für die zwei jungen Wesen erwecken, die gänzlich verwaist, allein für sich zu sorgen hatten und unter ihrer eigenen Obhut standen. Die Mädchen legten ihre Tücher und Jacken ab und die Kleine machte sich sogleich daran, die Lampe   anzuzünden.

"

Könnten wir heute nicht ein bischen Thee haben?" fragte sie ihre ältere Schwester. Es ist so kalt hier, mich friert wahr haftig." Sie schüttelte sich ein wenig und zog die Schultern in die Höhe.

Es war ein blasses, blutarmes Geschöpf, dieses sechzehnjährige Kind, dessen Entwicklung bei seiner sitzenden Lebensweise sich ver­zögerte. Es mußte frieren bei einer Zimmertemperatur von nur zwölf Grad Wärme. Ihre blühende, vollsäftige Schwester, die unter günstigeren Verhältnissen erwachsen war und durchaus keine Kälte verspürte, hatte gleichwohl ein richtiges Verständniß für den Zustand der Kleinen. Sie nickte ihr zärtlich zu und holte die Spirituslampe, die sie entzündete und auf welche sie ein Töpfchen mit Wasser setzte.

Wir haben auch etwas Butter," sagte sie. Malchen rieb sich vergnügt die Hände. Ah, das ist gut, Butterbrot und Thee  , es gibt nichts Besseres. Ich will dafür auch noch fleißig sein, wir sollen ja heut die Sacktücher fertig machen, nicht wahr, Minna?"

" Ich bringe das leicht allein zustande, du kannst schlafen gehen."

,, gewiß nicht, ich will nicht schlafen, während du arbeitest." Der Thee war bald fertig und auch die Brötchen geschmiert, und die beiden Schwestern setzten sich an den Tisch, der unweit des Ofens stand, um ihr bescheidenes Abendessen einzunehmen. Minna zeigte sich bald gesättigt; all' die Sorge und Angst um den Bruder, durch ihre häusliche Thätigkeit ein wenig zurück­gedrängt, ward aufs neue in ihr lebendig und raubte ihr alle Eßlust. Sie schlang die Hände ineinander und dachte hin und her, was sie verkaufen könnte oder sonst thun müßte, um sich das nöthige Reisegeld zu verschaffen, falls es ihr Tante Luise auch morgen verweigern würde. Es wollte ihr nichts einfallen. Sie waren so arm, sie besaßen keinen Werthgegenstand mehr, und das einzige gute Kleid, das sie hatte, das mußte sie doch zur Reise anziehen.

Malchen hatte den Brötchen wacker zugesprochen, hatte zwei Schalen Thee getrunken und dann das Geschirr abgeräumt. Sie brachte die Stickrahmen und die Mädchen griffen zur Nadel, um bei Licht ihre feine, augenanstrengende Arbeit zu beginnen. Nach einer guten Weile stützte Malchen ihre Ellbogen auf den Tisch nnd sah der Schwester ins Antlig.

,, Wie kannst du denn sticken, deine Augen schwimmen in Thränen, quäl' dich doch nicht so."

Minna schüttelte den Kopf. Es ist ja nichts." Sie wischte rasch über die Augen. Ich weiß, daß mir das Weinen nichts nüßt und daß ich Geduld haben muß bis morgen." Sie arbeitete weiter, aber sie vermochte es nicht lange. Sie stieß plöglich den Rahmen zurück und stand auf. Ich hatte vergessen des Nach­mittags bei Berger aufzuräumen," sagte sie mit einer Stimme, die so gepreßt klang, daß sie fast unverständlich war, ich muß hinüber, sonst könnte er wohl früher nachhause kommen."

Sie nahm den Schlüssel von der Thür und ein Licht und entfernte sich rasch. Sie mußte einen Augenblick allein sein, um einem Schmerze Luft zu machen, der sie fast erstickte. Auf dem Korridor angelangt, sperrte sie die kleine Thür nach Norden auf, und nachdem sie einen kurzen Augenblick auf der Schwelle ver­harrt, um sich zu vergewissern, daß auch niemand darin sei, betrat sie das Zimmer. Sie stellte das Licht auf den Tisch, warf sich in einen Sessel und, die Hand vor das Gesicht schlagend, brach sie in lautes Weinen aus. Es war eine physische Erleichterung, die ihre irritirten Nerven verlangten.

Das Kerzenlicht flackerte anfänglich hin und her, dann brannte es ruhiger und beleuchtete mit seinem röthlichen Schein die Gegen­stände umher. Vielerlei und die verschiedensten Dinge hingen, lagen und standen hier durcheinander. Es war dies der Wohn­raum eines Menschen, der in seiner vielfachen Begabung noch nicht das ihm eigentlich zusagende herausgefunden hat und des halb seine Fähigkeiten nach allen Richtungen hin versucht, dabei nur spielend seine Kräfte übt und den schöpferischen, nach Aus­druck und Gestalt drängenden Ideen im verschiedensten Sinne Verkörperung verleiht. Die Wände hingen voll Studien: Köpfe, Landschafts- und Thierstudien in der flüchtigsten Weise mit Kohle auf das Papier geworfen. Dann zeigten einige aus Thon ge­formte Thierköpfe den Sinn für Plastik und edle, anmuthige

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Form. Freilich war kein einziges dieser Stücke ausgeführt, und von zertrümmerten und halb angefangenen war eine noch größere Anzahl vorhanden. Auf dem Fensterbrett waren Chemikalien aufgehäuft, einige bereits in Fläschchen und Tiegeln in die ge­wünschten Verbindungen gebracht, die meisten noch des anzustellen­den Experimentes harrend. Eine ganze Kollektion Farben in Töpfchen waren um einen Reibstein aufgestellt. Frizz machte hier Versuche mit einer neuen Art Tempera. Er versetzte die Farben mit Essig, Eidotter, Firniß  , Soda und probirte täglich noch einige andere Zusätze. Diese Tempera sollte aber auch alle ähn­lichen Versuche in Schatten stellen, diese Farbe hatte nicht den lästigen Glanz der Delfarbe, und er wollte ihr noch erhöhtere Dauer verleihen.

In einer Ecke hing eine Laute und über das ganze Bette lagen Notenblätter verstreut, die wieder für die musikalische Rich­tung Zeugniß ablegten. Auf dem Tisch waren mehrere Skizzen­bücher ausgebreitet und darüber lag ein kleines Pfeifchen, aus dessen Kopf die Asche gefallen war. Ein mit Tinte sehr be­flertes Tintenzeug stand daneben und über demselben lag ein aufgeklapptes Federmesser; Bleistift und Zeichenkohle, Zünd­hölzchen und Federn, Pinsel und Stücke Gummielastikum, Cirkel und Lineale waren funterbunt durcheinander geworfen, und da auch noch einige alte Romanscharteken und ein Band Lieder hier aufgestapelt waren, so zeigte sich der ganze Tisch bedeckt.

Minna hatte hier in einsamer Stille ihren Thränen freien Lauf gelassen; allmälich beruhigte sie sich, und ihre Gedanken, die dem Entfernten gefolgt waren, begannen sich, kaum daß sie es selbst merkte, wieder dem Nahen, dem sie Umgebenden zu­zuwenden. Mechanisch hatte sie das Federmesser zugeklappt und die Bleistiftschnißelchen auf ein Häuschen gesammelt. Sie ent­fernte dann die Pfeife von den Büchern und befreite das Papier von der Asche, die sie hinwegblies. Ihre Augen fielen auf das Sie Blatt und sie stieß einen Laut der Ueberraschung aus. hatte ihr eigenes Konterfei vor sich. Sprechend ähnlich und doch gewaltig farrifirt. Ja wohl, recht arg farrifirt, aber man sah trotzdem die liebevolle Weise, mit der es behandelt war, und so erschien das Ganze als ein übermüthiger und doch anmuthiger Scherz.

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Minna brach in ein helles Lachen aus: Der Abscheuliche, er wußte, daß ich das finden müsse; mich so häßlich zu machen! Augen wie Wagenräder, und diese Lippen! Ach, er muß mich immer necken."

Sie besah es noch genauer. Wie fleißig er das ausgeführt hat, man sieht, es hat ihn amüsirt, mich zu einem kleinen Scheusal zu machen, was das nur für ein boshafter Mensch ist." Sie lachte wieder, es war ein glückliches Lachen und ließ ein schalk­haftes Grübchen in der Wange entstehen, dann streckte sie drohend die Finger gegen ein an der Wand hängendes Bildniß aus: Na, warte nur!" Die Hand ward zurückgezogen, aber die Augen blieben an dem Bilde hängen. Das Licht der Kerze ließ die lichteren Partien desselben deutlich genug hervortreten. Sie lehnte sich in den Sessel zurück und betrachtete es unverwandt. Ihre Augen nahmen einen unendlich zärtlichen Ausdruck an und der Mund öffnete sich ein wenig, wie in sehnsüchtigem Verlangen. Es war der Kopf eines Jünglings mit kräftigen, ausdrucksvollen Zügen, mehr originell als schön; die Frische und Lebensfreudig­keit der ersten Jugend im Blick, im Lächeln. Das lichtbraune Haar war furzgeschnitten, lockte sich aber über der breiten Stirn; der Bart, der um Lippen und Wangen sproßte, hatte die Weich­heit und das natürliche Gekräusel des ersten Wuchses. Das weiße Hemd, das am Halse zurückgeschlagen war, stand weit offen und zeigte den kräftigen Nacken und die hohe, gewölbte Brust.

Es war Friz Berger, den Alfred vor zwei Jahren an der Akademie als Studie gemalt hatte. Minna nickte ihm zu; sie mußte des Augenblicks gedenken, wo ihr dieser Jüngling zum erstenmal vor Augen getreten war, vom langen Marsch ermüdet, hungrig, als ein Bedürftiger, von allen Mitteln entblößter, der das farge Mahl, das sie ihm vorsezte, gierig verschlang, und der, wenn sie ihm nicht das leere Stübchen ihrer Wohnung an­gewiesen, nicht gewußt hätte, wohin er sein Haupt legen sollte. Damals schon hing das Bild an demselben Blaze, wie jezt. Alfred hatte es bei seinem letzten Besuche mitgebracht und wollte es in seinem Zimmer als Erinnerung an den Freund bewahrt haben.

Frig war, wie Alfred, Schüler der Akademie, die beiden hatten sich zusammengefunden und ein Herzensbündniß geschlossen. Auch Frizz hatte keine Eltern mehr. Sein einziger Verwandter, der