Knajschkc, tief erschüttert, auf die Arme einiger hilfsbereiterMänner gestützt, trat an die Leiche und sagte mit umflorter Stimmeaus Hochdeutsch:„Liebe Kollegen! Meine Herren! Mich trifft die Schuld an demTode dieses Helden. Ein unverzeihliches Versäumnis machte mich zumMörder: ich vergaß, ihm Stichsests Leicht st ahlpanzer„Siegfried" mitzugeben. Hätte er ihn getragen, so wäre erunverwundet geblieben, und unsere unvergleichlichen Mittel hättenihn sofort wieder zum Leben erweckt. Zu haben in allen ein-fchlägigen Geschäften: wo nicht, wende man sich an die Fabrik. Ver-treter an allen größeren Plätzen gesucht. Nun bleibt mir nichtsweiter übrig, als diesen wackeren Mann auf meine Kosten zurletzten Ruhe bestatten zu lassen. Er fiel auf dem Felde desRuhmes als Opfer einer immer noch nicht genügend durchdachtenReklame. In L e i che n h ei n r i ch s Patentsarg, den ichkostenlos zur Verfügung stelle, wird ihm die Erde leicht sein. VorNachahmungen wird gewarnt!"proletarijches Kulweniveau um 1SHH.Von Paul K a m p f f m e y e r.Der Befreiungskampf des Proletariats ist von Ferdinand Lassallestets als eine große weltgeschichtlich« Kulturbewegung gedacytworden. Die neue„Idee des Arbeiterstandes" sollte nach Lassalleeinen neuen Staat gebären, der mit völligem Bewußtsein undhöchster Klarheit die Entwicklung des Menschengeschlechts zur Frei-heil vollzieht. Diese„Idee" sollte eine neue höhere Sittlichkeit er-zeugen: zur sittlichen Idee der freien Betätigung der individuellenKräfte, die sich in der bürgerlichen Geschichtsepoche entfaltet hatte,sollte die Idee der Solidarität der Interessen, der Gemeinsamkeitund Gegenseitigkeit in der Entwicklung treten.Bei allem hochbeschwingten Idealismus der Gedanken undTaten regte sich doch in Lassalle der Sinn für die hausbackenenWirklichkeiten des Lebens so stark, daß er sich nicht einen Augenblicküber das tatsächliche geistige und sittliche Niveau der Arbeiterschaftseiner Zeit betrog. Aus dieser klaren Erfassung der noch vorhan-denen geistigen Dumpfheit und sittlichen Interesselosigkeit des„Ar-beiterftandes" der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts schreibt sichwohl sein bekannter Ausspruch her:„Ich bin der erste zu erklären,daß jede sozial« Verbesserung nicht einmal der Mühe wert wäre,wenn auch nach derselben— was zum Glück objektiv ganz un-möglich— die Arbeiter persönlich das blieben, was sie heut« inder großen Menge sind." Dem großen Agitator schwebte wirtlich«in« Neugeburt des Arbeiters aus dem Feuer und Geist einersozialistischen Weltanschauung vor Augen, als er den A l l g e-meinen Deutschen Arveiterverein am 2 3. Mai 1863gründete. Und das ist der eigentliche Geburtstag derDeutschen Sozialdemokratie, und am 23. Mai 1923 hätten wir densechzigsten Geburtstag unserer Partei feierlich begehen können, wennnicht die graue, niederdrückende Sorg« des Tages alle Festfreudeverscheucht hätte.Wenn wir hier von der Deutschen Sozialdemokratie singen undsagen, so wollen wir hauptsächlich die Tatsachen sprechen lassen, dienicht nur eine äußere Häutung, sondern eine innere seelische Wand-lung des Arbeiters durch das schöpferische Wirken der Sozialdemo-kratie zum Ausdruck bringen.Wenige Jahre vor der Gründung des Allgemeinen DeutschenArbeitervereins, im Jahre 18 6 9, weiß ein« Eingabe der Gewerbe-kammer Frankfurt a.M. von französischen Agenten zu erzählen, dieden braven Handwerksgesellen der freien Reichsstadt einredeten, siemüßten so viel Loh» km ihren Meistern fordern, damit sie ihreKinder anständig m die Schule schicken könnten. Das war denvon dem Dunst der engen Zunststube befangenen Kleinmeistern einunerhörtes Verlangen, da ja der Geselle noch im allgemeinen unver»heiratet war. Aber diese vermaledeiten Umsturzagenten führtennoch Furchtbareres, Ungeheuerlicheres im Schilde. Sie weckten gardie Begehrlichkeit der Arbeiter nach Theaterbesuchen. DieTeilnahme der Arbeiter an dem Kunstleben der Nation dünkt« denbiederen Zunftmeistern der freien Reichsstadt noch als ein ganzunleidlicher, empörender Zustand, den eben nur französische Revo-lutionäre herbeiwünschen konnten!Julius Vahlteich, der erste Sekretär Lassalles für die politischenGeschäfte des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, hat die magereHungerleiderexistenz und das geistige Pflanzendasein der deutschenArbeiter der sechziger Jahre des verslosicnen Jahrhunderts in seinenpersönlichen Erinnerungen an die Lassallesche Arbeiterbewegungpackend geschildert. Die Arbeiter seien in ihrer großen Mehrzahl,so führt er aus, auf das Niveau von Arbeitstieren entmenscht ge-wesen, entmenscht durch übermäßig lange Arbeitszeit, durch menschen-unwürdige Schlafräume in Bodenkammern, durch eine minder-wertige, hauptsächlich aus trockenem Brot bestehende Kost.„DieArbeiter befanden sich, wie noch heute die Dienstboten, durchausunter einer Ausnahmegesetzgebung". Sie waren überall, nur nichtin der Werkstatt, im Wege, sie konnten sich bei ihrer allgemeinenUeberbeschäftigung kaum die geringe Muße von wenigen Minutenzur Lektüre eines kleinen Zeitungsbliittchens abstehlen. Als imJahr« 1861 in Leipzig ein Arbeiterbildungsverein gegründet wurde,hatte man im allgemeinen noch kein Verständnis für diese Kulturtatder aufstrebenden deutschen Arbeiterscksaft.„Man nahm die Sack?«noch keineswegs ernst»so schreibt Vahlteich in seiner Schrift: Ferdi-nand Lassalle und die Ansänge der deutschen Arbeiterbewegung,„undhatte dazu, bei der Beschaffenheit des Denkens und Fühlcns derArbeiterklasse auch keine Veranlassung.,,, Ich erinnere mich z. B.des Vertrags eines Arztes, Dr. Echildbach, in Welchem derselbe dasGlück der Arbeiter in solcher Weise pries, daß er zu dem Schlüssekam, es sei sicher, daß, wenn man den Arbeiter vor die Wahl stelle,seinen-Stand zu behaupten oder ein Kapitalist zu werden, er daserster« vorziehen werde. Und der Mann wurde nicht unter allge-meinem Hohngelächter begraben, sondern konnte seine Weisheitruhig bis zu Ende auskramen."Die deutsche Arbeiterschaft lebte vor der Zeit der sozialdemokra-tischen Kulturbewegung in einem Zustand geistiger Dämmerungdahin, in einem Zustand, den einmal Lchsalle aus der tiefsten Cm-pörung seines Herzens heraus als den der„verdammten B e-dürfnislosigkeit" charakterisiert hat.Wohnungsnot in öer vogeiweii.Von Fritz A r l u s.Nicht bloß in der Großstadtbeoölkerung herrscht Wohnungsnot,sondern auch in der Bogelwelt. Der Herr der Erde, der Mensch,greift in die ländliche Stille immer tiefer hinein, er erbaut hierund dort seine rastlos arbeitenden, pochenden Fabriken, er zieht seineSchienenwege über Berg und Tal, er setzt an Stelle der butch-reichen Naturwälder unterholzarme Kunstwälder oder schlägt dieForste nieder und verwandelt ihre Flächen in Ackerland, er legtdie Sümpfe und Seen trocken und rodet die lebenden Hecken aus,die er durch nüchterne Drahtzäune ersetzt. So wird für die gefiederteSchar die Gelegenheit, passende Stätten zur Anlegung ihres Heimszu finden, stetig seltener, und wohl oder übel sieht sie sich gezwungen,von den gewohnten Bahnen abzuweichen und an ost recht wunder-baren Oertlichkeiten sich häuslich einzurichten.Das allbekannte Rotschwänzchen ist an sich schon nichtanspruchsvoll und wählerisch, sondern es nimmt gern mit einemBalken oder Mauerloch oorlieb, um sein kunstloses Nest anzulegen,ober mitunter gerät es dennoch in Verlegenheit, wie und wo es einUnterkommen suchen soll und mietet sich dann auf die seltsamsteWeise ein. So siedelte sich in Raunheim vor etlichen Jahren einRotschwänzchen in einer alten Kussche an, die in einem offenenSchuppen stand. An einer Seitenwand der Kutsche befand sich eineTasche, und in diese Tasche baute das Vögelchcn sein Nest. In einemanderen Fall wurde ein Milckstopf zum Nistplatz auserwählt. DieserMilchtopf hing mit anderen Töpfen an Holzzapfen, die in die Wandeines Bauernhauses eingeschlagen waren. Obgleich der Topf ostabgehängt und in ihn hineingesehen wurde, ließ sich das Rot-schwänzchen doch nicht stören, sondern blieb fest auf seinen Eiernsitzen. Noch ungewöhnlicher war der Nistort eines anderen Rot-schwänzchens in Zwötzen, das hierfür den Winkel auserkoren hatte,den die Stellgriffe un� Bügel von drei an einem Nagel ausgehängtenHandsägen bildeten. Selbst durch ganz in seiner Nähe vorge-nommene Arbeiten, wie Holzhacken, ließ es sich nicht beunruhigen.Bei Gautzsch endlich hatte sich ein Rotschwänzchen eme alte, ver-rostete Gießkann« als Kinderwiege ausersehen, die an einer Kieferhing und vermutlich von der Dorfjugend auf den Baum hinauf-transportiert worden war. Obgleich der Boden der Kanne, die vonjedem Windstoß hin und her bewegt wurde, weit aufklaffte, schlüpftendennoch alle fünf Jungen glücklich aus dem Ei. Ebenso erfinderisch,wie das Rotschwänzchen, geht das R o t k e l ch e n zu Werke. Eshat fein Nest schon wiederhalt in alten Kesseln, umgekehrten Blumen-köpfen und Eimern angelegt, ja, gelegentlich einmal in der Tascheeines Gärtncrrockes, der unbeachtet mehrere Wochen in einem Wirt-lchaftsgebäude hängen geblieben war. Sogar in dem Loch, das eineKanonenkugel in den Befanmast der„Bictory" des FlaggschiffesLord Nelsons gerissen hatte, fand sich einst ein Rotkelchennest vor.Ein Freund der Eisenbahn ist die B a ch st« l z e. Sehr oftkommt es vor, daß Bachstelzen in die Achsenschenkel oder in dasUntergestell von Wagen bauen, die längere Zeit auf einem Bahn-Hof stehenbleiben. Werden dann die Wagen gebraucht und meilen-weit fortgefahren, so muß natürlich das Nest aufgegeben werden.Selbst unter den Schienen schlagen die Bachstelzen zuweilen ihrHeim auf. So wählte sich, wie F. Heller beobachtete, eine Bachstelzeein Loch unter der Schiene eines Houptgleifes zum Nistplatz aus,über das täglich zehn Züge mit zusammen-l(K) Wagen hinwegrollten So wie sich ein Zug näherte, guckt« die Bachstelze aus demVerließ« heraus und lief dann schnell dicht vor dem Zug« weg. Auchder Steinschmätzer hat nach demselben Beobachter für denEisendalmkörper eine auffällige Vorliebe, und zwar setzt er seinNest meistens gerade dorthin, wo der größte Lärm herrscht. Nesterunter Herzstücken, jenen Schienenteilen, die bei Gleisobzweigungenin die Schienen eingeführt sind, sind mehrfach aufgefunden worden.Noch unbesorgter war ein Steinschmätzerpärchen, das feine Wochen-stube in dem Hohlraum unter der eisernen Unterlagsplatte einerBlockweiche herrichtete. Täglich fuhren Lokomotiven darüber hin-weg, und es wurden Wagen durch die Weiche gestoßen, aber diepflichttreue Vogelmuttsr blieb fest auf den Eiern sitzen und brüteteauch weiter, wenn Menschen in ihre Nähe kamen.In die Reihe der verwunderlichen Nestbauer gehört auch derFliegenschnäpper. Dovaston berichtet von einem Fliegen-schnäpper, der sein Nest in einem Loche oben an einem Türflügelanlegte. Obwohl jener Türflügel durch jeden, der ein- und ausging,geöffnet wurde, fürchtete sich das Vögelchen nicht, sondern saß festauf seinem Nest, selbst.wenn das Tor in den Angeln krachte. Einanderes Paar Fliegenschnäpper baute, wie Brun beobachtete, aufeinen Querbalken auf dem oberen Boden einer Brauerei, geradeüber dem dampfenden, kupfernen Vierwürzekessel. In dieser Lagewaren die Tierchen dem vielfachen Lärm ausgesetzt, der entstand