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Die Aufgaben des Regisseurs.

Bon Fritz Holl  

Der neue Direktor der Berliner   Boltsbühne gibt in dem reichhaltigen 3. Bierteljahrshefte der Boltsbühne", der vom Verbande der deutschen   Volksbühnenvereine herausgege­benen Zeitschrift für soziale Runstpflege, Rechenschaft von der Arbeit des Regisseurs. Wir geben den fesselnden Auffaz mit einigen Kürzungen wieder.

Knebelung der Politik durch den Zugriff höchste Aktivität ent­faltender Wirtschaft stempelt das Bild der Gegenwart. Borherr­fchaft dieser Wirtschaftsideologie verfinstert den freien Blick, wirkt entschlußlähmend, feimlötend, läßt jede Regung politischer Aktivität erblaffen; zweckios wird, was innerer Notwendigkeit, was der Ver­nunft zweckmäßig erscheint. Die Schaubühne spiegelt mitrofosmisch dieses Getriebe des Welttheaters um uns. So ist es fein Zufall, daß troh mannigfachem Versuch der letzten vier, fünf Jahre, trotz diesem und jenem sprunghaften Anfaz, das Theater fich zu feiner aus seiner Besonderheit erwachsenden Form durchringt, im Zu­sammenschluß seiner Wesensenergien sich zu einheitlicher Gestalt durchfristallisiert. Seine Gestalt hebt sich faum von der des Theaters um die Jahrhundertwende ab; wenigstens nicht im wesentlichen. Freien Blid trübt wirtschaftliche Mifere. Ein Kleinfrieg zwischen Dichter, Darsteller, Regisseur und Bühnenbildner verzettelt die Kraft. Jeder erstrebt die Hegemonie. Rettung ist aber nur von einer aktiven Kunstpolitik des Theaters, von grundlegender Um­wälzung zu erwarten.

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Komplex, den es umschließt, wiedergibt bedeutet nichts anderes als Verwalter, Sachwalter oder Anwalt, Anwalt zur Wahrung der Rechte aller für die Synthese eines Bühnen tunstwertes notwendigen Zweige. Verwalter der in der Bühnen literatur schlummernden geistig- fünstlerischen Schäße und Kräfte. Diese Kräfte zu heben, diese Rechte in Wirksamkeit zu setzen, gegen. feitig abzugrenzen, die einzelnen Elemente wie nach dem Fun tamentalsah der Chemie je nach ihrem inneren Eigengewicht zum Heil des Ganzen einzusehen, ist seine Pflicht. Das wie" sein Geheimnis oder Talent. Es gibt kein Rezept Gefühl ist alles-, und den fünstlerischen Fundamentalfag: Der herrliche, han delnde Mensch auf der Bühne, seine schwingende Seele, dargestellt im flingenden Instrument feines Körpers, ist die Haupt potenz des synthetischen Werks, ist Kristallisationspunkt des Ganzen. Nicht Wortregie, nicht Bildregie: Darstellungsregie, die Handlung lebendig werden läßt, gewährt aus dem Quell der Dich tung, dargestellt von befeclten Menschen, getragen von der jeweils erforderlichen Umwelt, führt zum erstrebten Ziel.

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Der Regisseur, der auf diesem Fundament gründet, tritt hinter das Wert zurüd. Kein Herrgott, aber Sachwalter des Theaters, Lehrer, Führer und Freund der mit ihm nach gleichem Ziele streben. den Künstlergemeinde. Deren Kräfte nicht knechten, sie nutzbar machen, sie befreien von allen äußeren und inneren Hem mungen, fie einfegen am richtigen Platz, erhöhen, zu letzten Steige rungen bringen, ihr Schrittmacher sein, fie abdämpfen und ein­dämmen, loden und fordern, sie umwerben und ertrogen der ganze Zauber, die geheimnisvolle Magie und Regiekunst liegt uns offen da, der Kunst, deren Hächstes und Hemmendstes darin liegt, vom edelsten und schwierigsten Material abhängig zu sein.

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Das Theater ist um der Schauspieltunst willen da. Es ist weder das Aschenbrödel der Literatur, noch der freie Tummel- Was der Augenblick fordert, ist selbstlose Hingabe( ganz gleich plak der zu feinem Hilfsdienst aufgebotenen Künste und Ge- wieder, ob Welttheater oder Schaubühne), selbstlose Hingabe aller. werbe. Die Dichtung kann das Buch, mag ein echtbürtiges Drama Das Instrument feines Geiftes und Körpers zu schärfen, zu vervoll in ihm auch eine Art Scheintod schlummern, vermitteln, das Bühnen- tommnen, durch stetes Training zu straffen, ist Gebot den Dar bild die Skizze oder das Modell; die Vision des Dichters stellern aller Grade; mit ihnen das Theater der Schauspielkunft aber wird erst im künstlerischen Erlebnis der gestaltenden Schau- zurückzugeben, Aufgabe des künstlerischen Anwalts des Theaters, spieler, eben durch die schauspielerische Darstellung, die Handlung des Regisseurs. manifestiert.

Der Schauspieler, dem wir diese Mission aufgaben, freilich darf fein Dilettant sein. Er, dessen fünstlerische Leistung nur durch das Material seines Körpers uns zu Auge und Ohr dringt, muß in allen Registern sein Instrument mit virtuoser Technik spielend" beherrschen. In souveräner Herrschaft über alle seine mimischen und akustischen Ausdrucksmittel muß er durch Ueberwindung alles Tech­nischen in der Lage sein, den Flug der Seele in alle Höhen und Tiefen zu steuern. Nur die Regierung alles Technischen durch seine restlose Unterjochung erzeugt die zur letzten Erschütterung not­mentige feelische Bewegungsfreiheit.

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Diese Erkenntnis ist feineswegs ein Freibrief für Startum. Sie ist so parador es flingen mag das Fundament für das Theater des fünstlerischen Ensembles. Denn nicht die Virtuefität eines einzelnen mag sie zu noch so lauter Bewunderung hin­reißen die Künstlerschaft des gesamten Dar stellungstörpers, der harmonische Zusammenflang aller im freien Spiel der Kräfte eingesetzten darstellerischen Energien, erzeugt die notwendige Illusion, die der Dilettantismus eines einzelnen erbarmungslos zerreißt, den ästhetischen Genuß. Darum müffen an alle Schauspieler, ob sie in erster oder zweiter Reihe stehen, hinsicht­lich des Grades ihrer technischen Ausbildung die gleichen, unerbitt­lich strengen Ansprüche gestellt werden. Ein Spieler, der seinen Körper nicht in fester. Bucht hält, der dem Rhythmus zuwider geht, spricht, agiert, zerstört wie der Stümper in einem Kammer­orchefter den Gleichklang des Ganzen. Bei einem Orchester ist das felbstverständlich, für die Schaubühne eine bisher unerfüllte Hoff nung. Darum beginnt heute, wo wir mit einer Schauspieler generation arbeiten, die der naturalistischen Schule entstammt, mehr Fenn je die Aufgabe des Regisseurs am einzelnen Darsteller, die Aufgabe des Bühnenleiters bei der Errichtung einer alle Erforder­nisse zur Erfämpfung einer starten Ausdruckskunst in ihren Lehr­zweigen berücksichtigenden Schule.

Zwei Begräbnisse.

Bon Alfred Brust  .

Ich weiß nicht, weshalb mich das so ergreift. Aber ich möchte es hinausschreien, damit es alle hören, damit sie alle ein ganz flein wenig beiseite gehen und sich ein ganz klein wenig schämen. Denn ich habe zwei Begräbnisse gesehen. Ein großes" und kleines".

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ein Das große Begräbnis war von unvergleichlicher Pracht. Der Sarg wurde mit großem Bomp durch das Hauptportal des mäch tigen Doms ins Freie gebracht. Hier hoben ihn sechs barhäuptige Männer auf die Schultern und gingen unter Glodengeläut davon, indes sich ein langer Bug wichtig dahinschreitender Männer und Frauen entwickelte. Ganz vorn aber wurden Kränze getragen, und der recht fleine Sarg war an den zwölf Kanten üppig grün befäumt, Die verwachsene Tochter des träftigen Mannes, der neben dem im Ornat würdig wandelnden Pfarrer gebeugten Hauptes dahinging, wurde zur letzten Ruhe gebettet. Eine Anwandlung von vorgefaßter Ergriffenheit lag auf allen Gesichtern. Nur zuweilen wagte es iemand, seinem Nebenmanne unbemerkt etwas zuzuflüstern. In den Fuhrwerken hinterher gab es allerlei Damen in Schwarz mit weißen Taschentüchern in den schmalen Händen. In dem ersten Wagen aber saß die Mutter: eine schöne Frau mit dem so häufig zu beobachtenden Verständnis, Trauerkleider überaus sinnlich anzus legen.

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Der Zug bewegte sich durch die ganze Stadt, gemessenen

Schrittes, und als er lange nicht mehr sichtbar war, riefen die Kirchenglocken noch immer feierlich über den Häusern.­

Das kleine Begräbnis war von hinreißender Einfachheit. Der große Sarg wurde aus dem kleinen Pförtchen einer fleinen Rapelle ins Freie gebracht, auf einen einspännigen Wagen geschoben, und der alltäglich gekleidete Kutscher tat einen Beitschenknall. Der Sarg bestand aus acht weißen Brettern. Auf den Deckel war aus rosa Papier ein Kreuz geklebt. Sonst gab es nichts. Rein Pfarrer folgte. Und das war auch nicht nötig! Denn diesem Sarge   folgte eine abgehärmte Frau, mit einem bunten Tuch um die Schultern, barfüßig in zerrissenen Hausschuhen. Ihr rechts und links zur Seite, die Mühen in den Händchen, gingen zwei Knaben, fünf- und sechsjährig, in einfachen grünen Leinenkittelchen und sauberen Strümpfen und Schuhen. Niemand weinte von diesen dreien. Sie trugen den Kopf hoch und blickten weit vor sich, indes sie streckens weise laufen mußten, um dem raschen Pferdchen folgen zu können. Dhes muß ein Bater gewesen sein, der es verstanden hat, mit Stolz die Armut zu ertragen.

Die Hebung der Theaterkultur beginnt mit der Hebung der Darstellungskultur, ist eine Frage der Erziehung unserer Darsteller und des fünstlerischen Nachwuchses. Dieser Forderung zu allgemeiner Anerkennung zu verhelfen, ist Aufgabe des führen den Regisseurs. Was weiter folgt, liegt im Begriff Regie, sofern wir nur auf seine ursprüngliche Bedeutung zurückgehen. Regtekunst ist so alt wie das Theater selbst. Wohl war in Urzeiten erster darstellerischer Regungen der Schauspieler sein eigener Re­giffeur, wie er fein eigener Dichter war. Doch mit dem ersten Schritt, der Improvisationsdrang zu fünstlerischem Willen steigerte, zur Rede Gegenrede führte, Chöre und Tänze dem Spiel einflocht, beginnt die Trennung der einzelnen Funktionen, greift eine Defo nomie der Arbeitsteilung Play. Ob im Rahmen einer fultischen Handlung festgelegtes Zeremoniell von Priestern eingeübt und be­treut wird, ob die Dichter der großen klassischen Epoche die Ein studierung und Inszenierung ihrer Werke leitend beaufsichtigen, ftets ist eine ordnende Hand da, eine richtunggebende Persönlichkeit, ein dem Getümmel der Handlung enthobenes waches Auge, ein künstlerisches Gewissen, das der Aufführung Halt und Physiognomie gibt, die sich im Auseinanderstreben verzettelnde Kräfte zu künft­Terifcher Einheit zusammenbindet. Shakespeare   und Molière  , als Dichter, Regiffeur und Darsteller dreifaltig Heilige des Theaters, waren für ihr Wert und seine Erscheinungsform auf der Bühne Anwalt in eigener Sache und Person. Das Wort Regisseur deffen Berdeutschung in Spielleiter oder Spielwart nie den ganzen im Kurt- Wolff- Verlag  , München  , erschien.)

Und nach dem ersten Laternenpfahl hinter der Kirche schwieg das Geläut. Und mir ist, als hätten diese Leidtragenden den Klang der Glode gar nicht gehört.

( Aus des Verfaffers erstem Profabuch Simmelstraßen", bas