gesezten Religionssystemen verdrängt zu sehen. Die Unruhe in den Geistern war allgemein geworden, sie glich vollkommen der jenigen, welche unsere Zeit fennzeichnet, welche die Reformation im 16. Jahrhundert erzeugt hat und welche den Untergang des Christentums verkündet. Die Erkenntnis der Stellung des Men­schen in der Natur, welche wir der Descendenzteorie verdanken, ist der lezte und entscheidende Schlag, den die mittelalterlich= mönchischen Anschauungen erhalten und der Sieg der moni stischen Weltanschauung ist nur eine Frage der Zeit. Und so gewiß es ist, daß die christliche Weltanschauung während ihrer bald 200 jährigen Herrschaft über die Geister nicht imstande war, die Menschen besser und vollkommener zu machen, so gewiß ist es, daß die neue Weltanschauung die Menschheit in geistiger und förperlicher Beziehung heben und vervollkommnen wird. Denn je mehr die Kenntnis unseres eigenen Organismus, unserer Ab­stammung und unsrer endlichen Bestimmung vorschreitet, desto michr wächst das Vertrauen zu unsrer eigenen Kraft; desto mehr ver schwindet aber auch das Gewimmer nach fremder Hilfe und der phantastische Glaube an einen Retter von oben herab, und die Moral wächst durch diese Erkenntnis unseres Wesens von innen heraus, wodurch allein sie Wert und Geltung erhält. Die herr­schende Moral, nur zum kleinen Teil ursprünglich hervorge­gangen aus den Gefühlen der Sympatie und Gerechtigkeit, der Vernunft und der Rücksicht auf das Glück der Gesammtheit, zum größern von dem Egoismus diftirt und von der Gewalt mit dem Rechtstitel versehen, zu einem großen Teil im Aberglauben wurzelnd, trägt zu deutlich die Spuren ihrer Herkunft an sich, als daß sie ihren Zweck erfüllen könnte: die Gerechtigkeit, das Glück des Einzelnen und das glückliche Zusammen­leben der Menschen möglichst zu fördern. Daß sie zur Gerechtigkeit nicht viel beiträgt, bedarf angesichts der herrschen den Zustände keines besondern Beweises. Außerdem gibt es cine Reihe moralischer Gebote, welche, was auch ihr ursprüng­licher Sinn gewesen sein mag, heute mehr zur Vergrößerung des menschlichen Elends, als zur Erhöhung des menschlichen Glücks beitragen. Die Aufgabe, hier aufklärend und verbessernd zu wirken, an sich nicht leicht und gewiß eine der verantwortlichsten, wird noch erschwert durch die außerordentliche Macht der Vor­urteile, die in Sachen der Moral noch herrschen.

Der Heiligenschein, mit welchem man verstanden hat, sie zu umgeben, ist imstande, auch Leute, die sonst keine Scheu haben, mit mittelalterlichen Vorstellungen zu brechen, so zu blenden, daß sie das natürliche Licht einer vernunftgemäßen Moral nicht zu sehen vermögen.

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Geisteskräfte zugleich mit dem Körper allmälich sich entwickeln und ebenso allmälich wieder schwinden und erlöschen sehen, deut lich, wohin wir unser Hoffen und Wünschen zu richten haben. Ein auf falsche Ziele gerichtetes Hoffen und Wünschen hemmt unsere normale Entwicklung und zerstört unsere Kraft, indem es den Schwerpunkt derselben in eine außerhalb liegende, unerreich­| bare Ferne verlegt, es betrügt uns um unser diesseitiges Leben durch des jenseitigen Traum. Täuschende Illusionen, gaukelnde Bilder paradiesischer Freuden mögen gut sein für Kinder, für Männer ziemt allein der Ernst und die Wahrheit.

Das Erschreckende am Tode ist nicht der Tod selbst, sondern das Sterben mit seiner finstern Begleitung, noch erschwert durch religiöse Meinungen und Ceremonien, was alles der an Unsterb lichkeit Glaubende eben sogut durchmachen muß.

Die Geschichte unterstüzt die Ansicht, daß die Menschheit ganz gut ohne Glauben an einen Himmel auskommen fann. Die alten Juden glaubten nicht an die Unsterblichkeit und die Griechen hatten eine nichts weniger als verlockende Vorstellung von einem künftigen Leben, so daß Achilles   eine sehr natürliche und ohne Zweifel verbreitete Empfindung ausspricht, wenn er sagt, daß er lieber auf Erden der Sklave eines armen Herrn, als über das ganze Reich der Toten herrschen möchte. Der Buddhismus   zählt wahrscheinlich mehr Anhänger, als das Christen tum, er kennt zwar viele Arten der Bestrafung in einem künftigen Leben, aber die höchste Belohnung, welche er für ein tugend­haftes Leben in Aussicht stellt, ist die völlige Vernichtung, das Aufhören jedes Bewußtseins.

Das sicherste Mittel gegen die von weltlicher und kirchlicher Despotie genährte Todesfurcht ist die Arbeit. Angemessene Arbeit verknüpft uns immer fester mit dem Leben; je weiter wir unsere Tätigkeit ausdehnen, je größer unser Wirkungsfreis wird, desto mehr treten wir in Beziehung zu anderen Menschen, desto mehr werden wir auf Verfolgung unserer Lebensinteressen hingewiesen, desto mehr tritt die Todesfurcht zurück. So lange wir leben gehören wir voll und ungeteilt nur diesem Leben und seinen Interessen und nur der Tor oder der Phantast läßt sich durch übersinnliche Betrachtungen hierin stören.

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Erst im Darwinismus ist uns die Möglichkeit erschlossen worden, zu einer konsequent einheitlichen monistischen Weltanschauung vorzubringen. Als aus der Tierwelt zu dent, was er ist, emporgestiegen, erscheint der Mensch in einem weit vorteilhafteren Lichte, denn als das Ebenbild Gottes  " auf gefaßt und von der höchsten Vollendung zu dem, was er ist, herabgestürzt: dieses ist der Verfall, jenes der Aufschwung, der noch lange nicht abgeschlossen ist, sondern der Menschheit die stolze Gewähr ungeahnten Fortschreitens in geistiger und körper licher Beziehung bietet und die Grundlage, welche die Abstam mungsteorie der Moral verschafft, macht diese erst zu dem, was sie eigentlich sein soll und was man darunter versteht. Es ist ein übrigens leicht verzeihlicher Irrtum, die religiösen Welt und Lebensanschauungen als Schöpfer der Moral anzusehen. Die Stitenbildung ist vor und neben ihnen vor sich gegangen und der Umstand, daß beide mit einander verwachsen sind, hat der reinen Menschlichkeit nur geschadet.

Eins der größten Hindernisse einer natürlichen Moral ist der verhängnisvolle Glaube an die Unsterblichkeit der Seele. Was zunächst den Wert der Aussicht auf eine Fortdauer nach dem Tode als eines Faktors irdischer Glückseligkeit betrifft, so werden die Menschen, in dem Grade wie sich ihre Lage verbessert, wie sie glücklicher in ihrem Leben und fähiger werden, Glück aus uneigennützigen Duellen zu schöpfen, immer weniger Wert auf diese zwar einschmeichelnde aber äußerst trügerische Hoffnung legen. Es sind im allgemeinen, der Natur der Sache nach, nicht die Glücklichen, die am eifrigsten auf eine Verlängerung dieses gegenwärtigen Lebens oder auf ein fünftiges Leben be­dacht sind, es sind vielmehr die, welche niemals glücklich gewesen sind. Solche, die glücklich gewesen sind, können den Abschied vom Leben ertragen, aber es ist hart, zu sterben, ohne jemals gelebt zu haben. Wenn die Menschheit eines fünftigen Lebens als eines Trostes für das gegenwärtige nicht mehr bedürfen wird, so wird dasselbe in ihren Augen seinen Hauptwert für sie verloren haben. Diejenigen, welche an die Unsterblichkeit glauben, verlassen dieses Leben mit eben so großem, wenn nicht größerem Widerstreben, als die, welche sich nicht mit solchen Erwartungen tragen. Vom Leben, dieser süßen Gewohnheit bindung die moderne Naturwissenschaft mit den innigsten Be Man sieht aus diesen Ausführungen, in welch enger Ver des Daseins," scheidet niemand gern, aber mit unerbittlicher ziehungen unseres sozialen Lebens steht, und daß die Natur Strenge zeigt uns unsere Erfahrung, daß der Mensch keine Aus- geseze, auf die menschliche Gesellschaft angewandt, uns über nahmen von dem allgemeinen Gang der Natur macht, selbst unser eigenes Tun und Treiben Aufschlüsse geben, die ohne ihre

Planeten- und Sonnensysteme werden und vergehen," und so zeigt uns auch der normale Lebenslauf, in welchem wir die

Das wirkliche Handeln der Menschen zeigt uns, wie die größten Verbrechen oft gerade von gläubigen Individuen be gangen werden. Die Religion hat den von ihr geleiteten Gewissen allerlei Mittel an die Hand gegeben, sich mit den jenseitigen Mächten abzufinden und irgend welchen Ablaß 3 erhalten. Es heißt also die Moral weder in ihre Rechte ein sezen und sie mit ihrer natürlichen Selbständigkeit ausstatten, wenn man das Band zerreißt, womit sie der Unverstand Glauben geknüpft und hiemit in ganz falsche Bahnen gelenkt hat.

Kenntnis garnicht zu erlangen wären. Die Organisation der Gesellschaft auf einer neuen und rein wissenschaftlichen

Grund