30

Für unsere Mütter und Hausfrauen

zu fürchten. Sein Vater ist letzten Endes weniger der Wunsch, die ausgebeuteten Massen zu fünstlerisch Genießenden zu erziehen, als vielmehr der andere, sie als geistig Bevormundete im Banne der bürgerlichen Ideenwelt zu halten. Wo die Religion versagt, foll die Kunst helfen. Nicht die Tendenz" überhaupt tut man im Namen der Kunst in Acht und Bann, nur die Tendenz", welche der Tendenz" der herrschenden Klassen widerstreitet. Übrigens ist die Geschichte da, um das Verfemungsurteil gegen die Tendenz" in der Kunst Lügen zu strafen. Gewaltige, großzügige Kunstwerte aus allen Beiten sind erfüllt vom Gluthauch der Tendenz. Was anders denn ist die Tendenz, als Jdee? Kunst ohne Jdee aber wird zur Künstelei, zum tünstlerischen Formeltram. Nicht die Idee, nicht die Tendenz fchändet das Kunstwerk und entweiht es. Umgekehrt, sie soll und fann fünstlerische Werte schaffen und steigern. Verderblich wird bie Tendenz der Kunst nur dann, wenn sie äußerlich roh auf­gepfropft wird, wenn sie mit tünstlerisch unzulänglichen Mitteln rebet. Wo dagegen die Jdee von innen heraus mit fünstlerisch reifen Darstellungsmitteln schöpferisch wird, zeugt sie Unsterbliches. So kann nicht bloß, so muß das Proletariat, statt jede künstlerische Modenarrheit der bürgerlichen Welt mitzumachen, auch seine eigenen Wege gehen, damit die Kunst aus dieser Zeiten Not neuen, höheren Inhalt gewinnt.

"

Im Proletariat selbst mehren sich die Zeichen, daß es als auf ftrebende Klasse nicht bloß tunstgenießend sein will, sondern auch tunstschöpferisch. Das beweisen vor allem die Arbeiterfänger und Arbeiterdichter. Die Welt bürgerlicher Kunstfreunde und Kunsts verständiger, die über die primitiven künstlerischen Erzeugnisse grauer Borzeit und wilder Völlerschaften als über Offenbarungen des Menschheitsgenius in Etstafe gerät, hat im allgemeinen nur Hohn oder Mitleid für das, was Proletarier oft mit noch unbeholjener Hand, aber mit heißer, zuckender Seele zu gestalten versuchen. Es fehlen ihr die Organe für das richtige Erfassen und Werten dieser Runst von Primitiven", deren Schöpfungen Symptome find, mit denen sich eine Weltwende ankündigt, die eine Renaissance der Kunst in ihrem Schoße trägt. Eine solche Renaissance erfolgt ebensowenig Künstlerisch als sozial aus dem Nichts. Sie fnüpft an Voraus­gegangenes, Vorhandenes an. Aber die Kunst einer ins Licht der Kultur emporsteigenden Klasse kann ihre Anknüpfungspunkte und thre Vorbilder nicht von der Kunst einer geschichtlich verfallenden Klasse nehmen. Das bestätigt die Geschichte der Kunst. Jede empor­strebende Klasse sucht ihre fünstlerischen Vorbilder auf den Höhe punkten der früheren Entwicklung. Die Renaissance knüpfte an die Runst Griechenlands   und Roms an, die deutsche Klassische Kunst an die Antike und die Renaissance. Bei aller Würdigung der künstle rischen Anregungen und Ausdrucksmittel, um welche die zeitgenöss fischen Kunstströmungen das fünstlerische Erbe bereichern, wird dar um die Kunst der Zukunft für ihre Wegweiser über sie hinweg zur Klassischen Kunst des Bürgertums greifen. Der Sozialismus ist die tonfequente Weiterentwicklung und Umbildung des weltbürgerlichen Liberalismus, der ihr geistiger Gehalt war. Seine Kunst- un so zu reden

wird auch die Fortbildung der großen, klassischen, bürgerlichen Kunst sein, die das Geschöpf dieses liberalen Gedantens gewesen ist. Ist es nicht reichstes, lebendigstes, künstlerisches Sein, bas uns grüßt aus Goethes Osterspaziergang, in dem die Sehn­sucht nach dem Heraus aus den drückenden Schranken der feudalen Gesellschaft eine fünstlerisch vollendete Verklärung gesunden hat? Aus Schillers wonnetrunkenem Weltverbrüderungsruf: Seid um­schlungen, Millionen, diesen Kuß der ganzen Welt!" Aus dem un­gebeuren Jubel einer befreiten Menschheit in Beethovens neunter Symphonie, der elementar, riesenhaft in dem Chor durchbricht: " Freude, schöner Götterfunfen!"

Friedrich Engels   hat das stolze Wort gesprochen, daß die deutsche Arbeiterklasse die Erbin der flassischen Philosophie ist. Sie wird in dem aufgezeigten Sinne auch die Erbin der klassischen Kunst ihres Landes sein. Es ist ein weiter Weg, den sie noch zu gehen hat, ehe sie dieser ihrer geschichtlichen Aufgabe ganz gerecht wer­den kann. Eine Tatsache läßt das erkennen. Die Räume, die das Heim des kämpfenden Proletariats sein sollen, in denen sich ein wichtiger Teil seines geschichtlichen Lebens abspielt, die den Zwecken seiner Organisation dienen und seine Versammlungen aufnehmen, diese Häuser sind nicht aus seiner sozialistischen Weltanschauung heraus künstlerisch gestaltet. Unsere Gewerkschafts-, Volts- und Geschäftshäuser unterscheiden sich in ihrem Stil- Stil als äußere Form inneren Seins gefaßt in nichts von irgendwelchen bürger­lichen Geschäfts- oder Verkehrshäusern. Die innere künstlerische Beziehung zu dem Inhalt des Lebens, das in ihnen pulsiert, wird wahrhaftig nicht dadurch geschaffen, daß ein oder der andere Raum mit einer frostigen Allegorie der Freiheit usw. geschmückt wird. Kurz, das geistige Leben der Arbeiterklasse hat bis jetzt noch nicht

Nr. 8

den geringsten Ausdruck in der architektonischen Formensprache ges funden. Das Proletariat selbst aber hat den Gegensat, das Miß­verhältnis zwischen dieser und seinem eigenen inneren Sein noch nicht einmal so stark und bewußt empfunden, daß sein fünstlerisches Bedürfnis einen bestimmenden Einfluß zu üben begönne. Gewiß: die Baukunst ist die höchste und schwierigste aller Künste, aber sie ist auch die sozialste von allen, der stärkste Ausdruck eines Gemein­schaftslebens. Man denke an die gotischen Kirchen, in denen das höchste geistige Sein der zünftigen Stadtbevölkerung der feudalen Gesellschaft seinen fünstlerischen Ausdruck gefunden hat.

Doch zurück zum Ausgangspunkt! Ist der Weg weit und unter der Ungunst der verfallenden bürgerlichen Gesellschaft besonders schwierig, den das Proletariat wandern muß, um im wahren Sinne der Erbe der klassischen Kunst zu werden, so ist es um so dringlicher, es auch für diese seine Mission zu rüsten. Es kann sich dabei nicht um blindes, fritifloses Anempfinden und Anbeten bürgerlicher Kunst handeln. Wohl aber gilt es, ein Kunstempfinden und Kunstverständnis zu wecken und zu pflegen, dessen feste Grundlage der Sozialismus als Weltanschauung ist, die gewaltige Jdeologie des kämpfenden Prole­tariats und eines Tages der befreiten Menschheit. Seinen reifen schöpferischen Ausdruck wird freilich ein solches Kunstempfinden und Kunstverstehen innerhalb der Kerkermauern dieser tapitalistischen Ordnung nicht finden. Die heiß ersehnte Renaissance der Kunst­das ist meine persönliche Ansicht ist erst jenseits ihrer möglich, auf jener Insel der Seligen, der sozialistischen Gesellschaft. Der Hammerschlag der sozialen Revolution wird auch in dieser Be ziehung zur erlösenden Tat.

-

Aristoteles   hat den bekannten Ausspruch getan, daß die Sklaverei als Grundlage des höheren Lebens der Freien überflüssig sei, wenn die Weberschiffchen, die Mühlsteine sich von selbst bewegten. Diese Vorbedingung ist heute erfüllt. Das Maschinenzeitalter hat Sklaven aus Eisen und Stahl erstehen lassen, die menschlichen Winken ges horchen. Führen wir diese Stlaven, die heute dem Reichtum und der Kultur einer Minderheit dienen, aus dem Privatbesig in das Eigentum der Gesellschaft über. Dann wird mit der Sicherung des materiellen Lebens und kultureller Entwicklungsmöglichkeit für alle auch die Kunst aus einem Vorrecht verhältnismäßig weniger zu einem Gemeingut für alle. Sie fann dann nicht mehr herabge­würdigt werden zum leeren Sinnesrausch für grobe Genußmenschen, zur Tändelei für sich langweilende Müßiggänger, zum Narkotikum für weltflüchtige Schwächlinge. Sie wird zum höchsten Ausdruck der schöpferischen Kraft eines Voltes, zum flaren Springquell reinster Freude und Erhebung, zu einer gewaltigen erzieherischen Macht, die sich am einzelnen und an der Gesamtheit bewährt. Nicht in dem Sinne, daß jeder einzelne zum fünstlerisch Schöpferischen wird, wohl aber insoweit, daß die Massen künstlerisch Verstehende und künstlerisch Genießende sein können. So wird die Kunst dazu helfen, daß das Wort des Ästhetikers Vischer seine Erfüllung findet, der über alle Künste die schöne Lebenskunst stellt. Der einzelne in seiner Persönlichkeit, in seiner Lebensbetätigung ein Kunstwert, ein aus innerster Notwendigkeit sich gestaltendes, geschlossenes harmo­nisches Ganze. Das Zukunftsvolt der freien Arbeit wird das Volk der freien Kunst sein. Ihm werden die großen schöpferischen Ge stalter nicht fehlen, die individuell künstlerisch erfassen und formen, was Gemeinschaftsempfinden, Gemeinschaftsdenten, Gemeinschafts­wollen ist. Denn alle große Kunst lebt von dem geistigen Herzblut einer großen Gemeinschaft.

000

Steinwerfen!

Von Heinrich Scharrelmann  - Hamburg  .

Jch liege in der Hängematte und lese. Meine Frau ist mit einer Handarbeit beschäftigt. Wir sind nämlich in der Sommer­frische. Unsere beiden Jungens, zehn- und elfjährig, freuen sich der bunten Steine, die auf dem schmalen Fußpfade herumliegen. Die beiden haben schon sämtliche Taschen und ihre Wüßen an gefüllt, so daß aber auch gar nichts mehr hineingeht. Und das will viel heißen, denn selbst in der gefülltesten Hosentasche findet ein richtiger Junge immer noch Platz, um irgend etwas Brauch bares hineinzustopfen, und für Jungens ist alles brauchbar".

Nun hat das Hineinstopfen aber doch ein Ende. Nun wird for tiert. Die weniger glänzenden Stücke werden ausgesucht und durch prächtigere ersetzt.

-

Schließlich spielen die beiden Steinwerfen". Da sonst kein Mensch in unserer Nähe ist und beide Steinwerfer nicht in bedroh­licher Nähe unseres Lagerplazes herumtoben, dürfen fie ihr Spiel fortsetzen, und ich vertiefe mich beruhigt in meine Lektüre, in Sven Hedins   Forschungsreisen in Tibet  .