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Feuilleton
Für unsere Mütter und Hausfrauen
Ich zog durch eine der weiten Ebenen Afrikas . Die Sonne schien heiß hernieder; ich lenkte mein Pferd unter einen Mimosenbaum, nahm ihm den Sattel ab und ließ es zwischen dem ausgedörrten Buschwert grasen.
Zur Rechten und zur Linken streckte sich die braune Erde. Ich setzte mich unter den Baum; die Hihe war glühend, und am ganzen Horizont zitterte die Luft. Nicht lange und es überfiel mich tiefe Müdigkeit. Ich legte den Kopf auf meinen Sattel und schlief ein. Da hatte ich einen seltsamen Traum.
Vor mir sah ich eine Wüste und ein Weib von dorther kommen. Sie geriet an das Ufer eines dunkeln Flusses; das war steil und hoch. Am Ufer begegnete ihr ein alter Mann mit langem, weißem Bart; in der Hand trug er einen gewundenen Stab, auf dem das Wort„ Vernunft" geschrieben stand. Er fragte sie, was ihr Begehr sei, und sie sagte:„ Ich bin das Weib, und ich suche das Reich der Freiheit." Da sprach er:„ Es liegt vor dir."
" Ich sehe nichts vor mir als einen fließenden Strom, ein steiles und hohes Gestade und hier und dort einen Pfad darin, der vom Sande fast zugeschüttet ist...
„ Und darüber hinaus?"
" Sehe ich nichts," sprach sie;„ nur manchmal, wenn ich meine Augen mit der Hand beschatte, dünkt es mich, als sähe ich auf dem jenseitigen Ufer Bäume und sonnenbeglänzte Hügel!"
Da sagte er:„ Das ist das Reich der Freiheit." Wie soll ich dahin gelangen?"
" Da ist nur ein einziger Weg. Längs dem Ufer der Arbeit durch die Gewässer des Leidens. Es gibt keinen anderen."
,, Gibt es keine Brücke?"-" Keine."
" Ist das Wasser tief?"-" Tief."
" Ist der Grund ausgewaschen?"
„ Er ist es. Jeden Augenblick ist dein Fuß in Gefahr, zu gleiten, und jeden Augenblick kannst du verloren sein."
" Hat schon jemand den Strom durchschritten?"
„ Einige haben es versucht!"
,, Gibt es eine Fährte, die mich an die beste Furt bringt?" Und er sagte:„ Die muß erst geschaffen werden."
Da bedeckte sie ihre Augen mit der Hand; dann sprach sie:" Ich werde gehen."
Doch er sprach:" Das Kleid aber, das du in der Wüste trugst, laß zurück; die sich in die Flut stürzen, werden durch solch Gewand niedergezogen."
Und freudig warf sie den Mantel„ Altüberlieferte Begriffe" von sich, denn er war abgenutzt und voller Löcher. Dann löste sie den lang getragenen Gürtel von ihrem Leibe, und ein Schwarm von Motten stob aus demselben auf.
„ Auch die, Schuhe der Abhängigkeit streife von deinen Füßen," sagte er. Da stand fie nun nackend, bis auf ein weißes, fest anliegendes Gewand.
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Und ersprach:" Dies magst du behalten. So fleidet man sich im Lande der Freiheit. Es trägt dich im Wasser, es schwimmt stets." Auf der Brust desselben sah ich das Wort„ Wahrheit" geschrieben. Das Gewand war weiß; die Sonne hatte es nicht oft beschienen, denn die anderen Kleider hatten es bedeckt. Und der Greis sagte: " Nimm diesen Stab und halte ihn fest. An dem Tage, wo er deinen Händen entgleitet, bist du verloren. Laß ihn vor dir her deinen Weg tasten, und wo er nicht festen Grund findet, seze deinen Fuß nimmer hin."
" Ich bin bereit, laß mich ziehen."
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„ Nein verweile; was ist das in deinem Busen?" Sie schwieg.
Offne," sagte er, und laß mich sehen."
Und sie öffnete. An ihrer Brust lag ein winziges Geschöpf und trank; seine goldenen Locken schmiegten sich an ihren Busen; die Knie hatte es heraufgezogen und mit den Händchen umklammerte es ihre Brust.
Da fragte sie der Träger der Vernunft:" Was ist das für ein Wesen, was hat es hier zu suchen?"
Und sie sagte:„ Sieh seine fleinen Flügel-" Der Alte unterbrach sie:" Sehz es nieder."
"
Doch sie sprach:„ Es schläft und trinkt! Ich will es hinübertragen ins Land der Freiheit. Es war ein Kind so lange, ach, so lang ich es getragen habe. Im Lande der Freiheit wird es zum
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Manne werden. Dort werden wir gemeinsam wandern, und seine großen weißen Flügel sollen mich beschatten. In der Wüste hat es nur ein Wort gestammelt, Leidenschaft! Ich träume davon, daß es in jenem Lande lernen wird ,, Freundschaft zu sagen." „ Sehz es nieder!" mahnte er.
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auf einem Arm und
Sie sprach:„ Sieh, so will ich es tragen mit dem andern gegen das Wasser kämpfen." „ Leg es auf den Boden. Wenn du in den Wogen bist, wirst du vergessen zu kämpfen und einzig seiner denken. Leg es nieder; es wird nicht sterben. Wenn es gewahr wird, daß du es verließest, dann breitet es seine Flügel aus und fliegt. Vor dir wird es das Band der Freiheit erreichen. Die Hand der Liebe wird die erste sein, welche sich denen, die jenes Land erreichen, hilfreich vom Ufer entgegenstreckt. Es wird dann zum Manne geworden und kein Kind mehr sein. An deinem Busen kann es nicht gedeihen; setz es nieder, auf daß es wachsen könne."
Da entzog sie seinem Munde ihre Brust, und es biß sie so, daß das Blut zu Boden tropfte. Sie legte es auf die Erde und bedeckte ihre Wunde. Dann beugte sie sich nieder und strich leise über seine Flügel. Ich sah ihr Haupthaar sich verfärben und weiß wie Schnee werden sie hatte die Jugend mit dem Alter vertauscht.
Da stand sie nun, weit weg, am Ufer des Stromes, und sie sprach: Wozu gehe ich in jenes ferne Land, das keiner je erreicht hat? Weh mir, ich bin allein! Ach, ganz allein!"
Der Träger der Vernunft aber sprach zu ihr:" Still, was dringt an dein Ohr?"
Sie horchte gespannt." Ich höre", sagte sie,„ ein Geräusch von tausendmal zehntausend und tausend und abertausend Füßen, die diesen Weg einschlagen!"
„ Das sind die Tritte jener, die dir folgen werden. Geh voran! Bahne einen Pfad an den Rand des Wassers! Wo du jetzt stehst, wird der Boden niedergestampft werden durch zehntausendmal zehntausend Füße! Hast du jemals gesehen, wie die Heuschrecken einen Fluß kreuzen? Erst kommt eine hinunter an den Wasserrand und wird fortgespült, dann kommt eine zweite und wieder andere und endlich bildet sich durch ihre aufgehäuften Leiber eine Brücke, welche die übrigen hinüberträgt."
Sie sprach:„ Und von jenen ersten werden einige hinweggeschwemmt auf Nimmerwiedersehen? Ihre Körper dienen nicht einmal zur Herstellung der Brücke?"
Werden fortgeschwemmt, und niemand hört mehr von ihnen.- Doch was liegt daran?" sagte er.
„ Ja, was liegt daran," murmelte fie, fie wiesen den Pfad hinunter ans Wasser."
„ Sie wiesen den Pfad hinunter ans Wasser."
,, Und", sagte sie, wer wird über die Brücke, die wir mit unseren Leibern bauen, gehen?"
„ Die ganze Menschheit," sagte er.
Da griff das Weib nach ihrem Stab. Und ich sah sie jenen dunkeln Pfad, der zum Flusse führte, einschlagen.
冬
Ich erwachte; alles um mich her lag in gelbem Nachmittagssonnenschein. Die sinkende Sonne durchglühte die Spiken der Milchbüsche; mein Pferd stand ruhig grasend neben mir. Ich legte mich auf die Seite und beobachtete die Ameisen, wie sie zu Tausenden in dem roten Sande hin und her liefen, und beschloß dann, meinen Weg nun, da der Nachmittag fübler wurde, fortzusehen. Da überfiel mich nochmals solche Müdigkeit, daß ich den Kopf zurücklehnte und fest einschlief. Und ich träumte wieder einen Traum. Mir träumte, ich sähe ein Land. Über die Höhen wandelten wadere Männer und Frauen, Hand in Hand. Sie schauten einander in die Augen und fürchteten sich nicht. Auch sah ich, wie die Frauen einander bei den Händen hielten. Und ich sagte zu meinem Gefährten:„ Was für ein Ort ist dies?"
„ Das ist der Himmel," erwiderte er.
"
Wo ist er?"
Er antwortete:„ Auf Erden!"
Da sprach ich:" Wann wird das so sein?" Und er antwortete:" In der Zukunft."
Damit erwachte ich; alles umher glühte im letzten Abendlicht. Auf den niederen Höhenzügen lag noch die Sonne, und labende Stühle breitete sich aus. Die Ameisen zogen langsam heim. Ich ging auf mein Pferd zu, das ruhig weidete. Langsam verschwand die Sonne hinter den Hügeln; ich aber wußte, daß der nächste Tag sie wieder erstehen lassen würde.
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