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Abgerissene Bilder aus meinem Leben.
Von Joh. Ph. Becker.
( Fortseßung.)
Warum sollte ich aber auch solche dringende Bedürfnisse nicht gefannt haben? Stand ich doch jahrelang bis nach dem Hambacher Fest auf einem kaum entwickelteren Standpunkte: nur im Dreinschlagen, im blinden Dreinschlagen bestand meine ganze Politik und Taktik. Erst die letzten sechs Monate hatten mich an Erfahrungen um zehn Jahre älter gemacht. Doch über all' dieses später einmal ausführlich; muß ich doch mit meiner Schutzwache die Marschroute nach dem Bestimmungsorte vollführen, wo schon im Voraus gutes Quartier gemacht war. Als wir nun am Justizgebäude angelangt waren, wollte ich mich die Treppe hinauf direkt in's Zimmer des Untersuchungsrichters begeben, als mir gleich der Brigadier zurief: Nein, nein, nicht dorthin! Ich habe Befehl, Sie ins Bezirksgefängniß zu führen!" Welche Neuigkeit! Sie kam mir wie ein Stoß auf die Brust. Doch tröstete ich mich gleich mit der Hoffnung, der Herr Mollitor werde sich blos meiner Blechköpfigkeit" gegenüber noch nicht genügend vorbereitet finden und mich wohl einige Stunden später vorführen Lassen War ich auch nach dem frühern Untersuchungsergebniß der Anklage enthoben und freigelassen, so mußte ich umsomehr vermuthen, die Staatsbehörde habe inzwischen neue Indizien entdeckt, welche weitere Verhöre nothwendig erscheinen ließen. Doch ehe ich noch zum Schlusse solcherlei Betrachtungen gekommen, waren wir im Bureau der Gefängnißverwaltung angelangt, worauf sich die Gensdarmen überaus freundlich von mir verabschiedeten. Der fettbäuchige Herr Verwalter, ein ehemaliger ChevaurlegersWachtmeister, maß mich mit finsterer Amtsmiene von Kopf bis zu Fuße und sagte barschen Tones:" Sie müssen noch hierinnen bleiben, das Haus ist vollgestopft und ich muß erst nachsehen, wo ich Sie hinstecken lassen kann"„ Ei," antwortete ich ihm ironisch ,,, da machen Sie ja in Ihrem Hause bessere Geschäfte als die Häuser draußen, die sich alle über Mangel an Zuspruch beschweren." Was Geschäfte, was frag' ich nach Geschäften; ich bin ein alter Soldat, hab' meinem König treu gedient und will meine gute Besoldung haben; aber die Liberalen wollen ja die Steuern verweigern, und womit soll dann unser guter König seine Leute bezahlen?" war seine servil- politische und sackpatriotische Antwort. Aber ehe ich ihm hierauf einen gesalzenen Treff geben konnte, hatte er die Thüre in die Hand genommen und brummend zugeworfen, mich meinen liberalen Grillen und unehrerbietigen Aeußerungen allein überlassend. Aus Erfahrung wußte ich jedoch, daß er sich um ein angemessenes Unterkommen für mich feine weiteren Sorgen machen, sondern nach alltäglichem Gebrauch von Bierhaus zu Weinhaus und von Weinhaus zu Bierhaus ziehen, zunächst seinen Bauch salviren, dann die Volksstimmung sondiren, seinen Vorgesezten rapportiren und sich so in voller Begeisterung um König, Gott und Vaterland verdient machen werde. Nun, obwohl ich einige Zeit ganz allein im Bureau der Strafanstalt war und ich mir einbilden durfte, selbst der Herr Verwalter zu sein, fand ich dennoch daselbst Luft und Raum entsetzlich drückend und herzbeengend, ohne recht zu ahnen, welchen infernalen Bossen mir die Schicksalstücke alsbald noch spielen würde. Ja, ich ahnte nicht, daß ich ohne jedes weitere Verhör erst nach neunmonatlicher barbarisch strenger Haft, und zwar erst durch den Empfang der Anklageakte, die Ursache meiner Einsperrung erfahren sollte. Wie hätte ich auch vermuthen sollen, daß ich blos in Folge eines eigenhändigen Briefes des Königs Ludwig I. von Bayern ohne Weiteres abermals verhaftet und so grausam königlich behandelt wurde; ja in Folge eines Briefes, in welchem mein allergnädigster Landesvater dem Herrn Oberstaatsanwalt in Zweibrücken einfach seine Verwunderung aussprach, daß man einen so gefährlichen Menschen, wie den Becker aus Frankenthal , wieder auf freien Fuß gesetzt habe.( Auf diesen Brief, den die Staatsbehörde aus Versehen mit den Prozeßakten in die Hände meines Vertheidigers gerathen ließ, werde ich in
einem andern ,, abgerissenen Bilde" näher eingehen.) Wie konnte ich unter sothanen Umständen auch ahnen, daß wir, Herr Mollitor und ich, uns gegenseitig nie mehr über unsere Dummheiten zu bemitleiden haben, ja unser ganzes Leben lang nie mehr sehen würden, daß der Herr Spezial- Untersuchungskommissar nur wiedergekommen, um durch meine Verhaftung seinen Wolfsruf und Amtssessel zu retten. Nun,
Ich war besorgt und aufgehoben,
Der Herr fonnt' seine Diener loben.
Nach etwa halbstündigem Warten kam ein hageres Männchen mit einem Bunde großer Schlüssel an mich heran, das, während es seine wässerigen Augen mit der Hand abwischte, die dürre Haut seines Gesichts zu seltsamem Lächeln verzog, mir einen Schnapsgeruch zum Umfallen entgegenhauchte und, arg stotternd, zu mir sagte:„ Sie müssen jetzt Alles, was Sie in Ihren Säck' haben, Geld, Brieftasche, Messer u. s. w. hier auf den Tisch legen, etwas Münz' können Sie schon behalten, und wenn Sie dann etwas brauchen, so dürfen Sie mir nur einen Wink geben, denn ich hab' eine große Familie und muß noch etwas nebenbei verdienen. Ich kenne auch Ihre Familie ganz gut, Ihr Vater war mein Schulkamerad, und Ihr Onkel und Schwiegervater haben mit mir unter Napoleon gedient." Vielleicht hätte er seinen Spruch noch fortgesetzt, wäre nicht soeben die„ Madame Verwalterin", wie sie der Beschließer ehrerbietig betitelte, hereingetreten. Nun, die Madame Verwalterin", der man zehn Schritte weit schon ansah, daß sie nie in Gefahr kam, am Ueberfluß von Zartgefühl krank zu werden, ging gehobenen Hauptes auf mich los, und indem sie mich frug:„ Sie haben doch Alles auf den Tisch gelegt?" bestrich sie mir keck mit beiden Händen fest= fühlend Bauch und Lenden. Doch hatte sie die Gnade, dem Beschließer sogleich zu sagen: Ihr könnt ihn jetzt hinterführen!" Nun ging es auch ungesäumt durch einen dunklen Korridor, allwo von meinem Begleiter die Pforte Nr. 9 geöffnet und ich von ihm höflich ersucht wurde, gefälligst hineinzuspazieren. Wie warf mich aber da der mir entgegenströmende mephitische Geruch rücklings schneller an die Kehrwand der Thür zurück, als die mächtigen Eisenriegel vorgeschoben waren! Und wie schaute ich da stumm und starr meine neue Residenz an, die niedrig und so klein, daß sie für zehn Mann faum groß genug, aber mit einigen zwanzig angefüllt und nur mit zwei kleinen Fenstern versehen war, welchen von dem spärlichen Tageslicht armdicke Eisenstäbe noch die Hälfte abstahlen. Aber auch bei der Möbeleinrichtung gab es keinen Lurus und Komfort zu beklagen; sie bestand aus etwa zwölf, im Moment an einer Seitenwand aufgethürmten Strohsäcken, aus einer viersitzigen Bank und, weil aller guten Dinge drei sind, aus dem einem Viertelohmfaß ähnlichen irdenen Hafen zur Befriedigung dringender Bedürfnisse. dann meine, glücklicherweise nicht schwachen, Nerven von den wuchtigen Nasen- und Augeneindrücken erholt hatten und ich eben im Begriff stand, doch einmal auch nähere Umschau über meine so unverhofft erhaltenen Zimmergenossen und Schlafkameraden, die fast alle auf dem bloßen Boden herumlungerten, zu halten, wobei mir besonders mein vis- à- vis ob seiner schmutzigen und zerlumpten Kleidung, seines aufgedunsenen und kupferfarbigen Gesichts, seiner blutunterlaufenen Augen und seiner mit vielen Sprößlingen überwachsenen, gleichsam wie von Bierhefblasen dreifach überquollenen Nase, als grauenerregendes Monstrum aufgefallen, begann dasselbe mich mit einer Stimme, als hätte es eine Glaserbürste in der Kehle, folgendermaßen anzuschreien:„ Nu, du brauchst da nicht so traurig in ein Loch zu gucken; wir haben's ja hier ganz gut, können nach Belieben auf der faulen Haut liegen und auch hingehen, wohin wir wollen nur nicht hinaus; d'rum hab' ich auch schon zum vierten Mal meine Winterresidenz hier aufgeschlagen." ( Fortsegung folgt.)
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Als sich