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Abgerissene Bilder aus meinem Leben.

Von Joh. Ph. Becker.

I.

Der Demagogenwolf, Verhaftungs-, Gefängniß- Scenen und ein Fremdwort, das Tod oder lebenslängliches Zuchthaus bedeutet.

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Es war an einem düstern Novemberabend des Jahres 1832, als sich in der Weinwirthschaft zur Stadt Paris  " in Frankenthal  eine außerordentlich große Anzahl Gäste eingefunden hatte. Eine von Mund zu Mund gegangene Stadtneuigkeit trieb die vielen Leute wohl hauptsächlich in's Wirthhaus, um dort etwas Näheres zu erfahren. Habt ihr's schon gehört?" riefen die Einen den Andern zu, der Demagogenwolf( so nannte man damals den im Lande herumreisenden Spezialuntersuchungscommissär, Herrn Mollitor) ist heute Abend wieder angekommen." Wer wird denn da wieder das Opferlamm dieses Fanghunds sein müssen?" fragte zornwüthig vom Tische der Stammgäste ein heißblütiger Metzgermeister. ,, Dem Jean Philipp( so hieß man mich allgemein) wird es wohl diesmal nicht gelten, denn der wurde ja nach ge­schloffener Untersuchung vom Mollitor selbst als nicht anklagbar der Haft entlassen; der Demagogenwolf muß darum jetzt ein anderes Opferlamm auf dem Korn haben", antwortete im zu­versichtlichen Tone eines Sachkenners der erste Schreiber eines Advokaten. ,, Ja, ja, soweit haben wir es gebracht in unserer schönen Pfalz, daß wir uns von den Kostbeuteln( Spottbenennung für die Altbayern  ) nicht nur geduldig aussaugen, sondern auch noch ruhig einsperren laffen sollen. Da muß erst wieder ein Napoleon kommen, wenn's anders werden soll", meinte ein ehemaliger Grenadier der französischen alten Garde. Was Napoleon  , Re­ publik   brauchen wir; der Freiheitsbaum steht ja noch auf'm Marktplatz von Anno 95, Ça ira, ça ira, ça ira, ça!" rief ein alter Puppenfabrikant und werkthätiger Zeitgenosse der großen Revolution. Mag's kommen, wie's will, so wie's ist kann's nicht bleiben", schrie jetzt ein rothwangiger Gerbermeister, nach dem er mit ächt pfälzischer Mundfertigkeit alle Himmelherrgotts­donnerwetter! und Kreuzheiligdonnerkeil! heruntergeflucht hatte. ,, Jawohl, wir müssen dem Ding ein End' machen, die Blutsauger zerquetschen und wenn Alles die Kränk' kriegt", brummte ein stämmiger Bäckerssohn( bezeichnend auch Brummer genannt), mit beiden Fäusten auf den Tisch schlagend. Da müßt' ja ein Millionendonnerwetter dreinschlagen und thät' ih gleich meinen Hambacher- Hut in tausend Fetzen zerreißen, keinen Schritt mehr aus dem Haus wollt' ich thun, würd' man nochmals einen Frankenthaler   Bürger in's Loch stecken lassen", erscholl es in kräftiger Tenorstimme vom hintersten Tische der Wirthsstube. ,, Ja, der hat Recht, es darf keiner mehr von uns in's Loch; die Freiheit soll leben", ertönte es nach einander aus vielen Kehlen. ,, Bravo  ! die Freiheit soll leben und das eine große Deutschland  auch daneben" rufend, fielen einige mir befreundete Rechts­kandidaten und Forstgehülfen( alte Burschenschaftler) in den Chorus ein. Nun ergriff auch ich endlich das Wort und sagte: ,, die Freiheit wird leben, wenn wir sie opferwillig und that kräftig erstreben. Was aber die Verhinderung des Inslochsteckens betrifft, so läßt sich dies ganz bequem hinter dem Weinglas ausrufen, aber nicht so bequem, weil's nothwendig dabei zum Bauchbiß kommt, durchführen. Ganz anders stünde es freilich, wenn in Baden, Hessen  , Franken und Württemberg die revo­lutionäre Stimmung so allgemein wäre wie in der Pfalz  , und wenn unsere Stammgenossen im Elsaß uns kräftig mit den Waffen ihrer Nationalgarden und andern Kampfmitteln unterstützen wür­den; ja, alsdann könnten wir schon einmal mit dem stets auf der Lauer stehenden Preußenthum einen Hosenlupf probiren. Vorläufig aber sind wir nur im Stande, einen nutzlosen und dennoch viele Opfer erheischenden Krawall, wie am 30. Mai, zu machen, aber nicht um eine Revolution durchzuführen. D'rum nur noch etwas Geduld, der Erlösungstag ist nah!" Ei, ei, da hört doch einmal den Jean Philipp, wie der über Nacht so flug und weise geworden ist; wahrscheinlich, weil er meint, daß diesmal nicht ihn der Teufel am Kragen packt. Gestern hat er

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noch auf offnem Markt die Republik   leben lassen und alle Men­schen gleich machen wollen und dabei grad' gethan, als wenn er alle Fürsten   lebendig aufspeisen gewollt hätt', und heute thut er, als wenn er kein Hinkel( Huhn) umbringen könnt'. Wir müssen einmal d'rauf los schlagen." Derart goß ein älterer Schulkamerad seinen revolutionären Unwillen über mich aus. Doch ein zu allen Handstreichen entschlossener Küfermeister, der erst einige Jahre vorher als Deserteur von der französischen  Fremdenlegion aus Afrika   zurückfam, beeilte sich, ihn mit folgen­dem Brocken abzuspeisen: Aber Valentin! hab' doch nicht ein so großes Maul und thu' nicht, als wenn Du einer von Lützow's wilden Jägern gewesen wärst; denn wie wir damals mit dem Jean Philipp bewaffnet nach Oggersheim gezogen sind, um dem Dr. Siebenpfeiffer die von der Polizei ungesetzlich versiegelte Presse des Westboten" wieder frei zu machen, da warst Du auf einmal ganz verschwunden. Der Jean Philipp will eben erst wissen, auf wen er zählen kann, wenn's losgeht."" Ich möcht' doch jetzt auch fragen, ob es gewiß wahr ist, daß der junge Becker da den Reichen ihre Sach' nehmen und es unter die Armen vertheilen will", frug nun etwas zaghaft ein armer Strumpfwirker. Doch rasch antwortete diesem mein Vetter Sch., ein Silberschmied, der Juwelier genannt wurde, im Tone eines Bestunterrichteten: Schwätz' doch kein' Lohkäs! wenn der Jean Philipp hätte das thun wollen, so hätt' er es gewiß gethan, als er im Frühjahr Chef der Sicherheitsgard', d. h. eigentlich Kriegsminister der zehntägigen Republik   Frankenthal   war; er will jetzt nur die Fürsten  , hm, hm- schröpfen, ich hätt' schier gesagt: köpfen."( Von dieser ,, Republik  " Näheres in einem andern Bild.) Nun rief Bierbrauer Goldmann( in neuerer Zeit Heraus­geber eines demokratischen Volksblatts in Worms   und Festdichter bei der Enthüllung des Lutherdenkmals), wie gewöhnlich in Reimen witzelnd, aus: Ach, laßt doch das Ding endlich gut sein! Denn unser schlauer Becker Ist ja ein feiner Schlecker;

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D'rum thut's ihn auch nur dürften Nach Edelblut der Fürsten  ."

Alles lachte und rief Dacapo. Die Fortsetzung ließ nicht lange auf sich warten. Doch war es jetzt mit dem revolutionären Ernst, so weit er vorhanden gewesen, für diesen Abend vorbei, der, Dank der Wirkung des Rieslingweins, ungebundenster Heiter­keit Platz gemacht hatte. Zwar wurde noch viel und heftig debattirt und disputirt; im Geiste wurden alle Grenzpfähle aus­gerissen, alle Zollschranken zusammengeschmissen und vor Allem über das altbayerische Knödelthum schlechte Witze gerissen, bis endlich die Mitternachtsstunde herangekommen und die Gesellschaft bis auf etwa sechs der Durstigsten und Lustigsten zusammen­geschmolzen war. Diese hatten zwar zu ihrem längern Bleiben den schönen Vorwand für sich: doch noch ein ernſtes Wort über die bevorstehende Revolution allein mit einander zu reden; aber die Pfälzer   können sich nicht ruhig besprechen; darum war es bald so stürmisch, als wären sechs schwere Wetter zusammen­gestoßen. Weder Thron noch Altar blieb stehen und im Nu waren alle fürstlichen Heere zu Kraut zusammengehauen. Doch der Siebente von der schrecklichen Bande, der wackre stets revo­lutionäre Wein, trieb nachträglich als wahrhaftigster Schalk sein frevelhaftes Spiel; denn unter seiner Inspiration hatten die andern sechs sich feierlich in die Hände geschworen: von nun an _die Revolution zu beginnen? o nein! sich die Schnurr­bärte wachsen zu lassen. Und das war wahrlich ein überaus kühnes Vorhaben, weil ein Civilist sich damit zu jener Zeit der Gefahr aussetzte, von Soldaten, die ja allein das Privilegium des Schnurrbarttragens gehabt, selbst das halbwüchsigste Schnauzen hinweggelyncht zu bekommen, oder mindestens von einem Grenz­

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