und Betätigung vollen Menschentums für alle. Das Proletariat kann als Klasse nicht an den Toren der tapitalistischen Truzburg rütteln, es fann nicht aus der Nacht und Not der Fabriken empordrängen, ohne sich mit seinem eigenen Kunstsehnen und der Kunst unserer Zeit auseinanderzusetzen.

Wie findet das Proletariat die Kunst? Hat die Kunst die Frei­heit, die eine Vorbedingung ihres Blühens und Reifens ist? Wir hören es gelegentlich, aber es ist nicht so. Als sich im Schoße der feudalen Ordnung die bürgerliche Gesellschaft entwickelte, setzte auch der Kampf der Künstler für ihre Freiheit, für die Freiheit der Kunst ein. Die Geschichte zeigt uns, wie schwer und zähe die Künstler gerungen haben, um sich aus den Fesseln des zünftigen Handwerkes zu lösen, um aber auch die Sklavenketten zu brechen, die sie an den Adel und die weltlichen wie geistlichen Fürsten  banden und ihr Schaffen zu einem höfifchen Lataiendienst herab­drückten. Die Künstler haben gesiegt, ihr Erfolg war ein Teil des Triumphes der bürgerlichen Gesellschaft, die sich auch in ihrem Streben angekündigt hatte. Die Kunst wurde zu einem sogenannten ,, liberalen Beruf".

Aber was besagt das in einer Ordnung der kapitalistischen  Warenproduktion, die der wirtschaftliche Mutterboden der bürger­lichen Gesellschaft ist? Nichts anderes, als daß auch die Kunst den ehernen Gesetzen eben dieser Warenproduktion untertan ist. Die Grundlage der kapitalistischen   Warenproduktion ist die Unfreiheit der menschlichen Arbeit. Solange die menschliche Arbeit überhaupt unfrei ist, bleibt wie die Handarbeit so auch die Kopfarbeit ge­fnechtet, müssen Wissenschaft und Kunst unfrei bleiben. Neben dem Proletarier mit schwielenharter Faust trägt der forschende Gelehrte, der schaffende Künstler das Joch der kapitalistischen   Ord nung. Die Kunst geht nach Brot, muß nach Brot gehen, weil der Künstler leben will. Um zu leben, ist er gezwungen, zu verkaufen, was sein Genius ihm zu schaffen befahl. Die Ordnung des Kapi­talismus fennt nur fäufliche und verkäufliche Waren. Ware wird auch in ihr, was die Kunst gestaltet. Wie Kleiderstoffe und Kaffee muß die künstlerische Ware ihren Markt erobern. Wer ist es, der ihn beherrscht? Nicht der kleine Kreis der Kunstverständigen und Kunstgenießenden, nein, die Unkultur und Halbkultur, der Luxus, das Berstreuungs- und Betäubungsbedürfnis eines zahlungsfähigen Pöbels", um diesen groben Ausdruck zu gebrauchen.

Dieser harte Tatbestand bricht den hohen Idealismus so manches Künstlers, der in faustischem Drange Himmel und Erde in seine Werke bannen wollte, der gierig nach goldenen Schätzen der Kunst grub und sich schließlich damit begnügte, die Regenwürmer einer angesehenen und einträglichen Stellung in der Gesellschaft zu finden. Das Leben zertritt unendlich viele von denen, für welche die Kunst die hohe, die himmlische Göttin" bleibt und nicht zur milchen­den Kuh" herabgewürdigt wird, die sie mit Butter versorgt. Nur die ganz Starken, die warten können, wahren sich die Freiheit, Künstlerisch auszusprechen, was ein Gott zu sagen ihnen gegeben. Und was ist das Los derer, die sich den Forderungen des Marktes beugen und den Tageserfolg einheimfen? Sie erliegen der hand­werksmäßigen Schablone oder der Sklaverei der Tagessensation. Die Unrast des kapitalistischen   Kunstmarktes, der Stachel der Kon­furrenz treibt vorwärts, zerstört die äußeren und inneren Vor­bedingungen für das Ausreifen großzügiger Werke. Die bildenden Künstler produzieren in fieberhafter Haft für die großen Warenbafare ihrer Kunst, Ausstellungen genannt; der Komponist schafft ebenso den Clou" der neuen Saison, der Schriftsteller hetzt sich ab für den Weihnachtsmarkt usw. Der Künstler geht in dem betriebsamen In­dustriellen und Händler mit künstlerischen Waren unter, fein fünft­lerisches Kapital ist bald vertan, aus einem Mehrer wird ein Fälscher der Kulturwerte. In den aufgezeigten Zusammenhängen ist mit

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der Grund dafür zu suchen, weshalb in unserer Zeit die Kunst­strömungen einander so rasch ablösen, die berühmten" fünstlerischen Tagesgrößen außerordentlich rasch verbraucht sind. Was heute als höchste Offenbarung fünstlerischen Genies in die Wolfen gehoben wurde, ist in höchstens zehn Jahren vergessen und hat nur noch historisches Interesse. Eine andere charakteristische Erscheinung macht sich breit. Die aufgezeigten Verhältnisse zeitigen eine After­funst. Der Kapitalismus erzeugt das sie ausbeutende Unternehmer­tum, die ausgebeuteten Kräfte, die zum Teil von dem künstlerischen Lumpenproletariat gestellt werden, das ein ureigenes Kind der heutigen Ordnung ist, und er schafft schließlich das kaufende Publi­fum von unten wie oben. Zu den Erscheinungen dieser Afterkunst gehören die Tingeltangel, sehr viele Varietés, die pornographischen Erzeugnisse der Literatur und Graphit, aber ebenso auch die dyna­stischen und patriotischen Denkmäler auf Abzahlung usw.

Es drängt sich die Frage auf, könnte nicht der heutige Staat als größter Auftraggeber die Kunst aus ihrer Misere emporheben? Er kann es nicht, denn er ist der Staat der besitzenden und herr­schenden Minderheit und nicht der Ausdruck eines einheitlichen Volksganzen und Volkswillens. Auch er ist untertan den Gesetzen der kapitalistischen   Ordnung, deren Geschöpf er ist. Dieser Umstand ist entscheidender für sein Verhältnis zur Kunst, als die Launen und Liebhabereien eines Monarchen sein können. Bei uns in Deutsch­ land   wird der Tatbestand verdunkelt durch die künstlerische Selbst­herrlichkeit Wilhelms II., der wir die Lauffschen Dramen verdanken, die Hohenzollerndenkmäler der steinernen Pappelallee und andere künstlerische Greuel und Scheuel.... Was sich darin offenbart, ist aber im letzten Grunde nicht der gewaltige und zwingende Einfluß eines Monarchen, es ist die Abdankung der deutschen Bourgeoisie vor dem persönlichen Regiment auch auf dem Gebiet der Kunst.

Nur wenn sich die Arbeit vom Joche des Kapitalismus befreit, nur wenn damit die Klassengegensätze in der Gesellschaft aufgehoben werden, nimmt die Freiheit der Kunst Leben und Gestalt an, kann der künstlerische Genius frei die höchsten Flüge wagen. Vor der Sozialdemokratie hat das ein Berufener im Reiche der Kunst er­kannt und verkündet: Richard Wagner  . Seine Abhandlung Kunst und Revolution" bleibt ein klassisches Zeugnis dieser Auffassung. Dort heißt es: Laßt uns aufsteigen von dem Elend des Hand­werkertums mit seiner bleichen Geldseele zu dem freien künstle= rischen Menschentum mit seiner strahlenden Weltseele; aus müh­selig beladenen Tagelöhnern der Industrie wollen wir alle zu schönen, starken Menschen werden, denen die Welt gehört, als ein ewig unversiegbarer Quell des höchsten Genusses." Klar zeigte Wagner auf die Wurzel hin, aus der das Elend des Handwerker­tums" emporwächst, die Tagelöhnerei der Industrie". Hören wir ihn: Solange in einem Volte alle Menschen nicht gleich frei und glücklich sein tönnen, müssen alle Menschen gleich Sflaven und gleich elend sein." Wagner antwortete auch unzweideutig auf die Frage, wie die gleiche Sklaverei für alle überwunden, wie ein freies tünstlerisches Menschentum für alle erblühen tönne. Er sagt: Der Zweck der geschichtlichen Entwicklung ist der starke Mensch, ist der schöne Mensch: die Revolution gebe ihm die Stärke, die Kunst die nebenbei bemerkt Schönheit." Aus dieser Außerung geht hervor, daß der schöne und starke Mensch, den Wagner ersehnte, nicht die vielberufene Persönlichkeit" des Individualismus ist, nicht die blonde Bestie des Übermenschen, sondern die harmonisch ent­faltete Persönlichkeit, die sich mit dem Ganzen untrennbar ver­bunden, die sich als eins mit ihm fühlt. Die Revolution ist die Tat der Massen, und die höchste Kunst wird immer Ausdruck geistigen ( Schluß folgt.) Massenlebens bleiben.

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Zur Bekämpfung der Syphilis.

Von Dr. Marie Kaufmann.

Alle Zeitschriften verkünden mit Jubel die großen Erfolge, die man mit dem neuen Mittel des genialen Forschers Ehrlich im Kampfe gegen die Syphilis zu verzeichnen hat. Jetzt, wo man mehr denn je die begründete Hoffnung hegen darf, eine vollständige Hei­lung dieser Krankheit zu erzielen, ist auch die Pflicht eines jeden Erfrankten im eigenen und fremden Interesse- denn Syphilis ist hochgradig ansteckend und erblich- doppelt groß, sich einer sach­kundigen Behandlung zu unterziehen. Krankheiten, die von starken Schmerzen, ausgeprägtem Krankheitsgefühl, auffallenden Entste!- lungen begleitet sind, reden eine eindrucksvolle Sprache und er­zwingen sich Beachtung und bestmöglichste Beseitigung. Anders da­gegen ist es mit jenen heimtückischen Erkrankungen, die im Anfang nur geringfügige Merkmale hervorrufen- dadurch tatsächlich über­sehen werden oder ein absichtliches Nichtbeachten herausfordern-