Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 14 ooooooOO

-

Beilage zur Gleichheit oooooooo

Inhaltsverzeichnis: Wirke, bilde! Bon Adler. Die Berechnungen über das Alter des Menschengeschlechts. Von Hannah Lewin- Dorsch. Von den Eingeborenen Inner- Australiens. II. Die Mutter als Er­zieherin. Feuilleton: Aus Charles de Costers Till Ulenspiegel".

-

Wirke, bilde!

Wirke, bilde! Ob im Leben, ob im Zauberland des Scheins, 3wing des Stoffes Widerstreben, sei mit deinem Schaffen eins.

freu' dich, wenn es frucht getragen! Aber köstlicher noch bleibt

jener Tropfen Unbehagen,

der zu neuem Werke treibt!

000

Die Berechnungen

Adler.

über das Alter des Menschengeschlechts.

-

Von Hannah Lewin- Dorsch.

-

über das mutmaßliche Alter des menschlichen Geschlechts herr­schen unter Laien wie unter Gelehrten gar verschiedene Ansichten. Die Forscher des vergangenen Jahrhunderts, Geologen wie Präs historiker, glaubten, wenn sie das Alter unseres Geschlechts bestimmen wollten, zu ganz ungeheuerlichen Zeitmaßen greifen zu dürfen. Der Geologe Lyell zum Beispiel und einige seiner Zeitgenossen suchten die stärkste Vergletscherung der sogenannten Eiszeit aus dieser Periode stammten die ältesten damals bekannten Zeugnisse mensch lichen Daseins in einer Epoche, die zwischen 240 000 und 850000 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung lag. Der auffallend weite Spielraum, innerhalb dessen die verschiedenen Meinungen sich be­wegten, mußte schon ihre Unzuverlässigkeit zur Genüge dartun. Gabriel de Mortillet  , ein französischer Urgeschichtsforscher, rechnete vom Beginn der Eiszeit bis zu unserer Zeit ungefähr 230 000 Jahre. Bon dergleichen riesenhaften Zahlen wimmelte es vor einigen Jahrzehnten in den gelehrten Abhandlungen, die sich mit der Frage nach dem Alter des Menschengeschlechts befaßten.- Heute ist man darin bescheidener geworden, und diese unglaublich hohen Biffern haben bei der Gelehrtenwelt selbst wie auch beim einigermaßen bewanderten Laien den Kredit verloren. Man scheut sich nicht, einzugestehen, daß man in dieser Frage zu festen Ergeb­nissen in allen Einzelheiten noch nicht gekommen ist; ja, man zweifelt wohl gar, ob sich hier jemals sichere Zeitmaße werden gewinnen lassen. Jedenfalls hat die bisherige Erforschung der Urgeschichte des Menschen ergeben, daß diese in sehr weitentlegene Zeiträume zurückverfolgt werden muß. So dürfen wir von vornherein für die ältesten Funde, die uns vom Auftreten der Menschheit Kunde geben, nicht die genaue Zeitbestimmung erwarten, wie sie für die Ge­schehnisse der historischen Zeit ermittelt wird. Selbst in der Bronze­zeit, die doch unserer Gegenwart schon bedeutend näher liegt als die ersten Anfänge der Menschheit, tönnen wir nur mit Jahr­hunderten so sicher rechnen wie in der eigentlichen Geschichte mit Einzeljahren; für die frühe Eisenzeit, die der Bronzezeit folgte, lassen sich vielleicht Angaben gewinnen, die bis auf Jahrzehnte stimmen. Für jene ungeheuer fernen Zeiten hingegen, da wir die ersten Spuren des Menschen antreffen, will ein Unterschied von einigen Jahrtausen­den in der Angabe zweier verschiedener Gelehrter nicht viel besagen. Hier können wir zufrieden sein, wenn wir nur ganz ungefähre Zeit­maße gewinnen. Ein bedeutender Urgeschichtsforscher der Gegenwart fagt: Es ist uns gegenwärtig unmöglich, auch nur annähernd den Zeitpunkt zu bestimmen, da die allerersten Vertreter der mensch­lichen Rasse sich in Europa   zeigten." Was aber die Urgeschichte hier leisten kann, und zwar mit Zuverlässigkeit leisten kann, das ist eine relative Zeitbestimmung. Das will sagen: sie vermag zu ermitteln, ob eine bestimmte Kultur, die sie aus einer prähistorischen Fundstätte erschließt, vor oder nach einer anderen geherrscht hat. Sie hat auf diese Weise festgestellt, daß der metallischen Zeit eine vormetallische oder metallose voranging, und daß vor der Eisen zeit eine Bronzezeit herrschte; sie unterscheidet durch das Mittel der relativen Zeitbestimmung eine ältere und eine jüngere Stein zeit, und innerhalb einer jeden wieder verschiedene, oft sehr fein

"

1911

gegliederte Unterperioden. Und das kann uns am Ende auch völlig genügen, soweit es sich um die allerfrühesten Jahrtausende mensch licher Kultur handelt.

Um nun wieder zu dem Ausgangspunkt unserer Betrachtung, nämlich zum Alter des Menschengeschlechts zurückzukehren, so braucht man heute kaum mehr zu betonen, daß die Forschung sich hier nicht stützen kann auf die Sagen und Erzählungen der alten Völker, die wie Chinesen, Inder und Babylonier über das Alter ihrer Ge schlechter, ihrer Denkmäler und ihrer gesamten Geschichte oft gar Wundersames zu berichten wußten. So fezte der babylonische Ges schichtschreiber Berossos( zirka 280 v. Chr.) für die Geschichte seines Landes von der Urzeit bis auf Alexander den Großen ausgerechnet 468 000 Jahre an, was ebenso phantastisch ist wie die Angaben der Chinesen über die uralte Geschichte des Reiches der Mitte. Immerhin beziehen sich unsere ältesten wirklich historischen Angaben auf China  , Babylonien   und Ägypten  . China   besaß eine Schrift etwa feit 2000 vor unserer Zeitrechnung; und für das alte Babylonien  , das uns zahlreiche schriftliche Aufzeichnungen auf Tontafeln hinter lassen hat, dürfen wir den Beginn der ersten semitischen Dynastie, die über ganz Mesopotamien   herrschte, mit ziemlicher Sicherheit auf das Jahr 2500 v. Chr. ansetzen. In Agypten   reicht die historische Beitrechnung bedeutend weiter hinauf. Allerdings schwanken hier die Angaben der Forscher noch um ein bis zwei Jahrtausende. Der Forscher Flinders Petrie   setzt die Regierungszeit des Menes, des ersten Königs, der über das geeinte Ober- und Unterägypten  herrschte, auf 4777 bis 4715, während andere Forscher König Menes um 3300 v. Chr. regieren lassen. Aber jedenfalls läßt uns die Auf­deckung ausgedehnter Totenstädte aus vorpharaonischer Zeit, das heißt aus der Zeit, da Ägypten   noch in einzelne Stammesstaaten zerfiel, noch viel weiter in die Vergangenheit hinaufblicken. Der Beginn derjenigen Kulturperiode, der diese Nekropolen( Totenstädte) angehören, wird von Flinders Petrie   auf ungefähr 7000 v. Chr. angesetzt. Die damalige Kultur stellt sich dar als sogenannte neo­lithische oder neusteinzeitliche; es ist die zweite Periode vormetal lischer Kultur, in der man den Stein zu polieren und fein zu schleifen und Tongefäße herzustellen verstand; sie ist uns aus reichen europäischen   Fundstätten ja sehr wohl bekannt. Daß den Trägern dieser Kultur, welche in Agypten   jene ausgedehnten Totenstädte hinterlassen haben, auf ägyptischem Boden eine noch ältere Bevölke rung vorangegangen ist, welche den Stein noch nicht zu schleifen, sondern nur erst zuzuschlagen verstand, also eine altsteinzeitliche oder paläolithische Bevölkerung, ist durch zahlreiche paläolithische Funde, namentlich durch sehr schöne Faustteile von der Form der auch im französischen   Paläolithikum vorkommenden ganz zweifellos gemacht. Und daß diese vor der neolithischen Bevölkerung gelebt haben muß, das ist nach allen Ergebnissen der ältesten Kulturforschung ebenso sicher. Diese ägyptischen Paläolithiker können wir in die Jahre 10000 bis 7000 v. Chr. sehen.

Das sind nun aber auch die höchsten Zahlen, die wir durch direkte Anknüpfung an historische Angaben etwa zu gewinnen ver mögen. Weiter hinauf müssen wir überall die Zeitangaben für die Vorgeschichte durch andere Hilfsmittel uns zu verschaffen suchen. Vor allen Dingen können uns Geologen und Astronomen dabei helfen; und ganz besonders wichtig ist uns für diese Berechnungen die Tatsache, daß unserer geologischen Gegenwart eine Vergletsche rungsperiode vorausging, während welcher zu verschiedenen Malen große Teile der Erde sich mit Eis bedeckten. Ganz sicher existierte der Mensch schon in dieser Vergletscherungsperiode, zum mindesten in deren letzter Hälfte. Gelingt es uns nun, für diese Gletscherzeit oder das Quartär, wie sie auch genannt wird, eine Zeitrechnung aufzustellen, so haben wir damit auch für den Zeitpunkt des Auf­tretens des Menschen etwas gewonnen. Für ihre Zeitberechnungen in bezug auf das Quartär hat die Geologie nun mancherlei Anhalts­punkte. Man betrachtet zum Beispiel die gewaltigen Anhäufungen von Schutt und Gestein, welche durch die abfließenden Gewässer der schmelzenden Gletscher in die Höhlen gewisser Gegenden trans­portiert und dort abgelagert worden sind; und man überschlägt, wieviel Jahrtausende notwendig gewesen sein mögen zur Anhäufung derartiger Massen. Sicher hat es dazu einer Reihe von Jahrzehn tausenden bedurft. Eine genaue Zeitangabe aber kann auch der scharfsinnigste Geologe hier nicht machen, ob er nun die mächtigen Rieslager betrachtet, welche die Hochwässer einst mit sich rissen, oder die Geröllmassen, die von Flüssen und Bächen in langsamer