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wie die Drehorgeln in Berlin . Ich hasse sie ihrer Musik wegen aber ich spende ihnen trozdem meinen Penny um ihnen nach und nach die Möglichkeit zu verschaffen, einen anderen Lebensberuf zu ergreifen. Kaum war der lezte Ton im Straßenlärm verklungen, als neue Musik erschollen; diesmal wars ein Leichenzug mit Trauermusik und roter Standarte, welche in goldenen Lettern die Worte trug: ,, We relieve a distressed brother"( Wir bestatten einen untergegangenen Bruder). Beiſtänder wandelten zur Seite des Leichenwagens, mit roten Schärpen und Müzen behängt, messingbeschlagene Stäbe in den Händen tragend. Es war eine Deputation der Es war eine Deputation der Salvation Army ( der Rettungsarmee), einer Sekte, die fanatisch den Kreuzzug gegen die Sünden der verderbten Welt predigt, und obwohl noch nicht sehr alt, rasche Fortschritte macht. Wir wollen ihr später in ihrem neuen Hauptquartiere im früheren griechischen Teater und dem Adler- Wirtshause einen Besuch abstatten.
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Die Temperenzler ziehen allein gegen den Alkohol zu Felde; sie haben verschiedene Temperance Bars ins Leben gerufen, allwo aus Prinzip kein alkoholhaltiges Getränk verabfolgt wird. Vor kurzem hat sich eine Gelbbandarmee gebildet, die für Mäßig feit im Genuß von Bier, Wein und Schnaps eintritt, während die Blaubar barmee schon älteren Datums absolute Enthaltsamkeit als Rettungsmittel von allem menschlichen Elend ansieht. Eine andere Armee schmückt das Knopfloch mit einem grünen Bändchen, als Zeichen, daß sie nicht gewillt ist, von ihrem Naturrecht, Bier, Wein und dergleichen zu produziren und zu trinken, auch nur um eines Haares Breite abzuweichen. Mir gefällt von diesen Farben grün und gelb am besten, und wenn es nicht den Anschein hätte, als wäre ich ordenssüchtig, so würde ich diese beiden Bänder zusammen einknöpfen. Vielleicht hat die Blaubandbewegung eine gelinde Einschränkung des übermäßigen Alkoholgenusses zur Folge sonst aber sind diese Demonstrationen äußerst harmlos, und ich sehe nicht ein, was einen Blaubändigen verhindern sollte, mit zugeknöpftem Ueberrocke die Bar zu betreten und zur Erwärmung" einen Brandy zu genießen.
Mir graut vor der Temperance
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und zwar weil ich am
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vierten Tage meiner Forschungsreisen in einer Temperance Bar halt machte und dort mit Hunde- oder Kazenfleischpastete gefüttert wurde, gegen welche ich eine Art Vorurteil hege. Auch die anderen Speisen dufteten nicht lieblich ich aß mich nur viertelssatt, blieb aber noch eine Weile sizen, um mir das Publikum anzusehen. Der Speisezettel war am Eingange angeschlagen, und jeder Eintretende warf einen Blick darauf, um nach seinem Lieblingsgerichte zu suchen. Ich tat das auch fand aber nichts, was ich so hätte nennen können. Billigere Speisen habe ich noch nie gefunden als hier, die Mäßigung erstreckte sich sogar auf den Profitanspruch des Wirtes. Ich wurde mißtrauisch angesehen von den vorhandenen Gästen, die wahrscheinlich zweifelhaft waren, ob ich ein verirrter Fremder sei oder im Begriffe stehe, ihren speziellen Berufen Konkurrenz zu machen, nämlich in der Kunst die nötigen Penny- Stücke zu einem Mittagsmahl zusammenzubringen durch Schuhpuzen, Straßenfegen, Lumpensammeln oder Betteln. Diese und vielleicht noch andere Berufe- liefern die Besucher der besagten Temperance Bar. Der eine hat 2 pence für ein Stück Pudding, ja 1 penny ist schon hinreichend, um eine Schüssel" eines minderwertigen Puddings zu erstehen; für 3 und 4 pence werden Fleischpasteten und Fleischschnitten geliefert; Reis und dergleichen für je 1 penny- sodaß auch die bescheidensten Mittel zu einem Magenstopfmaterial verhelfen. Es gibt andere, auf höherer kulinarischer Stufe stehende Mäßigkeits- Speisewirtschaften, die aus der Not eine Tugend machen: weil sie nicht polizeiliche Erlaubnis zum Alkoholschank erhalten können, nennen sie sich Temperance Bars.
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Die Zahl und Arten der londoner Speiseanstalten ist damit noch lange nicht erschöpft: französische Restaurants tragen den Gewohnheiten der eingewanderten Franzosen Rechnung; einige Public- houses haben Mittagstische zu mäßigem Preise und für gute Speisen eingerichtet; und die größeren Restaurants tragen einen durchaus kosmopolitischen Karakter. Die Boardinghäuser gehören in ein anderes Kapitel, und ich habe erst vor kurzem mit ihnen gebrochen, sodaß mir die Leser einen kleinen Verzug gestatten werden: ich möchte nicht gleich wieder an alle Schrecken jener Anstalten erinnert werden.
Die Satire der Neuzeit.( Frühere Epoche.)
Bon Dr. Richard Ernst.
Die Fruchtbarkeit der Muse steigerte sich in dem Grade, als die mittelalterlichen Ketten sich lockerten und lösten und je höher die Sonne der neuzeitlichen Kultur stieg, desto üppiger gediehen auch die Saaten auf den Gefilden der Literatur. Daß auch die Stechpalmen der Satire dabei reichlich aufsproßten, läßt sich denken. Nicht sowohl aus chronologischen als vielmehr aus sachlichen Gründen lassen wir diesmal der pyrenäischen Halbinsel den Vortritt. Im Jahre 1605 erschien zu Madrid ein satirischer Roman, der bald das Entzücken von Alt und Jung, von Arm und Reich, vom Bettler und König wurde, ein unsterbliches Werk, das seine Lebensfähigkeit durch Jahrhunderte bewahrt hat und noch heutzutage unmittelbare praktische Wirkung hervorbringt: der Don Quixote von Miguel Cervantes de Saavedra( geb. 1547 in Alcala , gest. 1616 in Madrid am nämlichen Tage, an dem Shakespeare zu Stratford seinen großen Geist aufgab). Cervantes, unbedingt der erlauchteste Genius, den sein Vaterland hervorgebracht hat, hatte es mit seiner weltberühmten Dichtung anfänglich blos auf den Ruin der phan tastischen und geschmacklosen Ritterromane abgesehen, deren Lektüre zu seiner Zeit so stark grassirte, daß Kanzel und Kanzlei ohnmächtig dagegen waren. Aber im Verlaufe der Dichtung wuchs sein Interesse an den selbsterfundenen Gestalten; als großer Dichter legte er unendlich mehr in den Roman nieder, als die ursprüngliche, einfache Intention, und so ist derselbe
zugleich eine vernichtende Satire auf die mannigfaltigsten Reaktionsbestrebungen aller Zeiten, welche das Rad der Geschichte rückswärts zu drehen suchen, die Gebrechen der Zeit mit Medifamenten aus der Apoteke der Vergangenheit heilen zu können glauben und vermoderte Gewänder aus der Rumpelkammer überwundener Kulturepochen aufstöbern, um die Gegenwart damit zu bekleiden. Aber noch mehr; die Gestalten des hageren Ritters auf seinem dürren Klepper und seines fetten Knappen auf dem Grauchen sind Typen des einseitig idealistischen Phantasiemenschen und des einseitig groben Realisten, der dennoch von den Wundern des Reichtums und Erfolgs gläubig durchdrungen ist und daher an den Fahrten des Idealisten bereitwilligst Anteil nimmt, und der Roman ist eine klassische Darstellung des Gegensazes und Kampfes idealistischer und realistischer Momente im Menschenleben. Dadurch ist der Don Quixote die großartigste Allegorie, die bis jezt ersonnen worden, und weil diese Allegorie auf der Basis einer vollendet plastischen Schilderung von Spa niens sozialen Zuständen ruht, ist er zugleich der beste Roman, der je geschrieben wurde. Mit demselben Werke, mit dem er den mittelalterlichen Ritterromán vernichtet, hat Cervantes den modernen Roman geschaffen, indem er dem aristokratischen Element das volkstümliche beimischte, derart, daß immer das eine dem andern zur Abschattung oder zur Beleuchtung dient. Der großartigen Idee und psychologischen Tiere des Werks