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altersher der strategische Riegel zwischen Macedonien und Thes­salien. Auf der abgestumpften Kuppe dieses Granitkolosses steht, an der Stelle des ehemaligen Heraklion, der armselige Flecken Platamona. Im tiefeingeschnittenen Rinnsal stürzt aus den schauerlichen Schluchten des Olymps ein Gießbach, Archylas ge­nannt, in dessen Mündung, dem Hafen von Platamona, unsere Goëlette vor Anker ging.

Vom Strande bis zum Pindusgebirge ist heute wie vor Jahr tausenden Urwald. Hier stand die Wiege Dianas, der süßen Jungfrau", der Jagdgöttin des hallenden Waldgebirgs und der stillen Mondnächte, wo das Wild zu den Quellen zieht. Man behauptet, die süße Jungfrau" hätte ein intimes Verhältniß mit einem gewissen Endymion gehabt, dem sie schließlich ein Hirsch geweih auffeßte, aber es ist gewiß nur Verleumdung der atheisti­schen Journalisten von Hellas, welche schon damals lange vor Erfindung der Buchdruckerschwärze, das Strahlende zu schwärzen liebten.

An den flachen Küsten des kornreichen Euböa und dem jedem Quartaner geläufigen Aegma und Salamis vorbei, zwischen den Felsenhügeln Piräus   und Munichia, zog unsere Panagia Kimisis" mit aufgehißter Nationalflagge in den Hafen von Athen  .

Als mein väterlicher Freund Argyropulos seine Schiffsladung gelöscht hatte, wollte er mich mit Gewalt zur Mitfahrt nach Kreta  ( oder Kandia  , eine Insel ziemlich in der Mitte zwischen Athen  und Alexandrien  ) bereden, aber es wäre ein Verbrechen gewesen, den Hafen des Piräus   zu verlassen, ohne Athen   gesehen zu haben. Glücklicherweise bekam Janakis Rückfracht nach Athen   und so kamen wir überein, daß er mich in 14 Tagen zur Weiterfahrt nach Sebenico   abholte.

,, Geweihter Grund ist hier, wo ihr auch schreitet," ihr glück­lichen Zeitgenossen des Perikles  ! Durch den Reiz des Schönen hatte euer Athen   seine Macht behauptet und ausgedehnt. Politik, Religion, Staatsökonomie, alles ward hier zur Aesthetik. Er laubt ist, was gefällt," war hier Evangelium.

Waren ihre Epigonen nicht Narren, daß sie sich 1800 Jahre lang von dem moralisch thuenden Christenthum den Anspruch auf transzendentales Glück mit dem Verzicht auf irdisches erkaufen mußten?

,, Aspasia  , die Botschaft die du als Griechin zu Griechen aus dem heiteren Jonien herüber bringst, sie wetterleuchtet gleich jener sommerabendlichen Gewitterwolfe schwül und segenschwanger in meiner Seele und über allen Geistern Attikas. Sie soll ver wirklicht werden, diese Botschaft, im engsten Kreise von mir und dir, im weitesten vom gesammten Volke der Athener  . Wir fühlen alle eine neue Kraft, ein neues Feuer in uns, und wir sehen, das hellenische Leben trachtet empor zu seinen Gipfeln." So sprach der schönheittrunkene Perikles, so meißelte Phidias  , so lehrte Sokrates, aber das unerforschliche Geschick hat es anders be­schlossen die Glanzwelt des Hellenenthums ist in blutigen Wolfen, in Schauern der Nacht erloschen.

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Die Ebene von Athen  , in der sich in der relativ kürzesten Zeit das reichste Geistesleben der Erde entfaltet hat, ist, ganz abgeschlossen gegen die Landseite, nach dem Meere geöffnet. Sie gleicht, 5-6 Stunden lang und 3-4 Stunden breit, einem Dreieck, dessen Basis sich dem Meere zuwendet und dessen ab­gestumpfte Spize durch das prachtvolle, wie der Giebel eines Tempels in schöner Linie aufsteigende Marmorgebirge Pentelikon verschlossen wird. Den linken Schenkel des Dreiecks bildet der Hymettos, ein kahler Felsenwall ohne bedeutende Erhebungen und Einsenkungen, den rechten der Parnaß, der mit Gestrüpp bedeckt sich als Poikilon in gefälligen Wellenlinien dem Meere nähert. Vom Pentelikon zweigt sich ein Felsenrücken quer durch das Land zum Meere hin mit dem zierlichen Regelberg Lyfabettos ab, dessen Fortsetzung die Akropolis und dessen Abdachung der Areopag heißt, der wieder in dem Hügel der Nymphen, mit der heutigen Sternwarte, abschließt.

Das ist beiläufig die Reliefkarte, wie sie Pallas Athene  , die attische Schutzgöttin, vom Parthenon   aufgenommen hätte- wenn sie nämlich an irgend einem modernen Polytechnikum praktische Geometrie studirt hätte; aber solche Lappalien hatten die Un­sterblichen nicht nöthig. Ihre Alwissenheit ersetzte ihnen die empirische Wissenschaft der Sterblichen. Den Fluß Flissos, durch den Eingang des platonischen Dialogs Phädrus  " verherrlicht, suchte ich vergebens, weil er im Sommer austrocknet. Mit dem Wassergehalt des eigentlichen Lebensspenders von Athen  , dem Kephyssos, sah es auch nicht sonderlich aus.

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Betrachten wir uns nun die Schädelstätte der irdischen Glück­

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seligkeit durch das Prisma der Gegenwart, wie sie der olympisch angeheiterte Bierphilister, der bajuwarische Otto, durch den deutschen Gelehrten Ludwig Roß   reinigen und theilweise aus­graben ließ.

Die im Sonnenlicht gebadeten Trümmer versunkener Archi. tekturpracht auf einem steilen Felsen, die 124 Meter die Stadt überragen und aus der Akropolis   mit den Propyläen, dem kolossalen Parthenon   und dem kleinen schmucken Tempelchen der Siegesgöttin bestehen, haben mich wehmüthig gestimmt. Die zwischen dem Hügel der Nymphen und dem Areopag in den Felsen gehauene Terrasse mit einem Würfelaltar, wo einst der Rededonner des Demosthenes   die lauschenden Zuhörer bewegte, ist vollständig erhalten; nur Demosthenes   und die lauschenden Zuhörer fehlen. Der wunderbar schöne Säulenbau, Hadrians  Säulen genannt, der am Fuße der Akropolis   in der eigentlichen Stadt steht, war dem Wolkensammler Zeus   geweiht. Leider bröckelt jeder Sturm einige Steine vom Heiligthum des de­poffedirten Donnerers.

Fine andre Menschheit baute Dieser Tempel heiter'n Raum Und nur fremd sieht die ergraute Ihrer Jugend fernen Traum.

Wie war sie so schön die blühende Stadt der Pallas Athene  , wie beglückt waren ihre Tage. Hier wurde das kurze Leben in die reinsten Formen gegossen, und reizend floß es dahin, wohl schäumend oft, doch nie herben Bodensaz zurücklassend.

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Wie tief die Griechen gesunken sind, beweist das französische  Sprüchwort: Il y a des Grecs partout, pourquoi n'en aurait- il pas en Grèce?"( Es gibt überall Griechen*), warum soll es feine in Griechenland   geben?)

Minervens schönes Haupt ward zur Medusenfraße, die vom Parthenon   herab in den Ameisenhaufen Athen   schaut und darüber zu trauern scheint, daß diese gräkoslavischen Pyrrhuskinder es schwerlich vermögen werden, den alten Ruhm des freien Hellas wieder zu erlangen. Wie könnten sie es auch? Die Tugenden einer vergangenen großen Welt schimmern heute nur noch im todten Buchstaben der Geschichte. Die, welche heute behaupten Griechen zu sein, sind Stußer, die sich im Parlament, in den Kaffee's, in den Salons breit machen, um den Fremden die Meinung aufzudrängen, daß sie wirklich das Zeug haben, sich zu regieren und in ihrem Advokatenparlament Lyturg und Solon  noch zu übertreffen. Das Volk, welches ihre Diäten bezahlt, ist in Schmutz und Unwissenheit verthiert. Der Stolz und Reich­thum Athens  , der immergrüne Delwald, in dessen Wipfeln noch heute wie zu den Zeiten des. Sophokles   zahllose Nachtigallen flagen, vermag die Phantasie ohne viel Anstrengung in das Alterthum zurückzuversetzen, aber das moderne Athen  , dessen einzige Merkwürdigkeit darin besteht, daß es mit seinen elenden Baracken, vielleicht für immer, die wichtigsten Stätten antifer Kultur verdeckt, zerstreut gründlich diese Illusion. Mit Ausnahme der Universität und Sternwarte, welche Baron Sina, ein in Wien  wohnender Grieche, auf seine Kosten aus pentelischem Marmor erbauen ließ, habe ich kein stylvolles Gebäude gesehen.

Der Schmutz und die Beutelschneiderei treiben den Fremden in die baumlose Umgebung hinaus. Nur möge er immer einen Imbiß mitnehmen, sonst muß er mit Geld in der Tasche ver­hungern. So trabte ich eines Morgens zum Fuße des Pentelikon; die Sonne gaukelte im Oleandergebüsch von den schöngeformten, saftgrünen Blättern auf die lohenden Blüthen, und ohne zu fragen, gelangte ich zu dem berühmten Schlachtfeld von Marathon. In Thymian, Nelken und Globularien, die an den Seiten des Weges ein buntes Gedränge bildeten, hingestreckt, bevölferte ich durch meine Phantasie die Wahlstatt und zog mein Frühstück aus der Botanisirtrommel. Ein Quell, der aus einer Felsenrize auf zierliche Asphodelosblumen herabfickerte, stillte mit derselben Be­reitwilligkeit meinen Durst, wie er vor Jahrtausenden die heißen Lippen des sterbenden Marathonkämpfers gefühlt hat. Daß mir die Hirten, in deren Erdlöchern ich oft übernachtete und deren Mein und Deinbegriffe noch sehr im Argen liegen, nicht die Kehle abschnitten, um sich meiner Schäße" zu bemächtigen, ist mir heute noch ein Räthsel.

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Papa Argyropulos hielt pünktlich seine Zusage, und so glitt gerade 14 Tage nach meiner Ankunft in Athen   die Panagia Kimisis", diesmal mit Reis beladen, mit ihrer Bemannung und

*) In Frankreich   ist Grieche gleichbedeutend mit Bauernfänger und falscher Spieler.