Nr. 7
Für unsere Mütter und Hausfrauen
später aber um so tiefgreifendere Verheerungen im ganzen Körper anrichten. Ihnen gegenüber ist der beste Schutz Aufklärung, eine weite Verbreitung der durch tausendfache Erfahrung gewonnenen Kenntnisse. Wir wollen daher den Verlauf der Syphilis kurz schil dern und im Anschluß daran Verhaltungsmaßregeln wiedergeben, wie sie im Hamburger Allgemeinen Krankenhaus St. Georg den Patienten gedruckt ausgehändigt werden.
Erworben wird die Syphilis in Deutschland in zirka 95 Prozent aller Fälle durch geschlechtlichen Verkehr mit einer an Syphilis leidenden Person, in den übrigen 5 Prozent durch irgendwelche Be rührung eines Syphilitischen oder eines Gegenstandes, den der Syphilitische vorher infizierte. In Rußland , wo die hygienischen Verhältnisse noch ganz besonders schlecht sind, finden zirka 75 Prozent aller Ansteckungen außergeschlechtlich statt. Ein schlagender Beweis für die trostlosen Zustände des Barenreiches. Zur Erläuterung dieser sogenannten extragenitalen( nicht geschlechtlichen) Anfteckung will ich Auszüge aus anderweits veröffentlichten Krankengeschichten( Dr. Nonne) geben. Vielleicht tragen sie auch dazu bei, größere Vorsicht und Sorgfalt walten zu lassen.
Erster Fall. Die Mutter eines zwanzigjährigen an Rückenmarkschwindsucht leidenden Mädchens, das nachweislich noch keinen geschlechtlichen Verkehr gehabt hatte, gab folgendes an:„ Als sie das Kind geboren hatte, war sie in sehr bedrängten Verhältnissen und nahm deshalb, da sie reichlich Milch hatte, ein fremdes neugeborenes Kind an. Sie nährte dieses fremde Kind an der anderen Brust und erwarb durch dieses Kind, welches von dem später hinzugezogenen Arzte für syphilitisch erklärt wurde, einen Brustschanter. Der Arzt stellte die Diagnose auf Syphilis. Zu spät, um ihr eigenes Kind noch vor weiteren Ansteckungen zu bewahren." Dieser traurige Fall lehrt, daß keine Frau ein fremdes Kind nähren soll, wenn der Arzt nicht ein Gesundheitszeugnis für das Kind ausgestellt hat.
Zweiter Fall. Ein gesunder fünfjähriger Knabe schlief mit einem Einlogierer zufammen in einem Bett. Dieser Einlogierer wurde ( ausweislich des Krankenberichts) an Syphilis behandelt. Kurze Zeit nachher bekam das Kind einen syphilitischen Ausschlag und erblindete später.
Ich selbst fenne eine alte blinde Frau, die an Gehirnsyphilis leidet und durch das uneheliche Kind ihrer Tochter angesteckt wurde. Das Kind hatte einen Ausschlag, der mit einer Wunde am Finger der Großmutter in Berührung fam. Ähnliche Fälle ließen sich noch viele anführen. Es läßt sich leicht denken, daß die Eintrittspforte des Syphiliserregers an jeder beliebigen Körperstelle sein kann. Zwei Bedingungen sind Voraussetzung für eine Ansteckung: die Anwesenheit des Erregers der Syphilis und eine etwas verletzte Haut. Doch betrachten wir jetzt die typischen Fälle.
Ein Geschlechtsverkehr findet statt; nach einer bis drei Wochen zeigt sich am Geschlechtsorgan eine kleine verhärtete Stelle, die sich zum Geschwür umwandeln und dann glatt vernarben kann. Es sei besonders darauf hingewiesen, daß bei Frauen dieses kleine Geschwür oft kaum sichtbar ist, und da es auch leider fast keine Schmerzen verursacht, so wird es meistens nicht beachtet. Das ist das erste Stadium der Syphilis, ein kleiner lokaler Prozeß an der Eintrittspforte des Giftes, das von da aus den ganzen Körper überschwemmt. Ist die Durchseuchung des Körpers vollzogen, eine Allgemeinerkrankung eingetreten, dann offenbart sie sich wenigen Wochen oder nach Monaten durch einen Ausschlag, der feiner Ausbreitung und seinem Aussehen nach sehr verschieden sein kann und nur vom Arzt richtig erkannt wird. Mit der Allgemeinerkrankung ist das zweite Stadium der Syphilis erreicht. Das dritte Stadium bringt hauptsächlich Geschwülste, die in allen Organen auftreten und zu schrecklichen Schmerzen Anlaß geben tönnen und sich durch die verschiedenartigsten Symptome äußern.
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Mit diesen drei typischen Stadien sind die Möglichkeiten nicht alle erschöpft. Nach der Anschauung der meisten Forscher sind Rückenmarksschwindsucht und Gehirnerweichung nachsyphilitische" Erkrankungen, das heißt, nur der kann davon befallen werden, der eine Syphilis gehabt hat, und außerdem bildet die Syphilis die Grundlage für unendlich viele Krankheiten, sie pflügt gleichsam das Feld, auf dem die Giftsaat dann üppig sproẞt.
Es würde zu weit führen und auch vielleicht Anlaß zu Täuschungen geben, wollte ich weiter auf die Krankheitserscheinungen eingehen, ich glaube, ich trage am besten zur weiteren Belehrung bei, wenn ich die oben erwähnten Verhaltungsmaßregeln folgen lasse, weil sie in aller Kürze das Wichtigste sagen.
, Sie leiden an einer venerischen Krankheit( Syphilis). Ihre Krankheit ist ansteckend und bleibt es einige Jahre lang.
Sie müssen sich deshalb in acht nehmen, daß Sie Ihre Krank heit nicht auf andere übertragen, was durch geschlechtlichen Verkehr,
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durch Küssen oder durch sonstige nähere Berührung, durch Schlafen in demselben Bette mit anderen oder durch gleichzeitige Benutzung derfelben Eß- und Trinkgeschirre mit anderen geschehen könnte.
Ihre Krankheit ist nicht mit einer einmaligen Kur zu heilen. Sie werden voraussichtlich in einiger Zeit wieder etwas von Ihrer Krankheit spüren( zum Beispiel offene Stellen oder Schmerzen im Munde oder im Halse oder an den Geschlechtsteilen oder Ausschlag am Körper). Sobald Sie wieder solche Erscheinungen bes merken, müssen Sie sich sofort wieder ärztlich behandeln lassen.
Hüten Sie sich vor Befragung von Kurpfuschern, aber auch vor der Konsultation von sogenannten„ Naturheilkundigen"," homöopathischen Praktikern" und dergleichen. Zur richtigen Behandlung Ihrer Krankheit ist die Kenntnis der gesamten Heilkunde erforderlich, die nur der staatlich geprüfte Arzt besitzt. Auch sind die Ärzte zur Verschwiegenheit über Privatgeheimnisse ihrer Kranken gesetzlich verpflichtet, während der Kurpfuscher die Geheimnisse ungestraft ausplaudern kann.
Auch wenn Sie keine neuen Erscheinungen Ihrer Krankheit be= merken, sollten Sie sich etwa alle vier Monate einem Arzt vorstellen, um vielleicht eine Kur durchzumachen.
Diese Kur muß nicht notwendigerweise in einem Krankenhause gemacht werden, sondern Sie werden bei der Kur wahrscheinlich Ihre Arbeit weiter verrichten können.
Nur wenn Sie etwa drei Jahre lang mehrmals im Jahre eine ordentliche Kur durchmachen, werden Sie voraussichtlich von späteren schweren Erscheinungen Ihrer Krankheit( zum Beispiel Knochenfraß, Nerven- und Rückenmarksleiden, frühzeitigen Gehirnschlag) verschont bleiben.
Erst vier bis fünf Jahre nach der Ansteckung und nur nach Einholung ärztlicher Erlaubnis dürfen Sie sich verheiraten, da sonst die Krankheit auf Ihre Frau( Mann) und auf die Kinder übertragen würde.
Bei richtiger, hinreichend lange durchgeführter Behandlung ist völlige Heilung Ihrer Krankheit zu erwarten."
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Für die Hausfrau.
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Feuilleton
Sein letztes Hochamt.*
Von Wilhelm Solzamer.
Man darf das jetzt von ihm erzählen, wenn er selbst es auch nie getan hätte. Er ist ja nun schon beinahe zwei Jahrzehnte tot. Und er war immer so schweigsam gewesen und sprach gar nie von sich. Es lag so in seiner Natur. Und es war auch wohl ein gut Teil Angewöhnung. Er war nie so recht verstanden worden, nie in seiner engsten Umgebung, und auch in seiner weiteren nur selten. Bei seinen Freunden höchstens hat er sich tiefer ausgesprochen. Aber das waren selbst wieder so stille Leute, und sie sind ja nun auch alle tot.
Es war in den Jahren der Reaktion nach der Voltserhebung 1848 bis 1849. Der einzelne war durchaus unsicher geworden, die Gegensätze der Parteien waren heftig und wuchsen immer mehr. Die Wühlarbeit machte stets größere Fortschritte, und ihre Erfolge, die anfangs noch heimlich waren, traten offen zutage.
* Aus Wilhelm Holzamer Jm Dorf und draußen". Verlegt bei Eugen Diederichs , Leipzig . Wir empfehlen warm diese Sammlung feinsinniger Novellen, in denen viel von der Not und dem Streben unserer Zeit dichterisch gestaltet worden ist.