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Für unsere Mütter und Hausfrauen

Aithra: Nein, schweigen mag ich nicht, um hinterher

es zu bereun, daß ich zur Unzeit schwieg. Und wenn mich ängstlich macht, daß kluge Nede an Frauen wenig taugen soll, so opfr' ich doch nicht der Angst die Wahrheit, die ich kenne.

In diesen Versen ist ganz deutlich eine Spize enthalten gegen jene athenischen Spießer, die der Frau den Mund in der Öffent­lichkeit verbieten wollten. In der Tat blieb die Stellung der grie­chischen Frau, wenigstens in den arbeitenden Klassen, noch jahr­hundertelang durchaus angesehen und selbständig. Noch das Christentum der ersten Jahrhunderte kennt weibliche Ämter in der Gemeinde und muß sich im Interesse der Priester gegen das öffent­liche Reden und Agitieren der Frauen wehren.( Schluß folgt.)

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Für die Hausfrau.

Rhabarberkonservierung ohne Zucker. Die ausgiebige Ver­wendung des Rhabarbers zu Suppen, Kompotts, Marmeladen und Süßspeisen verbietet sich leider in diesem Frühjahr, da den Haus­frauen der nötige Zucker nicht zur Verfügung steht. Doch braucht der Rhabarber darum nicht ungenüßt zu verkommen. Er läßt sich sehr gut ohne Zuder konservieren. Wenn wir nach der nächsten Zuckerernte dieses wichtige Nahrungs- und Genußmittel wieder reichlich verwenden können, dann erst bereiten wir aus dem einge­machten Rhabarber alle die erfrischenden Speisen, die wir uns jetzt versagen müssen.

Man tocht den gewaschenen und in fingergliedlange Stückchen geschnittene Rhabarber in wenig Wasser gar und füllt ihn so heiß wie möglich in sorgfältig gereinigte und angewärmte Flaschen. Diese verschließt man mit gebrühten neuen Korken, die dann noch einen überzug aus Flaschenlack erhalten. So hebt man den Rha­barber an einem fühlen, luftigen Orte auf. Man kann den Rha­barber auch roh konservieren, indem man ihn gewaschen, abgetrock­net und in Stückchen geschnitten in Flaschen tut, die gut ver­schlossen werden. Das Eingemachte muß drei bis vier Wochen an einem sonnigen Fenster stehen; dann wird es aufbewahrt, wie vor­her angegeben.

Feuilleton

Lucy Stone  .

M.Kt.

( Fortsetzung.)

Eine nordamerikanische Bahnbrecherin der Frauenbewegung. Manche von Luch Stones Freunden hatten gemeint, daß in diesem Leben verzehrender Arbeit, rastlosen Kampfes für eine große Sache kein Raum für Liebe und Ehe sei. Sie sahen in Luch Stone nur die Wissenshungrige, die zäh um Kenntnisse und Er­tenntnis rang, als um die Voraussetzungen geistiger Freiheit; nur die Gerechtigkeitsdürstende, die für die soziale Gleichheit aller kämpfte, der überzeugung getreu: alle Menschen gleich geboren, sind ein adelig Geschlecht". Die glänzende, hinreißende Agitatorin, deren Seherblick eine ganze neue Welt voller, reifer Menschlichkeit für alle erfaßte, und die streitbar eine Welt von Vorurteilen und Feinden in die Schranken forderte, schien ihnen unvereinbar mit der hingebungsvollen Gattin, der geduldigen, aufopfernden Mutter. Sie übersahen die Tiefe, den Reichtum, die elementare Kraft einer Natur, die nach weiblichem Vollmenschentum verlangte, die den ganzen Kreislauf weiblichen Empfindens und Wirkens durchmessen mußte, wie es selbstverständliches Geschehen bleibt, daß der gesunde Baum Blüten und Früchte trägt. Gerade in Luch Stones mit­fühlender Weiblichkeit, in ihrer zukunftsfrohen Mütterlichkeit wur­zelten die Kräfte der Kämpferin, die mit ihren höheren Zwecken wuchs. Und es kam die Stunde, wo in der leidenschaftlichen Kämp­ferin das Weib die Augen bewußt aufschlug.

Das Verhältnis zum Mann", das heute so manchen mehr oder minder literarisch gefirnißten Damen als der Zentralpunkt der sozialen Frage erscheint man erinnere sich an Laura Marholms Lebenswurzel" und an den Kultus sexueller Probleme durch ihre talentloseren Nachtreterinnen, war bei dieser bedeutenden Frau einfach, flar, rein, gradlinig wie die ganze Persönlichkeit. Luch Stones Leben ist geradezu ein Schulbeispiel gegen die ebenso kurz­fichtige als leßten Endes unsaubere Philisterauffassung, daß nur möglichst unübersteigbare, künstliche gesellschaftliche Schranken zwischen den Geschlechtern von frühester Jugend an eine ungesunde Frühreife der Sexualität verhindern und Reinheit des geschlecht­lichen Empfindens verbürgen.

Nr. 18

Als Farmerstochter und eine" wilde Hummel" obendrein, eine Natur, die nach freier Betätigung von Leib und Geist verlangte, tollte das Kind mit den Brüdern und deren Freunden in wilder Lust durch das heimatliche Hügel- und Waldland, übte es bei ge­meinsamer ländlicher Arbeit und im gemeinsamen Unterricht mit Knaben und jungen Burschen die Kräfte. Die Lehrerin und Stu­dentin bewegte sich später ungezwungen, frei unter Jünglingen, von denen wohl die wenigsten durch eine sorgfältig frisierte Gouber­nantenerziehung für den Salonumgang mit Damen dressiert wor­den waren. Die Agitatorin, die Kämpferin gegen die Versklavung der Neger und des weiblichen Geschlechts lebte und webte unter Männern, die eines Sinnes mit ihr den Blick auf große Ziele ge­richtet hielten.

Zu teiner Zeit verbarrikadierte sich Luch Stone in ihrem Ver­kehr mit den Männern hinter die Sabungen des Herkommens und einer engbrüstigen Moral, hinter Sahungen, deren dürres Ge­strüppe nur der konventionellen Heuchelei zum Unterschlupf dient. Sie schöpfte die Gesetze ihrer Führung aus ihrem starken Glauben an eine edle, reine Menschlichkeit, die beim Mann wie beim Weib als Wesenstern ruht und für beider Lebensgestaltung bindend sein sollte. Da sie in dem Geschlecht allein weder für den Mann eine Überlegenheit noch für die Frau eine Unterbürtigkeit begründet sah, war ihr bei dem einen wie der anderen lediglich menschliche Tüchtigkeit der Maßstab des persönlichen Wertes. Wie sie stets be­reit war, einem Manne mit der Hochschätzung und Sympathie zu be­gegnen, die sein Wollen und Vollbringen verdiente, so verstand sie es auch mit ruhiger Sicherheit, ohne jede theatralische Pose oder männische Härte sich achtunggebietend unter Männern zur Gel­tung zu bringen. Luch Stone blieb im Grunde das einfache, na­türliche Mädchen vom Lande", für das ein Zusammensein, ein Zusammenwirten mit Angehörigen des anderen Geschlechts eine Selbstverständlichkeit war.

Aus ihrer Kindheit hatte sie eine schöne, offene Kameradschaft­lichkeit als Norm ihres Verkehrs mit dem Mann in ihr späteres Leben hinübergenommen. Die Leidenschaftlichkeit und der Ernst, mit denen sie lernend und kämpfend sich ihrem Ideale hingab, ließen in ihrer Persönlichkeit keine Neigung auffommen, feinen Raum frei für literarische Spielerei mit Problemen der Geschlechts­beziehungen, eine Spielerei, an der sich oft eine krankhafte, müßige Phantasie entzündet. Der Mann erschien ihr nie als geheimnis­belles Rätsel, das zu lösen Lebenserfüllung sein könne, nie als Träger eines besonderen Zaubers, dem zu unterliegen des Weibes Bestimmung wäre. Er war und blieb für sie der gute Kamerad, der Genosse des Strebens und Wirkens. So ungezwungen sich Luch Stone im Umgang mit den Studien- und Kampfesgefährten gab, so fest und unverrückbar war die unsichtbare Grenze, die dem Weib gegenüber auch die Vertrautesten von ihnen nicht zu überschreiten gewagt hätten. Die Fahnenträgerin freiheitlicher Ideale war mit vielen Männern, mit hervorragenden, glänzenden Männern in aufrichtiger, herzlicher Freundschaft verbunden, die leichte Liebes­tändelei wie der stürmisch aufbrausende, glutvolle Liebesroman blieben ihr fremd.

Luch Stone zählte bereits 35 Jahre, als sie dem Manne begeg= nete, der ihr mehr als Freund und Kampfesgenosse sein konnte. Es mußte ein Mann eigener Art, ein Mann höchsten persönlichen Wertes sein, in dem die Bahnbrecherin neuer, höherer Beziehungen zwischen den Geschlechtern den Ebenbürtigen erkannte. Ein solcher Mann war Henry Blackwell   in der Tat. Er war wie Luch selbst bon gutem Stamme und entsprang einer jener Familien, die nicht die Gier nach leicht zu gewinnendem Reichtum über den Ozean ge=" trieben hatte, vielmehr der Drang, in größerer politischer und reli­giöser Freiheit Kulturträger zu sein. In dieser Familie war die Überzeugung eine Macht, das als selbstverständliches Menschenrecht, aber auch stolzeste Menschenpflicht jedes einzelnen sei, seine Gaben zu entfalten und auszuwirken. Die Jdeale der Sklavenbefreiung der Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts fanden hier eine gute Stätte. Eine Tochter der Familie, Henrys Schwester Elizabeth Blackwell   war die erste Frau in den Vereinigten Staaten  , die als Medizinerin die Doktorwürde erwarb. Der Bruder vermählte sich mit Luch Stones Freundin, Antoinette Brown  , der ersten Geistlichen in der Union  . Henry Blackwell   selbst gehörte zu den aufopferndsten und unerschrockensten Führern der Antislavereibewegung in den Weststaaten. In der Stadt Memphis  ( Staat Tennessee  ) war eine Belohnung von 10 000 Dollar für seinen Kopf ausgesetzt worden, weil er die Flucht einer jungen Sklavin organisiert hatte. ( Fortsetzung folgt.)

Berantwortlich für die Redaktion: Frau Klara Zetkin  ( Bundel), Wilhelmshöhe, Post Degerloch bet Stuttgart  .

Druck und Berlag von J. H. W. Diez Nachf. G.m.b.8. in Stuttgart  .