Für unsere Mütter und Hausfrauen

Nr. 10 ooo oo Beilage zur Gleichheit°°°°°°°° 1915

Inhaltsverzeichnis: Nation und Menschheit. Von Friedrich Schiller  . Einiges vom Blute. Von Dr. Aler. Lipschüß.( Schluß.) Die Naturforscherin Amalie Dietrich  . Von Anna Blos.  ( Fortsetzung.)- Für die Hausfrau.- Feuilleton: Dschawo. Von Awetis Aharonean.

Nation und Menschheit.

Es ist ein arm­jeliges, fleinliches Jdeal, für eine Nation zu schreiben; einem philo sophischen Geiste ist diese Grenze durchaus unerträglich. Dieser kann bei einer so wandelbaren, zufälligen und willkürlichen Form der Menschheit, bei einem Fragmente( und was ist die wichtigste Nation anderes?) nicht stille stehen. Er kann sich nicht weiter dafür erwär­men, als soweit ihm die Nation oder Nationalbegebenheit als Be­dingung für den Fortschritt der Gattung wichtig ist."

O O O

Friedrich Schiller  .

Einiges vom Blute.

Bon Dr. Aleg. Lipschüß.

( Schluß.)

Manche Menschen können schon an der kleinsten Wunde ver­bluten, die wir Normalen gar nicht merken und die uns gar feinen weiteren Schaden zufügt, weil die Blutung bei ihnen nicht gestillt werden kann. Das ist eine erbliche, angeborene Krankheit, die in manchen Gegenden verbreitet ist, die sogenannte BIuter­frankheit. In der Schweiz   gibt es ein ganzes Dorf, wo alle Männer Bluter" sind, wie man sich auszudrücken pflegt. Die Männer, nicht die Frauen: Die Frauen bleiben von der Krankheit verschont. Den Keim zur Bluterkrankheit den tragen aber die Frauen der Bluterfamilien in sich: Die Tochter eines Bluters, die jelber gefund ist und einen gesunden Mann heiratet, bekommt einen Sohn, der stets ein Bluter ist. Das Wesen der Krankheit ist noch nicht geflärt; man nimmt an, daß die Ursache der unstillbaren Blutungen in einer besonderen Beschaffenheit des Blutes liegt, dessen Fähigkeit au gerinnen herabgesetzt ist.

Wenn wir von den fünf Liter Blut, die wir in unserem Körper haben, einen ganz kleinen Teil durch eine Wunde verlieren, so macht das nicht allzuviel aus; je mehr es ist, desto größer ist aber der Schaden, der dem Körper durch den Blutverlust zugefügt wird. Wenn wir zwei oder gar drei Liter Blut verloren haben, dann geht es mit dem Leben des Zellenstaates bald zu Ende. Der Arzt aber vermag hier viel zu tun. Wenn man zum Beispiel einem Menschen, der bis zwei Liter Blut verloren hat, eine gewöhnliche erwärmte Salz­lösung ins Blut sprißt, so kann er wieder gesund werden. Das liegt an folgendem: Die roten Blutkörperchen, die in den übrig ge= bliebenen drei Liter Blut noch vorhanden sind, sind wohl imstande, den Zellen des Körpers den nötigen Sauerstoff zu besorgen, wenn auch nicht so recht, wie es sich normalerweise gehört. Wenn aber bloß drei Liter Blut im Körper enthalten sind, so ist im Blutgefäß­system nicht der nötige Druck vorhanden, genau so, wie wenn in den Zuleitungsröhren einer Wasserleitung zu wenig Wasser wäre. Wenn das der Fall ist, so bekommen die einzelnen Wohnungen, die an die Wasserleitung angeschlossen sind, nicht genügend Wasser ins Haus. Wird Wasser nachgegossen, so steigt der Druck der Wasserleitung an, und die Sache ist wieder in Ordnung. So ist es auch in den Blutröhren, wenn bei großen Blutverlusten vom Arzte eine Salzlösung in die Blutgefäße nachgegossen wird. Solche schweren Blutverluste können eintreten bei Verlegungen und bei der Entbindung. In solchen Fällen muß stets die Hilfe des Arztes angerufen werden.

Diese Betrachtungen zeigen uns, wie wichtig es ist, daß bei ein­getretener Verlegung die Umgebung dafür sorgt, daß der Verlegte möglichst wenig Blut verliert. Je geringer die Blutverluste, desto größer sind die Aussichten, die der Kranke für eine vollkommene Genesung hat. Größere Blutverluste sind nicht nur darum bedeu­tungsvoll, weil sie zu einem unmittelbaren Tode des Verletzten führen können, sondern auch, weil sie, wenn der Kranke am Leben bleibt, zu einer schweren Blutarmut Veranlassung geben können. Aber was ist Blutarmut  ? Ein sehr starker Blutverlust kann zur Folge haben, daß im Körper zu wenig rote Blutkörperchen enthalten sind. Der Blutarme braucht aber nicht immer einen Blutverlust erlitten zu haben. In der Mehrzahl der Fälle kann

man eine unmittelbare Veranlassung für die Blutarmut nicht feststellen. Nur so viel läßt sich sagen, daß der Stranke in gesund­heitswidrigen Verhältnissen gelebt hat, sei es, daß er zu wenig reine Luft bekommen, zu wenig Schlaf gehabt oder sich schlecht ge­nährt hat. Aber wieso kann es dabei zu einer Abnahme der Bahl der roten Blutkörperchen im Blute kommen? Die Sache liegt wahr­scheinlich so, daß bei schlechten gesundheitlichen Verhältnissen dic­jenigen Organe in unserem Körper versagen können, in denen die roten Blutkörperchen hergestellt werden. Die roten Blutkörperchen, die ja beim Menschen nicht mehr vollständige Zellen sind, wie wir oben schon gehört, haben eine sehr kurze Lebensdauer; sie leben insgesamt nur vierzehn Tage. Dann sterben sie ab namentlich in der Milz   und in der Leber gehen sehr viele zugrunde, und es müssen natürlich immer neue Nachschübe von irgendwoher im Körper ins Blut gelangen. Eine Erzeugungsstätte der Blutförper­chen ist das Knochenmark das rote Mark in unseren Knochen ist eine richtige Blutkörperchenfabrik. Da entstehen die jungen roten Blutkörperchen, von hier gelangen sie ins Blut. Und wenn die Blut­förperchenfabrik nicht ganz auf ihrer Höhe ist, so ist es begreiflich, daß es dann zu wenig rote Blutkörperchen im Blute geben wird. Es ist leicht zu verstehen, daß eine Blutarmut, ein Mangel an roten Blutkörperchen, dazu führen muß, daß der ganze Körper Schaden leidet. Denn alle Zellen im Bellenstaat sind ja von den roten Blut­förperchen abhängig; von diesen bekommen sie den Sauerstoff zu­geführt, den sie zum Leben brauchen. Wenn diese versagen, so gibt es nicht genug Sauerstoff, und die Zellen erleiden Schaden. Bei dem Blutarmen hapert es darum überall im Körper: fein Organ, das seine Arbeit tut wie sonst. Man ermüdet leicht, kann seine Arbeit nicht leisten wie sonst, im Denken ist man träge, die Wer­dauung liegt danieder usw.

Eine Abart der Blutarmut ist die Bleichsucht: Bei der eigent­lichen Bleichsucht ist die Zahl der roten Blutkörperchen nicht ver­mindert, sie ist ganz normal. Aber die roten Blutkörperchen haben nicht genug vom roten Blutfarbstoff, von dem wir schon wissen, Daß er bei der Sauerstoffaufnahme und Sauerstoffabgabe eine fo große Rolle spielt. Daß die Bleichsucht ebenso wie die Blutarmut  zu einem Sauerstoffmangel in allen Organen unseres Körpers führen muß, das ist selbstverständlich. Wie bei der Blutarmut   liegt alles im Körper danicber, wenn der Mensch bleichsüchtig ist. Be­kanntlich leiden namentlich junge Mädchen an Bleichsucht. Die Arate wissen sehr wohl, daß gesundheitswidrige Verhältnisse, wie sie bei der Schuljugend und den Kindern namentlich der Arbeiter­flasse vorkommen, daran schuld sind. Das lange Sihen ohne Ve­wegung, der Mangel an frischer Luft, auch ungenügende Nahrung, alles das spielt bei der Entstehung der Bleichsucht mit.

Wenn jemand blutarm oder bleichsüchtig ist, so heißt es gleich: es muß Gisen gebraucht werden. Warum gerade Eisen? Das steht damit im Zusammenhang, daß der Farbstoff der roten Blut­förperchen Eisen enthält, und man sagt sich, wenn es an rotem Blutfarbstoff in unserem Körper mangelt, wenn von ihm mehr erzeugt werden soll, dann braucht es viel Eisen in der Nahrung. Dem Arzte ist es bekannt, daß einem blutarmen oder bleichsüchtigen Kranken das Eisen sehr wohl nüßt. Ob es aber das Eisen allein ist, das diesen wieder gesund macht, das ist sehr zweifelhaft. Die Haupt­fache ist, daß der Krante in gesunde Verhältnisse kommt: frische Buft, gutes Essen und viel Bewegung, das macht den Kranken wieder gesund.

Außer der Blutarmut und der Bleichsucht gibt es noch andere Krankheiten des Blutes. Eine von diesen, die eine sehr wichtige Rolle in der Medizin spielt, ist die sogenannte Leukämie, was etwa soviel heißt wie weißes Blut". Die Leukämie ist dadurch ge­kennzeichnet, daß bei ihr die Zahl der weißen Blutkörperchen im Blute ganz gewaltig ansteigt. Während im gesunden Blute auf etwa 400 rote Blutkörperchen bloß ein weißes kommt, entfällt bei der Leukämie schon auf je 25, ja sogar auf je zwei rote Blutkörper­chen ein weißes. Die Leukämie ist eine sehr gefährliche Krankheit und führt meist zum Tode.

Wie gelangt das Blut zu allen Zellen im Zellenstaat? Nun, es wird einfach zu allen Organen im Körper gepumpt, und zwar durch das Herz. Wenn die Herzpumpe einmal ihre Arbeit nicht so recht tut, fann es zu schweren Schädigungen in allen Organen des Körpers kommen. Es ist dann genau dasselbe, wie wenn zu wenig rote Blutkörperchen und Nährstoffe im Blute vorhanden