Blicken sie, als er seine Rede beendet, zu ihm aufgesehen, war es ihm doch, als müßte er in ihren Zügen die tiefgeheime Rürung lesen, die ihr Herz ob des großen Leids, die der Krieg auch ihm und den Seinen gebracht, bewegte. Und wenn dies geschah, so wäre es ihm viel, viel gewesen! Denn immer tiefer und unabweisbarer war er sich seiner Neigung zu Helene inne

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Konrad Ekhof.  ( Schluß.) ,, Die Namen der Fürsten   und Helden fönnen einem Stücke Pomp und Majestät geben; aber zur Rürung tragen sie nichts bei. Das Unglück derjenigen, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muß natürlicher Weise am tiefsten in unsere Seele dringen; und wenn wir mit Königen Mitleid haben, so haben wir es mit ihnen als mit Menschen, und nicht als mit Königen. Macht ihr Stand schon öfters ihre Unfälle wichtiger, so macht er sie darum nicht interessanter. Immerhin mögen ganze Völker darein verwickelt werden; unsere Sympatie erfordert einen einzelnen Gegenstand u. s. w." Mit diesen Worten wante sich Lessing   gegen die vor ihm übliche unfüuſt­lerische Manier, in den dramatischen Kunstwerken hauptsächlich nur Fürsten   und sonstige wichtige Personen im Staate zum Gegenstand fünft­lerischer Darstellung zu machen und bezeichnete damit auch zugleich das wichtigste Gesez der dramatischen Kunst. Nicht mehr der Pomp und die Herlichkeit des Hoflebens sollten über die Büne gehen, sondern Liebe, Haß, Lust, Schmerz, Trauer, kurz das ganze Empfinden des Menschenherzens. Die dramatische Kunst soll nicht mehr vorwiegend unterhalten, sie soll sittlich erziehen; sie soll volkstümlich im edelsten Sinne werden, indem sie nur noch das rein menschliche, das im ge­samten Volke vorhanden ist, in der künstlerischen Form zur Erscheinung bringt und sich zugleich mit ihrer Darstellung direkt zu ihrer Quelle, dem Volfe, begibt. Ließen sich nun aus diesem lessingschen Saze Folgerungen ziehen, die in ihrer Anwendung auf das praktische Leben manchem der heute lebenden Verehrer unserer Klassiker sehr unliebsam sein würden, so wollen wir hier doch darauf verzichten und betonen nur die Bedeutung der darin vertretenen Anschauung für die darstellende Kunst des Schauspielers. Ganz abgesehen davon, daß die Schauspieler unter dem Einfluß derselben Verhältnisse wirken, leben und leiden müssen wie der Poet, konten vor dem Auftreten des großen Gesezgebers der Dramaturgie, sowie der Kunst überhaupt, die ersteren mit dem besten Willen schon nichts anderes darstellen, als das von dem lezteren ge­schaffene. Devrient   weist in seiner Geschichte der deutschen Schauspiel­kunst sogar nach, daß die Schauspieler im reformirenden Bestreben den Dichtern vorausgewesen seien. So fanden denn die ,, Haupt- und Staats­aktionen" ihre Darsteller und so tamen denn auch die Manieren und Gebräuche der Höfe, namentlich des französischen, auf die Büne. Es war alles wie vom Balletmeister zugestuzt, alles geziert und auf's Aeußerste übertrieben. Der Schritt war wie auf den Takt bemessen. Nur ein Fuß trug die stehende Gestalt, der andere war im coupe- pied mit der Spize nur aufgestellt. Arme und Hände machten keine andere als gewundene Bogenbewegungen und furen im Patos völlig aus dem Geleise der Natur. Die Arme sägten durch die Luft, die Hände wurden wild geschüttelt, der Schritt spreizte sich und der Oberkörper want sich born und hinten über." Die reifröckigen Heldinnen trugen, wenn der Fächer allzusehr gegen das tragische ihrer Rolle verstieß, wenigstens ein Taschentuch in der Hand. In vornehmen und tragischen Rollen herschte der preziös gezierte Ton, sah man die geschwungenen Armbe wegungen, flatterte immerdar das Schnupftuch in der Hand als die Flagge ausbündiger Noblesse." Das war Gebrauch auf der Büne der berühmten um die Entwicklung der deutschen   Schaubüne so verdienten Neuberin  . Es war die Mode des pariser Hofs, die mit dem in Deutsch­ land   herschenden französischen Wesen noch dominirte. Und wie sehr diese gleichzeitigen Bewegungen, deren beständiger Gebrauch besonders den Frauenzimmern das Aussehen von Dratpuppen gibt"- wie Lessing  

sagt

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selbst tüchtigen Schauspielern schön erschienen, beweist der Um­stand, daß der genante mit lezteren in Konflikt kam, als er diese in der wolwollendsten Weise wegen dieses Gebrauchs kritisirte. Es bedurfte eben der ausdauernden Arbeit des Genies eines Lessing, um das un­natürliche, hohle und verlogene Wesen zu vernichten und Konrad Ethof hat dazu viel beigetragen.

Eine einfache und grundehrliche Natur, hat er es nie nötig gehabt, sich auf den falschen und verwerflichen Grundsaz zu stüzen, daß der Künſtler vom Kunstwerk getrent werden müsse. Bei ihm war die Kunst Religion, nach seiner Meinung fonte nur der ein Kunstwerk schaffen, deſſen Sein selbst fünstlerisch gestaltet war. Nach ihm mußte der, welcher die Sittenreinheit auf der Büne darstellen wollte, dieselbe auch im Leben üben, und das Laster, das er als Komödiant bekämpfte, als Mensch zunächst von sich selbst abstreifen, da in einer davon beschmuzten Seele sich unmöglich das menschliche Leben rein darstellen könne. Er hat denn auch in der oben bereits angemerkten Schauspielerakademie

lang vorgetragen. Nur dieser seiner Ueberzeugung ist es denn wol zu­zuchsreiben, daß er noch kurz vor seinem Tode den Vorschlag zur Be­gründung einer Pensionskasse für seine Standesgenossen machte, denn er hatte mit seinem offenen Blick jedenfalls längst erkant, daß nichts mehr geeignet ist, das von ihm so hoch geschäzte Gut zu vernichten oder im Keime zu erstiden, als wie die bleiche Not mit ihren Folgen oder doch die Aussicht auf dieselbe. Wie viele folgten denn dem rürenden

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geworden. Wie nun das sonderbare Menschenherz einmal ist: je mehr es zurückgestoßen, verachtet wird, um so heißer und glühender lodert die Leidenschaft empor, und es scheint gerade der Schmerz zu sein, der ihre wilde Flamme närt!

( Fortsezung folgt.)

Beispiele der Neuberin  , die fest und standhaft ihr edles Ziel vor Augen behielt troz aller Misere, und die schließlich zum Dank für ihre Be­mühungen im Elend starb! Die meisten ihrer Kunstgenossen trugen dent falschen Geschmack des Publikums Rechnung und machten allerdings ihr Geschäftchen dabei und zerstörten, weil ihnen jedes künstlerische Gewissen abging, das, was mühsam aufgerichtet war. Er hatte sich zwar auch mit großer Sparsamkeit und Entbehrungen durch seine materiell keines­wegs glänzende Lage hindurcharbeiten müssen sein überhaupt höchstes Gehalt betrug, als er Direktor des Hofteaters zu Gotha   war, 600 Taler und 9 Klafter Holz! aber die Liebe zu seiner Kunst und die Kraft, mit welcher er ausgerüstet war, besaßen und besizen nicht alle Menschen und es ist deshalb karakteristisch für ihn, der viel angefeindet und wegen seiner Größe beneidet wurde, daß der lezte Gedanke vor seinem Tode dem Wol und Wehe seiner Neider gehörte.

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So war er denn selbst auch dem vielen Wechsel der Stellungen und der Unruhe abhold, wie schon die siebenzehnjärige Zugehörigkeit zur schönemannschen Truppe beweist.

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Seine seinem Beruf ungünstige Figur wurde bereits erwänt. Klein, hochschultrig, von sich besonders in den starken Knöcheln der Beine zeigendem eckigen Knochenbau, war seine Gestalt den Liebhaberrollen durchaus nicht günstig. Sein Gesicht unser Porträt ist sehr gut; es ist nach dem von Graff   gemalten angefertigt zeigte starke Züge, mit energischem und weichen Ausdruck und entschiedene Würde. Das Auge war, nach Iffland, seinem Schüler ,,, wenn auch nicht groß, von einem Email, welches weithin glänzte und des heftigen wie des sans­testen Ausdrucks fähig, und mit einer Stimme war er begabt, welche an donnernder Macht, Zartheit und Wollaut seines Gleichen auf der deutschen  Büne noch nie gefunden hat." Wie aber Einfachheit und Natürlichkeit sein privates Leben auszeichneten, so auch seine fünstlerische Tätigkeit. Daß er in den komischen Rollen noch die Franzosen nachahmte, hat seinen Grund in dem Umstande, daß er in diesem Fache nicht die Er­findungsgabe besaß wie sonst, und selbst Lessing   hat diese Schwäche entschuldigt und nur als eine vererbte Gewohnheit bezeichnet. Dagegen war Ekhof in der ernsten Gattung selbstschöpferisch tätig und hierin hat er denn auch reformatorisch gewirft. Selbst sein großer aber jüngerer Zeitgenosse Schröder, der Ekhof vielfach getadelt und sogar ungebührlich behandelte, gesteht, viel von ihm gelernt zu haben, besonders in der Kunst des Vortrages, denn in seinem Munde sei die schalste Prosa zur Poesie geworden; der bloße Ton seiner Stimme habe Tränen entlockt. Und als er sich einst vorgenommen habe, ihn wegen seiner unpassenden Figur in der Rolle des Oedip auszulachen, sei ihm von dem unnach­ahmlichen Wollaut seiner ersten Worte die Brust geschwollen und aller Spaß vergangen. Er war der größte Teaterredner, den wol je eine Nation gehabt, sagt derselbe, jedenfalls glaubhafte Gewährsmann.

Wie sehr aber auch Ekhof der Forderung genügte, die Lessing an einen Schauspieler mit den Worten stellte: Er muß überall mit dem Dichter denken: er muß da, wo dem Dichter etwas menschliches wider­faren ist, für ihn denken," zeigt uns am besten, was er an Nikolai schrieb, als dieser ob seiner Darstellung des Odoardo in dem klassisch- schönen Stück ,, Emilia Galotti  " entzückt war: Wenn der Autoc so tief in's Meer der menschlichen Gesinnungen und Leidenschaften taucht, so muß der Schauspieler wol nachtauchen, bis er ihn findet. Dies ist freilich mühsam und mißlich. Nur wenige Autoren machen es dem Schau­spieler so schwer wie Lessing. Man kann sie leicht haschen, sie schwim­men oben auf wie Baumrinde." Hält man dieser treffenden Beurteilung Lessings das gegenüber, was dieser im zweiten, dritten und vierten Stück seiner hamburgischen Dramaturgie" über Ekhof   schreibt, so hat man ein richtiges, aller Schmeichelei bares Urteil von den und über die

beiden großen Zeitgenossen. Jedenfalls kann ein Künstler auf ein Urteil

stolz sein, daß ein Lessing hier über seine lebensware Leistung wie an anderer Stelle( 20. Stück) über sein Mienen- und Geberdenspiel fällt.

In der Rolle des Odoardo hatte Ethof aber auch den Gipfel seiner

Leistungen erstiegen. Der ware Ton der Natur, den er hier anschlug, pacte

derart, daß ein Zeitgenosse schrieb: ,, Er hat mein ganzes Blut in Aufrur

gebracht; alle Adern sind mir geschwollen!" Und als dieser nach der Vor­stellung demselben Ekhof vorgestellt wurde, maß er ihn mit den Augen von oben bis unten und rief: Das Männchen da ist nimmermehr Odoardo; der war acht Zoll größer, stark und stämmig." Wer war so immer der Mensch und niemals Ethof?" so fragte ein anderer und auch Nikolai bezeugt an anderer Stelle, daß er beim Betreten der

Bühne bis zur äußersten Illusion immer der Wann gewesen wäre, den

er vorgestellt habe. Da darf es uns denn nicht wundern, wenn einst ein Bauer, als Ekhof den ,, Bauern mit der Erbschaft" spielte, ausrief: ,, Wo hebben die Lüt man den Buren herkregt?" und es gar nicht glauben wollte, daß dieser von einem Schauspieler dargestellt würde.

Um aber noch an ein par Beispielen zu zeigen, wie wenig solche Lobenden und seine Leistungen im höchsten Grade hochschäzenden Urteile imstande waren, sein bescheidenes, echt künstlerisches Wesen zu verrücken,