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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Kleinarbeit allmählich abgelagert worden sind. Er weiß doch im Grunde zu wenig über die Stromgeschwindigkeit der damaligen Flußläufe und über die Steilheit der Abhänge, über welche die Waffer jener Zeit dahinfluteten. Nicht viel genauer find andere Hilfsmittel der geologischen Zeitrechnung, soweit man darauf aus geht, absolute Zahlen zu finden. Man schließt nämlich auch wohl aus dem Grade der Verwitterung an Felsoberflächen, die von darüber hinstreichenden Gletschern poliert worden waren. Ein ver­ständliches Beispiel dieser Art von Zeitrechnung finden wir bei Gabriel de Mortillet  , dem oben schon erwähnten französischen  Forscher: In Savoyen   liegt ein Ralffels, der während des Quar tars von wandernden Gletschern glatt und blant poliert wurde. Bu einer historisch bekannten Zeit wurde dieser Stein von den Römern gefunden und benutzt. Vergleicht man nun die Verwitte zungsfurchen, die sich seit der Römerzeit auf dem Felsen gebildet haben, mit jenen Furchen, bie seit der Zeit der Polierung durch Gletscher entstanden sind, so ergibt sich ein Verhältnis von etwa 3 zu 1000. Bom Ende der legten Vergletscherungsperiode bis zur Römerzeit müssen also gut 880 mal mehr Jahre verflossen sein, als von da bis auf unsere Tage.

Man hat ferner auch die Hebung und Senkung der Küsten, die Bildung der Torfschichten, die Anhäufung der Schuttkegel vor den Flußmündungen und noch manches andere mit mehr oder weniger Geschick zu verwerten gesucht, um für die früheste Urgeschichte des Menschen absolute Zeitbestimmungen zu gewinnen. Zweifellos decken ja auch derartige Betrachtungen oft recht interessante neue Tatsachen auf, aber sie beruhen durchweg nicht auf Grundlagen, die für alle Beiten und Verhältnisse die gleichen wären. Ihre Ergebnisse können beshalb nicht als zuverlässig im streng wissenschaftlichen Sinne aus­gegeben werden. Ernste, vorsichtige Forscher rechnen heute seit der fetten Eiszeit, indem sie alle Umstände in Rechnung ziehen und auch die möglichen Fehlerquellen in weitgehendem Maße berück­fichtigen, im Durchschnitt 15000 bis 20000 Jahre, und für die Gesamtdauer der Eiszeit annähernd 100 000 Jahre. Diese Zahlen aber wollen, wie gesagt, kein genaues Resultat geben, sondern nur einen ganz ungefähren Begriff von den Zeitmaßen der letzten geo­logischen Perioden. Hinter den ungeheuren Ziffern, mit denen man vor einigen Jahrzehnten gern um sich warf, stehen sie, wie man fteht, um ein Erhebliches zurück.

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Ob nun das erste Auftreten des Menschengeschlechts in die erste oder in die zweite Hälfte des Quartärs fällt, oder ob es gar in eine noch frühere Zeit der Erdgeschichte zu verlegen ist, nämlich in das fogenannte Tertiär, wie heute auch von namhaften Anthropologen und Prähistorifern behauptet wird diese Frage ist noch ganz ungelöst und wird viel umstritten. Erschwerend für die Klärung unserer Frage kommt hinzu, daß man sich zunächst noch durchaus nicht überall darüber einig ist, von wo ab man irgend einem Wesen in der Reihe unserer Vorfahren den Namen Mensch" beilegen soll. Der Anthropologe legt da andere Maßstäbe an als der Ethnologe. Und wo der Ethnologe vielleicht glaubt, einen Menschen vor sich zu haben, da verweigert noch der Historiker diese Bezeichnung. Welches eigentlich das unweigerliche Kennzeichen des Menschen sei, barüber können wir heute noch unter Gelehrten allerlei Diskussionen vernehmen. Man führt da verschiedenes auf: die Sprache, das Werkzeug, die Benutzung des Feuers. Aber zu den beiden ersten ift sogleich zu sagen, daß fie in ihren Keimen auch deutlich beim Tiere vorhanden sind. Und wann das Feuer zuerst von einem lebenden Wesen benutzt wurde, das ist heute wohl gar nicht mehr festzustellen. Schwerlich wird die älteste Feuerstelle, die wir irgendwo entdecken, uns nun auch gerade den ältesten oder ersten Menschen anzeigen. Es ist eben der Mensch nicht an irgend einem Orte und au irgend einem Zeitpunkt plötzlich fertig auf der Bildfläche er­fchienen, sondern er hat sich in langsamer Stufenfolge aus niedri geren Formen heraus entwickelt. Die Entscheidung, wo wir zum erftenmal ein Lebewesen als Mensch" ansprechen wollen, wird daher immer etwas Willkürliches an sich tragen. Einen berühmten, nahe bei Heidelberg   gefundenen Untertiefer nennt zum Beispiel der Anthropologe, das älteste bis jetzt gefundene Dokument vom Menschen felbst". Er muß aber zugleich bekennen, daß der Träger dieses Unter­fiesers wohl noch feine artikulierte Sprache besessen haben könne. Der Ethnologe, der unter den Kennzeichen des Menschen die Sprache fordert, wird somit den einstmaligen Besitzer dieses Unterkiefers nicht als Mensch gelten lassen. Und der Historifer Eduard Meyer   spricht sogar dem Stetett von Le Moustier, das mit Beigaben von Werk­zeugen, wie es scheint, absichtsvoll und sorgfältig bestattet ist, das Attribut Mensch" ab. Der Belgier Rutot und seine Anhänger glauben Menschen nachgewiesen zu haben, wo immer sich die so­genannten Golithen finden, das sind auf rohefte Weise bearbeitete oder Spuren absichtlicher Benutzung tragende Steine, wohingegen

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der Ethnologe Hörnes den Menschen als Träger der Eolithenkultur erst anerkennen will, wenn man ihm gleichzeitig auch Feuerstellen aus denselben Fundschichten beibringt. Und er scheint uns mit seiner Forderung darin recht zu haben. Man sieht, die Sache liegt nicht so klar und einfach, wie mancher etwa glaubt, wenn man daran gehen will, das erste Auftreten des Menschen zu bestimmen. Hier gibt es noch vieles aufzuhellen; und trotz der großen Errungenschaften der mo­dernen Wissenschaft sind wir über wichtige Punkte noch im Dunkel.

Von den Eingeborenen Inner- Australiens.

Nach Spencer und Gillen The Native Tribes of Central Australia". II.

Die Zahl der Eingeborenen Inner- Australiens hat in den süd, lichen Teilen dieses Gebiets, wo sie seit langem mit den Weißen in Berührung stehen, reißend abgenommen, und ihre Reste sind nur klägliche Vertreter der Rasse, die ihre alten Sitten und Ge­bräuche ganz oder fast ganz verloren haben. Das gleiche Schick­fal wird mit dem weiteren Vordringen der Weißen in verhältnis­mäßig furzer Zeit über die übrigen Stämme hereinbrechen, die bis jetzt noch das Glück hatten, weit genug von deren Siedlungen entfernt zu leben. Der weiße Siedler mag noch so menschen­freundlich gesinnt sein, seine Ankunft bringt mit einem Schlage und mit Notwendigkeit ein Element der Störung in die Lebens­bedingungen des Wilden. Von diesem Augenblick an setzt die fittliche und körperliche Entartung ein. Die Aussicht, für Diensts leistungen von dem Weißen abgetragene Kleider, Speisen, Tabak und vielleicht auch eiserne Messer und Beile zu erhalten, zieht den Wilden sofort in die Nachbarschaft jeder noch so kleinen Siedlung. Unter den neuen Einflüssen machen sich die jungen Leute frei von der Herrschaft der älteren Männer, die sonst allmächtig waren. Das feste moralische Band, dessen Stärke in den natürlichen Lebensverhältnissen der Eingeborenen wurzelte, reißt und an seine Stelle tritt fein anderes soziales Bindemittel. Mit Sorgen sehen die alten Männer, wie die jungen die alt- ehrwürdigen Sitten der Väter mißachten, und sie sind nicht gewillt, solch unwürdige Nachfolger in die Gebräuche ihrer Vorfahren einzuweihen. Durch Laster, Krankheiten und die wachsende Schwierigkeit, sich die Wild­nahrung zu verschaffen, die von den Ansiedlern ausgerottet und vertrieben wird, nimmt die Zahl der Eingeborenen unaushaltsam ab. Unter gewöhnlichen Umständen sind die Eingeborenen fast völlig nackt. Obwohl zu gewissen Zeiten die Temperatur infolge der Ausstrahlung unter dem vollständig flaren Himmel nachts unter den Gefrierpunkt sinkt, ist dem Wilden doch nie der Gedanke ge­kommen, sich durch irgend eine Art Kleidung gegen die Kälte zu schützen. Um so erpichter ist er aber darauf, Decken oder alte Kleidungsstücke von dem weißen Mann zu bekommen, die dann mit Stolz als Schmuck getragen werden. Eine Eingeborene, die nichts weiter an hat als einen alten Strohhut auf dem Kopfe und abge­tragene Schuhe an den Füßen, ist vollkommen selig. Schenkt aber der Weiße in abgelegenen Gegenden aus Mitleid dem Eins geborenen Kleidung, so fördert er damit die Lebensdauer der Wil­den wahrlich nicht. Gibt man einem Schwarzen, sagen wir ein wollenes Hemd, so wird dieser es vielleicht einen oder zwei Tage tragen, hierauf wird sich sein Weib damit schmücken, und schließ lich geht es im Umtausch gegen irgend ein Stück Nahrung in den­Besitz eines Freundes über. In der Folge beginnen unter den Wilden, kaum daß sie mit den Weißen in Berührung gekommen find, Schwindsucht und andere Krankheiten zu wüten. Werden dann die Reste des Stammes in irgend einer Missionsstation gesammelt, unter Verhältnissen, die den natürlichen Lebensbedingungen der Wilden gänzlich fremd sind, so ist hier kein Platz mehr für die Sitten, die einst das Leben des Stammes regelten. Alles, was man hier tun kann, ist, dem unaufhaltsamen Prozeß des Aus­sterbens möglichst seine Härten zu nehmen. Glücklicherweise ist das Innere des australischen Kontinents nur schwer zugänglich, sein Klima ist zu trocken, die Wasserversorgung zu färglich und zu un­zuverlässig, um bis jetzt eine rasche Ausbreitung der Siedlungen der Weißen zu ermöglichen. Daher können hier die Eingeborenen noch in vielen Gegenden ungestört über das Land schweisen, das der Zivilisierte nicht zu besiedeln wagt, und so stößt man hier noch auf Stämme, die fest am Glauben und an den Überlieferungen ihrer Vorfahren hängen.

Der Stamm betrachtet sich als den Besitzer der Gegend, in der er lebt, und er besteht aus einer großen Anzahl örtlich zerstreuter Gruppen. Jede dieser Gruppen nimmt ein bestimmtes Gebiet ein, als dessen Eigentümerin fie gilt und deffen Grenzen den Ein­geborenen wohl bekannt sind. Sie bezeichnen diefe Gruppen mit