Nr. 18

Für unsere Mütter und Hausfrauen

Segenswünschen ist das Anspeien ein vielhelfendes Zaubermittel. Der Krämer spuckt das ersteingenommene Geld an, damit es hecke, und alte Weiber pflegen beschrieene" Kinder, das heißt ohne Segenswunsch belobte Kinder, unter solchem Wunsche anzuspuden. Auch wenn man heftig erschrict, ist Ausspuden als Gegenzauber gegen etwaige schlimme Folgen äußerst wirksam. Jesu   zauberte be­ziehungsweise heilte nach der Legende mit seinem Speichel. Die ersten Christen pflegten Täuflinge zwischen Teufelaustreibung und Olsalbung an Ohr und Nase mit Speichel zu bestreichen. Lateinisch  ist salus, salvus Heil, Unverlegtheit, der Speichel ist der Heiler: saliva  . Besonders der nüchterne Speichel soll nach Plinius   vor Gift und Zauberei schützen, damit kann aber doch nur fremder ge= meint sein, denn eigenen hat man jederzeit bei sich. Persius, Theo­phraft und Tibull stimmen Plinius   bei, und daß der Speichel viel­fach zum Zaubern diente, darf man aus Properz schließen, der die Baubermittel direkt arcanas salivas nemnt. Auch dem Talmud, Traktat Sabbat, gilt der Speichel als Arznei. Nicht unmöglich scheint manchen Forschern auch ein ursprünglicher Zusammenhang zwischen dem uns gebräuchlichen Wort Sput" gleich Gespenst und der Neben­form Spucke" für Speichel. Man muß aber bei solchen sprachlichen Ableitungen äußerst vorsichtig sein.

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Fürsten   sind nach der Anschauung mancher, sogar hochstehender Kulturvölker nicht allein von Gottes Gnaden", sondern geradezu gottbesessen, die Fleischwerdung, der Fetisch des Vollsgottes. Demütige oder schlaue Bittsteller an den assyrischen   König bezeichnen sich als ,, tote Hunde", die der König, ihr Herr, lebendig gemacht habe durch den Lebensodem, den er in ihre Nase getan.

Vergleiche auch die toten Hunde" der Bibel, Samuel J, 24, 15; II, 9, 8 und 16, 9. Darum fonnten die alten Könige nach dem Voltsglauben auch durch bloße Berührung heilen. Noch von den französischen   und englischen Königen des Mittel­alters wird uns diese Betätigung hin und wieder berichtet. Auch von einigen römischen Kaisern ist uns bekannt, daß sie Heilungen voll­bracht haben sollen vermittels Handauflegung oder durch ihren gött­lichen Speichel. Das Wort von der höfischen Speichelleckerei" ist also nicht bildlich, sondern eigentlich gemeint. Sueton   erzählt vom Kaiser Vespasian  , er habe zu Alexandria   einen Gelähmten durch Berühren und einen Blinden durch seinen Speichel geheilt. Es ist ganz ausgeschlossen, daß diese Geschichten etwa dem Neuen Testa­ ment   nacherzählt sind, da dieses damals noch gar nicht existierte. Die Annahme ist naheliegend, daß das Umgekehrte der Fall ge­wesen ist.

Atem, Blut und Speichel wiesen auf niedriger Kulturstufe auf das Herz als auf den Siz der Seele hin. Vom Zweck der Lunge und der Drüsen hatte man ja selbst im frühen Mittelalter noch feine Ahnung. Davon abgesehen wußte man aus Erfahrung, daß die Vertvundung des Herzens unvermeidlich den Tod zur Folge hatte. Das Wort Herz" wird dann auch noch bei uns für Mut und Ge­müt verwendet.

Aber der alte Semit und auch der Jude in der Zeit vor dem Exil scheinen von dieser Bedeutung des Herzens noch nichts gewußt zu haben. Für sie trat der Unterleib mehr hervor, der für Ver­wundungen gleichfalls sehr empfindlich ist; besonders dünkte ihnen dessen größtes und auffallendstes Drgan bedeutsam, die Leber. Der Prophet findet in seinem tiefsten Schmerz nur den uns ein wenig Tomisch anmutenden Ausdruck: Meine Leber ist ausgegossen zur Erde"( Klagelieder 2, 11). Die glatte Oberfläche der Leber galt im Altertum geradezu als der Spiegel der Seele, weshalb auch die Leberschau das häufigste Drakel jener Zeit war. Früher nahm man wohl die Leber von Menschen, später von Schafen dazu. Es sind alte, schematisierte und beschriebene Lehr- und Musterlebern aufge= funden worden in Babylonien   aus Ton, in Italien   sogar eine etrusfische aus Bronze. Die Leber, der Sitz der Leber nach antifer Auffassung, erscheint als ein Abbild des Weltganzen im kleinen.... Wie das Himmelsgewölbe, ist ihr Rand in 16 Regionen geteilt, in denen Götter walten und Zeichen geben können"( Körte, die Bronze= leber von Piacenza  ). Die alten babylonischen Bibliotheken aber ent­halten in umfangreichen Tontafelwerken Tausende von Beispielen, was die so verschiedenartigen einzelnen Befunde bedeuten. Die Drakel aus der Leber besaßen große Wichtigkeit auch für Staats­aktionen( Hesefiel 21, 21), und deswegen wurden jene Beispielsamm­lungen in Königsbibliotheken aufbewahrt.

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Auch die Nieren und das Nierenfett wurden häufig als Seelen­sitz angesehen. In den nacherilischen biblischen Schriften werden die Nieren häufig als solcher genannt, auch ist nun von Herz und Nieren" zusammen die Rede( unter anderem Psalm 7, 10). Welche Rolle die Nieren nebst der Leber beim Opfer spielen, sieht man 3. Mose, Kapitel 3. Sie gehören gleich dem Blute der Gottheit.

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Auch das Auge, das im Leben so hell blickt, im Tode aber ge= brochen ist, galt verschiedentlich als Sig der Seele. So vornehmlich in der Südsee, wo es beim Menschenfraß dem Häuptling vorbehalten blieb. Die Ägypter scheinen die ersten gewesen zu sein, die infolge ihrer Kenntnis des Körpers durch das Mumifizieren das Gehirn als Seelensitz angesehen haben. Aber noch der Römer Cicero will ihre Auffassung nicht gelten lassen; er hält die Seele für das fünfte feinste Element, so daß sie sich nach dem Tode am weitesten von der Erde davonschwinge. Ein so lebendiges Wesen aber kann nicht im Herzen oder Gehirn, auch nicht im Blute versenkt liegen." An anderer Stelle freilich gibt er den Kopf als deren Platz an.

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Wie wir die Seele nicht mehr als ein Ding, eine Sache, einen faßbaren Gegenstand ansehen, sondern als eine Erscheinung, als ein bloßes Ergebnis der Tätigkeit unserer Nerven, so fassen wir sie auch völlig einheitlich auf. Solche einheitliche Auffassung hatte der Ur­mensch noch nicht nötig. Wir sahen weiter oben, daß die Fidschi­insulaner aus der Erscheinung der hellen Wasserbildseele und der dunklen Schattenseele eine Zweiseelentheorie gebildet hatten. Andere Völler nahmen an, daß beim Traum eine Seele auswärts weile, während eine andere, wenigstens eine Zeitlang, das Leben im Körper unterhalte. So die Kariben und viele andere Indianer, auch Ve= wohner Madagaskars   und Indiens  . Gewisse Eskimo bringen es gar bis auf drei Seelen in einem Körper, und damit sind sie nicht un­flüger als der große griechische Philosoph Plato  , der gleichfalls diese klassische Zahl der Seelen annahm: die Kopfseele für das Denken; die Brustseele für Mut und Begeisterung; die Unterleibs­seele für die Begierden, das tierische Leben.

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Die bisher mitgeteilten Tatsachen und Beispiele haben uns die Entstehung des Seelenglaubens auf ganz niederer Kulturstufe ver­anschaulicht. Aus dem Seelenglauben hat sich auf etwas höherer Stufe der Glaube an ganz bestimmte mächtige, meist schädliche Geister entwickelt, die man sich durch Opfer günstig zu stimmen sucht. Mit Hilfe der Zauberei, die wir in früheren Aufsätzen kennen lernten, sucht man jetzt schädliche Geister zu bannen, gute in seinen Dienst zu stellen. Menschen, die sich eine besonders kräftige Seele zutrauen, üben das Zaubern als Beruf, kommen dadurch zu Ansehen und Macht. Wir haben also schon auf dieser Stufe die deutlichen Wurzeln aller späteren Religionen und Kirchen. Wir haben den Glauben an mächtige, übersinnliche Wesen, woraus später der Gottesglaube erwuchs. Wir haben den Versuch, diese Wesen durch Opfer oder Zauberei sich günstig zu stimmen, woraus die verschiedenen Kulte, das heißt heiligen Gebräuche und Formen der Verehrung sich entwickelten. Und nicht zuletzt fönnen wir die Ent­stehung einer von den übrigen Volksgenossen abgesonderten Priester­kaste verfolgen, die sich besondere Kräfte und Heiligkeit zuschreibt, und es dadurch zu außerordentlicher Macht und Ansehen bringt.

In welchen Formen diese Entwicklung vom Seelenglauben zur Religion vor sich ging, inwieweit hier die Fortschritte in der Nah­rungsmittelerzeugung, dem Warenaustausch, der sozialen Gliede­rung und den politischen Verhältnissen mitgewirkt haben, davon sollen spätere Artikel ein kleines Bild entrollen.

Das Studium der Sitten und Anschauungen unter den heute noch lebenden Kulturlosen und Halbzivilisierten hat die entwicklungs­geschichtliche Religionswissenschaft erst möglich gemacht und damit der Theologie, die alle Religion auf göttliche Offenbarung zurück­führt, den Todesstoß versetzt. Auch die vielen im Voltsglauben und den heiligen Gebräuchen der Kulturvölker erhaltenen Überreste ein­ftigen Seelenglaubens und Zauberwesens haben uns wertvolle Fingerzeige gegeben.

Feuilleton

Der Sieger.*

Es war Mitternacht. Im Gefängnis herrschte bedrückende Stille. Einförmig, ununterbrochen ertönte nur der Klang der gleichmäßigen Schritte des Wächters. Die kleinen runden Löcher in den Türen der Zellen hoben sich schwarz vom Halbdunkel des Vorraums ab. Der Wächter warf von Zeit zu Zeit einen scheuen Blick auf diese runden Löcher, als ob sie auf ihn gerichtete Todesaugen wären. Nur im Zimmer des Gefangenenaufsehers war Licht. Dort saßen sich an einem Tisch zwei Männer gegenüber und blickten auf ein vor * Aus den armenischen Erzählungen von Awetis Aharonean. Eine kleine Auswahl ist in Reclams   Universalbibliothek um 20 Pf. zu haben.