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Feuilleton
Auf der Fähre.
Curt infere Mütter und Bausfrauca
Aus der„ Auferstehung von Leo Tolstol.
Nechljudow stand am Rande der Fähre und blickte auf den schnellen, breiten Strom. Aus der Stadt her kam über das Wasser das Getön und eherne Beben einer großen Glocke. Der neben Nechljudow stehende Kutscher und alle Fuhrleute nahmen einer nach dem anderen die Mützen ab und bekreuzten sich. Nur ein zunächst dem Geländer stehender, mittelgroßer, zerzauster Alter, den Nechljudow zuerst nicht bemerkt hatte, befreuzte sich nicht, sondern erhob den Kopf und sah Nechljudow fest an. Der Alte war in einem geflickten Bauernrock, Tuchhosen und ausgetretenen, geflickten Stulpenstiefeln. Über der Schulter hing ein mäßig großer Quersack, auf dem Kopfe saß eine hohe, abgeriebene Pelzmüße.
Was betest du denn nicht, Alter?" sagte Nechljudows Kutscher, nachdem er seine Müze aufgesetzt und zurecht gerückt hatte." Bist wohl nicht getauft?"
" Zu wem soll man denn beten?" sagte resolut und aggressiv, die Silben schnell hintereinander aussprechend, der zerzauste Alte. " Zu wem! Zu Gott ..." sagte ironisch der Kutscher . " Zeig' du mir doch, wo er ist? Gott ?"
Es war etwas so Ernstes und Festes im Ausdruck des Alten, daß der Kutscher, als er fühlte, daß er es mit einem starken Menschen zu tun hatte, verlegen wurde. Er suchte es aber zu verbergen und antwortete schnell, um sich durch sein Schweigen nicht vor dem zuhörenden Publikum zu blamieren:
„ Wo? Natürlich... im Himmel." ,, Bist du denn dort gewesen?"
" Gewesen oder nicht gewesen, aber jeder weiß, daß man zu Gott beten muß..."
„ Gott hat niemand jemals gesehen. Der eingeborene Sohn. der in des Vaters Schoß ist, hat ihn offenbart..." sagte, streng die Stirne runzelnd, in derselben schnellen Sprechweise der Alte.
" Du bist wohl ein Heide, ein Lochanbeter. Das Loch betest du an," sagte der Kutscher, den Peitschenstiel in den Gürtel steckend und das Geschirr auf dem Seitenpferd zurechtschiebend. Jemand lachte.
Welchen Glauben hast du denn, Großvater?" fragte ein Mann in mittleren Jahren, der neben seiner Fuhre am Rande der Fähre stand.
, Gar feinen Glauben habe ich.... Weil ich niemand, niemand außer mir selbst glaube," antwortete schnell und resolut der Alte. Wie soll man denn sich selbst glauben?" sagte Nechljudow, sich in das Gespräch mischend. Man kann sich doch irren." „ Niemals," antwortete mit einer energischen Kopfbewegung der
Alte.
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" Woher kommt es denn, daß es so vielerlei Glauben gibt?" fragte Nechljudow.
,, Eben daher, weil man den anderen Menschen glaubt und nicht sich selbst. Auch ich habe anderen Menschen geglaubt und bin umhergeirrt wie in der Tajga ; hatte mich so verlaufen, daß ich nicht glaubte, je herauszukommen. Da gibt's Altgläubige und Neugläubige, die Subbotniki, die Chlisti, die Popowzi, die Vespopowzi, Awstrijaki, Molofane und Skopzi . Jede Sekte lobt sich nur selber. Sind nach allen Seiten auseinandergekrochen wie blinde junge Hunde. Der Glauben gibt's viele, aber nur einen Geist. In dir und in mir und in dem da. Da soll eben jeder seinem Geiste glauben, und alle werden wieder vereinigt sein. Jeder für sich, und alle werden eins...."
Der Alte sprach laut und sah sich immerfort um, da er augenscheinlich wünschte, daß möglichst viele Leute ihn hören.
„ Nun, und ist das schon lange Ihr Bekenntnis?" fragte Nechljudow.
" Ich? Schon lange. Sie verfolgen mich schon das dreiundzwanzigste Jahr...."
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Wieso verfolgen?"
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- den
„ Wie man Christus verfolgte, so verfolgt man auch mich. Nehmen mich fest und schleppen mich in die Gerichte, zu den Popen, Schriftgelehrten und Pharisäern; auch ins Irrenhaus hatten sie mich mal gesteckt. Aber man kann mir nichts anhaben, und so bin ich denn frei., Wie heißt du? fragen sie mich. Meinen wohl, ich würde mich für irgend jemand ausgeben. Ich tu's aber nicht. Ich habe mich von allem losgesagt: habe keinen Namen, kein Heim, kein Vaterland,- nichts habe ich. Ich bin nur ich., Wie ich heiße?" -Mensch., Wie alt bist du? Jch, sage ich, zähle die Jahre
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Nr. 15
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nicht und kann sie auch nicht zählen, denn ich bin immer gewesen werde auch immer sein., Wer, fragen sie ,, sind dein Vater und deine Mutter? Ich habe, sage ich, weder Vater noch Mutter außer Gott und die Erde. Gott der Vater, die Erde die Mutter., Erkennst du den Zaren an? fragen sie. Warum soll ich ihn nicht anerkennen. Er ist sein Zar, und ich bin mein Zar. , Na, was soll man mit dir reden! sagen sie. Und ich sage: hab' auch nicht gebeten, mit mir zu reden. Ja, so quälen sie mich...." Und wohin gehen Sie denn jetzt?" fragte Nechljudow.
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Wie's Gott gibt. Ist Arbeit da, arbeite ich, sonst gehe ich betteln," schloß der Alte, als er merkte, daß die Fähre sich dem anderen Ufer näherte, und sah sich sieghaft um nach allen, die ihm zugehört hatten.
Die Fähre legte am anderen Ufer an. Nechljudow holte seinen Beutel heraus und bot dem Alten Geld an. Der Alte schlug es aus. " Ich nehme das nicht, Brot nehme ich," sagte er.
" Nun vergib!" verabschiedete sich Nechljudow von ihm nach russischer Art.
,, Da ist nichts zu vergeben. Du hast mich nicht beleidigt. Und man fann mich auch nicht beleidigen," sagte der Alte und warf sich den Sack, den er abgelegt hatte, wieder über die Schulter.
Unterdessen war Nechljudows Wagen von der Fähre gezogen und die Pferde waren eingespannt.
" Daß Sie Lust haben, gnädiger Herr, mit so einem zu sprechen," sagte der Kutscher Nechljudow, als dieser, nachdem er den Fähr leuten ein Trinkgeld gegeben, in den Wagen stieg. So ein Vaga bund, ein Landstreicher...."
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Empörung.
Don Alexander Petöfi . Empörung hat das Meer erfaßt, das Meer der Nationen; das flutende Getümmel wirft schäumend bis zum Himmel den Gischt der Wellenkronen. Seht ihr den wilden Wogentanz? Hört ihr die Sturmesgeigen? Wer's nie gesehn, der lerne. So dreht das Volk sich gerne im luft'gen Wirbeireigen. Es bebt und brüllt der Ozean und wälzt die schwanken Schiffe; er wälzt sie, bis sie sinken, nur Mast und Segel blinken Zerfetzt vom Zahn der Riffe.
Tob dich nur, Sintflut, tob dich aus, tobt nur, ihr Völkerwogen,
und schleudert eure Schrecken
aus bodenlosem Becken
hinauf zum Himmelsbogen.
Schreibt es ans em'ge Sternenzelt, als Trost für die Gemüter: Nicht die Galeere oben,
die drunter sich erhoben: die Flut ist der Gebieter!
OOO
Die letzte Stunde.
Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile der großindustriellen Entwicklung an sich raffen und monopolisieren, wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Em pörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des Tapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse. Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer fapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des fapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateure werden ers propriiert. Karl Marx , Das Kapital, 1. Band, Seite 728. Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Bettin( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart . Druck und Verlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.g. in Stuttgart .