Nr. 17

Für unsere Mütter und Hausfrauen

Auch in Europa   bestand einst diese harte Sitte. Zwar führen es römische Schriftsteller auf verschiedene Anlässe zurück, daß die so­genannten Depontani, die sechzigjährigen Greise einst in Rom   von der Tiberbrücke hinabgestürzt zu werden pflegten. Allein man ist berechtigt, in der zur Sage gewordenen Tatsache einen Rest der Altenausstoßung zu erblicken. In einer Anzahl altgriechischer Staaten wurde von Amtswegen der Schierlingsbecher dem gereicht, der sich aus einem triftigen Grunde das Leben nehmen wollte; als triftiger Grund aber galt das überschrittene sechzigste Lebensjahr. Das war sicher ein Rest der Altentötung, die auch bei den Slaven   üblich war, die in Deutschland   wohnten. Von den Wagriern und Liutizen ( Wilzen) der alten Zeit wird ausdrücklich gemeldet, daß sie ihre alten Leute gegessen haben. Die Erinnerungen an die deutsche Vor­zeit gehen allerdings nicht in eine gleichferne Vergangenheit zurück, immerhin erzählt die Sage der Sachsen von Wittekinds Flucht folgendes: Wittekind wurde, wie noch ein jeder in der dortigen Gegend weiß, zu Engster in Westfalen von den Franken geschlagen ( 783), und viele blieben dort auf dem Wittenfelde tot liegen. Flüch­tend zog er gegen Ellerbruch; als nun alles mit Weib und Kind an die Furt kam und sich drängte, mochte eine alte Frau nicht weiter gehen. Weil sie aber dent Feinde nicht in die Hände fallen sollte, so wurde sie von den Sachsen   lebendig in einem Sandhügel bei Bellmanns Kamp begraben; dabei sprachen sie: Krup under, krup under, de Welt is di gramm, du kannst dem Rappel( Lärm) nich mer folgen.' Sput hat mancher hier gesehen, mancher auch nicht; aber über das weiße Feld geht doch niemand gern bei Nacht. Die meisten wissen aus alter Zeit her, daß in lärmendem Zuge die Heere mit blanken Spießen dort ziehen."

Tod und Krankheit, soweit sie nicht durch rohe Gewalt verursacht sind, erscheinen dem Kulturlosen als Wirkung böser Geister. Die Geister handeln aber nicht immer aus eigenem Antrieb. So gut der Mensch durch Zauberei den Geist vertreiben kann, ebensogut vermag er durch Zauberei einen Geist zu bestimmen, dies oder jenes anzustellen, er behert. Wie man auf einer etwas höheren Kultur­stufe für den Mord an dem Mörder oder dessen Stamm Blutrache nimmt, so versucht man auch an dem unbekannten Herenmeister für den angetanen Schaden oder die zauberische Tötung eines Ver­wandten sich zu rächen. Es kommt dabei vor allem darauf an, den Täter herauszufinden. Durch allerhand Drakel sucht man den Schul­digen festzustellen wobei oft der Leichnam des Getöteten mitwirken muß oder auch durch den Berufszauberer, der auf dieser Stufe schon vorhanden ist. War der Unheilstifter ein Mann oder Zauberer des benachbarten Stammes, so ist der Kriegsfall gegeben, diese Fehde endigt nicht eher, als bis ein Feind im Kampfe oder durch Meuchel­mord für den Toten mit dem Leben gebüßt hat. Dann ist der Geist des Getöteten befriedigt, der sonst dem eigenen Stamm vielleicht großen Schaden zugefügt hätte. Nun aber muß der andere Stamm wieder Blutrache nehmen. So kommt es zu einem ganzen Ratten­fönig von Blutfehden, die nicht selten mit der Ausrottung eines ganzen, einst mächtigen Stammes endigen. Die Forscher sind sich darin einig, daß bei diesen Blutfehden die Zauberer im Interesse ihrer Macht eine unheilvolle Rolle spielen. Wo die Zauberer weniger zu bedeuten haben, begnügt man sich bald mit einem Ersatz, mit dem sogenannten Wergeld, das ist Mannesgeld.

Wie dringen die Geister in den Körper ein? Vielfach in Gestalt von Tieren, wie Schlangen, Eidechsen, Mäusen usw. In allem, was huscht, wohnen die Seelen besonders gerne, man vergleiche die von uns angeführten deutschen Sagen. Sind sie in den Menschen ge= langt, so zehren sie von seinen Eingeweiden, bis der Tod eintritt. Aufgabe des Zauberers ist es, sie herauszuholen. Doch davon später. Hier nur noch zwei Fragen von größerer Bedeutung, nämlich wie der Urmensch sich die Seele eigentlich vorstellt, und wo er sie sich vorstellt. Beide Fragen hängen eng zusammen. Bis in die neuere Zeit hinein haben sich Theologen und Philosophen damit beschäftigt. Die alten griechischen Philosophen faßten die Seele rein törper­lich, als eine Substanz, und noch die Wissenschaft der Neuzeit hat unter anderem auch die Zirbeldrüse im Gehirn als Siz der Seele angenommen. Die jetzige Forschung hat freilich erkannt, daß die Zirbeldrüse das rückgebildete dritte Auge ist, das nach den Knochen­funden urweltliche Saurier tatsächlich auf dem Kopfe getragen haben.

Da der Atem mit dem Leben entwich, wurde er vor alters für die Seele selber gehalten. Daß er teils sichtbar, teils unsichtbar ist, machte ihn der Seele nur ähnlicher. Vielerorts durften Priester, um ihren menschlichen Hauch nicht mit dem Gotte zu vermischen, im Allerheiligsten ihrer Tempel nicht ausatmen oder mußten min­destens Maulbinden tragen. Der alte Römer grüßte ein Götterbild, indem er sich die Hand vor den Mund hielt. Auch nach der be= kannten biblischen Legende( Evangelium Johannes 20, 22) teilte Jesus  

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seinen Schülern seinen Geist( wörtlich: Atem) durch Anblasen mit. Die Urchriften gaben diesen Geist dann bei der Taufe durch den Kuß weiter, der also seinem eigentlichen Sinne nach eine Atem­mitteilung beziehungsweise Seelenmischung und deshalb im Wesen bom Eskimokuß nicht verschieden ist, der im Aufeinanderdrücken der Nasen besteht.

Der aufgezeigte Zusammenhang drückt sich noch in der Sprache aller Völker aus, und auch die der höchstzivilisierten haben ihn noch erhalten. Altindisch   ist atman der Atem und die Seele, das Grie­chische besitzt mindestens sechs dialektisch verschiedene Formen von atmos: Hauch, Dunst, Atem, Rauch usw. und Seele( davon auch Atmosphäre, der Dunstkreis der Erde  ); hebräisch ruach. Pneuma griechisch, halitus und spiritus lateinisch bedeuten alle zugleich Wind, Atem und Geist. Auch das germanische Geist" schließt, besonders in seinen nordgermanischen Formen, den Begriff des Blasens, Wehens und Atmens ein. Der Hauch seines Mundes" ist im Althochdeutschen ,, sînes mundes geistu" und der heilige Geist"; âtum wîhan: ge­weihter Atem. Die moderne Scheidung von Atem und Geist geht erst von Luthers   Bibelübersetzung aus. In ihr wird später überall für den sinnlichen Begriff das erstere Wort- Odem verwendet, für den übertragenen das Wort Geist; in den ersten Auflagen steht jedoch zum Beispiel Jesaja 11, 4 noch: der Geist seiner Lippen.

Auch das Blut, mit dem das Leben zugleich entflieht, wurde der Seele gleichgesetzt, besonders bei viehschlachtenden Gruppen. Die Bibel sagt 5. Mose 12, 23: das Blut ist die Seele, und da Seelen­speise auf der von den Juden damals erreichten Kultus- und Kultur­stufe nicht mehr den Menschen gebührt, sondern nur noch der höchsten Seele, so soll der Mensch sie nicht genießen, sondern sie seinem Gotte ,, ausschütten wie Wasser". Es ist natürlich auch nicht zufällig, daß lateinisch das Blut sanguis, und heiligen, weihen, widmen sanctio heißt. Das Blut kam auch bei den alten Römern einst der Gottheit allein zu. Blut ist eben ein ganz besonderer Saft, wie aus den vielfältigen Blut opferbräuchen hervorgeht, über die noch zu reden sein wird. Der christliche Teufel, der dem lieben Gott so gern eine Seele abspenstig macht, schließt als gerissener Geschäftsmann seine Verträge stets schriftlich und läßt sie mit Blut unterzeichnen. Das winzige Tröpfchen auf seinem Kontrakt sichert ihm die Seele des Unterzeichners, denn es ist ein Teil des Menschen, der Teufel hat jemanden ganz, von dem er erst einen Teil besitzt. Blutbrüder­schaften werden in der ganzen Welt zwischen sonst unverwandten Personen in den verschiedensten Formen geschlossen, aber stets da­durch, daß man gegenseitig das Blut mischt, wohl auch solche Mischung genießt. Blutmischung ist eben Seelenmischung.

Auch der Speichel kann die Seele enthalten. Wie ältere Berichte schon von Negern erzählen, die Steine einfach anhauchten, um sie dann als wirksame Zaubermittel zu benutzen, so berichtet ein neuerer Forscher von einem Australier, der Steine in den Mund nahm und sie dann als zauberkräftig verkaufte. Der Mann traute sich, besser gesagt seiner Seele etwas zu, und wenn er selber vielleicht auch an seiner Kraft zweifelte, seine Sundschaft, die ihr gutes Geld be­zahlte, glaubte sicherlich daran. Der altbabylonische Schöpfergott Ea beseelt die Menschen mit dem Speichel des Lebens", und ein Gebet an den mindestens tausend Jahre jüngeren Stadtgott Marduk von Babel hat den Saz: D Marduk, dein ist der Speichel des Lebens. ( Schluß folgt.)

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Sternenlicht.

Dft und oft, wenn ich die ewigen Sterne sah, diese glänzenden Tropfen, von dem äußeren großen Weltenozean auf das innere blaue Glöcklein hereingespritzt, das man über uns Infusionstierchen gedeckt hat wenn ich sie sah und mir auf ihnen dachte dieses Unmaß von Kräften und Wirkungen, die zu sehen und zu lieben ich hienieden etvig ausgeschlossen bin; so fühlte ich mich fürchterlich einsam auf der Insel Erde  "- und find denn nicht die Herzen ebenso einsam in der Insel Körper"? Können sie einander mehr zusenden als manchen Strahl, der noch dazu nicht immer so freund­lich funkelt als der von den schönen Sternen? Wie jene Herzen des Himmels durch ein einziges ungeheures Band verbunden sind, durch die Schwerkraft, sollten auch die Herzen der Erde   verbunden sein durch ein einziges ungeheures Band die Liebe, aber sind sie es immer?

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Noch sind Kriege, noch ist Reichtum und Armut.

Was hat denn der unergründliche Werkmeister vor mit dem Gold­forn Mensch, das er an einen wüsten Felsen flebt, dem gegenüber der glänzende Sand einer endlosen Küste schimmert, der Saum eines unentdeckten Weltteils? Und wenn dereinst ein Nachen hin­überträgt, wird da nicht etwa wieder eine neue, schönere Küste herüberschimmern? Adalbert Stifter  .

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