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Das Rapsausreiten.( Illustration S. 453.) Der Raps( den man in Süddeutschland   Reps, anderwärts auch Kohlsaat nennt) dient be­kanntlich dem Zweck, daß man aus seinen Samenkörnern Del preẞt, während mit dem Stroh und den Hülsen der Schoten die Schafe und das Rindvieh gefüttert werden. Die Samenkörner fallen sehr leicht von der Hülse ab; deshalb scheut man sich auch, den Raps zum Aus­dreschen nach der Scheune zu transportiren. Maschinen und Dresch­flegel wendet man auch nicht gerne zu der Prozedur des Rapsdreschens an, denn die zarten Samenhülsen können die Wucht des Flegels und der Maschinen nicht leicht vertragen. Während nun in manchen Gegenden der Raps einfach ausgetreten wird, verfolgt man in anderen die Ge­wohnheit, ihn ausreiten zu lassen. Die Gebinde des gemähten Rapses werden geschickt geschichtet, damit die Hufe der Pferde die zarten Samenkörner nicht zu hart treffen und jeder Knecht, der zum Raps­ausreiten kommandirt" ist, führt noch ein Handpferd mit sich, damit die Arbeit schneller geht.

Unser Bild zeigt uns die lustige Rapskavallerie in voller Tätig­feit. Die Knechte, die das ganze Jahr in harter Arbeit und An­strengung zubringen müssen, freuen sich auf diese kleine Abwechslung, bei der sie sich nach Herzenslust tummeln können. Der Gutsbesizer sieht ihnen lachend zu; er scheint seinen Leuten die kleine Freude nicht zu mißgönnen. Wenn er nur auch sonst sich human benimmt; was leider so wenig der Fall ist, denn die Knechte werden gewöhnlich ihrem Namen entsprechend behandelt. Heute ſizen sie stolz und stattlich zu Roß und mancher glaubt, damit den in der Nähe beschäftigten statt­lichen Mägden zu imponiren, die gerne den Rechen bei Seite legen und zusehen würden, die runden Arme in die Hüften gestemmt. Allein der Gutsherr ist da, und da dürfen sie die Arbeit nicht unterbrechen; höchstens blicken fie flüchtig einmal hinüber nach den lustigen Reitern. Das Bersäumte wird aber nachgeholt, denn Abends am Brunnen oder unter der Linde oder auch in der Spinnstube werden die Rapskaval­leristen die Anerkennung für ihre Reitkünste schon einheimsen. Und wie das geschieht, das brauchen andere Leute ebensowenig zu wissen als der Alte", nämlich der Gutsherr.

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Bl.

Auch eine vom schönen Geschlecht.( Siehe Illustration S. 461.) Sie ist jezt sechs Jahre alt, die kleine Krao, welche unser Bild prä­sentirt. Man muß es schon sagen, daß die eigentümliche Figur ein kleines Mädchen vorstellen soll, damit der geneigte Leser nicht zu anderen Vorstellungen kommt. Krao ist in einem Walde auf der Insel Borneo  aufgefunden worden und zwar befand sie sich damals in Gesellschaft ihrer Eltern. Die lezteren aber sind nicht mit ihrem Kinde nach Europa  gekommen Krao befindet sich nämlich in London  , wo sie für Geld gezeigt wird sondern der Erzeuger des merkwürdigen Geschöpfes, ein Eingeborener von Borneo  , starb auf der Ueberfahrt nach Ostindien, während die Mama im Lande blieb, wo sie sich noch befindet. Das Merkwürdige an der kleinen Krao ist nur, daß sie vom Scheitel bis zur Zehe mit einem weichen seidenartigen Haarwuchs bedeckt ist, eine Erscheinung, die zwar nicht ganz neu ist, die aber selten gerade in dieser Art sich gezeigt hat.

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Nun darf man sich jedoch nicht verführen lassen, in der kleinen Krav  das berühmte fehlende Bindeglied in der Reihe der Entwicklung vom Affen zum Menschen zu suchen, wenn schon das Aeußere der kleinen Dame dazu anreizt. Sie ist im Gegenteil ein mit den menschlichen Anlagen gar nicht so stiefmütterlich ausgestattetes Wesen, und, wie es scheint, in einem Anfall von humoristischer Laune hat ihr die ver schwenderische Mutter Natur das merkwürdige Haargewand mitgegeben. Es sind ja auch schon andere Leute mit Hilfe ihrer Haare berühmt geworden, vom starken Simson, dem Philistertöter, und vom unglück­lichen Königssohn Absalon bis zum König Harald Haarfagar, der schönen Agnes Bernauerin und dem armen, in Bologna   eingesperrten Hohenstaufen Enzio  ; warum soll nicht einmal eine kleine Schönheit aus Borneo   durch ihren Haarwuchs eine Berühmtheit werden? Es ist also hier kein Mitglied einer besondern Art von Zweihändern vor­handen, sondern wir stehen vor einer Anomalie, vor einem Ausnahme­fall. Die Gelehrten, welche sich mit der kleinen Krao schon viel be­schäftigt haben, sind darüber einig geworden, allerdings nicht ohne einigen Austausch von gegensäzlichen Meinungen.

Die Natur liefert uns immer ganz interessante Gestaltungen, und unzweifelhaft gehört die kleine Krao zu den allerinteressantesten. Ob sie auch zu den schönen Gebilden gehört, ist eine Frage des Geschmacs. Wir sind leichtfertig genug, es nicht für zweckmäßig zu halten, daß wir uns in diese Frage vertiefen; was wir aber in dieser Beziehung fündigen, wird gut gemacht durch gewissenhafte Leute. So hat sich z. B. ein Herr Harry Kaulig, der sich als forrespondirendes Mitglied der In­stitution Ethnographique" bezeichnet, mit vieler Gründlichkeit in diese Frage vertieft und hat an der kleinen Krao eine Menge von Reizen entdeckt, die den Augen gewöhnlicher Sterblicher verborgen geblieben sind. Namentlich auf den Mund des holden Kindes hat es das ge= ehrte Mitglied(? Red.) jener gelehrten(? Red.) Gesellschaft abgesehen, den es schön gerundet" mit schwellenden Lippen" findet und der ganz reizend lächeln" kann. In einem Briefe an ein deutsches Blatt hat der genannte Kraophile sich in dieser Weise ausgedrückt und hinzuge­fügt, daß der Kopf Kraos sich faſt ideal" über dem allerdings, auch nach der Meinung des Bewunderers, etwas affenartigen Körper erhebe. Run, wer wollte so grausam sein und Leute vom Geschmack dieses

Herrn Raulis in der Bewunderung der interessanten kleinen Dame stören! Wünschen wir ihnen von Herzen, daß sie mit der Zeit immer noch mehr Reize an dem kleinen Engel entdecken mögen! Nur, fürchten wir, kann die Sache gefährlich werden, wenn die schöne Krao aus Gründen der Nüzlichkeit im allgemeinen und der Schamhaftigkeit im besonderen genötigt werden wird, ihre Blößen mit Gewändern zu be­decken. Und das kann nicht ausbleiben; dann kann der bezaubernde Eindruck, den der fast ideale" Kopf auf sie übt, nicht mehr durch die ,, affenartige Gestalt" gestört werden und wer weiß, wer weiß! Wenn Natur und Kunst sich in der Aufgabe vereinigen, den mensch­lichen Geschmack zu befriedigen, so haben sie ihr Ziel erreicht, indem sie für den Geschmack des Einen die herrlichen Körperformen der meeres­schaumgeborenen Aphrodite, für den des Anderen die süßlächelnden Lippen Kraos geschaffen. Der Bescheidnere ist in diesem Falle immer der Glücklichere; seine Ansprüche werden leichter befriedigt.

Für uns gewöhnliche Alltagsmenschen, die sich noch nicht zu der Höhe der Anschauungen solcher Krao- Aestetiker emporgerungen haben, besteht eben auch die Tradition, daß wir lieber in den Formen der Aphrodite einen Gipfelpunkt der Darstellbarkeit des Geistigen im Wirk lichen, wie Ludwig Feuerbach   das Schöne bezeichnet, finden, und wir sind so nüchtern, in Krao einen einfachen Fall von überreichlicher Behaarung Bl. ( Hypertrichose) zu sehen.

Mudies Circulatin Library( Mudies Leihbibliotek). Wenn wir Deutsche das Wort Leihbibliotek hören, dann denken wir unwillkürlich an Bücher mit fettigen Einbänden und zerlesenen Blättern, welche die Spuren zahlreicher Finger, sowie der den Besizern dieser Finger eigenen Lebensgewohnheiten zur Schau tragen. Und ein mehr oder weniger uneleganter Raum taucht vor unseren Blicken auf, welcher das, von einem mehr oder weniger uneleganten Individuum männlichen oder weiblichen Geschlechts bewachte Heim dieser problematischen Bücherschäze

bildet.

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Diese Vorstellungen treffen bei der Mudie'schen Leihbibliotek aller­dings nicht zu. Sie ist doch lassen wir die Geschäftsanzeige sprechen, welche wir in den vor uns liegenden englischen Blättern finden. Die­selbe lautet in möglichst wörtlicher Uebersezung:

Mudies auserlesene Leihbibliotek.

30 bis 34 Neu- Orfordstreet London  ,

3weiggeschäfte in London  : 281 Regentstreet und 2 Kingstreet Cheapside. Neue und auserlesene Bücher.

Beinahe 200 000 Bände der besten Bücher der gegenwärtigen und der vergangenen Saisons zirkuliren gegenwärtig in Mudies auserlejener Leihbibliotek.

Die ganze Sammlung umfaßt mehr als eine million der innerhalb der lezten 40 Jahre in England veröffentlichten besten Werke der besten Autoren von jeder Meinungsschattirung und über alle Gegenstände von allgemeinem Interesse.

Für frische Exemplare aller vielverlangten Werte wird in der liberalsten Weise gesorgt, und von allen bedeutenden Büchern, die in den Buchhandel kommen, werden gleich beim Erscheinen große Vorräte( ample supplier) angeschafft.

Jährliches Abonnement 1 Guinea( 21 Mark) und mehr je nach der Zahl der gewünschten Bände.

Bedingungen für Bücherklubs und literarische Vereine ( Literary Institutions). Fünfzehn Bände auf einmal der neuesten Werte 5 Guineen( 105 Mt.) das Jahr; und für je drei Bände mehr 1 Guinea  .

Oder:

Fünfundzwanzig Bände auf einmal von älteren Werken 5 Guineen das Jahr; und für je fünf Bände mehr 1 Guinea  .

Prospekte werden auf Berlangen franko überschickt.

Billige und seltene Bücher.

Siehe Mudies Bertaufstatalog. Neue Ausgabe jezt fertig. Die neue Ausgabe von Mudies Berkaufstatalog enthält beinahe tausend neuere und neueste Werte aus allen Gebieten der Literatur.

Die Londoner   Buchgesellschaft. Notiz!

Die Boten der Mudie'schen Bibliotet bringen allen Londoner   Abonnenten, wo dieselben auch wohnen mögen, die Bücher ins Haus und holen sie wieder ab, nach einem Plan, welcher seit vielen Jahren die allgemeinste Zufriedenheit gewährt hat. Abonnement 2 Guineen( 42 Mark) das Jahr.

Alle Bücher der Mudie'schen auserlesenen Leihbibliotek können von allen Abonnen­ten auch erlangt werden in Mudies Leihbibliotek, Barton Arcade, Manchester  und, auf Bestellung, bei allen mit der Leihbibliotek in Berbindung stehenden Buch­

händlern.

Mudies auserlesene Seißbibliotek ( Handelsgesellschaft mit beschränkter Haftbarkeit). 30-34 Neu- Drfordstreet.

8weiggeschäfte in London  : 281 Regentstreet und 2 Kingstreet, Cheapside. Dies die Geschäftsannonce, wie sie in den englischen Blättern fich findet findet groß und breit gedrudt, sehr viel Raum einnehmend, wie das dem mächtigen Umfang des Geschäfts entspricht.

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Man dente: eine Leihbibliotek mit mehr als einer million Bände in fünf nebeneinanderstehenden Häusern der prachtvollen Neu- Oxfordstreet!

Aus der Annonce, welche einen ziemlichen Einblick in Wesen und Betrieb dieser Riesenleihbibliotek gewährt, ersieht man, daß hier Leih­bibliotek mit antiquarischer Buchhandlung verbunden ist. Bon jedem neuerscheinenden Wert werden soviel Exemplare angeschafft, als das Leſepublikum voraussichtlich begehren wird: Duzende, Hunderte, Tau­sende, Zehntausend teine Uebertreibung! Ist nun die erste Lese­

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