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Für unsere Mütter und Hausfrauen

durch Leistungen für andere sein Selbstgefühl zu befriedigen, hält man es davon ab, durch nervöse Mäßchen auf Kosten anderer sich ein Machtgefühl zu erschwindeln.

Das was für die Erziehung des normalen Kindes gilt, Hebung des Lebensmutes durch liebevolle Behandlung, Tätigkeit und Um­gang mit Kameraden, gilt ebenso für die Erziehung von Kindern, die in irgendeiner Weise von der Norm abweichen. Auf keinen Fall dürfen außergewöhnlich schlimme" Kinder durch lieblose Behandlung, dauernde Abschließung von den Gefährten und Auf­peitschen ihrer Schuldgefühle getrieben werden, sich als Ver­brecher" zu fühlen. Was dabei herauskommt, zeigen unsere Beffe­rungsanstalten. Vielmehr müssen gerade diese Kinder bei ihrem Chrgefühl gepact werden, indem man ihnen Vertrauen entgegen­bringt, und es muß ihnen, ebenso wie schwächlichen oder ver­früppelten Kindern durch geeignete Beschäftigung Gelegenheit ge= boten werden, zu zeigen, daß sie auch" etwas taugen.

Selbstverständlich kann alle häusliche Erziehung nur Stückwerk fein. Das Kind steht ja vom ersten Lebensmonat an unter Ein­flüssen, die von den Eltern mehr oder weniger unkontrollierbar sind. Auf der Gasse, auf dem Spielplatz, in der Schule hört und sieht es oft Dinge, die die besten Erziehungsabsichten der Eltern durchkreuzen. Besonders eine Erscheinung unseres gesellschaft­lichen Lebens kann für die geistige Entwicklung des Kindes ge­fährlich werden: die niedrige gesellschaftliche Stel= Yung der Frau. Die Wahrnehmung, daß die Frau in vielem hinter dem Manne zurückstehen muß und von ihm oft mit Gering­schätzung behandelt wird, und der daraus gezogene Schluß, daß die Frau ein minderwertiges niederes Wesen ist im Vergleich zum Manne, können, indem sie das Minderwertigkeitsgefühl der Mäd­chen oder der Buben, die sogenannte weibliche" Züge haben, steigern, zur Ursache der Nervosität werden. An den Eltern ist es, diesen und anderen Eindrücken der kapitalistischen   Umwelt, die die psychische Gesundheit der Proletarierkinder schädigen können, durch ihr Beispiel entgegenzuwirken.

Die Mutter als Erzieherin.

Die Erziehungsaufgaben der Mutter sind durch den Krieg nicht Teichter geworden, im Gegenteil. Nicht nur, weil die ganze Ver­antwortung jetzt auf ihr allein lastet, während der Vater, der sie sonst mit ihr teilte, im Felde weilt. Nicht nur, weil die Mutter mehr noch als früher durch Erwerbssorgen dem Heim und den Kindern ferngehalten wird. Nein, der Krieg erschwert die Er­ziehungsarbeit unmittelbar, indem er unsere Kinder Einflüssen aussetzt, die alles andere als erziehlich sind; Einflüssen, die nicht nur vom Standpunkt der sozialistischen   Weltanschauung, sondern jeder rein menschlichen Moral höchst bedenklich genannt werden müssen. Alles, was das Kind hört, ist Krieg, Vernichtung: Schützen­ gräben   in die Luft gesprengt, Schiffe versenkt, Flieger herunter­geschoffen; Menschenleben gelten nichts mehr Zerstörung und Brand find alltägliche Vorkommnisse. Was Wunder, daß das Seelenleben des Kindes auf einen gewaltsamen, rohen Ton abge= stimmt wird! Was Wunder, wenn der Geist der brutalen Gewalt sich auch in den Spielen der Kinder widerspiegelt! Beobachtet eure Kleinen doch nur, hört ihre Erzählungen an, wenn sie mit er­hizten Gefichtern heimkommen vom Kriegspielen" was spielen sie denn noch anderes! Das ist nicht mehr die frische, fröhlich- derbe Bubenart wie früher, wo man in Feld und Wald Indianer oder Räuber und Gendarm spielte, wo List und Geschwindigkeit, nicht rohe Gewalt, den Ausschlag gaben. Es ist etwas Wildes hinzu­gekommen, eine Freude am Raufen, am Wehtun, am Zerstören, ein Schwelgen in großen, prahlerischen Worten und in Hohn­reden über die Gegner. Jede Mutter, der es Ernst ist mit der Er­füllung ihrer Erziehungspflichten, wird diese Wandlung tief­schmerzlich empfinden.

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Von allen Seiten stürmen die kriegerischen Eindrücke auf die findlichen Geister und Herzen ein. In den Schaufenstern der Buch­und Papierläden hängen Bilder vom Kriegsschauplatz" aus, meist mit Unterschriften, die alles Licht auf die Seite der Freunde", allen Schatten auf die Seite der Feinde" verteilen. Die Kino3, die schon vor dem Kriege nicht zu den erziehlichen Anstalten ge­hörten, leisten jetzt das Unmöglichste an Geschmacklosigkeit und Roheit. Und die Schule? Bietet sie nicht wenigstens ein Gegen­gewicht gegen diese Einflüsse? Es sind ja heute zumeist Frauen, denen die Kinder dort anvertraut sind wirken sie nicht mil­dernd und beruhigend auf die kampferhitzten Kinderseelen ein? Nein, auch in die Schule ist der Kriegsgeist eingezogen. Davon macht auch der Religionsunterricht keine Ausnahme. Zwar Krieg

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und Christentum läßt sich schwer miteinander vereinigen; aber wo das Neue Testament mit seiner Lehre von Menschenliebe und Versöhnlichkeit gar nicht mehr passen will, da muß das Alte Testa­ment herhalten: es fennt ja auch ein auserwähltes" Volk, dem " fein" Gott die Feinde besiegen hilft. Und was vom Religions­unterricht gilt, das gilt natürlich erst recht vom Unterricht in der deutschen Sprache, von Geschichts-, Erdkunde- und Gesangsunter richt alle stehen im Banne des Krieges. Kinder deklamieren: Haut sie tüchtig auf die Tagen, Haut in die Kosakenfragen! Stülpt die Kähne übern Haufen, Daß sie allesamt ersaufen!

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Kinderstimmen singen:

Patriot, schlag ihn tot, Edward Grey  , den Erzkujon, Mit der Picke ins Genice,

Daß er kriegt die Schwerenot.

Und das alles geschieht unter der Aufsicht und mit Zustimmung von Pädagogen, von Schülern Pestalozzis und Diesterwegs! Ja, diese Pädagogen rühmen sich ihrer Tätigkeit auch noch, sie stellen es direkt als Aufgabe der deutschen Erziehung hin, daß germanische Kampfesfreude" und" altpreußischer Soldatengeist" in den Kin­dern großgezogen werde. Die Folgen einer solchen Erziehungs­arbeit" werden nicht ausbleiben. Man glaube doch ja nicht, daß man die Leidenschaften des Hasses und der Verachtung, die Freude an Gewalt und Zerstörung heraufbeschwören kann, ohne zugleich die Achtung vor Menschenleben, Menschenrechten und Menschen­arbeit zu vernichten. Die Verwilderung der sittlichen Begriffe, auf nationalem Gebiet herbeigeführt, wird sich auch auf sozialem Ge­biet geltend machen: die Zunahme von Roheitsverbrechen aller Art, von Körperverletzungen, Sachbeschädigungen usw. werden uns bald den Beweis dafür liefern.

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Sollen wir Mütter nan untätig zuschauen, wie der Geist der Verhehung und Brutalität sich unserer Kinder bemächtigt? O nein: wir empfinden aufs tiefste, daß dieser Geist in Widerspruch steht zu aller Menschlichkeit, zu aller Kultur; wir wissen, daß er ein Hemm= nis sein wird für die soziale Befreiung der Arbeiter, und daß er leicht die Quelle neuer Kriege werden kann. Es ist deshalb unsere Pflicht, den friegerischen Einflüssen von Umwelt und Schule entgegenzuwirken. Natürlich nicht, indem wir unsern Kindern nun das wäre der allerverkehr­etwa das Soldatenspielen verbieten, teste Weg, denn das Verbotene scheint bekanntlich doppelt ver= lockend. Aber wir wollen ihnen Klarmachen, daß der Krieg nichts Hehres und Schönes ist, wie seine Anhänger predigen, sondern daß er ein namenloses Unglück ist, das Hunger, Krankheit, Berarmung und Verrohung über die Völker bringt. Und das Graufen vor dem modernen Kriege wollen wir in der Seele unserer Kinder wach­rufen, das Grausen vor dem mit allen Mitteln der Wissenschaft und Technik betriebenen Massenmord, der den Starken wie den Schwachen, den Tapferen wie den Feigen in gleicher Weise hinweg­rafft. Gehässige und verächtliche Urteile über unsere Gegner dürfen wir nicht dulden; unsere Kinder sollen verstehen lernen, daß die, die heute unsere Feinde" heißen, auch Menfchen sind wie wir, daß sie ebenso nur einem grausamen Muß gehorchend, nicht aus über­mut und Mordgier kämpfen, und daß sie auch lieber heute als morgen zu ihren Frauen und Kindern heimkehren möchten. Gegent die Greuelerzählungen, die in der Presse immer wiederkehren und die dann gewöhnlich ihren Weg in die Schule nehmen, sollen unsere Kinder einiges Mißtrauen lernen. Sie sollen erfahren, daß ähn liche Geschichten in Paris  , London   und Petersburg auch über un­sere Soldaten im Umlauf find, und sollen daraus schließen, daß hüben und drüben gelogen wird, und daß es überall rohe Menschen gibt, die, durch den Krieg entfeffelt, fich Ausschreitungen zuschulden kommen lassen. Vor allem aber müssen wir versuchen, den Taten­drang unserer Kinder in edlere und menschenfreundlichere Bahnen zu lenken; ihnen zeigen, daß es noch andere Gelegenheiten gibt, Heldenmut und Tapferkeit zu beweisen, als mit Flinte und Säbel in der Hand. Wie wir uns eine solche erziehliche Einwirkung im Sinne der Menschlichkeit und der Kultur denken, das soll gelegent­lich noch an einigen Beispielen erläutert werden.

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Denen aber, die meinen, eine solche Beeinflussung der Jugend sei unpatriotisch" weil sie Patriotismus mit Kriegsbegeiste rung und Chauvinismus verwechseln- wollen wir ein Wort Goethes entgegenhalten. Goethe hat es wenige Tage vor seinem Tode über die Aufgabe des Dichters gesagt, es fann ebensogut für die Aufgabe jedes Menschen und vor allem jedes Erziehers gelten. Was heißt denn: sein Vaterland lieben, und was heißt denn: patriotisch wirken? Wenn ein Mensch lebenslänglich bemüht war, schädliche Vorurteile zu bekämpfen, engherzige Ansichten zu be­

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