Eine Jungfrau, die sich vergangen hat, wird vor die Mönche geführt und vor denselben ihres Vergehens angeklagt. Nachdem sie der Schuld überführt ist, wird im Beisein der ganzen Ge­meinde ein großes Feuer angezündet. Das Holz hiefür hat die Büßende selbst herbeizuschaffen. Acht Tage lang muß sie des halb Holz in die Nähe der Mesgid schleppen. Sobald das Feuer recht stark brennt, muß die Büßende, die an Brust und Hüften nur fümmerlich bedeckt ist, ins Feuer springen. Man zieht sie jedoch so schnell als möglich aus den Flammen. So­bald ihre Brandmale geheilt sind, was Wochen ja Monate lang anstehen kann, hat sie eine Ziege als Sündopfer zu bringen. Hierauf muß sie baden und nachdem sie vom Priester mit Weih­wasser besprengt ist, wird sie wieder in die Gemeinde aufgenommen.

Personen, die sich einer Blutschande schuldig machen, haben sich einer Geißelung zu unterziehen, die oft so furchtbar voll­zogen wird, daß der ganze Rücken zerfezt ist. Der Sträfling wird auf den Bauch auf die Erde gelegt. Hände und Füße werden ihm mit zwei langen Lederriemen zusammengebunden, an welchen er von vier Männern festgehalten wird. Zwei an dere Männer, jeder mit einer tüchtigen Ochsenpeitsche versehen, verrichten das Geschäft. Jeder applizirt 20 Hiebe. Es ver­gehen oft 3 Monate, bis der Gestrafte von seinen Wunden ge­heilt ist.

Uebrigens kommt es häufig vor, daß die Mönche den Ver­möglichen die körperliche Büchtigung erlassen, wenn sie dafür Geld, Kleider, Vieh 2c. erhalten. Tabakrauchen ist den Falascha streng verboten. Auch die, welche schnupfen, haben feinen Zutritt in die Mesgid. Die Abyssinier sind sehr eingebildet auf ihre feinen Sitten, welche freilich dem Europäer wunderlich erscheinen. Um nur eins zu erwähnen: Wenn ein abyssinischer Herr ein leises Räuspern fundgibt, springt schnell ein Diener herbei und bietet ihm ehrerbietig sein Kleid als Taschentuch( oder als Spuck napf?) dar.

Die Falascha sind Monogamisten. Die Ehe ist bald ge­schlossen, aber auch leicht wieder aufgelöst, wenn ein Teil mit dem andern unzufrieden ist. Die Mädchen heiraten im 9.- 15., die Jünglinge im 16.- 20. Lebensjahr. Die Paare werden immer von den beiderseitigen Eltern zusammengekuppelt, wobei stets die Vermögensumstände den Ausschlag geben. Am Hoch­zeitstag versammeln sich Morgens die Gäste im Hause des Bräutigams. Nachdem sie einen Trunk Bier genommen, be­gleiten die Männer den Bräutigam, in der Regel auf Maul­tieren, in das Haus der Braut. Dort werden sie von den Ver­wandten der Braut mit dem Freudenruf Ill- JU- JA- Ill­begrüßt. Während des Essens wird von vier alten Frauen über die jungfräuliche Integrität der Braut Nachforschung gehalten. Fällt dieselbe nicht befriedigend aus, so hat der Vater eine jüngere Tochter an ihrer Statt zu geben, bezw. eine Entschä­digung zu zahlen. Nach dem Mahl übergiebt der Vater der Braut unter Segenswünschen dieselbe dem Bräutigam. Hierauf wird die Braut verschleiert und von einem Mann aus dem Hause getragen und auf ein Maultier gesezt, worauf der Zug unter Freudengeschrei nach der Mesgid geht. Vor der Mesgid wird das Paar vom Priester eingesegnet. Sodann begibt sich der Zug in das Haus des Bräutigams. Hier wird gegessen und getrunken und die Frauen und Mädchen tanzen und singen unter Begleitung der Trommel. Die Feierlichkeit dauert 3-7 Tage. Wenn beide Teile Erstgeborene sind, haben sie dem Priester eine bestimmte Summe zu bezahlen. Auch bei der Geburt eines Eestgeborenen erhält der Priester Geld oder Vich, je nach den Vermögensverhältnissen, womit der Erstgeborene ausgelöst wird. Die männliche Erstgeburt beim Vieh wird nach einem Jahre dem Priester dargebracht. Die weibliche behält der Eigentümer, die Butter aber, die von deren Milch gewonnen wird, gehört dem Priester. Die Erstgeburt eines Esels wird mit einen Schaf ausgelöst.

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In der Kindererziehung herrscht bei den Falascha große Strenge. Der Vater nimmt die Knaben unter seine Aufsicht und unterweist sie in allerlei Haus- und Feldarbeiten. Die Mutter unterrichtet die Mädchen im Spinnen, Mahlen, Frucht­reinigen und dergleichen. reinigen und dergleichen. Besonders streng werden die Kinder zur Feier des Sabbats und der Festtage angehalten. Bei Ehe­scheidungen fallen Kinder unter 7 Jahren der Mutter zu, aus­genommen ein erstgeborenes Mädchen, das dem Vater gehört.

Wenn sich jemand unter den Falascha dem Tode nahe glaubt, so läßt er seinen Beichtvater rufen und legt ihm ein Sünden­bekenntnis ab. Jeder Falascha hat nämlich einen Mönch als Beichtvater. Sobald der Tod erfolgt ist, wird der Leichnam gewaschen, in neues Baumwollenzeug eingewickelt und außerhalb des Hauses getragen. Alsbald versammeln sich die nächsten An­verwandten, Nachbarn und Freunde und beweinen und beklagen den Verstorbenen. Nahe Anverwandte werfen Staub auf ihre Häupter und reiben sich an den Schläfen mit Steinen, bis das Blut fließt. Auch den Kopf lassen sie sich rasiren. Von den Klageweibern wird in einem Klagegesang alles Gute, was der Verstorbene getan hat, aufgezählt. Die Klage wird so heftig und laut geschrien, daß die Klagenden in wenig Stunden ganz heiser sind und nur noch zischen können. Sobald die Mönche herbeigerufen sind, werden für den Verstorbenen Psalmen und Gebete gelesen, was die Falascha Fethat( Absolution) nennen ( jedoch nur wenn der Verstorbene vor seinem Tode gebeichtet hat). Unter allerlei Ceremonien wird der Tote auf den Be­gräbnisplaz getragen, der ziemlich entfernt vom Dorfe ist. Da die Falascha ihre Toten nicht in Särgen zu begraben pflegen, so wird in dem Grab von unbehauenen Steinen um die Leiche eine Art von Gewölbe gemacht, so daß sie nicht von der Erde berührt wird. Die Gräber werden mit Kolqual, einer baum­artigen Euphorbie, bepflanzt. Sieben Tage lang findet jeden Morgen im Trauerhause ein Leckso," Klage, statt. Während dieser Zeit wird im Trauerhause feinerlei Speise bereitet; Freunde und Verwandte bringen Lebensmittel herbei und essen mit den Trauernden").

Für jeden Verstorbenen werden am dritten und siebenten Tag, sowie am ersten Jahrestag Totenopfer Taskar" gefeiert, die in mehreren, oft bis zu zehn reinen Farren bestehen. Nach dem Glauben der Falascha kommt die Seele nach dem Scheiden vom Leibe an einen Ort der Finsternis und erst durch die Totenopfer kann sie zu Abraham und den Seligen eingehen. Ueber den Ursprung des Taskar erzählen die Falascha folgendes: Als Moses die Kinder Israels   aus Aegypten   führte, nahm er die Gebeine der zwölf Söhne Jakobs mit sich. Aber die Ge­beine des Ruben waren schwarz. Hierüber trauerte Moses   und betete, worauf ihm Gott befahl, einen Taskar zu machen. Moses  gehorchte und siehe da! die Gebeine Rubens waren nach dem Taskar weiß, wie die seiner Brüder. Eine andere Falascha sage lautet: Ein Mann starb und hinterließ seine Frau in hoffnungsvollen Umständen. Um die Seele des Verstorbenen stritten die Engel und die Teufel. Als die Streitenden vor Gott   traten und ihn zum Schiedsrichter anriefen, erhielten sie folgenden Bescheid: Die Seele soll im Hades bleiben, bis das Kind erwachsen sei. Werde es dem Vater einen Taskar machen, so soll die Seele in den Himmel kommen, andernfalls soll sie in die Hölle wandern**).

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*) Aehnliche Sitten haben die ortodoxen Juden.

**) Aehnliche Vorstellungen herrschen bei den Katoliken über die Messe und bei den Juden über das Kaddisch- Gebet, worüber die allge meine Anschauung herrscht( die auch kodifizirt ist), daß der Sohn den Vater oder die Mutter aus der Hölle erlöst, wenn er das Kaddisch recht oft betet. Daher pflegen auch sog. aufgeklärte Juden das Kaddisch im Trauerjahr eifrig zu verrichten.