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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Besonders wer ein Amt hatte, mußte sich hüten. Nichts unbe­dacht sagen, nicht immer ehrlich seine Meinung sagen. Nicht mal eine Meinung haben wollen. Das war im Amt so verderblich und war so unvereinbar mit dem Amt wie das Aufklären und Agi­tieren am Wirtstisch. Oder gar im vertrauten Kreise, denn überall hockten die Heuchler und Horcher, und brühwarm und gehörig ver­gröbert kam alles ins Pfarrhaus. Denn der Pfarrer war der Hüter des zahmen und unterwürfigen Geistes, der Hüter der Meinungs­losigkeit und der Verdammer der Freiheit. Und die Falschen und Ohrenbläser, die Locker und Lügner waren ihm gute Werkzeuge. Eine Meinung haben und ein Mann sein- ja oft einen Kopf" ja oft einen Kopf" haben und nicht dumm sein, das hieß frei sein, hieß anrüchig, ja direkt gefährlich sein.

Da red' ich von meinem Heimatdorf. Es war der Schullehrer Andreas Krafft, der der Stein des Anstoßes geworden war. Es wäre schwer zu sagen gewesen, warum.

Es lag vielleicht im Krafft. Ich stelle mir ihn vor, wie er über die Straße ging. Ein Schullehrer vom alten Schlage. Auf den ersten Blick ein Schullehrer. Aber mehr als das, auf den ersten Blick zu sehen: eine Persönlichkeit. Einer, der mehr hatte vom Leben als sein armes Amt. Einer, der ein Leben gelebt hatte, dem das Leben einen Inhalt gegeben hatte, und der seinen Ideas lismus, den alten guten, hohen, heiligen Idealismus, durch sein Leben trug. Er leuchtete auf seiner Stirne, er glühte in seinen Augen. Und mag er uns öde und töricht geworden sein wo er uns heute noch so ganz eins mit dem ganzen Menschen begegnet, ziehen wir den Hut ab.

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Der Krafft war nach oben nicht genehm. Er war gewissermaßen schon prädestiniert dazu. Es lag so in seiner ganzen Art. Sie machte nicht warm, sie machte vielleicht scheu, machte einem un­behaglich. Es war so etwas Starkes, Abwehrendes in ihm, es wurde oft etwas Herausforderndes, Herrschendes. Man sah's auf den ersten Blick, man hörte es beim ersten Wort. Vielleicht ein starkes geistiges übergewicht. Vielleicht war's etwas Außeres nur: der Blick, die Stirn, die Schädellinie vielleicht der graue Ham­bacher Bart, das lange Haar vielleicht die Art zu gehen oder zu sitzen, ja nicht zum wenigsten die Art zuzuhören, stille zu sein. Ja, das war's vielleicht beim Krafft, wie still er war. Und wie ernst immer. Er ging durchs Feld, immer in den gleichmäßigen breiten Schritten guten Tag, Herr Lehrer!" rief's, er dankte und schritt weiter. Und wenn er in den Gesangverein fam- und war der lauteste Lärm im Saale, und ging die Tür auf und der Krafft trat ein, war's mäuschenstill. Und alle sahen nach ihm, und alle hingen an seinem Blicke, und es war mehr als Furcht, es war ein hoher Respekt. Etwas Vornehmes trug er an sich, trug er überall hin, so einfach er war. Keiner fam ihm zu nahe, selbst wenn er scherzte. Und keiner wagte sich so recht aus sich heraus, wenn der Krafft dabei war. Jede Bemerkung wurde zweimal be­dacht, eh' sie gemacht wurde. Und doch. wer den Krafft respek­tierte, und es waren die Besten meines Dorses, der hing ihm auch an.

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Doch war der Krafft nicht hochmütig. Einige behaupteten auch das, aber schon die Freunde, die er sich ausgewählt hatte, bewiesen gegen sie. Die Freunde waren nicht aus den sogenannten vor­nehmen" Kreisen, nicht Doktor" und Apotheker, nicht Schullehrer und Angestellte es war der Musikant Jakob Veit, kurz der Veit­jakob genannt, der die Violine spielte auf den Kirchweihen und im Gesangverein den ersten Tenor sang, war der Botsieben- Hannes, der die Post hatte von Thurn und Taxis und Musikant war neben­bei, war der Pankraz Klein, der den zweiten Baß hielt" im Ge­sangverein, war freilich auch der Rudolf Schwarz  , der Bürger­meister, der auch Freimaurer   war, vielleicht auch sonst noch was Geheimnisvolles und Böses, was den Krafft anzog.

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Der Krafft sah aber nicht aufs Äußere und nicht aufs Böse, er suchte in seinen Freunden eine Ergänzung zu sich selbst. Oder das nicht einmal, oder wenigstens nicht so bös egoistisch ausgedrückt- er suchte gesunden Menschenverstand und ein warmes Herz, Liebe und Begeisterung. So beim Veitjakob, dem Musikanten beim ,, alten Schwarz" aber war's oft ein Ausblicken und Bewundern, öfter die freudige Gewißheit und Dankbarkeit, verstanden zu wer­den, angeregt und bestärkt zu werden. Denn der Schwarz war ein Weltmann. Das Leben hatte ihn nach allen Richtungen schon um= hergeworfen, er hatte sich auf dem Dorfe vor Jahren festgesetzt, hatte erst eine Wirtschaft eröffnet, dann eine Branntweinbrennerei und war dann zum Bürgermeister gewählt worden. Denn er war reich. Er war aber auch ein heller Kopf. Und er war auch ein Demokrat.

Ein Demokrat war der Krafft nun freilich auch. Er hatte in seiner Jugend das Hambacher Fest   mitgemacht und hatte flüchten

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müssen: er hatte im tollen Jahre" geredet und geschrieben für die Freiheit und die Verwirklichung der Träume der deutschen Seele. Aber nun war er still geworden, ganz still. Still im Kreise seiner zahlreichen Familie, für die er schwer zu sorgen hatte, still bei seinen Büchern und Noten, in seinem Schulgarten, den er fleißig bepflanzte. Und wenn er von seiner Arbeit ausruhte, saß er unter dem hohen Efeu an der alten Schloßmauer und paffte aus seiner Pfeife. Und alte Träume und alte Lieder wurden in ihm wach, er lächelte des Vergangenen, und leid ward ihm um all das, was unerfüllt blieb- aber er blieb still. Ja, ganz still war der Andreas Krafft. Er hatte sich vom Leben zurückgezogen, er hatte seinen Kreis verengert, und was er von dem Draußen dabei verloren hatte, das suchte er sich zu ersetzen durch die innigere Beschäftigung mit dem, was ihm lieb war.

So hatte seine Persönlichkeit ihre Gewichtigkeit und Schwere bekommen, und auch eine Ruhe war ihm geworden, und Kampf und Leid waren nicht verloren. Und so wurde der Krafft auch nicht zur Maschine, trotz der gleichmäßig schweren Tätigkeit, die er entfalten mußte. Es fand sich überall ein Punkt, von dem aus betrachtet alles einen eigenen Wert und Ansehen erhielt, von dem aus trotz aller Anstrengung und überwindung der Krafft noch Werte für seinen inneren Menschen herausschlug, so daß er sich seine Freudigkeit bewahren konnte. Darum fühlte er sich von ihr durch­strömt, wenn er seinen Gesangverein übte, wenn er ein Lied oder ein Präludium für die Orgel einrichtete, und ganz besonders, wenn er an der Orgel saß und die Töne ihm die Sprache seines Herzens wurden, in der sich das Letzte sagen ließ, was sein Herz ver­borgen hielt.

Und nun war plötzlich die Heze gegen ihn losgegangen. Es war fast über Nacht gekommen. Der eigentliche Anlaß wäre schwer zu finden gewesen. Der Anlässe und Gründe wußte man viele an­zugeben. Kraffts politische Vergangenheit, seine geistige Selb  ständigkeit, sein Übergewicht, die Sicherheit und Reinheit seiner Persönlichkeit, ja gerade das mochte vielen ein Dorn sein. Auf einmal fand man ihn kirchlich zu lag, man fand bald, daß er firchenfeindlich sei. Man gab hundert heimliche Anlässe zum Streit, tausend heimliche Stiche. Aber der Krafft stand über der Kleinlich­feit der Menschen, er blieb ruhig. Da riß die Geduld. Man ging im Amt gegen ihn vor. Man schikanierte ihn, man tadelte, rügte, drohte. Da stand der Krafft seinen Mann, er verteidigte sich. In seinem Amt ließ er sich nicht antasten. Er hatte allezeit seine Pflicht getan, er hatte sich nichts vorzuwerfen keiner sollte ihm etwas vorwerfen dürfen.

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Da war die Flamme aufgeschlagen. Das Dorf war plötzlich in zwei Lager geteilt: hie Pfarrer! hie Lehrer! Und eigentlich hatte der Krafft gar nichts dazu getan. Er hatte seine Angelegenheit allein vertreten, fest und still, wie es seine Art war. Niemandes Hilfe hatte er angerufen, niemandes Beistand erbettelt. Nur ein­mal hatte er in der Erregung das Zeugnis seiner Schulkinder ge­fordert. Sonst war er passiv geblieben. Er glaubte an sein gutes Recht und seinen Sieg.

Aber Beichtstuhl und Kanzel hatten gute Arbeit getan und taten sie weiter. Die Gemeinde blieb in zwei Parteien gespalten. Und heiß war der Kampf. Auf den Straßen, in den Wirtshäusern be­gann er, in den Familien setzte er sich fort, und sogar die Jugend beteiligte sich daran.

Kraffts Partei war eigentlich ohne Führer, denn der Andreas Krafft wollte nichts mit dem Zwist zu tun haben. Er ermahnte immer zur Ruhe und ihn allein zu lassen. Aber die Fanatiker und Herausforderer der Gegenpartei ruhten nicht. Und der Streit spann sich immer weiter. Er wurde dann auch noch bei der Behörde gegen Krafft benutzt, dem alle Schuld zugeschoben wurde, und eines Samstags, da er gerade unterrichtete, wurde ihm sein Ab­setzungsdekret zur Unterschrift vorgelegt. Es riß ihn hin, es seinen Schülern vorzulesen. Dann unterschrieb er's und ging.

Die Gesangstunde für den Abend sagte er ab, er fürchtete einen heftigen Ausbruch von Streitigkeiten im Vereinslokal oder auf der Straße, wenn er sich jetzt zeigen würde. Und er fürchtete auch, sich nicht halten zu können und in der Erregung ein unbedachtes Wort zu reden, wenn er herausgefordert würde. Am Nachmittag tam noch einmal ein amtliches Schreiben. Es war vom Pfarrer, ,, daß er gehalten sei, die Orgel bis zum Eintreffen seines Nach folgers zu spielen".

Diesen Sonntag wollte der Krafft noch einmal spielen, aber es sollte zum letztenmal sein. Er hatte sich's fest vorgenommen: Es sollte sein Abschied von der Orgel sein. ( Schluß folgt.)

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Poft Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Verlag von Baul Singer in Stuttgart  .